Recycling von Fahrrad-Altreifen

Gummireifen aus Löwenzahn

Kohlendioxid begraben

In einem Seminar des Hasso-Plattner- Instituts für Digital Engineering (HPI) und der Handelshochschule Leipzig (HHL) sollen Studierende nachhaltige Geschäftsideen entwickeln.
Das Institut aus Potsdam und die Hochschule in Leipzig haben ein gemeinsames studentisches Seminar mit dem Titel „Future Builder“ entwickelt. Es startete am 24. März 2022 mit rund 40 Studierenden beider Institutionen sowie Praxispartnern in Potsdam und läuft über 13 Wochen. Ziel der Partnerschaft ist eine verstärkte interdisziplinäre Vernetzung beider Hochschulen, um dringende Probleme der aktuellen Zeit auf nachhaltigen und digitalen Wegen zu lösen. Neue Geschäftsideen sollen dafür sorgen, dass die 17 Ziele der Vereinten Nationen (siehe unten) für nachhaltige Entwicklung erreicht werden. In dem Seminar sollen junge Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen gemeinsam neue Geschäftsmodelle für eine bessere Zukunft entwickeln. Die HHL und ihr Tech-Inkubator Digital Space bringen dabei über 20 Jahre Erfahrung in der Gründerausbildung und ein großes Netzwerk von Unternehmern mit ein. Die digitalen Geschäftsideen der Studierenden werden von Praxispartnern wie ZF, SAP und der LFGruppe aus Leipzig unterstützt. Sie reichen von Lösungen für nachhaltigere Firmenfahrzeugflotten und autonomes Fahren über eine digitale Plattform zur Erreichung von Energiesparpotenzialen für Unternehmen bis zu Vorschlägen für nachhaltige Produktentwicklung, digitale Lernportale, Permakultur und Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz. Die Ergebnisse werden am 23. Juni in Potsdam vorgestellt.Die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO
- Armut in jeder Form und überall beenden
- Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
- Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
- Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern
- Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen
- Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten
- Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern
- Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
- Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
- Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern
- Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen
- Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen
- Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
- Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen
- Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen
- Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
- Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben.
Die 17 Kern-Nachhaltigkeitsziele werden im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen in 169 Unterzielen weiter konkretisiert.
Lukas Hoffmeier studierte Umweltingenieurwesen an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe sowie als Master Erneuerbare Energien an der Technischen Hochschule Köln. Gemeinsam mit seinem Bruder Niklas Hoffmeier und Kay Theuer gründete er 2020 priwatt und machte sich mit dem Green- Energy-Start-up selbstständig. Die Firma vertreibt Stecker- Solaranlagen, die sich ganz einfach selbst aufbauen lassen, für den Einsatz auf dem Balkon oder im Garten.
Ihr Tipp für andere, die gern gründen wollen: Wie kommt man an eine gute Geschäftsidee? Man sollte immer die Augen offenhalten, um mitzubekommen, was sich gerade Neues entwickelt und wo sich neue Märkte auftun. Man kann gute Ideen nicht erzwingen, aber über Gründernetzwerke oder zum Beispiel auch Hackathons lassen sich oft kreative Ideen erarbeiten, die sich zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell entwickeln lassen.Infos
www.priwatt.de
Geht es um das Thema Nachhaltigkeit, nehmen Kanzleien eine Doppelrolle ein: Einerseits beraten sie Unternehmen hinsichtlich geltender Verordnungen und Gesetze. Anderseits sind sie als Dienstleister selbst gefordert, die Regularien zu erfüllen. Wie wichtig gerade Letzteres mit Blick auf den eigenen Nachwuchs ist, hat unser Autor im Top-Thema herausgearbeitet. Demnach organisieren sich juristische Bewegungen, in denen Jurist*innen das Thema Klimaschutz explizit auch abseits des Marktes als zentrales Ziel ihrer Arbeit betrachten. Wie etwa die Mitglieder des Vereins Lawyers for Future. Und wie eine Kanzlei konkret die Herausforderungen angeht, beschreibt Dr. Annika Bleier in unserer „Aufgestiegen zur Head of ESG & Sustainability“-Story.
