Die Möglichmacher

Ohne IT-Experten ist die digitale Transformation nicht möglich. Mit ihrem Know-how sorgen sie dafür, dass die Unternehmen von Megatrends wie Cloud-Computing oder Big Data profitieren. Doch für den Job ist es wichtig, nicht nur technisches Wissen mitzubringen. Der IT-Spezialist muss auch erkennen, wie fit die Geschäftskunden mit Blick auf die Digitalisierung sind, was möglich ist – und was eben noch nicht. Von André Boße

Ein neues Wirtschaftswunder – das ist doch mal ein Versprechen. Als Treiber sieht sich die digitale Wirtschaft. Und für ihren Optimismus bringt sie gute Gründe mit. Unter dem Leitwort „d!conomy“ stellte die Branche auf der Cebit 2015 Konzepte und Ideen zur digitalen Transformation in den Unternehmen vor. Die Schlagworte lauten Cloud Computing und Mobile Security, Big Data und Smart Data. Zusammen mit den Möglichkeiten der Industrie 4.0, also den „Smart Factories“, dem Internet der Dinge und intelligenten Industrierobotern, erschaffen die Entwicklungen ein hochinnovatives Umfeld – und zwar nicht nur für produzierende Unternehmen, sondern zum Beispiel auch für die Logistik- und Handelsbranche. „Die digitale Transformation bietet ein nahezu unendliches Potenzial für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Fertigungsprozesse und Produkte“, fasst Dr. Elke Frank, Leiterin Human Resources und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Deutschland, die Chancen zusammen. Ihre Einschätzung: In Zukunft werden intelligente Objekte und smarte Informationen die Wertschöpfungsprozesse steuern und optimieren. Schaut man auf die produzierenden Unternehmen, steht eine Renaissance von „Made in Germany“ bevor: „Mit den technologischen Möglichkeiten der Industrie 4.0 kann selbst die Fertigung von Einzelstücken wieder rentabel organisiert werden“, sagt Frank. Sprich: Der Einfluss von Quantität auf die Produktionskosten nimmt ab. Die individuelle Qualität wird der Maßstab. IT wandelt die Unternehmenskultur Garanten für dieses digitale Wirtschaftwunder sind die IT-Experten. Die Branche betrachtet sich dabei nicht nur als reiner Dienstleister. Immer häufiger engagieren sich IT-Unternehmen in Initiativen; viele Firmen treiben den Wandel pro-aktiv voran. Klar, das bringt neue Kunden und belebt das Geschäft. Doch mit diesem Engagement ändert sich auch der Auftrag der IT-Experten. Egal, ob sie die Firmen extern oder intern unterstützen: Mit ihrer Arbeit stellen sie nicht nur neue technische Möglichkeiten zur Verfügung. Mit der von ihnen vorangetriebenen Digitalisierung ändern sie allumfassend die Unternehmenskultur. „So ist die Digitalisierung bereits dabei, die Arbeitswelt grundlegend zu verändern“, sagt Elke Frank von Microsoft. „Der Arbeitsplatz ist heute dort, wo der Mitarbeiter sich gerade aufhält – also nicht nur im Unternehmen oder im Home Office, sondern auch beim Kunden, am Flughafen, in der Bahn oder wo sonst ein Netzzugang verfügbar ist.“

d!conomy – ein Clip zur Einführung

Wofür stehen das Schlagwort „d!conomy“ und die digitale Transformation? Warum nimmt die IT die Rolle ein, die bei früheren industriellen Revolutionen der Webstuhl und die Dampfmaschine gespielt haben? Und: Wie weit reicht der Einfluss von Smart Factories, dem Internet der Dinge oder cyber-physischen Systemen? Ein kurzer Clip erklärt die d!conomy prägnant in aller Kürze. Zu sehen ist er bei Youtube via cebitchannel
Wer als IT-Spezialist in den Unternehmen die Weichen für die digitale Transformation stellt, muss daher damit rechnen, dass sich im Laufe des Prozesses nicht nur technische Fragen ergeben. Ein Thema wird immer auch sein, wie die digitale Technik die Zusammenarbeit und das Miteinander in den Unternehmen verändert. „Für IT-Experten wird es daher bedeutsam, sich immer neue Fachkompetenzen anzueignen und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel zu entwickeln“, sagt Elke Frank. „Schließlich müssen sie ihren Ansprechpartnern auf Augenhöhe begegnen sowie Verständnis für die Rahmenbedingungen im Unternehmen sowie die Bedürfnisse ihrer Kunden entwickeln.“ Wer bei Microsoft einsteigt, darf sich darauf einstellen, die neue Art des Arbeitens in doppelter Hinsicht voranzutreiben. „Zum einen stellen wir Technologien her, die modernes und flexibles Arbeiten überhaupt erst möglich machen – zum anderen leben wir intern die neue Arbeitswelt vor“, sagt die Personalchefin. Die IT-Spezialisten stehen damit beispielhaft für die Herausforderung, die Themen Technik und Unternehmenskultur zu verbinden. Wenn das in den IT-Unternehmen gelingt, besitzen diese eine Vorbildfunktion. Wie steht es um die Digi-Fitness? Um zu erfahren, wie die digitale Transformation konkret stattfindet, lohnt sich ein Besuch beim Dortmunder IT-Consultant Materna. Das Unternehmen berät Kunden aus Wirtschaft und Verwaltung bei allen Fragen der Digitalisierung. Ein Schwerpunkt ist dabei die Erschließung neuer Kanäle für Themen wie Vertrieb, Kundenansprache oder interne Kommunikation. Weil sich die Firma dabei als Full-Service- Dienstleister sieht, kommt es für die Materna-IT-Experten darauf an, auch bei wirtschaftswissenschaftlichen Themen wie Marketing oder Vertrieb auf Augenhöhe mit den Geschäftskunden zu sprechen. Konkret passiert das zum Beispiel bei eintägigen Workshops, den sogenannten Digital Checks. Dabei erarbeiten die IT-Spezialisten gemeinsam mit dem Geschäftskunden den „aktuellen Status der Digitalisierungskompetenz“, wie Andreas Eull es formuliert, Director Sales im Geschäftsfeld Digital Enterprise. Im Anschluss an den Workshop erhalten Maternas Kunden individuell entwickelte Handlungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen. Erst dann beginnen die Maßnahmen der digitalen Transformation. Die ITExperten arbeiten also nicht mit Standardprogrammen. Es geht darum, den Kunden weder zu über- noch zu unterfordern. Entscheidend sind daher die Antworten auf die Fragen: Was kann der Kunde schon und was will er nach der Transformation können? Dabei sei es, so Andreas Eull, für die IT-Experten wichtig, die Firmen immer wieder darauf hinzuweisen, wie weitreichend die Veränderungen durch die digitale Transformation sein werden – und zwar nicht nur für produzierende Unternehmen, die sich im Zuge der Industrie 4.0 Smart Factories und Industrieroboter der neuesten Generation zulegen. „In allen Firmen nimmt die Zahl der digitalen Touchpoints zu, Megatrends wie Cloud Computing, Big Data und Social Media vergrößern die Auswirkungen der digitalen Transformation“, erklärt Eull. Zum Beispiel verändern sich mit dem technologischen Wandel auch das Recruiting und das Talent-Management der Personalbereiche. „So sind die sozialen Netzwerke bereits wichtige Plattformen, um potenzielle neue Mitarbeiter anzusprechen“, sagt Eull. Und weil in vielen Unternehmen darüber hinaus sogar der Nachschub von Kaffee und die Terminfindung der Betriebs- Fußballmannschaft digital organisiert wird, gibt es heute schon keinen Unternehmensbereich mehr, der nicht mithilfe die IT geregelt wird. „Es geht darum, die digitale Technologie zu nutzen, um Unternehmen erfolgreicher zu machen“, fasst Eull die Herausforderung d!conomy zusammen. Gelingt das flächendeckend, kann man wohl wirklich von einem digitalen Wirtschaftswunder sprechen – mit den IT-Experten in der Rolle der Möglichmacher.

