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Interview mit Hans-Joachim Watzke

Bevor Hans-Joachim Watzke im Jahr 2005 das Ruder bei Borussia Dortmund übernahm, stand der Verein finanziell am Abgrund und in der Tabelle im grauen Mittelmaß. Jetzt ist der BVB nicht nur saniert, sondern auch Deutscher Meister – und zwar mit der jüngsten Meistermannschaft der Bundesligageschichte. Im Interview erzählt Watzke, warum der Erfolg ein Resultat des Sparzwangs ist, warum er die junge Profigeneration für besonders intelligent hält und wieso Vertragstreue und Bescheidenheit heute der beste Garant für eine große Fußballerkarriere sind. Das Interview führte André Boße.

Zur Person Hans-Joachim Watzke

Hans-Joachim Watzke, 52, ist wie so viele überzeugte Borussen ein Kind des Sauerlands. In Marsberg im Hochsauerland gründete er 1990 das Unternehmen Watex, das Schutzkleidung und Feuerwehruniformen herstellt. Seinen ersten Posten beim BVB nahm Watzke in turbulenten Zeiten 2001 als Schatzmeister an.

Nach dem Rücktritt der alten Vereinsführung wurde er im Februar 2005 zum Geschäftsführer bestellt. Watzke, der 1966 zum ersten Mal mit seinem Vater ein BVB-Spiel im alten Stadion „Rote Erde“ besuchte, ist verheiratet, hat zwei Kinder und spielt als Vorsitzender des sauerländischen Vereins Rot-Weiß Erlinghausen selbst noch Fußball: bei den „Alten Herren“ und unter dem Spitznamen Aki.

Herr Watzke, angenommen, einer Ihrer jungen Profis erscheint plötzlich mit teurem Sportwagen, dicker Rolex und neuen Brillanten im Ohr beim Training. Ist das seine Privatsache, oder gibt es ein klärendes Gespräch?
Ich darf davon ausgehen, dass keiner unserer Spieler jemals so zum Training kommen wird. Nicht, dass wir so schlecht zahlen würden. Aber wenn wir uns für einen Profi interessieren, machen wir uns schon im Vorfeld ein Bild von seinem Persönlichkeitsprofil. Wir würden also wissen, wenn jemand den Hang zu einem sehr opulenten Lebensstil pflegt und zu gerne vorzeigt, was er hat.

Hätte so ein Lebensstil negative Auswirkungen auf seine Karrierechancen bei Borussia Dortmund?
Durchaus, wobei ich beobachte, dass die Spieler der heutigen Generation in dem Moment, in dem sie den Vertrag unterschreiben, noch sehr demütig daherkommen. Das ändert sich unter Umständen im Laufe der Zeit nach den ersten Erfolgen und Gehältern. Dass es aber nicht zwangsläufig so kommen muss, beweist unser aktueller Kader.

Bei Ihnen im Verein sind Leistungsträger wie Mario Götze, Kevin Großkreutz oder Mats Hummels alle um die 20. Was zeichnet diese erfolgreichen jungen Profis in ihrem Umgang mit Geld aus?
Sie gehen sehr konservativ und bewusst an das Thema heran. Bei uns wirft keiner das Geld zum Fenster raus. Das sehe ich schon an den Autos, die am Trainingsgelände parken. Wir als Arbeitgeber sehen es sehr gerne, wenn sich unsere jungen und erfolgreichen Spieler nicht von ihren neuen finanziellen Möglichkeiten verleiten lassen. Der Grund liegt auf der Hand: Unsere Spieler sind dafür einfach zu intelligent. Wenn einer abheben würde, holen ihn die anderen schnell wieder zurück auf den Teppich.

Die Meisterschaft war ein überraschender und riesiger Erfolg – verbunden mit einem Geldregen für die Spieler und den Verein. Was muss ein junger Profi tun, damit Erfolg und Geld nicht zur Belastung werden?
Einen klaren Kopf behalten. Das ist sicher nicht ganz einfach, schließlich hatte niemand vorher mit der Meisterschaft gerechnet, und die Feierlichkeiten in der Stadt waren ja durchaus berauschend. Doch ich mache mir keine Sorgen, weil ich weiß, dass sich jeder unserer Spieler bei uns extrem wohlfühlt – und zwar unabhängig vom Geld, das er bei uns verdient. Das ist sicherlich nicht wenig – aber es ist nicht der entscheidende Faktor.