Den CO₂-Ausstoß zu senken, ist die Zukunftsaufgabe unserer Zeit. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befinden sich in einer weitreichenden Transformation. Die Großkanzleien verstehen sich als Beraterinnen in diesem Prozess. Das stimmt, diese Leistung ist gefragt. Was aber auch stimmt: Als Unternehmen stehen die Kanzleien auch selbst auf dem Prüfstand. Nehmen sie den Klimaschutz nicht ernst, drohen Mandanten und Talente verloren zu gehen. Wohin es gehen kann, zeigt sich in den USA, wo Jura-Student*innen-Bewegungen Kanzleien boykottieren. Ein Essay von André Boße
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – ein Wort, das es in dieser Form eigentlich nur im Deutschen geben kann. Im angloamerikanischen Raum bezeichnet man Deutsch gerne als „Lego-Sprache“, weil man die Worte so stapelt wie Kinder die bunten Klemmsteine. Eine weitere Eigenart der deutschen Sprache sind die Abkürzungen, und auch in dieser Hinsicht hat das genannte Gesetz etwas zu bieten: LkSG. Verabschiedet wurde es vom Bundestag im Juni 2021, nachzulesen ist es auf der Internetpräsenz des Deutschen Bundestages. Ab dem Jahr 2023 betrifft das Gesetz Unternehmen mit mindestens 3000, ab 2024 Arbeitgeber mit mindestens 1000 Beschäftigten. Es verpflichtet die betreffenden Unternehmen dazu, entlang ihrer Lieferkette menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu beachten. Sprich, das Gesetz verlangt von Unternehmen ab einer bestimmten Größe, sorgfältig zu prüfen, von wem sie Waren und Dienstleistungen erhalten – und wie diese Lieferanten bei Themen wie Menschenrechte sowie Umwelt- und Klimaschutz aufgestellt sind.Der Weg hin zu einer klimaneutralen Kanzlei ist daher kein nettes „can have“ für Imagebroschüren mehr, sondern ein „must have“ für den Erfolg auf einem juristischen Markt, in dem sich die Anforderungen und Ansprüche der Mandanten verändern.Es sei „höchste Zeit für Unternehmen, das Thema proaktiv anzugehen und ihre globalen Wertschöpfungsketten auf den Prüfstand zu stellen und für mehr Transparenz zu sorgen“, heißt es in einem Beitrag der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zu den Folgen des LkSG. Gefragt seien nun intelligente Tool-Lösungen in einem integrierten Nachhaltigkeits- Ökosystem, um dadurch menschen- und umweltrechtliche Risiken nachhaltig und effektiv zu reduzieren. „Wer sich intensiv mit seiner Lieferkette und den Aktivitäten der Geschäfts- und Vertragspartner beschäftigt und transparent darüber informiert, kann nicht nur bei Kunden und Partnern punkten, sondern sich auch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen“, wird Robert Kammerer, PwC-Partner, als Experte im Fachbeitrag zitiert.
Eine Kanzlei, die im Auftrag eines Unternehmens die Einhaltung der Klimaschutzregularien prüft, selbst jedoch keine Ambitionen zeigt, die eigenen CO2-Emissionen zu senken, verliert an Relevanz – und wird, mehr noch, für den Mandanten sogar zu einer Belastung, weil die negative Klimabilanz der anwaltlichen Beratung zur Verletzung der Sorgfaltspflicht beitragen kann. Eine Kanzlei, die im grünen Rechtsmarkt erfolgreich sein will, muss daher zwei Aspekte bedienen. Sie muss einerseits eine exzellente juristische Beratung mit Blick auf die Regulierungen anbieten und andererseits belegen, auch selbst den Klimaschutz ernst zu nehmen und Maßnahmen einzuleiten, die dafür sorgen, dass vermeidbare Emissionen vermieden und nicht-vermeidbare Emissionen kompensiert werden. Der Weg hin zu einer klimaneutralen Kanzlei ist daher kein nettes „can have“ für Imagebroschüren mehr, sondern ein „must have“ für den Erfolg auf einem juristischen Markt, in dem sich die Anforderungen und Ansprüche der Mandanten verändern.In drei Schritten zum Zertifikat
Die Zertifizierungen des Deutschen Instituts für Qualitätsstandards und -prüfung (DIQP) in Sachen Klimaneutralität richten sich gezielt auch an mittelständische Kanzleien, die sich auf den Weg zu mehr Klimaschutz machen wollen. In einem ersten Schritt wird der Status Quo der CO2-Emissionen erfasst. Die Zertifizierungsgesellschaft prüft diese Angaben dann, erarbeitet Maßnahmen, mit denen vermeidbare Emissionen möglichst gegen Null gedrückt werden. „Anschließend findet die Kompensation der nicht vermeidbaren Emissionen nach dem Gold- Standard statt“, heißt es auf der Homepage der DIQP.
