Das letzte Wort hat: Sinah Schlemmer, Gründerin von Amaran Creative

Sinah Schlemmer ist Gründerin und CEO von Amaran Creative. Sie war Bühnentänzerin in London, hat in Kapstadt Modeschauen choreografiert, war in Los Angeles Marketingleiterin eines Fernsehsenders – dort hat sie außerdem ein Label für Skibekleidung gegründet. Im Interview erzählt sie von diesen Stationen und vom Glück, das sie jetzt im Westerwald gefunden hat: Mit dem Upcycling gebrauchter Kleidung schafft sie nachhaltige Kollektionen, die Fashion Statements setzen. Die Fragen stellte Kerstin Neurohr

Frau Schlemmer, Sie waren Tänzerin und Choreografin, dann haben Sie Marketing studiert, und heute entwerfen Sie Kleider aus recycelten Stoffe – wie kam’s dazu? Ja, manchmal geht man im Leben Umwege, und in meinem Fall war das auch gut so. Wobei Mode mich schon immer fasziniert hat: Als Kind habe ich gerne die verrücktesten Outfits zusammengestellt, mit 14 habe ich mir meine eigene Nähmaschine gewünscht. Die Idee, aus alten Sachen neue zu machen, kam vor fünf oder sechs Jahren, während meines Modedesign-Studiums. Ich wollte für die ganzen Probestücke keinen neuen Stoff kaufen und griff zu einem alten rosa Bettlaken. Aus dem verwaschenen Stoff habe ich eine Bluse genäht, das sah super aus! Die kreative Herausforderung, aus alten Sachen etwas Tolles und Einzigartiges zu machen, ist das, was mich antreibt. Abgesehen davon schont Upcycling die Umwelt. Die Modeindustrie gehört zu den dreckigsten Industrien der Welt. Es ist höchste Zeit, hier etwas zu verbessern und die Ressourcen zu nutzen, die bereits vorhanden sind.
Foto: Sinah Schlemmer
Foto: Sinah Schlemmer
Für Ihre Kollektion verwenden Sie alte Gardinen, Kopfkissenbezüge, Ballkleider und Tischdecken – wo finden Sie all diese Vintage-Schätzchen? Ich habe zuerst meinen Kleiderschrank aussortiert, dann ging es weiter auf den Dachboden, und schließlich habe ich bei meinen Eltern alte Sachen mitgenommen. Nachbarn und Freunde kamen mit ihren Altkleidern, und mittlerweile bieten mir auch Leute, die ich nicht persönlich kenne, ihre wohlbehüteten Kleider und Stoffe an. Viele sind richtig froh, dass ihre Sachen ein zweites Leben bekommen. Seit Juli 2021 habe ich eine Kooperation mit Oxfam. Ich bekomme Altkleider, die sich in den Second-Hand Läden nicht verkaufen lassen, und nähe daraus Upcycling-Unikate, die dann wiederum in den Oxfam-Läden für den guten Zweck verkauft werden. Wie ist, es nach Stationen in London, Kapstadt, Miami und Los Angeles wieder im Westerwald zu leben, wo sie aufgewachsen sind? Manchmal vermisse ich die Großstadt, auf jeden Fall! Allerdings genieße ich die Ruhe und Geborgenheit auf dem Land. Für mich es ist der perfekte Ort um kreativ zu sein. Ich sehe es als eine Art kreative Homebase, von der aus ich immer wieder in die Welt starten kann. Frankfurt und Köln sind ja nicht weit weg, also eigentlich die perfekte Lage. Dass Fast Fashion nicht nachhaltig ist, wissen die meisten – und kaufen sie trotzdem. Ihr Tipp, wie wird der Kleiderschrank fairer? Da bin ich ganz radikal: Einfach keine neuen Kleider und Stoffe mehr kaufen, sondern nur noch Second Hand oder Upcycling-Kleidung. Oder, für alle mit kleinem oder ganz ohne Budget: Kleider mit Freunden und Familie tauschen. Tauschparties mit Freunden machen wirklich Spaß, und es können tolle Outfits dabei entstehen! In Berlin findet man immer wieder auf der Straße Kisten mit Altkleidern, mit Wahnsinnsteilen und Schätzen aus vergangenen Jahrzehnten. Tatsächlich kann man sich so viel interessanter und kreativer kleiden, als wenn man sich bei einem großen Konzern eine Bluse kauft, mit der noch tausend andere rumlaufen. Ein individuelles Outfit als Markenzeichen des persönlichen Stils gibt es nicht in Fast-Fashion-Läden. www.amarancreative.com