Buchtipp: Digitale Transformation

Wer als Unternehmen heute nicht ständig in Bewegung ist, wird Probleme bekommen. Das ist eine der Kernaussagen von Tim Coles Buch über die „Digitale Transformation“. Dessen Untertitel lautet: „Wie digitale Technologien die Zukunft vieler Unternehmen bedrohen und was heute getan werden muss, um zu den Gewinnern des Wandels zu zählen.“ Cole macht also klar: Die Digitalisierung ist kein Kann-Projekt, um den Umsatz zu steigern, sie ist für die Unternehmen eine der größten Herausforderungen dieser Zeit. Tim Cole: Digitale Transformation. Vahlen Oktober 2015. ISBN: 978-3800650439. 24,90 Euro

Interview mit Dr. Stephan Pfisterer

Die digitale Transformation und die Möglichkeiten der Industrie 4.0 stärken die IT-Abteilungen in den Unternehmen. Dr. Stephan Pfisterer ist beim digitalen Branchenverband Bitkom für das Thema Arbeitsmarkt zuständig. Er macht deutlich, wie sehr die Digitalität in Zukunft Einfluss auf die Produktion nimmt – und was das für IT-Experten bedeutet. Die Fragen stellte André Boße

Herr Dr. Pfisterer, wie wird sich durch die d!conomy die Arbeitswelt in den technischen Unternehmen wandeln? Schon heute ist die Produktionstechnik weitgehend digitalisiert. Was neu ist, ist der Grad der Vernetzung. Wenn Maschinen in Echtzeit miteinander kommunizieren, die Arbeits- und Einsatzplanung hochgradig flexibilisiert ist und der Übergang zur „intelligenten Produktion“ gelingt – also die Individualisierung der Fertigung nach Kundenwünschen sowie die Rückkopplung von Daten über den gesamten Fertigungsprozess und Lebenszyklus des Produkts hinweg – stellen sich völlig neue Anforderungen. Daten müssen sicher verarbeitet und verwaltet werden. ITSysteme müssen absolut zuverlässig und verfügbar sein. Das Internet wird damit zur prägenden Infrastruktur der Fertigungswirtschaft. Das Thema Sicherheit – insbesondere Datensicherheit – spielt eine überragende Rolle. Datenvolumen und die Zahl der Schnittstellen steigen rapide an, die Komplexität wächst. Gleichzeitig werden auch völlig neue Geschäftsmodelle möglich und notwendig. Der Übergang von der digitalen Steuerung einer einzelnen Maschine zur voll vernetzten Fertigung mit einem digitalen Lifecycle-Management des Produkts erfordert also eine neue strategische Ausrichtung der Unternehmen. Wie ändert sich das Verhältnis zwischen IT-Experten und Ingenieuren? Gemeinsam mit externen Dienstleistern planen und strukturieren Ingenieure und Informatiker die Produktionsabläufe und setzen sie fertigungstechnisch um. Klare Definitionen von Schnittstellen, die Sicherstellung einer weitgehenden Skalierbarkeit und Adaptionsfähigkeit des Gesamtsystems erfordern von allen Beteiligten eine integrierte Sicht auf IT-Systeme und Produktionsanlagen. Zudem wird die Arbeitsorganisation mit Industrie 4.0 flexibler. Grundsätzlich ist es künftig möglich, Produktionsanlagen über sichere Internet-Verbindungen auch von zu Hause aus zu steuern oder auf Systemmeldungen durch Remote- Eingriffe zu reagieren. Wird es bald die ersten menschenleeren Fabriken geben? Das bleibt eine unrealistische Erwartung. Dem stehen auf absehbare Zeit praktische und rechtliche Hindernisse im Weg. Wer wird in den Unternehmen die ITDienstleistungen übernehmen: externe Dienstleister oder größere interne IT-Abteilungen? Beide Varianten werden in einem durch die jeweilige Unternehmensstrategie bestimmten Mischungsverhältnis stehen. Je mehr das Geschäftsmodell auf einen direkten Kundendialog abhebt, desto stärker werden eigene und sehr weitreichende IT-Kompetenzen erforderlich sein. Je stärker es um eine rein IT-technische Integration von bisher autonomen Produktionsschritten geht, können externe Dienstleister diese aufsetzen. Um eine komplexe Gesamtarchitektur überhaupt erst einmal zu etablieren und diese sicherheitstechnisch auszugestalten, werden in aller Regel externe Experten beauftragt. Welches Know-how wird für Einsteiger immer wichtiger, um die IT mit der Produktion erfolgreich zusammenzuführen? Nachwuchskräfte sollten grundsätzlich hervorragende Spezialkenntnisse in einer Domäne mitbringen – und offen sein für pragmatisch organisierte Weitebildungen in benachbarten Bereichen. So wichtig „Bindestrich-Fächer“ sind, ersetzen sie meist nicht die originären Spezialisten für Entwicklungszwecke. Sie sind vielmehr überall dort gefragt, wo verschiedene Welten konkret miteinander verbunden werden. Insofern: Nur einige Absolventen benötigen eine Hybrid-Qualifikation, aber ausnahmslos alle benötigen die Bereitschaft, sich in andere Fachgebiete einzuarbeiten.

karriereführer ingenieure 2.2015 – Industrie 4.0

0

Cover karriereführer ingeniere 2.2015

Industrie 4.0 – Digitalisierung macht es möglich

Know-how. Mit Hilfe des Internets der Dinge und intelligenter Fabriken setzen die Unternehmen neue Standards. Die Produktion wird schneller und flexibler, effizienter und umweltfreundlicher. Um die neuen Systeme fit zu machen, sind Ingenieure gefragt, die zusammen mit IT-Experten schon jetzt die Weichen für die Zukunft stellen.

Wir freuen uns: Unser Imagefilm hat einen "Red Dot Communication Design Award" verliehen bekommen. Er wurde als bester Corporate Film des Jahres ausgezeichnet und hat damit einen der weltweit wichtigsten Design-Wettbewerbe gewonnen. Anlass genug, den Film hier noch mal zu zeigen.

Posted by McKinsey & Company Karriere on Dienstag, 6. November 2012

Mein Kollege, der Roboter

Auch wenn die Maschinen und Anlagen der neuen Generation zu digitalen Kollegen werden: Bei der Industrie 4.0 kommt es auf das Know-how der Ingenieure an. Doch diese müssen gut und breit qualifiziert sein: IT-Wissen wird zur Voraussetzung, BWL-Kenntnisse sind erwünscht. Von André Boße