Nun kann man diese von den Lawyers for Future normativ beschriebene Rolle des Rechts kritisch betrachten und fragen: Sollte das Recht tatsächlich Partei für die Transformation in Richtung einer klimaneutralen Gesellschaft ergreifen? Unabhängig von der nicht unkomplizierten Antwort auf diese Frage zeichnet sich eine Tatsache ab: Kanzleien, die sich nicht im Sinne des Klimaschutzes positionieren, verschärfen damit ihr Recruiting-Problem. Generell geht der Anteil der jungen Jurist*innen, die Karriere in einer Großkanzlei machen wollen, zurück. Begründet dadurch, dass immer mehr junge Menschen eher nach Purpose und stressfreier Work-Life-Balance als nach schnellem Aufstieg und üppigen Einstiegsgehältern suchen.„Law Firm Climate Change Scorecard“
In ihren Studien bewertet die juristisch-akademische Klimaschutzbewegung Law Students for Climate Accountability die Arbeit der Top-100 amerikanischen Großkanzleien („Vault 100“) mit Blick auf Klimaund Nachhaltigkeitsthemen. Dabei erhalten Mandate und Engagements für klimaschädliche Industrien negative Bewertungen, wenn sie nicht darauf abzielen, den großen CO2-Abdruck zu verkleinern (das wäre ja gut für den Klimaschutz), sondern Strukturen festigen, die dem Klimaschutz entgegenstehen. Im Fokus stehen auch Mandate oder Geschäfte, die zum Beispiel indigenen Bevölkerungsgruppen schaden. Blickt man auf die aktuelle Scorecard, liegen lediglich drei Großkanzleien im grünen „A“-Bereich und neun im „B“-Bereich. Die meisten Kanzleien, nämlich 36, stuft die Bewegung im tiefroten „F“-Bereich ein. Im Fazit urteilen die Autor*innen im Executive Summary: „88 der 100 Top-Kanzleien verrichteten eine Arbeit, deren Resultat den Klimawandel noch befeuert hat.“
Nun gibt es in den USA selbstverständlich auch weiterhin das Recht, sich als Kanzlei seine Mandanten und als Absolvent*in seinen künftigen Arbeitgeber frei zu wählen. Dennoch zeigen solche Aktionen Wirkung: Über die Boykotts der Law Students for Climate Accountability berichten die relevanten juristischen Fachmagazine, die jeweiligen Hashtags gehen im Internet viral. Für erfolgreiches Recruiting neuer Talente ist eine solche Kampagne Gift. Wie auch immer man diese Maßnahmen bewertet: Sie zeigen, dass im Jahr 2022 die Großkanzleien keine Akteure mehr sind, die aus einer neutralen Außenposition heraus die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Klimaschutz begleiten. Sie stehen, wie alle anderen Unternehmen auch, mittendrin, sowohl im Wandel als auch im Fokus. Es gibt keine Alternative, als sich diesen hohen Anforderungen in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu stellen. Ihr Trumpf dabei: der Nachwuchs. Schließlich denkt die junge Generation den Sinn des anwaltlichen Tuns in großen Teilen automatisch mit.ClientEarth: Die wichtigste Mandantin ist die Erde
Seit 2018 leitet der Volljurist Hermann Ott das Deutschlandbüo der Bewegung ClientEarth in Deutschland; sein Team versteht sich als Anwält*in für die Welt als bedeutendster Mandantin überhaupt. „Unsere Erde in einem Zustand zu erhalten, der sie für zukünftige Generationen von Menschen und allen anderen Lebewesen zu einem idealen Habitat macht, war schon immer meine Mission“, schreibt Ott auf der ClientEarth-Homepage zu seiner Arbeit. „Juristische Umweltmaßnahmen haben sich als die schärfste Waffe im Streben nach einer nachhaltigen Zukunft erwiesen, und ich hoffe, dass wir Deutschland, das größte Land der EU, dabei unterstützen können, wieder eine Führungsrolle im Umwelt- und Klimaschutz zu übernehmen.“
Buchtipp:
Das Klimaschutzrecht ist elementar für den Bestand der gesamten menschlichen Zivilisation und bildet ein komplexes Mehrebenenrecht. Vor diesem Hintergrund erfasst das Buch „Grundzüge des Klimaschutzrechts“ die wichtigsten Einzelfragen zum brisanten und zukunftsrelevanten Rechtsgebiet – in einem umfassenden Bild, das alle rechtlichen Ebenen berücksichtigt und diese zueinander in Bezug setzt. Betrachtet wird dabei die internationale, europäische und nationale Ebene. Zudem finden wegen ihres konkreten Einflusses auf den Klimaschutz und ihrer nachhaltigen Auswirkungen auf Gesellschaft und Recht noch zwei weitere Topthemen mit globaler Tragweite besondere Beachtung: die Digitalisierung und die Corona-Krise. Prof. Dr. jur. Walter Frenz: Grundzüge des Klimaschutzrechts. Erich Schmidt Verlag 2021, 39 Euro.
Alisha Andert ist Juristin und Co-Gründerin und Inhaberin der Innovationsberatung This Is Legal Design. Sie ist spezialisiert auf Legal Design, eine interdisziplinäre Arbeitsweise, die Recht und Design vereint. Ziel ist es, den Herausforderungen der Digitalisierung kompetent zu begegnen und die juristische Methodik zu modernisieren. 2021 wurde Alisha Andert mit dem Digital Female Leader Award ausgezeichnet. Im Interview mit André Boße erzählt die 31-jährige, warum in ihrer Agentur so viele Frauen arbeiten und welche Erfahrungen sie selbst bei der Arbeit in großen Kanzleien gemacht hat.