karriereführer ingenieure 1.2022 – Kluge Ver- und Entnetzung: Wie junge Ingenieure am nachhaltigen Materialfluss arbeiten

0

cover karriereführer ingenieure 1-2022

Kluge Ver- und Entnetzung: Wie junge Ingenieure am nachhaltigen Materialfluss arbeiten

Die Auftragsbücher der deutschen Industrieunternehmen sind voll. Der Materialmangel erlaubt es ihnen aber nicht, ihre Produktion entsprechend hochzufahren. Neue Ideen für eine nachhaltige Ver- und Entnetzung müssen her. Die zunehmende Digitalisierung macht hier vieles leichter. Der Autohersteller Audi geht auf diesem Feld zum Beispiel mit großen Schritten voran. Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist nicht aufzuhalten. Der Philosoph Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin macht sich Gedanken dazu, wie Kooperationen zwischen Menschen und Maschinen künftig aussehen können. Und wie hybrid wird die Arbeitswelt der Zukunft? Wir haben die Wahl zwischen Büro und mobilem Arbeiten im Co-Working-Space oder im Homeoffice, in Videokonferenzen oder Meet-ups. Eine neue Alternative: Pop-Offices.

E-Paper karriereführer ingenieure 1.2022 – Kluge Ver- und Entnetzung: Wie junge Ingenieure am nachhaltigen Materialfluss arbeiten

0
Ausgabe als PDF downloaden

Kluge Konnektivität

Technische Unternehmen sind in einer Weltwirtschaft tätig, die von Unsicherheiten und Komplexität geprägt wird. An knappen Rohstoffen und überlasteten Lieferketten zeigt sich: Die Netzwerkökonomie stößt an ihre Grenzen. Ingenieur*innen stehen zusammen mit dem Management vor der Aufgabe, eine nachhaltige Vernetzung zu gestalten – die auch beinhaltet, auf regionale Verbindungen zu setzen oder sich sogar gezielt zu entnetzen.

Wer zuletzt eine neue Schallplatte kaufen, einen Fußboden verlegen und ein Auto kaufen wollte, musste gleich dreimal ungewöhnlich lange Wartezeiten einkalkulieren. Der Grund: eine außergewöhnliche Knappheit an Kunststoffgranulat, ein Basis-Werkstoff, der für Vinyl-Platten und Vinyl-Fußböden genauso benötigt wird wie für die Produktion einiger Kunst­stoffteile im Auto. Ähnliche Materialknappheiten gibt es bereits seit einigen Monaten bei digitalen Elementen wie Chips und Halbleitern, aber auch bei Rohstoffen wie Papier und Pappe, die benötigt werden, um technische Produkte ver­packen zu können. Denn was nützt die schönste technische Innovation, wenn man sie nicht genügend geschützt in die Logistik bringen kann?
Die Auftragsbücher sind voll. Der Materialmangel erlaubt es den Unternehmen aber nicht, ihre Produktion entsprechend hochzufahren.
Ende 2021 hatte der Materialmangel in der deutschen Industrie seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht: „81,9 Prozent der Firmen klagten über Engpässe und Probleme bei der Beschaf­fung von Vorprodukten und Rohstoffen. Das ist ein neuer Rekordwert“, hieß es zum Jahreswechsel in einer Pressemel­dung zu einer Umfrage des Instituts für Wirtschaftsfor­schung (ifo). „Die Situation in der Industrie ist paradox“, wird Klaus Wohlrabe, der für das ifo die Umfragen verantwortet, in dieser Nachricht zitiert. „Die Auftragsbücher sind voll. Der Materialmangel erlaubt es den Unternehmen aber nicht, ihre Produktion entsprechend hochzufahren.“