Eine Studie hat belegt, dass für die Hälfte der Young Professionals von heute eine optimale Work-Life-Balance wichtiger als ein möglichst hohes Gehalt ist. Können Sie das bestätigen?
Ja, wobei die jungen Spieler die Balance über das enorme Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Mannschaft zu einem großen Teil selber herstellen. Eine Rolle spielt auch, dass unsere Profis eine Dimension erleben, die nichts mit Geld zu tun hat. Wer die Meisterfeier mit fast einer halben Million BVB-Fans auf den Straßen und Plätzen am Fernsehen verfolgt hat, wird wissen, wovon ich rede. Die Stadt und die Fans identifizieren sich zu 100 Prozent mit dem Verein – und das ist bei uns keine Floskel. Zudem besitzt der Westfale und speziell ein BVB-Fan ein feines Gefühl dafür, wann jemand etwas Außergewöhnliches geleistet hat. Hat man hier Erfolg, erleben die Spieler eine leidenschaftliche Begeisterung, die man mit keinem Geld der Welt kaufen kann. Unsere Jungs sind klug genug, dies auch zu erkennen und zu genießen.

Berät der Verein die Spieler in finanziellen Belangen?
Wer das möchte, der kann zu uns kommen und wird auch beraten. Die meisten Profis haben aber ihren eigenen Berater, der diese Dinge für sie übernimmt. Wir unterrichten jedoch den Mannschaftsrat über die finanziellen Entwicklungen im Verein. Wir machen das nicht, um die Spieler zu überfrachten, sondern weil wir glauben, dass es auch für einen jungen Profi nur gut sein kann, die Strukturen seines Arbeitgebers zu kennen.

Fußball ist ein Millionenspiel, ein junger Profi auf dem Platz trägt eine ähnlich hohe Verantwortung wie eine junge Führungskraft kurz vor einem Vertragsabschluss. Wie kann es gelingen, in solchen Momenten das Geld, das auf dem Spiel steht, nicht als Belastung zu empfinden?
Ich glaube, das kommt ganz automatisch, wenn man mit Begeisterung bei der Sache ist und sich als Teil einer funktionierenden Mannschaft begreift. Sobald der Ball im Spiel ist, geht es los – dann denkt keiner mehr an Geld. Der Spieler auf dem Platz nicht. Aber ich als Geschäftsführer auf der Tribüne auch nicht.

Sie handeln regelmäßig mit den Spielern die Verträge aus. Gibt es Details, die sich als besonders leistungsfördernd herausstellen?
Bei uns gibt es neben dem Grundgehalt Geld für jeden Einsatz sowie für die erzielten Punkte. Wir als Verein fahren sehr gut damit – und die Mannschaft, wenn sie wie in der letzten Saison 75 Punkte holt, natürlich auch. Ich finde es wichtig, wenn den Profis bewusst ist, dass das Geld, das sie in diesem Millionengeschäft verdienen, immer auch an ihre Leistung gekoppelt ist.

Viele junge Führungskräfte erhoffen sich bei der Vertragsverhandlung Bonuszahlungen für besondere Leistungen. Gibt es das beim BVB auch?
Ich habe einmal für einen Derbysieg gegen Schalke eine Sonderprämie ausgesetzt. Das funktioniert in Ausnahmefällen vor besonderen Spielen, um einen außergewöhnlichen Reizpunkt zu setzen. Geld motiviert schließlich immer, keine Frage. Wenn ich das aber fünf Mal pro Saison mache, gewöhnt sich ein Spieler an den Bonus, dann bringt das gar nichts mehr.