Frau Andert, was beim Blick auf das Team, das Sie auf der Homepage Ihrer Legal Design Services-Agentur vorstellen, auffällt: aufgeführt sind acht Juristinnen, nur ein Jurist. Ist das ein Statement? Wäre es ein Statement, dann würde es voraussetzen, dass wir das so geplant hätten, um eine Message zu setzen. So war es aber nicht. Unser Team hat sich organisch so zusammengesetzt – wobei es aber auch nicht zufällig so gekommen ist, dass sich unter den Initiativbewerbungen sehr viele Frauen befinden. Woran liegt das? Wir sind als ein von Frauen geführtes Unternehmen des Rechtsmarkts ein Beleg für die These „why representation matters“: Co-Gründerin Lina Krawietz und ich zeigen uns nach außen sichtbar. Junge Frauen fühlen sich davon angesprochen, weil sie annehmen dürfen, bei uns einen Ort zu finden, an dem sie sich wohlfühlen können. Aus dieser Situation ergibt sich für uns eine Art umgekehrtes Diversity-Problem: Wir wissen natürlich, dass vielfältig besetzte Teams besser performen, weshalb wir uns über männliche Bewerbungen freuen. Ein Luxusproblem, oder? Absolut, zumal wir auf eine Branche treffen, die so männerdominiert ist, dass wir als reines Frauenteam bei Kundenaufträgen in der Regel gerade mal in der Lage sind, das Geschlechterverhältnis auszugleichen.Zur Person
Alisha Andert, Jahrgang 1990, studierte von 2010 bis 2016 Jura an der Uni Potsdam sowie an der Uni Amsterdam. Nach dem Referendariat in Berlin startete sie 2019 ihre Karriere als Head of Legal Innovation beim Flugentschädigungs-Anbieter Flightright, von 2019 bis 2021 war sie als Head of Legal Innovation in der Kanzlei Chevalier tätig. Sie ist Co-Gründerin und Partnerin der 2018 gegründeten Innovationsberatung This Is Legal Design. Als Volljuristin und am Hasso-Plattner-Institut ausgebildete Design Thinkerin liegt ihr Fokus auf der Entwicklung nutzerzentrierter Produkte und Dienstleistungen für den Rechtsbereich. Seit 2020 ist sie Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verbandes Deutschland, im vergangenen Jahr erhielt sie den Digital Female Leader Award 2021.
Es gibt einen großen Hunger nach Wandel.Abseits Ihrer Repräsentanz: Welche Themen bieten Sie Jurist*innen, die für die junge Generation interessant sind? Wir gelten als eine Art Disrupter, indem wir Kanzleien und Rechtsabteilungen dabei unterstützen, Prozesse, Services und Produkte anders, digitaler und nutzerfreundlicher zu gestalten – und es eben nicht weiter so zu machen, wie es immer schon gemacht worden ist. Wir spüren, wie die junge Generation es genießt, mit diesem Fokus zu arbeiten. Es gibt einen großen Hunger nach Wandel. Wir haben alle in unserem Jurastudium gelitten – ein Studium, das weiterhin ohne jegliche Anbindung an andere Disziplinen stattfindet. Was für einen Bereich wie das Recht, der mitten im Leben der Menschen steht, überhaupt keinen Sinn ergibt. Sie haben selbst in einer großen Kanzlei gearbeitet, welche Erfahrungen haben sie dort gemacht? Auch hier: Einen großen Wunsch nach Veränderung. Angestoßen von der Digitalisierung des Rechtsmarktes, also Legal Tech. Es ist schon auffällig, dass dieses Thema insbesondere von der jungen Generation vorangetrieben wird. Das zeigt sich schon daran, dass es an den Universitäten die Studierenden sind, die eine Vielzahl von Legal Tech-Initiativen ins Leben rufen, weil sie sich sagen: „Wir leben in einer digitalen Welt, wir leben einen digitalen Lifestyle – und kommen dann in Strukturen bei Kanzleien, Rechtsabteilungen oder Rechtschutzversicherungen, wo dieses digitale Jahrhundert immer noch nicht begonnen hat.“ Die junge Generation der Jurist*innen hat große Lust, das zu ändern. Erzeugt dieser Wunsch nach Wandel einen Druck, der die oberen hierarchischen Ebenen erreicht? Es ist einerseits nicht einfach, von unten Dinge in Bewegung zu setzen. Andererseits ist es nicht überall so, dass es auf den höheren Ebenen generell an Interesse fehlt, Dinge zu verändern. Es gibt sehr viel Partner*innen, die sehr innovativ denken. Grundsätzlich ist es aber schon so, dass diejenigen, die heute einsteigen, mit ihren Bedürfnissen einen Druck aufbauen, den die Kanzleien auch spüren. Wobei dieser Druck vor allem beim Recruiting entsteht. Fast alle Kanzleien verzeichnen ein Nachwuchsproblem, das diverse Gründe hat. Zum einen ist die Generation Y, zu der ich ja auch zähle, zahlenmäßig eine eher kleine Generation, die rein quantitativ die Weggänge der großen Generation der Babyboomer gar nicht auffangen kann. Verschärfend kommt hinzu, dass die großen Kanzleien für die Generation der jungen Jurist*innen nicht mehr so attraktiv sind, wie sie es einmal waren.