Wenn von „ultimativen Bewegungsmaschinen“ die Rede ist, dachte man bis zuletzt an Science-Fiction-Filme mit bedrohlichen Robotern. Heute bekommen Ingenieure bei dem Begriff keine Angst, sondern leuchtende Augen: Die „ultimativen Bewegungsmaschinen“, das sind die Industrieroboter der neuesten Generation. Sie stehen im Mittelpunkt der digitalen Wertschöpfungskette – und tragen damit ihren Teil dazu bei, dass mit der Industrie 4.0 eine neue Epoche in den Fabriken und Produktionsstätten beginnt: in der Autobranche und der Medizintechnik, im Maschinenbau und der Logistik. Die neuen Industrieroboter sind deshalb so wichtig, weil sie die Schnittstelle zwischen digitaler und realer Produktionswelt darstellen. Im Zuge der Industrie 4.0 wird das Design einer Produktion immer häufiger virtuell erstellt. Statt die Parameter für die Herstellung tatsächlich auszuprobieren und erst dann zu optimieren, werden nun digitale Modelle erstellt, die eine Produktion virtuell durchspielen. Das geht schnell und verursacht wenig Kosten, sodass die Produktion immer flexibler und individueller gestaltet werden kann. Die gesammelten Daten bestimmen schließlich die Parameter für die echte Produktion. Dabei können das Tempo und die Flexibilität nur dann gehalten werden, wenn die Daten ohne Verzögerung von den digitalen Modellen in die Produktionsanlagen fließen. Und hier kommen die modernen Industrieroboter ins Spiel: Mit ihrer künstlichen Intelligenz lesen sie die Daten und setzen diese eigenständig in optimierte Produktionsschritte um. Und weil die Roboter miteinander vernetzt sind, entsteht so eine weitreichende digitale Kommunikation, ein Roboter-Geschnatter im „Internet der Dinge“. Roboter-Geschnatter „Roboter sind das zentrale Flexibilisierungselement an der Schnittstelle zwischen digitaler und realer Produktionswelt“, bewertet Dominik Bösl, Corporate Innovation Manager bei Kuka, die Aufgaben der digitalen Automaten. Das Unternehmen mit Sitz in Augsburg entwickelt für die Industrie Automatisierungstechnik, die Geschichte reicht zurück bis ins frühe 20. Jahrhundert, als die Firmengründer erste Schweißgeräte mit automatischen Funktionen entwickelten. Bei Kuka kennt man also die vielen Schritte der industriellen Automation. Was nun bei der Industrie 4.0 wirklich neu ist: Der Roboter wird vom Gehilfen zum digitalen Kollegen. Auch das klingt nach Science-Fiction, findet in der Produktion des Augsburger Automationsexperten aber bereits statt. Der Name des Roboterkumpels lautet „KMR iiwa“, er holt Schraubenbehälter aus einem Zentralregal und bestückt damit einen Robotermontagearbeitsplatz. An anderer Stelle, bei der Montage der Schwingen, arbeitet er Hand in Hand mit den Mitarbeitern und unterstützt diese, indem er Schrauben in einen Gewindekranz dreht. Ein Roboter als Kollege – das ist die letzte der vier „Roboter-Revolutionen“, die man bei Kuka ausgerufen hat. Dominik Bösl: „Mensch und Roboter arbeiten zusammen, der Roboter wird tatsächlich zum respektierten Kollegen, der den Menschen bei unangenehmen, ermüdenden Tätigkeiten unterstützt.“ Stellt sich die Frage: Geht das gut? Technisch ja. „Durch Fortschritte in der Sensortechnologie ist es möglich, dass Menschen direkt und ohne jeglichen Schutzraum mit sensitiven und sicheren Robotern zusammenarbeiten“, so der Kuka-Innovationsmanager. Zudem muss der Mitarbeiter keine Angst haben, dass er eines Tages von einem Roboter ersetzt wird: „In der Fabrik von morgen spielen die Flexibilität und die Individualisierung der Produkte eine entscheidende Rolle. Diese sind jedoch nur durch die Kollaboration von Mensch und Maschine zu erreichen.“ Der Mensch steht also weiter im Mittelpunkt. Ohne sein Wissen, seine Erfahrungen funktioniert der Ansatz der Industrie 4.0 nicht. Zwei Welten, ein Team Um die Vorteile der smarten Fabriken zu nutzen, benötigen die Unternehmen jedoch Ingenieure, die bereit sind, anders zu denken, als noch vor einigen Jahren. Bei der Industrie 4.0 prallen nämlich zwei Welten aufeinander: die der IT sowie die des Maschinenbaus. „Hier muss eine Annäherung stattfinden“, fordert Bösl. „Ingenieure werden sich in Zukunft immer mehr mit den gesamten Systemen beschäftigen, anstatt lediglich einige Komponenten zu betrachten. Da ist neben Expertenwissen auch gutes interdisziplinäres Wissen gefragt.“ Wie sich die Ideen und Ansätze der Industrie 4.0 umsetzen lassen und welche Rolle dabei die Ingenieure spielen, darüber macht sich Constanze Kurz Gedanken. Die Arbeits- und Technikexpertin ist bei der IG Metall für das Thema Industrie 4.0 zuständig. Bei der „Plattform Industrie 4.0“, einer Initiative aus Verbänden, Unternehmen und Forschung, leitet sie die Gruppe, die sich mit den Auswirkungen des Wandels auf die Arbeit und die Qualifikationen beschäftigt. „Innovationen entstehen vielfach auf den Grenzgebieten der klassischen Disziplinen. Das ist schon länger bekannt, doch im Zuge von Industrie 4.0 wird das interdisziplinäre Arbeiten deutlich weiter an Gewicht gewinnen“, sagt sie. Die Unternehmen benötigten schon heute immer mehr Ingenieure, die sich mit integrierten Produkt- und Prozessentwicklungen, Smart Data und Virtual Engineering auskennen. Und in den Teams kommt es dann darauf an, dass Software- und Produktionsentwickler wirklich zusammen arbeiten – und nicht nebeneinander her. Das klingt banal, bereitet den Unternehmen aber weiterhin Kopfschmerzen, wie Constanze Kurz beobachtet. „Ein erstes Problem ist es, überhaupt eine gemeinsame Sprache zu finden, weil die jeweiligen Professionen noch zu sehr mit ihren gelernten und eigenen Methoden und Leitlinien verhaftet sind“, sagt sie. „Während zum Beispiel für den IT-Experten ein Schichtmodell zum Arbeitsalltag gehört, mag manch ein Ingenieur immer noch denken, es handelt sich dabei um ein Kuchenrezept.“ Breit qualifizierte Ingenieure Die neue Arbeitswelt fordert von den Ingenieuren also, dass sie die Denkweisen der IT-Kollegen verstehen und sich diese bei bestimmten Fragestellungen auch aneignen. Das ist jedoch keine Frage des Willens, sondern des Wissens. „Für eine intelligente Vernetzung in den Unternehmen reicht es nicht aus, unterschiedliche Disziplinen in Teams zusammenzubringen“, sagt Constanze Kurz. „Notwendig ist, dass bei jedem Teammitglied genügend interdisziplinäres Fachwissen vorhanden ist, damit man sich erstens untereinander versteht und zweitens wirklich kooperiert.“ Die breite Qualifizierung der Ingenieure ist also eine essenzielle Voraussetzung dafür, dass Industrie 4.0 tatsächlich umgesetzt werden kann. Wobei die Unternehmen heute keine zehn Jahre Zeit haben, um die Ingenieure fit zu machen. „Die Leute werden schon jetzt benötigt.“ Für die kommende Generation der Ingenieure heißt das: Wer im Studium oder in der Fort- und Weiterbildung intensive Kenntnisse in den Bereichen IT und auch BWL gesammelt hat, hilft jetzt den Unternehmen. Denn die Denkdisziplinen zu verbinden, das gelingt selbst heute noch keinem Roboter.

Plattform Industrie 4.0

Auf der Hannover Messe 2015 startete die Plattform Industrie 4.0. Das von Politik, Unternehmen, Verbänden und Wissenschaft getragene Projekt soll dabei helfen, die Ansätze der Industrie 4.0 tatsächlich in die Wirtschaft zu übertragen. Auf der Homepage findet sich zum kostenlosen Download ein Bericht über „Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0“, in dem es unter anderem um die Frage geht, wie sich die Arbeit der Ingenieure im Zuge der Digitalisierung verändern wird und vor welchen Herausforderungen Einsteiger stehen. www.plattform-i40.de