Es gibt eine Menge Fußballprofis, die nur sehr wenig von Vertragsmoral halten: Kaum lockt ein anderer Verein mit mehr Geld, will der Spieler weg. So traurig es ist, aber beschleunigt so ein Verhalten die Karriere?
Höchstens kurzfristig. Auf lange Sicht gilt: Ein Vertrag ist keine einseitige Angelegenheit, sondern beruht immer auf Gegenseitigkeit. Es kann nicht sein, dass der Spieler sagt: „Wenn ich eine gute Saison spiele, ist mein Vertrag nichts wert, und ich gehe dorthin, wo ich mehr verdiene – spiele ich aber schlecht oder verletze ich mich, poche ich auf das Papier.“ Es kann ja auch kein Unternehmer zu seiner jungen Führungskraft sagen: „Du hast im letzten Jahr schlecht gearbeitet, du bekommst nur die Hälfte vom versprochenen Geld.“ Ich halte sehr viel davon, dass man Verträge mit Leben füllt – und ich bin mir auch sicher, dass ein Spieler, der das ebenfalls tut, am Ende des Tages die wesentlich schlauere Entscheidung trifft.

Wissen Ihre Spieler eigentlich, wie teuer eine Eintrittskarte fürs Stadion ist oder wie viel der Fan für Pils und Bratwurst bezahlen muss?
Wir prüfen das nicht nach, aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Jungs das wissen – ganz einfach, weil viele von ihnen regelmäßig ins alte Stadion neben unserer Arena gehen, wenn dort unsere zweite Mannschaft mit den Nachwuchstalenten in der vierten Liga spielt. Auch hier zeigt sich wieder das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Spielern und Verein, denn die Jungs werden nicht zwangsverpflichtet, dorthin zu gehen. Sie machen das, weil sie Lust darauf haben. Das ist sowieso eine Beobachtung, die ich bei jungen Spielern häufig mache: Sie verändern ihr Verhalten nicht, nur weil sie erfolgreich sind. Ein Beispiel: Im Herbst 2010 gaben vier unserer Jungs gegen Schweden ihr Debüt in der deutschen Nationalmannschaft. Nach dem Spiel saßen sie stundenlang zusammen und zockten ein Fußballmanager- Spiel auf der Playstation. Ich wette, andere Generationen hätten bei so einer Gelegenheit ein paar Flaschen Whisky plattgemacht.

Borussia Dortmund stand 2005 am finanziellen Abgrund und war fast Pleite. Unter Ihrer Geschäftsführung hat der Verein nicht nur einen Sparkurs eingeschlagen, sondern parallel ein Erfolgsmodell für erfolgreichen und toll anzusehenden Fußball entwickelt. Wie ist Ihnen das gelungen?
Die Ausgangslage war tatsächlich sehr schwierig. Die Bedrohung war eineinhalb Jahre lang existenziell. Wir standen unter einer Gläubigerverwaltung, brauchten jeden Euro. In dieser Phase konnten wir nur noch reagieren – und da mussten wir zunächst einmal durch. Ab 2007 gab es dann wieder ein wenig Luft zum Atmen. Ein Automatismus wäre gewesen, sich gleich einen größeren Kreditrahmen zu beschaffen, um einen vermeintlich starken Kader finanzieren zu können. Aber wir gingen einen anderen Weg.

Nämlich?
Ich habe zusammen mit unserem Sportdirektor Michael Zorc ein ganzheitliches Konzept erarbeitet. Die Ausgangslage: Wir haben kein Geld, um gestandene Profis zu kaufen. Also müssen wir unseren Fokus auf junge Spieler richten. Was aber hat das für Auswirkungen auf unser Spiel? Ein solches Team hat negativ betrachtet zwar weniger Erfahrung – aber es kann mehr laufen, es ist belastbarer. Also haben wir einen Spielstil kreiert, der erstens dem Team und zweitens dem Verein gerecht wird – schließlich wollen unsere Fans vor allem, dass die Jungs kämpfen und den Rasen umpflügen. Wir haben dann natürlich das Glück gehabt, dass wir neben den passenden Spielern mit Jürgen Klopp auch einen Trainer gefunden haben, der dieses Konzept mit Leben füllen konnte und der neben seiner Fachkenntnis die richtige Ansprache findet. Heute genieße ich besonders ein Resultat dieser gelungenen Sanierung: dass wir in einer Situation sind, in der das Geld nicht mehr die dominierende Rolle spielt.

Zum Abschluss: Was trifft Sie härter – wenn ein Spieler wegen des Geldes zum FC Bayern geht oder wegen der besseren Stimmung zum Revierrivalen FC Schalke 04?
Ich habe ja eingangs gesagt, dass wir intelligente Spieler unter Vertrag haben. Deshalb kann die zweite Option bei unseren Jungs ja überhaupt keine Rolle spielen.

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