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Interview mit Michael Zorc

Michael Zorc über harte Arbeit, einen festen Charakter, Offenheit, Ehrlichkeit und mehr Sein als Schein. Werte, aus denen auch heute noch Karrieren geschnitzt werden. Das Gespräch führte Michael Kalthoff-Mahnke. Aus Aufsteiger 2.07

Geboren am 25. August 1962 in Dortmund-Eving, Abitur am Heisenberg-Gymnasium in Dortmund, startete seine Fußballkarriere beim Dortmunder Vorortclub TUS Eving-Lindenhorst. 1978 wurde er als außergewöhnliches Talent zu Borussia Dortmund geholt. Für den Club schoss er in 463 Bundesligaspielen 131 Tore. Als Mittelfeldspieler und langjähriger Kapitän des BVB wurde er mit seiner Mannschaft zweimal Deutscher Meister, einmal Deutscher Pokalsieger, er gewann mit dem BVB einmal die Champions League und den Weltpokal. Der Vorzeige-Borusse und -Profi spielte siebenmal in der deutschen Nationalelf und war 1981 mit der U20 Europa- und Weltmeister. Seit dem Ende der aktiven Laufbahn ist Michael Zorc Sportdirektor des BVB.

Herr Zorc, Sie standen als zwölfjähriger Fussballfan auf der Südtribüne des Signal Iduna Parks, der damals noch Westfalenstadion hieß. Sie waren selbst Jugendspieler beim TuS Eving-Lindenhorst und haben von einer Profikarriere beim BVB geträumt. Der Traum wurde wahr. Ein Fußballmärchen oder harte Arbeit?
Beides. Ich hatte natürlich Glück, dass der BVB mein Talent erkannt hat und ich gefördert wurde. Es war aber auch ein hartes Stück Arbeit. Ich habe als Zwölfjähriger bereits vier- bis fünfmal in der Woche trainiert. Dazu braucht man schon einen festen Charakter und vor allem Mut und Kraft, sich auch mal in eine Sache zu verbeißen.

Sie sind ein „Kind des Reviers“, hier geboren und aufgewachsen. Hier haben Sie alle Höhen und Tiefen Ihrer Karriere durchlebt. Was gefällt Ihnen besonders an dieser Region?
Die Offenheit der Menschen. Man weiß immer recht schnell, woran man ist. Die sagen dir ihre Meinung – einfach und direkt ins Gesicht. Das ist die Ehrlichkeit, die für Fremde mitunter irritierend sein kann. Was mich immer wieder besonders beeindruckt: Die Menschen hier sind bereit für das, was sie haben, viel zu leisten und hart zu arbeiten. Sein statt Schein. Das ist eine wunderbare Eigenschaft.

Sie haben den Strukturwandel im Ruhrgebiet und insbesondere in Dortmund hautnah erfahren. Wie sehen Sie unser „Revier“ heute?
Das Ruhrgebiet kommt gut in Form. Hier hat sich unheimlich viel getan. Wenn ich bedenke: Mein Großvater war noch Bergmann auf der Zeche Minister Stein in Dortmund-Eving. Früher gab es hier jede Menge Brauereien, Schwerindustrie. Das alles gibt es nicht mehr. Jetzt ist Dortmund eine moderne Dienstleistungsstadt – zum Beispiel ein Zentrum für Versicherungsunternehmen. Unsere Uni und die Fachhochschulen sind von großer Bedeutung für Wissenschaft und Forschung in Deutschland und international. Nehmen Sie zum Beispiel die Mikro- und Nanotechnologie. Das ist, wie man liest, eine Job-Maschine vor allem für junge, gut ausgebildete Leute. Die Firmen aus dieser Branche siedeln sich auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks Phoenix an. Ich würde sagen: 1:0 für den Strukturwandel. Und das gilt nicht nur für Dortmund, sondern für das ganze Ruhrgebiet.

„Arbeite und schlafe!“ Das Ruhrgebiet war früher vor allem durch sein Arbeitsethos geprägt. Hat sich das geändert?
Das Ruhrgebiet hat sich zu einer modernen und interessanten Kulturlandschaft entwickelt. Hier gibt es alles, was der Mensch über die Arbeit hinaus braucht: Kunst, Theater, Musik und natürlich Sport, vor allem Fußball. Wer was erleben will, muss nicht nach Berlin, Hamburg oder München fahren. Und wir sind Europas Kulturhauptstadt 2010, das wird die Kulturszene hier stark positiv beeinflussen.