Interview mit Naemi Denz – Blue Competence

0

Nachhaltigkeit ist essenziell – für Ökonomie, Ökologie, Gesellschaft. Aber was können die Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau dazu beitragen? Naemi Denz ist im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) für die Themen Technik und Umwelt zuständig. Im Interview erklärt sie die Nachhaltigkeitsinitiative „Blue Competence“. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Naemi Denz, Foto: Tristan Rösler Photography
Naemi Denz, Foto: Tristan Rösler Photography
Naemi Denz, geboren 1975 in Hannover, ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Dort ist sie zudem als Abteilungsleiterin Technik und Umwelt sowie als Geschäftsführerin Abfall- und Recyclingtechnik tätig.
Frau Denz, die Industrie 4.0 führt viele neue Möglichkeiten in die Produktion ein. Wie profitieren davon die Themen Nachhaltigkeit und Effizienz? Industrie 4.0 steht auch für eine intelligente Vernetzung von Produktionstechnik. Die Chance liegt darin, bei gleichbleibender Produktqualität weniger Energie und Material einzusetzen. Das ist bereits heute keine Science-Fiction mehr. Ein Beispiel: Kluge Automatisierungstechnik misst den Energieverbrauch, sendet die Daten an einen kleinen Computer, der in Echtzeit den Gesamtprozess ständig optimiert. Die Farbe Grün hat sich als die umweltfreundliche und nachhaltige eingebürgert. Inwiefern setzt das Blau in „Blue Competence“ noch einen drauf? Bei der Konzeption der Initiative „Blue Competence“ stand die Farbe Grün nur kurz zur Debatte, denn sie adressiert nur Umweltbelange – und damit nicht die zwei anderen Säulen der Nachhaltigkeit. Welche sind das? Neben der Umwelt bilden Gesellschaft und Wirtschaftlichkeit ein Dreieck, das wesentlich das Handeln der Industrieunternehmen bestimmt. Hierfür steht die Farbe Blau – Blau wie die Erde von oben. Gibt es in den Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus heute Experten, die sich um Umweltfragen kümmern? Die eine Seite ist die umweltfreundliche Produktion. Hierfür gibt es in den Unternehmen Umweltbeauftragte, die sich zum Beispiel darum kümmern, dass kein verschmutztes Abwasser in die Flüsse gelangt oder der Abfall richtig entsorgt wird. Die andere Seite sind die Umweltanforderungen an die hergestellten Produkte. Hier geht es beispielsweise um die energieeffiziente Maschine, deren Umsetzung ein wirklich interdisziplinäres Projekt ist, in dem der Produktentwickler, der Konstrukteur und auch eine Person mit umweltrechtlichen Kenntnissen zusammenarbeiten. Was tun Sie, um die Sensibilität für Energieeffizienz in den Unternehmen weiter zu stärken? Wir beginnen gerade, Unternehmen in Energieeffizienznetzwerken zu organisieren. Das Ziel ist es, dass der eine vom anderen lernt und die Unternehmen gemeinsam gesetzte Ziele erreichen. Verschiedene Berufsgruppen diskutieren, ein Auditor kommt dazu, um diesen Diskussionsprozess zu moderieren. Neben der fachlichen Expertise spielen hier auch die Soft Skills eine große Rolle. Ein schlecht kommunizierender Typ „Daniel Düsentrieb“ ist demnach nicht gefragt. Solche Energieeffizienznetzwerke schließen auch Kunden und Lieferanten im Maschinenbau mit ein. Das ist ein erster Ansatz, um der Komplexität des Produktionsprozesses Herr zu werden.

Interview mit Ulrich Dietz, CEO von GFT Technologies

Der Innovative. Ulrich Dietz ist ein Spezialist darin, die Möglichkeiten des digitalen Wandels für andere Unternehmen nutzbar zu machen. Seiner IT-Firma GFT Technologies hat der Diplom-Ingenieur eine sehr starke Innovationskultur verpasst. Im Interview erzählt der 57-jährige Schwabe, was Innovationen auszeichnet, warum sich deutsche Unternehmen damit schwertun und warum er für mehr humanistische Bildung bei Ingenieuren plädiert. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Ulrich Dietz, geboren am 25. Januar 1958 in Pforzheim, absolvierte eine Ausbildung zum Maschinenbauer und schloss sein Maschinenbaustudium als Diplom-Ingenieur ab. Seit der Gründung 1987 leitet Ulrich Dietz die Firma GFT und führt heute als stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats und CEO das Unternehmen. Er ist zudem Vize-Präsident des digitalen Branchenverbandes Bitkom. Er hält regelmäßig Vorträge zu den Themenfeldern Innovation und Unternehmensgründungen. 2010 erschien sein Buch „The new New“, eine Interview-Sammlung mit unternehmerischen Persönlichkeiten aus aller Welt (Distanz Verlag. ISBN 978-3942405072. 49,90 Euro).
Herr Dietz, wie definieren Sie den Begriff Innovation? Innovationen zeichnen sich durch eine neue Denkweise aus. Aber auch dadurch, dass man dieses Denken in neue, wirtschaftlich erfolgreiche Produkte oder Prozesse umsetzt. Wie entstehen Innovationen? Der Impuls geht häufig von einer einzelnen Person aus. Jemand hat eine Idee. Die Umsetzung ist dann jedoch in der Regel Sache eines Teams. Im Laufe dieses Prozesses müssen sehr viele Dinge bedacht werden, gefragt sind also sorgfältig arbeitende Teams mit facettenreichem Know-how und großer Ausdauer. Und hier liegt das Problem der Innovation: Viele erfolgreiche deutsche Unternehmen verfügen zwar über Leute mit guten Ideen. Es hapert jedoch daran, daraus ein erfolgreiches Geschäft zu entwickeln – insbesondere mit digitalem Hintergrund. Wo ist das Problem bei der deutschen Ingenieurdenkweise? Was ist gegen Perfektion zu sagen? Gerade in der digitalen Welt kann ein Produkt nicht mehr ohne Mithilfe der Nutzer optimiert werden. Die Ingenieure benötigen ihr Feedback, um die Innovation weiter zu modifizieren. Das bekommen sie aber nicht, wenn sie zu lange an der eigenen Vorstellung von Perfektion herumtüfteln. Dieses Denken ist für viele Ingenieure ungewohnt, weil die traditionelle Industrie bislang anders funktioniert hat. Der Begriff Innovation ist heute allgegenwärtig. Leben wir in einer besonders innovativen Epoche? Ich würde eher sagen, wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Entwicklungen der IT beeinflussen sowohl die Industrie als auch die Gesellschaft so signifikant und permanent, dass man sagen kann: Der Wandel ist die neue Normalität. Kommt der Mensch damit klar? Er wird herausgefordert, weil er im Regelfall Veränderungen eher nicht liebt. Das Bestehende ist ihm immer lieber. Unternehmen müssen also handeln, um die Mitarbeiter dazu zu bringen, den Wandel als Normalität zu verinnerlichen. Das ist nicht immer einfach, wobei sich hier auch ein demografisches Problem stellt: Die jungen Ingenieure drängen nach, überholen die älteren Kollegen, die wiederum noch deutlich mehr verdienen. Es entsteht ein Ungleichgewicht – und die Unternehmer müssen dafür sorgen, dass die Balance nicht verloren geht. Was würden Sie einer Nachwuchskraft raten, die genau das erlebt? Die also schnell mit deutlich besser bezahlten Kollegen mithalten kann, diese sogar übertrumpft – aber weniger verdient? Leistungsfähige junge Menschen sollen sich einbringen und zeigen, was sie können. Falsche Bescheidenheit nutzt keinem etwas. Zudem darf man sich ziemlich sicher sein, dass in den allermeisten Unternehmen früher oder später automatisch die Regel greift: Geld folgt Leistung. Erkenne ich als Mitarbeiter, dass dies trotz meiner Ideen, meiner Innovationskraft und meines Engagements über einen längeren Zeitraum nicht der Fall ist, dann sollte ich das Gespräch mit meiner Führungskraft suchen, um herauszubekommen: Was ist da los? Sie sind nicht nur studierter Ingenieur und Unternehmer, sondern auch Kunst- und Literaturfreund, selbst Buchautor. Warum ist es wichtig, sich als Ingenieur breit aufzustellen? Neue Ideen und Innovationen fallen nicht vom Himmel. Sie entstehen häufig in Gesprächen mit anderen – und zwar nicht zwingend, wenn sich zwei Experten eines Fachgebiets unterhalten, sondern in bunt gemischten Runden. Ich erhalte häufig Impulse, wenn ich in Museen mit Kunstexperten rede. Es ist wichtig, sich mit unterschiedlichen Themen zu beschäftigen, seinen Horizont zu erweitern. Nur dann kann man Synergien und Zusammenhänge erkennen, die einem sonst eher fremd sind. Im Ingenieurstudium kommt das in der Regel zu kurz, ein wenig mehr humanistische Bildung wäre wünschenswert. Warum hilft eine breite Bildung beim Maschinenbau? Sie ist das Rüstzeug, um aus allen Richtungen Impulse zu erhalten. Excel- Sheets sind das eine. Interessante Literatur, auch die klassische, ist das andere. Nehmen wir zum Beispiel den Roman „Das Paradies der Damen“ von Beginn des 19. Jahrhunderts. Émile Zola beschreibt darin das Geschehen in einem der ersten Kaufhäuser in Paris. Es ist wirklich interessant zu erkennen, dass sich die Abläufe im Handel bis heute kaum verändert haben. Wie man Menschen für Konsum begeistert und anlockt – das Prinzip ist damals wie heute das gleiche. Entscheidend ist es dann, in der Lage zu sein, Zusammenhänge zu ziehen. Sprich: Das, was der Literat im Paris des 19. Jahrhunderts beobachtet hat, mit dem zusammenzubringen, was die digitale Welt an neuen Möglichkeiten bietet. Oder auch die Erkenntnis zu verfestigen, dass der Mensch immer gewisse Handlungsstränge verfolgt, egal wie die technologische Unterstützung ist. Man spricht hier auch von der vierten industriellen Revolution. Ist dieser Begriff berechtigt? In der Vergangenheit haben Ingenieure immer bessere Produkte und Maschinen entwickelt, die dem Kunden dann mehr oder weniger vorgesetzt wurden. Die Ausgangsposition war also: Was für eine Maschine können wir bauen? Heute – im Zeitalter von Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge – muss sich der Ingenieur eine andere Frage stellen, nämlich: Was für eine Maschine könnte der Kunde benötigen? Das ist ein Paradigmenwechsel, mit dem sich viele derzeit noch schwer tun, weil sie nun beim menschlichen Bedürfnis ansetzen müssen – und nicht mehr bei der technischen Machbarkeit. Zudem werden viele Chancen nicht genutzt, die jetzt durch den Einsatz neuer, digitaler Technologien quasi auf der Straße liegen. Das heißt, zu erkennen, dass digital aufgerüstete Geräte nicht nur gut funktionieren müssen, sondern auch Daten abwerfen. Diese Daten sind kein Abfallprodukt, sondern das eigentliche Business von morgen, denn mit diesen Informationen lassen sich wiederum neue Geschäftsmodelle entwickeln. Warum tun sich die deutschen Unternehmen hier schwer? Den Unternehmen fehlen die Persönlichkeiten, die in der Lage sind, um diese Ecken zu denken. Und wenn Unternehmen diese Menschen finden, fällt es ihnen schwer, sie zu integrieren, weil die anderen Kollegen sagen: „Na, diese Denkweise brauchen wir doch gar nicht, lasst uns lieber noch ein paar Funktionen mehr überlegen.“ Es muss eine neue Kultur entstehen, die Innovationen ernsthaft fördert. Gefragt sind hier die Unternehmen mit ihren Führungskräften – aber auch die jungen Ingenieure. Sie müssen bereit sein, mutiger und offener zu denken.