Mehr noch als die Generation Y sucht die Generation Z nach einer Arbeit, die sich mit ihren Lebensentwürfen deckt. Dazu gehört es, Beruf und Freizeit sowie später die Familie in Einklang zu bringen.Woran liegt’s? Es liegt zum Beispiel an alternativen Arbeitgebern, die als sicherer und durchaus auch als weniger stressig gelten, dazu zählen zum Beispiel die Rechtsabteilungen in Unternehmen oder Verbänden. Was einigen – nicht allen – Kanzleien als einzige Antwort auf dieses Nachwuchsproblem einfällt, sind absurd hohe Gehälter bereits für Einsteiger*innen. Das Problem ist nur, dass die Generation, die aktuell gefragt ist, anders auf die Arbeit blickt. Mehr noch als die Generation Y sucht die Generation Z nach einer Arbeit, die sich mit ihren Lebensentwürfen deckt. Dazu gehört es, Beruf und Freizeit sowie später die Familie in Einklang zu bringen. Auch Purpose ist ein großes Thema: Die junge Generation verlangt nach einer Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, gerade mit Blick auf Aspekte wie Klimaschutz oder Gerechtigkeit. Es ist offenkundig, dass es insbesondere der Nachwuchs ist, der das Thema Purpose in den großen Kanzleien einführt. Die Arbeitgeber merken dadurch: Geld allein macht uns nicht attraktiv genug, wir müssen einiges darüber hinaus bieten. Was bedeutet dieses Denken für die Geschäftsmodelle des Rechtsmarkts? Weiterhin üblich ist die Honorierung rechtlicher Leistungen nach Stundensätzen. Das wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren wohl so bleiben, was vor allem daran liegt, dass dieses traditionelle Billable-Modell weiterhin sehr gut funktioniert. Der wirtschaftliche Druck auf die Kanzleien ist also längst nicht so hoch wie der Druck, Nachwuchs zu recruiten. Wobei das eine mit dem anderen zusammenhängt. Absolut, weshalb ich davon ausgehe, dass sich Schritt für Schritt andere Bezahl-Konzepte durchsetzen werden, wiederum auch angetrieben vom Purpose-Gedanken: Viele junge Menschen legen Wert darauf, danach bezahlt zu werden, wie viel Nutzen sie für den Kunden oder die Kanzlei erbringen. Dieser Nutzen liegt nicht allein darin, wie viele Stunden man auf einem Mandat abgerechnet hat. Es passt nicht zum Selbstbild der Generationen Y und Z, nur danach bewertet zu werden, wobei die Generation Z ein noch mal höheres Anspruchsdenken mit Blick auf ihren Arbeitgeber hat. Wohlgemerkt nicht, was das Geld betrifft. Sondern was die Ausgestaltung und die Sinnhaftigkeit der Arbeit betrifft.
Viele junge Menschen legen Wert darauf, danach bezahlt zu werden, wie viel Nutzen sie für den Kunden oder die Kanzlei erbringen. Dieser Nutzen liegt nicht allein darin, wie viele Stunden man auf einem Mandat abgerechnet hat.Sie sprachen eben über die Eigenarten des Jura-Studiums, in dessen Verlauf man wenig bis gar keinen Kontakt zu anderen Disziplinen erhält. Warum muss sich das dringend ändern? Weil ich eine Rechtsdienstleistung in der digitalen Gesellschaft als Produkt betrachte, das sich auf einem Markt zu behaupten hat. Nehme ich das ernst, geht überhaupt kein Weg daran vorbei, neben den juristischen Aspekten auch über Marketing, Kommunikation oder IT nachzudenken. Nur so wird es mir gelingen, meine juristische Expertise in ein verständliches und für alle potenziell Interessierten zugängliches Produkt zu transformieren. Das betrifft zum Beispiel die Sprache: Als Nutzerin einer rechtlichen Dienstleistung möchte ich nicht den juristischen Jargon miteinkaufen, im Gegenteil, damit möchte ich bitte nichts zu tun haben. Bedeutet dieser bessere Zugang auch, dass sich mehr Menschen juristische Services einholen können, als dies bislang der Fall ist? Absolut. Bislang ist der Gang zum Anwalt vor allem eine Sache von Menschen, die es sich entweder leisten können oder die sich in einer juristischen Notlage befinden. Das Recht ist aber nicht nur für solche Fälle da, weshalb ich es gut finde, wenn es mit Hilfe von Legal Tech-Innovationen möglich ist, sich auch um kleinere Belange zu kümmern, die sonst unter den Tisch fallen würden. Zum Beispiel, wie im Fall Flightright, um die Rechte, die ich als Flugpassagierin habe. Demokratisiert sich dadurch das Recht? Ich glaube, so kann man das sagen, ja. Zumindest überwindet man das bislang rational begründete Desinteresse von Verbraucher*innen. Gedanken wie „das wird doch sowieso nichts“ oder „wer weiß, wie viel mich das am Ende kostet“ verlieren an Bedeutung. Und das kommt einer Gesellschaft zugute, in der die allermeisten Menschen rechtliche Ansprüche besitzen, die sie bislang nie geltend gemacht haben.