Die Bodenständigkeit der „Ruhris“ gilt für Außenstehende nicht nur als Vorteil. Man sagt, dass dadurch notwendige Entwicklungen behindert werden …
… das ist Quatsch. Wer hier lebt, weiß, dass es anders ist. Bodenständigkeit ist doch nichts Negatives. Du musst wissen, woher du kommst und wie du was geworden bist. Natürlich darf das nicht den Blick für zukünftige Entwicklungen verstellen. Aber es muss nicht immer alles hoppla-hopp gehen. Weitblick ist gefragt, und dazu braucht man einen festen Standpunkt.

Sie kommen viel herum in Deutschland und der Welt. Wie wird das Ruhrgebiet außerhalb seiner Grenzen wahrgenommen?
Häufig gibt es noch das Schmuddel-Image, das auch von manchen Medien sehr gepflegt wird: rauchende Schlote, Schwerindustrie, schlechte Luft, alles Grau in Grau. Wer dann hierher kommt, wird eines Besseren belehrt. Bei der Fußball-WM im vergangenen Jahr waren die vielen Tausend Gäste, die uns hier besucht haben, von der hohen Lebensqualität des Ruhrgebiets überzeugt.

Sie hatten das Zeug, auch bei anderen Vereinen ganz groß herauszukommen. Warum diese Treue zu Ihrem ersten Arbeitgeber, dem BVB, wo doch gerade im Arbeitsleben ein hohes Maß an Flexibilität gefordert ist und oftmals als karrierefördernd gilt? Der Profi-Fußball ist doch ein gutes Beispiel dafür.
Meine Beziehung zum BVB ist kein normales Arbeitsverhältnis. Das ist schon mehr. Aber grundsätzlich: Man muss sehen, in welcher Lebens- und Karrierephase man gerade steckt. Was bringt ein Wechsel des Arbeitsplatzes? Da gibt es ganz andere Entscheidungskriterien – häufig auch über Geld und Verdienst hinaus. Bieten sich neue Perspektiven? Wo liegen die neuen Herausforderungen? Wo kann ich mich am besten durchsetzen und weiterentwickeln? Vor allem aber: Wie ist das Umfeld? Ein Beispiel aus dem Fußball, das gar nicht so selten ist: Ein junger Spieler glänzt bei seinem Verein, wechselt und bekommt beim neuen Club kein Bein auf den Platz. Obwohl der Ball auch hier rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert. Gute Leis-tungen kann ich nur abrufen, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen.
Als ich hätte wechseln können, ging es beim BVB so richtig los. Wir waren gerade zum zweiten Mal Deutscher Meister geworden, als ein Angebot aus dem Ausland kam. Für mich war ein Wechsel in dieser Phase überhaupt kein Thema. Ich wollte mit dem BVB noch mehr erreichen. Am Ende der Saison waren wir Champions League-Gewinner und Weltpokalsieger.

Sie galten und gelten als eingefleischter Borusse und Vorzeige-Profi, hundertprozentig loyal gegenüber Ihrem Verein und ebenso leistungsorientiert. Sind das Charakterzüge, aus denen man Karrieren schnitzt?
Ja, unbedingt. Du musst deine Leistung ständig abrufen, du musst im wahrsten Worte immer am Ball sein. Das ist im Profi-Fußball natürlich noch offensichtlicher als im normalen Berufsleben, weil man hier permanent öffentlich bewertet wird. Aber es gibt Parallelen. Ganz klar: Wer ein gewisses Niveau erreicht hat, muss sich ständig neu beweisen. Sonst ist der Absturz programmiert.

Sie waren viele Jahre Kapitän des BVB. Was zeichnet einen Führungsspieler aus? Welche besonderen Qualitäten muss einer haben, um bei den Mitspielern und Kollegen ebenso wie beim Trainer gleichermaßen akzeptiert zu sein?
Wer führen will, darf nicht eindimensional und ich-bezogen denken und handeln, sondern im Sinne der Mannschaft, im Sinne der Kollegen. Das gilt auf dem Platz ebenso wie in einem Unternehmen. Also nicht: Wie sehe ich am besten aus? Sondern: Was ist wichtig für unser Team? Diese Führungsposition muss man sich auch immer wieder erarbeiten, um bei den zu Führenden akzeptiert zu werden. Das geht nicht per Dekret. Führung kann nicht verordnet werden.
Zu einer guten Führungskraft gehört auch nicht nur der reine Sachverstand. Um beim Sport zu bleiben: Der Kapitän muss natürlich gut Fußball spielen können. Aber das ist nicht alles: Der Führungsspieler braucht zum Beispiel Authentizität. Wer bei den anderen anerkannt werden will, darf sich nicht verstellen. Sonst wird er unglaubwürdig. Er braucht ein hohes Maß an Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit. Soll heißen: Der Kapitän ist der Vermittler zwischen Mannschaft und Trainer. Er ist der verlängerte Arm des Trainers während des Spiels. Er ist aber auch zugleich Sprecher der Mannschaft gegenüber Trainer und Vereinsführung. Wie in einem Unternehmen: Die Führungskraft transportiert einerseits die Unternehmensstrategie an die Mitarbeiter und vermittelt der Firmenleitung andererseits die Stimmung an der Basis.