Zum Unternehmen

GFT Technologies ist ein auf die digitale Transformation spezialisiertes IT-Unternehmen mit Sitz in Stuttgart. Die Firma agiert von elf Ländern aus und berät vor allem international führende Finanzinstitute bei IT-Veränderungsprozessen. Neben dem fachlichen Wissen und den Erfahrungen zählt GFT die Innovationskultur zu den wichtigsten Bausteinen des Erfolgs. Über ihre Innovationsplattform „CODE_n“ bietet das Unternehmen Start-ups, Technologiepionieren sowie etablierten Unternehmen den Zugang zu einem globalen Innovationsnetzwerk. Derzeit arbeiten international mehr als 3400 Mitarbeiter für das Unternehmen.

Zur Kenntnis: MedTech bietet Perspektiven

Die Medizintechnologie ist eine dynamische Branche. Rund ein Drittel ihres Umsatzes erzielen die Hersteller mit Produkten, die höchstens drei Jahre alt sind. Joachim M. Schmitt, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied BVMed – Bundesverband Medizintechnologie

Durchschnittlich investieren die forschenden MedTech-Unternehmen rund neun Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Der Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland spielt damit eine besonders wichtige Rolle. Der medizintechnische Fortschritt ist entsprechend rasant. Einige Trends: Operationsverfahren werden durch moderne medizinisch-technische Verfahren immer schonender. Chirurgen erhalten Unterstützung durch computerassistierte Navigation. Medizintechnik und IT wachsen zusammen. Zukunftsträchtige Technologiefelder wie Bio- und Nanotechnologien sind ebenso in der Medizin auf dem Vormarsch.

Information

Die Berufsaussichten in der Medizintechnologie-Branche sind für Ingenieure und Medizintechniker insgesamt glänzend. Der Bedarf an Ingenieuren wird nach Expertenmeinung weiter steigen.
Eine aktuelle BVMed-Umfrage zeigt: Deutschland verfügt in der Medizintechnik über gut ausgebildete Wissenschaftler und Ingenieure sowie eine sehr gute klinische Forschung. Abgesehen von wenigen großen Unternehmen ist die Branche stark mittelständisch geprägt. Rund 95 Prozent der Betriebe beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter. Die Berufsaussichten in der Medizintechnologie-Branche sind für Ingenieure und Medizintechniker insgesamt glänzend. Der Bedarf an Ingenieuren wird nach Expertenmeinung weiter steigen. Ein Grund ist der Erfolg der medizintechnischen Unternehmen aus Deutschland auf dem Weltmarkt. Gut ausgebildetes Personal sucht die Medizintechnikindustrie vor allem für Forschung und Entwicklung, aber auch für Zulassungsfragestellungen. Medizinprodukte und ihr Weg von der Idee zum Markt werden zunehmend komplexer, sodass das Know-how und die personellen Ressourcen in den Unternehmen ständig verbessert werden müssen. Die Verdienstmöglichkeiten von Absolventen sind attraktiv und liegen auf Augenhöhe mit der Pharmaindustrie. Durch gute Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie die zunehmende Internationalisierung auch der mittelständischen Medizintechnikunternehmen sind gute Gehaltsentwicklungen vorhersehbar, die sicher über denen von Dienstleistungsbranchen liegen werden. In der Medizintechnik werden hundertprozentige Ingenieure gesucht, die jedoch gleichzeitig über Disziplinen hinweg denken müssen und über eine hervorragende Teamfähigkeit verfügen. Es gilt, die Sprache und Anforderungen von Ärzten oder Zellbiologen zu verstehen. Die MedTech-Unternehmen suchen keine fertigen Spezialisten, sondern Fachkräfte mit einem soliden Wissensfundament, die sich im Studium spezielles Wissen im Bereich Medizintechnik angeeignet haben: Elektrotechniker, Informatiker, Maschinenbauer, Physiker.

Unscheinbarer Draht

0

Herausforderung: Komplexität. Lösung: Innovative Querdenker. Wenn Andersmacher in der Welt der Kleinantriebe unterwegs sind, ermöglichen ihre unkonventionellen Ideen auf Formgedächtnislegierungen neuartige Antriebe. Von Dr.-Ing. Alexander Czechowicz, Zentrum für angewandte Formgedächtnistechnik (ZAF), Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe e.V. (FGW), Remscheid