Zum Unternehmen
Alisha Andert definiert „Design Thinking“ als Ansatz, alle Lösungen aus der Perspektive der Nutzenden zu denken. Kern der Arbeit der von ihr mitgegründeten Agentur ist es, den Rechtsmarkt bei dieser Neuausrichtung auf Kund*innen (die sprachlich die Mandant*innen ersetzen) zu unterstützen. Zu den Services zählen das Produkt- und Kommunikationsdesign für Rechtsdienstleistungen sowie Trainings und Workshops für Kanzleien oder Rechtsabteilungen. Das Team der Agentur mit Sitz in Berlin besteht aus acht Juristinnen und einem Juristen, dem Co-Gründer Joaquín Santuber. www.thisislegaldesign.com
Neben den klassischen Berufseinstiegsoptionen bietet sich Anwält*innen zunehmend eine weitere Alternative: die Arbeit als Projekt-Anwält*in. Zeitlich auf das jeweilige Projekt begrenzt und zu klar definierten Konditionen wird diese Arbeitsform von Agenturen organisiert – Mandantenakquisition inklusive. Von Christoph Berger
Schaut man sich an, welche Kennzeichen mit New Work verbunden werden, so werden in sämtlichen Aufzählungen unter anderem immer wieder neue und flexible Arbeitsstrukturen sowie zeitliche, räumliche und organisatorische Flexibilität genannt. Ebenso werden Selbstständigkeit und Freelancertum mit der Transformation der Arbeitswelt in Verbindung gebracht. Fragt man Absolvent*innen, was sie sich von ihrem Job erhoffen, so sind dies laut der aktuellen Zenjob Gen-Z-Studie für 50 Prozent feste Arbeitszeiten. Für die andere Hälfte ist es Flexibilität. Hier ist die Generation also in sich gespalten. Eindeutig ist die Antwort hingegen auf die Frage nach Autonomie hinsichtlich der Zeiteinteilung: 83 Prozent wünschen sich diese. Flexibilität, selbstbestimmtes Arbeiten und eine ausgewogene Work- Life-Balance sind in jedem Fall Jobcharakteristika, die in den letzten Jahren stark an Bedeutung für die Absolvent* innen und Berufseinsteiger*innen gewonnen haben. Und es sind Attribute, die neue Akteure in der Rechtsbranche mit ihren Konzepten versprechen. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Kanzlei-Form, sondern vielmehr um Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Projektjurist*innen spezialisiert haben. Sie vermitteln Anwält*innen auf Zeit, das heißt Projektjuristen, immer wieder auch Lawyers on Demand oder Legal Interim Manager genannt. Eine solche Agentur beziehungsweise solch ein Professional Service Provider ist zum Beispiel Vario Legal. „Wir verstehen uns als Partner für Mandanten und Rechtsanwälte“, erklärt Susanne Mühlbauer, Account Managerin des Unternehmens. Ziel sei es, dass sowohl die Anwälte als auch die Mandanten zufrieden seien. Die eigene Rolle beschreibt Mühlbauer folgendermaßen: „Als Partner der Anwälte unterstützen wir sie dabei, spannende Mandate zu akquirieren, in dem wir passende Projekte für sie identifizieren und den Kontakt zum Mandanten haben. Darüber hinaus unterstützen wir sie dabei, sich optimal zu präsentieren und ihr Profil zu schärfen.“ Dazu gehöre nicht nur die Begleitung während der Projekte, sondern auch in den Zwischenphasen: „Wir helfen beispielsweise beim Vertragsabschluss, bei inhaltlichen Fragen und stehen immer gerne mit Rat und Tat oder einem offenen Ohr zur Seite.“ Koordinierung des Vertragsabschlusses deshalb, da die von Vario vermittelten Anwält*innen eine Mandats- und eine Vergütungsvereinbarung direkt mit den Mandaten abschließen und auch direkt von diesen bezahlt werden.Podcast-Tipp:
Wie verändert die Digitalisierung die Rechtsbranche? Wird Künstliche Intelligenz Anwälte arbeitslos machen? Welche Geschäftsmodelle werden sich durchsetzen? Welche Fähigkeiten sind in der Zukunft gefragt? Diesen Fragen widmet sich der Podcast recode.law:
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Künstliche Intelligenz kommt in der Rechtsberatung immer häufiger zum Einsatz. Beschleunigte Abläufe und eine höhere Kundenzufriedenheit sind zwei Vorteile, die mit der Technologie verbunden werden. Aber auch mehr Transparenz und bessere Entscheidungen können mit ihr erzielt werden. Von Christoph Berger