„You´ll never walk alone!“ Das singen nicht nur die BVB-Fans vor dem Spiel, sondern auch die Mannschaft, um sich einzuschwören. Wie wichtig sind derartige Signale oder Symbole?
Das ist ein wichtiges Zeichen, das sagt: „Du gehörst dazu. Auch wenn es mal nicht so gut läuft. Wir sind ein Team, wir stehen hinter euch!“ Das ist für die Motivation einer Mannschaft ungemein wichtig, gerade vor einem entscheidenden Spiel. Als Jürgen Klinsmann zur WM 2006 einen Athletiktrainer aus den USA und zusätzlich einen Mentaltrainer geholt hat, haben viele der selbst ernannten Experten gelächelt. Im Verlauf des Turniers hat die deutsche Mannschaft dann auch mentale Stärke gezeigt, war ungemein motiviert. Das lag nicht nur am „Heimspiel“. Die Seelenmassage zeigte Wirkung. Davon können auch Unternehmen lernen.

Sie sind keiner, der offensiv die Kameras und Mikrophone sucht wie etwa Uli Hoeneß in München. Sie waren auch als Spieler und Mannschaftskapitän eher einer der zurückhaltenden Art. Haben offensivere Typen es einfacher in Ihrem Business?
Uli Hoeneß war in erster Linie über viele Jahre der erfolgreichste Manager der Bundesliga, er hatte also etwas darzustellen und zu sagen. Und in der Tat ist der Profi-Fußball extrem mediengetrieben. Ob Spieler, Trainer oder Manager – wir werden ständig von den Medien beobachtet. Die Öffentlichkeit will wissen, was Sache ist. Auch ich habe gelernt, dass man als Sportdirektor häufiger als früher in der Öffentlichkeit präsent sein muss. Aber man muss selbst kein Marktschreier sein.

Vor einigen Jahren ging es dem BVB ziemlich schlecht. Finanzkrise, Führungskrise. Auch Sie gerieten wegen fehlender sportlicher Erfolge der Mannschaft in die öffentliche Kritik. Wie haben Sie diesen enormen Druck bewältigt?
Das waren in der Tat schwierige Monate für den Verein und auch für mich persönlich. Ich habe mich in dieser Zeit oft an meine eigene aktive Phase erinnert. Auch da gab es scheinbar ausweglose Momente. Es gab sportliche Misserfolge, Verletzungen. Mich hat insbesondere geprägt, dass es auch in aussichtslos scheinenden Situationen wichtig ist, weiterzumachen, nicht aufzustecken, und einfach immer das Beste zu geben. Wenn du einen festen Willen hast, kannst du vieles bewegen und zum Positiven wenden. So war es auch zum Jahresbeginn: Ich habe die Kritik angenommen, aber strukturiert weitergearbeitet und versucht, den Druck nicht so nahe an mich herankommen zu lassen. Dabei haben mir auch meine Familie und Freunde geholfen.

In Ihrem Sport gibt es einen knallharten Wettbewerb, dem Spieler und Trainer sich stellen müssen. Auch in Wirtschaft und Gesellschaft steigt der Konkurrenzdruck. Was raten Sie jungen Menschen, die die beruflichen Weichen für die Zukunft stellen müssen?
Ganz klar stehen die Talente und Neigungen vorne an. Was sind meine Stärken? Was macht mir Freude? Aber auch: Was hat gute Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt? Da muss man die Chancen realistisch einschätzen. Nicht alles im Leben ist Spaß, vieles ist harte Arbeit. Das klingt zwar ziemlich trocken und konservativ, ist aber so. Ich hatte das Glück, meine Leidenschaft zum Beruf machen zu können. Das gelingt leider nicht jedem.

Sie haben im Fußball vieles erreicht, wovon Nachwuchskicker nur träumen können. Jetzt tragen Sie als Sportdirektor Verantwortung dafür, dass es im Verein gut läuft. Wann ist für Michael Zorc Abpfiff?
Fußball spielt in meinem Leben seit über 30 Jahren eine wichtige Rolle. Ich kann mir aber auch ein Leben danach vorstellen, wenn auch noch nicht jetzt. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, ist völlig offen.

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