Mechatronische Systeme, ganz egal ob in Fahrzeugen, Flugsystemen oder im Maschinen- und Anlagenbau, werden kontinuierlich miniaturisiert, um den Anforderungen kleiner, leistungsstarker und leiser Antriebssysteme gerecht zu werden. Der Ingenieur von heute muss sich darauf einstellen, dass die Anforderungen hinsichtlich Bauraum und Gewicht, besonders in der Automobilindustrie, ständig ausgereizt werden. Daher werden Systeme immer weiter simplifiziert. Es heißt ja nicht umsonst schon beim Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ Nur ist es meist so, dass die unverzichtbaren Komponenten nicht mehr kleiner werden können. Denn jeglicher Drang nach Miniaturisierung muss sich oft den physikalischen Gesetzen beugen. Ein Elektromagnet mit bestimmter Leistung kann trotz des Einsatzes hochwertiger Materialien bei gegebener Last bis zu einem gewissen Grad verkleinert werden. Hier kommen aber durch den Einsatz von multifunktionalen Materialien, sogenannten Formgedächtnislegierungen (FGL), alternative Ansätze ins Spiel. Doch was sind überhaupt Formgedächtnislegierungen? Wenn ein zunächst unscheinbarer Draht von zwei Millimeter Durchmesser (Eigengewicht 25 Gramm) eine Last von 140 Kilogramm hebt, steckt da nicht unbedingt ein Magier dahinter, sondern der Hightech-Funktionswerkstoff Nickel- Titan. Durch die Änderung der Drahttemperatur über Wärme oder elektrischen Strom ändert sich der Gefügezustand dieser FGL. Als Folge verkürzt sich das Material deutlich. Mehr noch: Während dieser Umwandlung ändert sich auch der elektrische Widerstand so stark, dass man diesen Effekt als Sensorgröße für geregelte Systeme verwenden kann. Diese heutzutage bereits in Großserie eingesetzte Technologie weist erhebliche Vorteile gegenüber Elektromagneten und Elektromotoren in feinmechanischen Anwendungen auf. So sind die FGL-Systeme um bis zu 90 Prozent leichter, deutlich kompakter, erzeugen weder Geräusche noch elektromagnetische Felder während der Betätigung, arbeiten mit geringen elektrischen Betriebsspannungen, können in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden und bieten heutzutage oft Kostenvorteile gegenüber den konventionellen Lösungen. Ein weiterer besonderer Vorteil ist die schnelle Auslösegeschwindigkeit dieser Elemente. Ein Formgedächtnisdraht kann eine Last von drei Kilogramm auf 15 Millimeter innerhalb von 15 Millisekunden bewegen. Messergebnisse bis hin zu einer Geschwindigkeit von 0,5 Millisekunden liegen ebenfalls vor. Über den elektrischen Strompegel können die Auslösedynamiken eingestellt werden. Werden gleichmäßig stellende Linearantriebe benötigt, so kann ein Formgedächtnisaktor über die Regelung der Stromzufuhr in seiner Auslösegeschwindigkeit variiert werden. Auch die Entriegelung eines einfachen Systems kann mit Formgedächtnisaktoren erleichtert werden: Etwas Kunststoff, ein Formgedächtnisdraht und eine Entriegelungsanwendung, und schon kann ein schwerer Elektromagnet ersetzt werden. So können beispielsweise Sauerstoffmaskenklappen im Flugzeug einfach durch einen Antrieb, der einem Schwan ähnelt, entriegelt werden. Trotz eindeutiger technologischer Vorteile und erster Pionierprodukte in Serien in der Automobil- und Gebäudetechnik werden nur langsam neue FGLAnwendungen entwickelt. Das liegt am komplexen und oftmals unterschätzten Entwicklungsaufwand dieser Aktoren. Was wie ein kleiner unscheinbarer Draht aussieht, ist eben ein komplexes mechatronisches System mit thermischen, mechanischen und elektrischen Randbedingungen, die sich während der Aktivierung stark ändern können. Daher setzt das Zentrum für angewandte Formgedächtnistechnik an der Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe auf innovative Querdenker im gesamten Altersspektrum. Die Philosophie hierzu ist ganz einfach: Oft haben erfahrene Mitarbeiter sich über mehr als 20 Berufsjahre an bestimmte Standards gewöhnt, besitzen jedoch viel Expertise und Erfahrung. Die jüngeren Ingenieure bringen oft den Blickwinkel aus einer anderen Perspektive mit. So kann eine generationenübergreifende Forschungseinheit das Gute aus zweierlei Welten vereinen: die historisch erarbeitete und qualitativ hochwertige deutsche Entwicklungsarbeit mit unkonventionellen Ideen und Produktvorstellungen der Zukunft. Soll es vielleicht ein innovativer Plagiatschutz mit FGL sein? Oder vielleicht ein sich elektrisch bewegendes Zierinsekt einer Damenhandtasche? Vielleicht ist es nächste Woche der Leichtbauservomotor auf FGL-Basis für den Flugmodellbau, der weniger als ein Gramm wiegt? Laut Nachrichten des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) vom Mai 2015 werden zum Ende der 2020er-Jahre 390.000 Ingenieure in Deutschland fehlen. Darum ist die Nähe zum wissenschaftlich- technischen Nachwuchs nicht nur für deutsche Unternehmer wichtig, sondern auch für Hochschulen und Forschungsinstitute. Mit regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen werden Studenten und technische Lehrlinge für die Formgedächtnistechnik geradezu begeistert. Der Drang, unkonventionelle Ideen auszuprobieren, ist sicherlich in der gesamten Forschungswelt eine stetige Motivation, jedoch schlägt jedem Nachwuchswissenschaftler, der zu Hause auch den Modellbau oder technische Spielereien schätzt, das Herz höher, wenn er an das technische Potenzial der Formgedächtnistechnik denkt.

Seminartipps

Konstruktionspraxis der Formgedächtnistechnik (Kompaktseminar) am 12.11.2015 in Remscheid Experimentalworkshop Sensorik und Regelung am 13.11.2015 in Remscheid Infos

Buchtipp

Cover
 
Sven Langbein und Alexander Czechowicz: Konstruktionspraxis Formgedächtnistechnik. Potentiale – Auslegung – Beispiele. Springer Vieweg Verlag 2013. ISBN 978-3834819574. 34,99 Euro

Mobilität in Städten

0

Um die Probleme mit Verkehr in unseren Städten zu verstehen, muss man sich zunächst mit der Stadt, ihrer Genesis und ihrer „DNA“ beschäftigen. Die eigentlichen Probleme sind nicht der Autostau, die verparkten Straßen, das, was man riecht und hört – dies sind nur die Symptome dahinterliegender Ursachen: Man hat den Menschen bisher vergessen. Von Prof. Dr. Hermann Knoflacher, Stadt- und Verkehrsplaner, aktiver Em. Univ.-Prof. am Institut für Verkehrswissen schaften in Wien, Leiter des Club of Vienna

Städte sind, wie alle künstliche Dinge, von Menschen gemacht. Sie sind lebende, also offene Systeme, die auf den „Durchzug“ von Energie und Ressourcen angewiesen sind, um ihre Strukturen aufbauen und erhalten zu können. Voraussetzung für ihre Entstehung waren zwei mit der Mobilität zusammenhängende Faktoren: Zum einen mussten ausreichende Ressourcen im erreichbaren Umfeld geschaffen werden. Zum anderen hat man die Lebensund Produktionszyklen von Pflanzen und Tieren begriffen, daher mussten Jäger und Sammler nicht mehr zwangsweise mobil sein, und die Gesellschaft konnte sich sozialisieren. Beides sind Ergebnisse der geistigen Mobilität als Folge von beschränkter physischer Mobilität. Nun hat die geistige Mobilität nicht nur Vorteile, die auch zur Arbeitsteilung, Spezialisierung, Vielfalt und zur Einrichtung von Institutionen führen. Sie hat auch den Nachteil, dass sie sehr teuer ist. Geistige Mobilität, also die Fähigkeit, Informationen aus der Umwelt wahrzunehmen, zu verarbeiten und daraus die richtigen Vorhersagen abzuleiten, war die Voraussetzung, um mit der bescheidenen physischen Energie des Fußgängers zu überleben. Nur rund zehn Prozent der Muskelenergie werden beim Fußgänger in Bewegung umgesetzt – jene Mobilitätsform, auf der unsere gesamte Kultur und der nachhaltige Teil unserer Zivilisation aufgebaut wurden. Autos aus Städten entfernen Eines der beeindruckendsten Ergebnisse dieser Prozesse waren Städte nach menschlichem Maß, die wir rund 10.000 Jahre zurückverfolgen können. Den Höhepunkt der menschengerechten Stadtentwicklung erreichte das europäische Mittelalter. In diesen noch erhaltenen und revitalisierten Strukturen fühlt sich auch der heutige Mensch am wohlsten – wenn man aus den Strukturen die Autos entfernt. Setzt man eine Fußgängerzone in der Praxis durch, gewinnen die Städte in kürzester Zeit ihre Vitalität zurück, siedeln sich Geschäfte und Betriebe an, steigen die Umsätze bestehender Läden. Mit den Eisenbahnen erhielten die Städte einen Wachstumsschub, denn die Landbevölkerung, die durch die dampfbetriebenen landwirtschaftlichen Maschinen ihre Erwerbsmöglichkeiten verlor, musste in die entstehenden Industrien abwandern. Diese Erweiterungsgebiete wurden mit Straßenbahnen und dem Fußgängerverkehr erschlossen und weisen, obwohl sie nicht mehr die städtische Qualität des Mittelalters haben, immer noch einen menschlichen Maßstab auf. Dies änderte sich grundlegend im 20. Jahrhundert mit dem aufkommenden Autoverkehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Zersiedlung des städtischen Umlandes und die weitere Aushöhlung des Landes. Voraussetzung dafür waren die Garagenordnung aus 1939, die allgemeine Motorisierung und die fundamentalen Irrtümer herkömmlichen Verkehrswesens: das „Mobilitätswachstum“, die „Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit“ und die „Freiheit der Verkehrsmittelwahl“. Man glaubte und glaubt noch heute an „Mobilitätswachstum“, weil der Begriff Mobilität aus den Sozialwissenschaften auf die Bewegung von Autos umgewandelt und reduziert wurde. Ein Paradigmenwechsel Definiert man Mobilität zweckbezogen, zeigt sich, dass die durchschnittliche Zahl der Wege pro Person und Tag eine Konstante ist. Es gibt weder Mobilitätswachstum noch Zeiteinsparung im System. Auch die individuelle Erfahrung, dass man durch Geschwindigkeit im Verkehr „Zeit sparen“ kann, trifft im System nicht zu. Die Wegezeiten langsamer und schneller Verkehrsteilnehmer sind gleich, nur die Wege werden länger, weil die Geschwindigkeit die Strukturen verändert. Damit wird auch die Veränderung in den Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen erklärbar. Wenn man die Stellplätze in Städten vorschreibt, wird den Menschen die Wahlfreiheit im Verkehr genommen. Es kommt zu einer Bindung an das Auto „von innen her“. Man plant und baut nicht mehr Städte für Menschen, sondern für und um die Autos. Wissenschaftlich lässt sich dieser Zusammenhang nicht aus den Ingenieurwissenschaften erklären, sondern nur durch eine „Längsschnittmethode“ der Evolutionstheorie, die durch viele Disziplinen führt. Damit ergibt sich ein faszinierendes Arbeitsfeld zur Wiederherstellung der Harmonie zwischen Stadt, Natur, Sozialsystem und einer nachhaltigen Wirtschaft. Für Ingenieure ist dies ein erfüllendes Arbeitsfeld, um die Fehler des vergangenen Jahrhunderts im Städtebau und Verkehrswesen zu beseitigen. Der Ansatz liegt nicht, wie bisher angenommen, im Fließverkehr – dieser ist nur ein Symptom. Die Lösung liegt in der baulichen, finanziellen und organisatorischen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit. Die Stadt strukturiert sich an der neuen nachhaltigen Mobilität stadtverträglicher Verkehrsmittel neu. Die Jugend hat das bereits intuitiv erfasst und löst sich aus der Gefangenschaft des Autoverkehrs. Dass dies funktioniert, zeigt die Praxis in vielen Städten wie Wien-Seestadt, Freiburg-Vauban, Tübingen, Hamburg und anderen Orten, an denen wieder menschengerechtes Leben in der Stadt mit verantwortbarer Mobilität und der Freiheit vom Zwang zum Autofahren möglich wird.

Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SrV“

Die Verkehrswissenschaft an der Technischen Universität Dresden analysiert seit fast 40 Jahren die Entwicklung des Einwohnerverkehrs in Städten durch regelmäßige Haushaltsbefragungen. Das als System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) wissenschaftlich begründete Erhebungsinstrument erfasst stadtübergreifende Tendenzen der Verkehrsentwicklung und stellt gleichzeitig stadtspezifische Kennziffern für die Verkehrsplanung bereit. Infos

Mit weniger mehr erreichen: Mompreneurs

Werden Unternehmen eigentlich nur von Männern gegründet, die viel Venture Capital auf dem Konto haben und 70 Stunden pro Woche daran arbeiten, ihre Idee voranzubringen? Von wegen! Esther Eisenhardt zeigt, vernetzt und berät „Mompreneurs“ – Frauen, die sowohl Mütter als auch Unternehmerinnen sind und die nicht nur Erfolg im Beruf haben, sondern auch ein lebendiges Familienleben führen.

Zur Person

Esther Eisenhardt, 43 Jahre, Gründerin von Mompreneurs und eine der 25 Frauen für die digitale Zukunft Mompreneurs-Website Facebookseite mit Infos Geschlossene Facebookgruppe
„Als ich vor einigen Jahren in die Selbstständigkeit gehen wollte und mich in der Berliner Gründerszene umgesehen habe, habe ich kaum jemanden getroffen, der in einer ähnlichen Lebenssituation war wie ich und vergleichbare Ziele hatte“, erinnert sich Esther Eisenhardt. „Dabei gibt es so viele wunderbare Frauen, die ihr eigenes Unternehmen führen und Kinder haben.“ Mit dieser Erkenntnis legte die 43-Jährige ihre ursprüngliche Geschäftsidee auf Eis und gründete „Mompreneurs“ – zusammengesetzt aus dem englischen Wort „Mom“ und dem französischen Begriff „Entrepreneur“ –, einen Wegweiser, der Mütter ermutigt, ihren eigenen Weg zwischen Unternehmerschaft und Familienleben zu gehen. Ihr Angebot ist vielseitig: Sie veranstaltet Mompreneur-Meetups, bei denen sich Frauen, die gründen möchten oder schon selbstständig sind, zum Netzwerken treffen. Eisenhardt erklärt: „Da werden Infos und Erfahrungen ausgetauscht, die Frauen unterstützen, inspirieren und motivieren sich gegenseitig.“ Solche Meetups gibt es bereits in zehn deutschen Städten und in Zürich, weitere Veranstaltungsorte sollen 2015 folgen. Außerdem bietet die Mutter zweier Töchter Webinare zu gründungsrelevanten Themen an. Und sie hat eine Facebookgruppe gegründet, in der über 900 Frauen Mitglied sind und in der aktiv genetzwerkt wird. In dieser Gruppe, genau wie bei den Meetups, gehen die Frauen offen und ehrlich miteinander um, auch Hürden werden thematisiert. „Viele unserer Mompreneurs beschäftigen sich mit den gleichen Themen, stehen vor ähnlichen Schwierigkeiten – sie können wunderbar voneinander profitieren“, meint Eisenhardt. „Es kann doch nicht sein, dass jede allein und bei Null anfangen muss.“

Redaktionstipp

Foto: Tempest Film, Fotolia/blackday
Foto: Tempest Film, Fotolia/blackday
Katja von Garnier, preisgekrönte Regisseurin und zweifache Mutter, begleitete 18 Monate lang die Rockband Scorpions auf ihrer Tour. Ihr Film ist seit dem 26. März 2015 im Kino zu sehen: „Scorpions – Forever And A Day“.
Esther Eisenhardt, die BWL und Medienberatung studiert hat und vor der Selbstständigkeit bei Agenturen und Konzernen bereits Vollzeitkarriere mit Führungsverantwortung gemacht hat, ist überzeugt, dass Mompreneurs anders gründen: Ihr Hauptanliegen sei es nicht, das Unternehmen möglichst groß zu machen und möglichst viel Kapital anzusammeln. Viel wichtiger sei es ihnen, finanziell unabhängig zu sein, dabei aber so flexibel wie möglich zu bleiben und noch Zeit und Energie für die Familie zu haben. „Es geht darum, mit weniger mehr zu erreichen“, fasst sie zusammen. Entsprechend hat sie auch ihre eigene Arbeit organisiert und strukturiert: Sie ist im Home Office tätig und spart sich die langen Fahrtwege, die sie früher viel Zeit gekostet haben. Vollzeit arbeitet sie auch heute noch, allerdings mit viel mehr Spaß und Flexibilität als in ihrem früheren Angestelltenleben: Online-Tools wie Skype und das Smartphone sind ihr wichtigstes Handwerkszeug – so kann sie auch beim Mittagessen im Restaurant einen geschäftlichen Anruf annehmen oder auf einem Spaziergang kurz Mails checken. Wie andere Frauen arbeiten und die Selbstständigkeit mit der Familie vereinbaren, zeigt Esther Eisenhardt in Porträts auf der Mompreneurs-Website. Dort finden sich so motivierende Geschichten wie die von Petra van Laak, die sich als vierfache, alleinerziehende Mutter selbstständig gemacht hat: Sie schreibt Texte für Unternehmen, hat ein Buch über ihre Gründung veröffentlicht und ist mittlerweile sogar auf Expansionskurs – 2014 hat sie mit einem Partner ein weiteres Unternehmen gestartet. Franziska Müller von der Ahé und Julia Sommerer haben ebenfalls zu zweit ihr Unternehmen gegründet, sie führen eine Kommunikationsagentur mit 30 Mitarbeitern – und das in Teilzeit, denn beide sind Mütter und wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Viele Tipps gibt Esther Eisenhardt daneben im Mompreneurs-Blog, wo sie beispielsweise erklärt, wie wichtig es ist, eine Vision zu haben, was man beachten sollte, wenn man mit einer Freundin gemeinsam gründet, und wie Facebookmarketing effektiver werden kann. „Mompreneurs ist mein absolutes Herzensprojekt“, sagt Esther Eisenhardt. Und mit diesem Herzensprojekt hat sie Erfolg, das zeigen nicht nur die Kommentare der Gründerinnen und Unternehmerinnen in der Facebookgruppe: 2014 wurde Esther Eisenhardt unter die „25 Frauen für die digitale Zukunft“ gewählt.