Seit Ende Januar bietet die Rechtsschutzversicherung Axa-Arag Ratsuchenden einen neuen Service an. Diese können auf einer vom Start-up Court- Correct entwickelten digitalen Plattform schnell, einfach und kostenlos eine Rechtsauskunft erhalten. Und zwar egal, ob es sich um Familien-, Miet-, Wohnoder Arbeitsrecht handelt. Alle Rechtsgebiete werden abgedeckt. Dazu beschreiben die Nutzer*innen auf der Plattform ihren Fall. Juristinnen und Juristen schätzen daraufhin die rechtliche Ausgangslage ein und geben Auskunft zur Problemlösung. Und dies innerhalb von 48 Stunden – schriftlich oder telefonisch. Damit diese zugesagte Schnelligkeit funktionieren kann, werden die Jurist*innen von künstlicher Intelligenz und automatisierten Prozessen unterstützt. „Mit diesem neuen Angebot möchten wir den Zugang zum Recht erleichtern, Hemmschwellen senken und die Vorteile von neuen Technologien effizient nutzen“, erklärt Jürg Schneider, CEO der Axa-Arag. Bis Mai 2022 läuft die Plattform noch als Pilotprojekt. In dieser Phase sollen Kundenfeedbacks aufgenommen werden, die dann in die Weiterentwicklung einfließen. Prinzipiell verfolgt der Konzern die Vision, vermehrt künstliche Intelligenz einzusetzen. Somit ließen sich die Beantwortung von Rechtsfragen signifikant beschleunigen, der Service für Kund*innen werde besser. Auch Zusatzservices können hinzugebucht werden. Für die ist allerdings ein Fixpreis zu zahlen. Dazu gehört zum Beispiel die Übernahme der Verhandlung mit der Gegenseite. Nicht „Consumer“, sondern Richterinnen und Richter hatte das Projekt „Smart Sentencing“ am Legal Tech Hub Cologne zur Zielgruppe. Dort befasste sich die Hub-Task Force „Gerechte Strafzumessung“ mit der Entwicklung einer Legal Tech-Anwendung im Bereich der richterlichen Strafzumessung – ebenfalls mit Einsatz künstlicher Intelligenz. Hintergrund des Projekts war und ist es, dass verhängte Strafmaße bei ähnlichen Fällen erheblich voneinander abweichen können. Eine standardisierte Erfassung von Strafzumessungsgründen kann da bestehende Unterschiede in der richterlichen Strafzumessungspraxis transparent machen. Nach der Entwicklung eines erfolgreichen Prototyps wird das Projekt nun am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln in einem größeren Umfang und mittels maschinellen Lernens weitergeführt. Als Ergänzung: In den USA unterstützen sogenannte „Risk Assessment Algorithms“ Richter*innen bei ihren Entscheidungen; eine KI ermittelt dabei die Rückfälligkeit von Straftäter*innen. Dass derartige Technikunterstützung sowohl in Kanzleien als auch in der öffentlichen Verwaltung zunehmen wird, darauf deuten die steigenden Budgets für Rechtstechnologie hin. Laut dem Marktforschungs- und Analyseunternehmen Gartner lagen diese 2020 bei vier Prozent ihrer internen Budgets. Bis 2025 sollen sie auf zwölf Prozent steigen. Der Kölner Anwaltverein veröffentlichte auf Youtube einen Veranstaltungsmitschnitt vom 29. Juni 2021 unter dem Titel „Digitale Justiz – wie geht das!? – Gerechte Strafe dank Smart Sentencing?“:Die 11. Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession stand unter dem Thema „Ready for the Future?!“. Dazu gehört auch, dass Kanzleien und Rechtsabteilungen sich nicht ausschließlich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, sondern ebenso einen Fokus auf zukünftige Geschäftsfelder legen sollten. Doch wie können diese beiden Ansprüche gleichzeitig erfüllt werden? Mit Ambidextrie. Von Christoph Berger
Ambidextrie bedeutet in seinem Ursprung „Beidhändigkeit“. Also die Fähigkeit, die linke und rechte Hand gleich gut benutzen zu können. Übertragen auf Organisationen beinhaltet er laut den Wissenschaftlern Michael Tushman und Charles A. O‘Reilly die Fähigkeit, sich sowohl um das Tagesgeschäft und die schrittweise Einführung von Innovationen zu kümmern – also die schrittweise Verbesserung von bestehenden Produkten, Dienstleistungen, Prozessen oder Geschäftsmodellen, als auch ganz neue und disruptive Entwicklungen voranzutreiben. Wichtig sind Exploitation und Exploration. Allerdings ist dies keine ganz so leicht umsetzbare Methode, da Unternehmen es einerseits schaffen müssen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen so zu nutzen, dass sie die aktuellen Bedürfnisse decken, andererseits braucht es sie auch für den Raum zum Entwickeln neuer Ideen. Ohne Kompromisse ist beides zusammen selten umsetzbar. Doch „Organisationale Ambidextrie“ wird zum Überlebensfaktor, heißt es in einer vom auf Change-Prozesse spezialisierten Unternehmen Mutaree veröffentlichten Studie. Demnach ist Innovation genauso wichtig wie die einst dominierende Effizienz. Diese Entwicklung spreche für den Trend zu einer ausbalancierteren Verteilung von Zeit und Ressourcen und stelle einen wichtigen Schritt für die Entwicklung erfolgreicher, ambidextrer Organisationsformen in den Unternehmen dar. „Führungskräfte und Mitarbeiter sollten im Spannungsfeld dieser äußerst anspruchsvollen Herausforderung eine gesunde Balance finden. Damit aus dieser Anforderung kein Gesundheitsrisiko wird, müssen menschliche Bedürfnisse ins Zentrum rücken und Beachtung finden. Dabei ist die personale Seite wichtiger als jemals zuvor“, erklärt Claudia Schmidt, Geschäftsführerin von Mutaree. O‘Reilly, Professor an der Stanford Graduate School of Business, stellte den Ansatz der Ambidextrie im November 2021 im Rahmen der 11. Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession vor. Anhand weiterer Expert*innen- Vorträge wurde daraufhin deutlich, dass innovative Projekte vom Kerngeschäft strukturell zu trennen, jedoch auf strategischer Ebene der Führung zu integrieren sind. Zudem brauche es für die Erhaltung der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen drei Schritte: Erstens müssten potenzielle Geschäftsmodelle anhand geeigneter Methoden, zum Beispiel Design Thinking, identifiziert werden. Diese Modelle sind daraufhin im Hinblick auf ihre Tragfähigkeit zu untersuchen. Möglich sei dies beispielsweise mit Business Model Canvas, einem Framework für die Visualisierung und Strukturierung von Geschäftsmodellen. Und drittens gelte es, aus all dem die erfolgversprechendsten Geschäftsmodelle herauszufiltern. Dabei sollte der Kundennutzen, also die Sicht der Mandant* innen im Mittelpunkt stehen.Buchtipp
Christoph Frey, Gudrun L. Töpfer: Ambidextrie in Organisationen. Schäffer-Poeschel 2021, 34,95 Euro
Lamia Faqirzada-Özal, 32 Jahre Studium: Rechtswissenschaften an der Universität Potsdam mit dem Schwerpunkt Gesellschaftsrecht 1. Staatsexmanen in Potsdam Referendariat: Kammergericht Berlin 2. Staatsexamen 2018 in Berlin Berufsstart bei Leinemann Partner Rechtsanwälte in Berlin Anfang 2019 Seit Februar 2021 bei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare
Aufgezeichnet von Christoph Berger
Nach dem Studium und dem zweiten Staatsexamen schaute sich Lamia Faqirzada- Özal mehrere Kanzleien genau an. „Mein Studienschwerpunkt lag zwar im Gesellschaftsrecht, aber beim Berufseinstieg kommt es für mich nicht nur auf fachliche Faktoren an“, sagt sie. Sehr wichtig waren ihr auch der Kanzleicharakter und das Kollegium. So fiel ihre Wahl schließlich auf eine Baurechts- Boutique, eine mittelständische Sozietät in Berlin mit weiteren fünf Standorten in Deutschland mit der Spezialisierung auf Immobilien- und Baurecht. „Das Immobilienrecht hat tatsächlich mehrere Schnittstellen mit dem Gesellschaftsrecht. Beispielsweise beim Transaktionsgeschäft oder bei Grundstücksrechtsverhältnissen von Gesellschaften selbst“, erklärt sie. Zwei Jahre blieb sie dort, den Berufsstart bezeichnet sie als sehr gut.Ich entwerfe nicht nur ein Papier, sondern sehe, dass mit meiner Arbeit tatsächlich etwas passiert, dass Bauten entstehen oder verschwinden.Aufgrund dieser Komplexität und der Vielfalt an benötigtem fachlichem Know-how, überlegt Lamia Faqirzada-Özal, einen berufsbegleitenden Masterstudiengang zu belegen, um sich in der fachlichen Thematik noch besser ausbilden zu lassen. Der Reiz bei all den Projekten liegt für Lamia Faqirzada-Özal im Konkreten: „Ich entwerfe nicht nur ein Papier, sondern sehe, dass mit meiner Arbeit tatsächlich etwas passiert, dass Bauten entstehen oder verschwinden.“ Zudem habe fast jeder Mensch bestimmt mal etwas mit Immobilien zu tun, Bauwerke prägen unser Leben, unsere Straßen und Städte. „Da einen Beitrag zu leisten, macht wirklich Spaß“, sagt sie. Zurückblickend auf ihren Berufsstart empfiehlt Lamia Faqirzada-Özal Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern, so viele Gespräche wie möglich zu führen. „Man sollte für sich herausfinden, wie viel man arbeiten möchte – hinsichtlich der Arbeitsform und des Arbeitspensums unterscheiden sich die Kanzleien enorm. Und auch der soziale Aspekt sollte immer im Blick behalten werden: Welche Möglichkeiten der sozialen Interaktion gibt es in der Kanzlei, passen die Menschen, die ich kennengelernt habe, zu mir“, rät sie. In ihrem Freundeskreis hat sie zudem beobachtet, dass sich Freunde in der Probezeit auch immer mal gegen eine Kanzlei entschieden haben. Und sich damit schlecht gefühlt haben. Doch Lamia Faqirzada-Özal bewertet derartige Entscheidungen anders: „Die Probezeit ist nicht dafür da, etwas bestehen zu müssen. Die Zeit ist auch eine Probe für sich selbst, ob man bleiben möchte oder nicht.“ Wichtig sei, dass man die Kanzlei bzw. einen Arbeitgeber finde, bei dem man sich wohl fühlt und gerne zur Arbeit geht. So wie Lamia FaqirzadaÖzal, die diese Kanzlei für sich gefunden hat.