Redaktionstipps

Amanda Palmer, Sängerin und Musikerin im Punk-Kabarett-Duo The Dresden Dolls sowie seit Kurzem Mutter, machte 2012 mit der bisher erfolgreichsten Crowdfunding-Kampagne der Musikgeschichte Furore: Sie sammelte bei ihren Fans 1,2 Millionen Dollar und finanzierte damit ihr neues Album. Ihr neues Buch „The Art Of Asking“ widmet sich unter anderem der Frage, warum es wichtig ist, andere um Hilfe zu bitten. Amanda Palmer: The Art of Asking: Wie ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und lernte, mir helfen zu lassen. Eichborn, 2015. ISBN 978-3847905974. 16,99 Euro Zum Interview mit Amanda Palmer 25 Frauen für die digitale Zukunft Die Initiative berufundfamilie begleitet Unternehmen, Institutionen und Hochschulen bei der Umsetzung einer familienbewussten Personalpolitik. www.berufundfamilie.de

„Hochsensibilität ist eine Begabung“

Wie können hochsensible Menschen (auf Englisch „Highly Sensitive Persons“, HSP) ihren Beruf und Alltag besser meistern? Dipl.-Ing. Rolf Selling ist selbst hochsensibel und entwickelte Methoden für HSP. Nach dem Architekturstudium und der Redakteurstätigkeit bei Fachzeitschriften erlitt er einen Burnout. Heute ist er Heilpraktiker (Psychotherapie) und bildet als Autor und Seminarleiter vor allem Psychotherapeuten und Pädagogen für den Umgang mit Hochsensiblen aus. Das Interview führte Meike Nachtwey.

Herr Sellin, Sie haben Architektur studiert, heute arbeiten Sie als Autor und Seminarleiter – wie kam es zu diesem Wandel? Nach dem Studium wurde ich erst einmal Redakteur von Architektur-Fachzeitschriften. Da konnte ich meine sprachliche Begabung mit dem Fachwissen gut verbinden. Typisch für hochsensible Menschen ist leider die Tendenz, zu hohe Ansprüche an sich zu richten, die sie am Ende nicht erfüllen können. So war es auch bei mir. Ich hatte mich bald selbst in einen Zustand manövriert, den man heute wohl als Burnout bezeichnen würde. Damals hatte ich professionelle psychotherapeutische Hilfe gesucht, doch musste ich bald herausfinden, dass ich nicht verstanden wurde. Also machte ich mich auf den Weg, um mir selbst zu helfen. Ich trug Techniken zusammen und entwickelte vor allem selbst Methoden, die für mich wirksam waren. Bald wollte ich dieses Wissen an andere weitergeben und wurde selbst zum Therapeuten. Was macht hochsensible Menschen aus? Hochsensibilität ist keine Krankheit, die man diagnostizieren könnte, es ist eine Wesensart und Begabung zu umfassender und differenzierter Wahrnehmung. Man weiß, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sind. Sie nehmen mehr und intensiver wahr als andere. Sie haben die Fähigkeit, weitere Zusammenhänge zu erfassen und ebenso den Dingen bis ins Detail auf den Grund zu gehen. Sie neigen dazu, nach Vollkommenheit zu streben. Deshalb können sie manchmal auch gründlicher und zugleich oft auch langsamer als ihre Kollegen arbeiten. Gleichzeitig sind sie hochmotiviert, engagiert und sehr empathisch. Sie haben ein starkes Verantwortungsbewusstsein und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Ihre Fähigkeit, gut zuzuhören, macht sie zu beliebten Ansprechpersonen bei Problemen. Beeinflusst Hochsensibilität die Berufstätigkeit? Oft machen es sich hochsensible Berufsanfänger selbst viel zu schwer, weil sie viel zu viel wollen. Sie versuchen Vollkommenheit zu erreichen, obwohl die gar nicht gefragt ist. Sie setzen sich selbst dabei unnötig unter Druck. Und wenn dann äußere Anforderungen hinzukommen, ist das viel zu viel und kann zu Blockaden führen. Es hilft ihnen, sich immer wieder zu fragen: Worum geht es hier? Was ist (nur) gefordert? Wie erreiche ich das für den Arbeitgeber auf wirtschaftliche Weise und für mich als Arbeitnehmer auf nachhaltige Weise? Wenn Hochsensible nicht lernen, mit ihrer Wahrnehmung, ihren Grenzen und ihrer Energie umzugehen, kann es in der Lebensmitte leicht zu Krisen kommen, in Extremfällen sogar zum Burnout. Welche Vorteile haben hochsensible Mitarbeiter für einen Arbeitgeber? Sie sind oft gute Teammitglieder, ihre Art wirkt ausgleichend für das Arbeitsklima, sie gehen den Dingen gern auf den Grund und sind zuverlässig und hoch motiviert. Sie sind gewissenhaft und gründlich. Wenn sie die passenden Arbeitsbedingungen haben, wirken sie in einem Team wie Schmieröl im Getriebe. Wenn sie jedoch überreizt und überfordert sind, können sie auch zum Sand im Getriebe werden. Durch ihre andere Wahrnehmung entdecken sie schneller als andere, wo sich Probleme und Fehlentwicklungen anbahnen. Doch allzu leicht geraten sie dann in die Rolle eines unbequemen Bedenkenträgers, wenn sie nicht lernen, sich geschickt einzubringen. Doch auch dabei kann ihnen ihre Hochsensibilität nützen, wenn sie als Vorteil erkannt und bewusst eingesetzt wird. Sie spüren, worum es anderen geht, und verstehen sie. Das kann sich gut auswirken auf den Umgang mit Kollegen, Mitarbeitern, Vorgesetzten und vor allem auf den Kontakt zum Kunden. Woran erkenne ich als hochsensibler Bewerber, dass das Unternehmen, für das ich mich interessiere, ein guter Arbeitgeber für mich ist? Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Angebote, mit denen die Work- Life-Balance der Mitarbeiter unterstützt und gefördert werden, sind ein gutes Zeichen dafür, dass das Unternehmen sich um die Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmert. Doch ebenso könnten diese Anstrengungen auch nur aufgesetzt sein. – Wohl dem Hochsensiblen, der noch auf seine feinen Antennen hört, der sich den Zugang zu seiner Intuition, seinem Bauchgefühl, hat bewahren können! Er spürt eher als andere, was für ihn passt. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie sollte sich die Arbeitswelt verändern, damit hochsensible Menschen besser darin klarkommen? Als Hochsensibler wünsche ich mir, dass in Unternehmen mehr Gewicht gelegt wird auf Qualität als auf Masse, mehr auf Nachhaltigkeit und weniger auf schnellen Gewinn, mehr auf Verantwortung im weitesten Sinne als nur auf Eigennutz. Wenn Werte tatsächlich ernst genommen werden, dann sind Hochsensible beflügelt und geben ihr Bestes. Auch wenn Hochsensible ganz besonders intensiv auf Werte und das Gemeinwohl reagieren, wäre das wohl jedem Arbeitnehmer und uns allen zu wünschen.

Highly Sensitive Persons (HSP)

Buchtipp: Rolf Sellin: Bis hierher und nicht weiter. Wie Sie sich zentrieren, Grenzen setzen und gut für sich sorgen. Kösel Verlag 2014. ISBN 978-3466309986. 16,99 Euro. www.hsp-institut.de Weitere Redaktionstipps: Deutscher Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität www.hochsensibel.org Kompetenzzentrum für Hochsensibilität www.aurum-cordis.de Online-Tests: Bin ich hochsensibel? www.hochsensibilitaet.org/online-test.html

E-Paper karriereführer hochschulen 2.2015

0

Klicken Sie auf den unteren Button, um unser E-Paper anzusehen. Das E-Paper wird durch den Online-Dienst "Yumpu" bereit gestellt.

Inhalt laden