Materialmangel bestimmt Produktion

Zwar vermeldete das ifo zu Beginn des neuen Jahres eine gewisse Entspannung, doch gerade in den technischen Unternehmen war die Knappheit auch im Frühjahr 2022 noch eklatant: Bei den Herstellern elektrischer Ausrüstungen klag­ten laut ifo-Meldung von Ende Januar 89,6 Prozent der befragten Unternehmen über Materialmangel, im Maschi­nenbau waren es 80,6 Prozent der Unternehmen, die von Pro­blemen berichteten, in der Autoindustrie 77,9 Prozent. Die Folge des Mangels sei ein Auftragsstau in den Unternehmen, berichtet das ifo: Die deutsche Industrie könnte mit den aktu­ellen Auftragsbeständen so lange produzieren wie nie zuvor. Die Aufträge reichten laut der Umfrage für viereinhalb Mona­te „Das gab es noch nie, seit wir diese Frage im Jahr 1969 zum ersten Mal gestellt haben“, wird Timo Wollmershäuser, Leiter der ifo Konjunkturprognosen, in der Pressemeldung zitiert. Die Auftragseingänge der vergangenen Monate hätten die Unternehmen nicht wie gewohnt abarbeiten können, weil ihnen wichtige Vorprodukte und Rohstoffe gefehlt haben. „Sollten sich die Engpässe in den kommenden Monaten auf­lösen, könnte die Produktion in der deutschen Industrie durchstarten“, so Wollmershäuser.

cover soziologie der entnetzung„Soziologie der Entnetzung“

Im privaten Leben wird erkennbar, wie sehr das Dogma der ständigen Erreichbarkeit Energie kostet und wie gut es tut, die digitale Vernetzung zumindest zeitweise zu kappen. Aber auch in den Unternehmen sowie in der Weltgesellschaft zeigen sich die Grenzen der Netzwerkgesell­schaft: Wird die Konnektivität zum Selbstzweck, werden Verbindungen oberflächlich. Und nimmt man funktionierende Vernetzungen als selbstverständlich, erlebt man in der globalisierten Welt böse Überraschungen. Ausgehend von solchen Krisendiagnosen denkt der Soziologieprofessor Urs Stäheli von der Uni Hamburg in seinem Buch über die Grenzen der Vernetzung nach. Urs Stäheli: Soziologie der Entnetzung. Suhrkamp 2021. 28 Euro

Was aber, wenn die Knappheit – trotz gegenteiliger Progno­sen – mal mehr, mal weniger dramatisch bestehen bleibt? Wenn der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten chronisch wird? Dass es so kommen könnte, ist in der von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägten Welt (abgekürzt VUKA) der Gegenwart nicht ausgeschlossen. Klar, der zentrale Auslöser für die gravierenden Probleme der glo­balen Lieferkette war das pandemische Corona-Virus. Es sorg­te dafür, dass die globale Nachfrage nach Energie oder Indus­ trieprodukten im Jahr 2020 dramatisch zurückging und zeit­gleich digitale Branchen wie Streaming- und Meeting- Dienste oder auch der Online-Handel explodierten – wobei letzterer Trend die Papierknappheit verschärfte (siehe Kasten oben). Hinzu kamen extreme Vorsichtsmaßnahmen im wich­tigen Exportland China, wo immer wieder von heute auf mor­gen Häfen unter strikte Lockdowns gestellt wurden. Contai­nerschiffe konnten über Tage nicht abgewickelt werden.

Unsicherheiten im globalen Netzwerk

Jedoch ist und war Covid-19 längst nicht das einzige Problem. Die Weltwirtschaft bekam zuletzt die Querlage eines Tankers im Suezkanal genau so zu spüren wie Handelskonflikte und den Protektionismus einiger Staaten – der Brexit ist hier das prominenteste Beispiel. Und selbst falls Corona tatsächlich zu einem endemischen Problem wird, mit dessen Folgen die Wirtschaft genauso wie die Gesellschaft zu leben lernt, türmt sich am Horizont bereits das nächste Mega-Problem auf: Die Regularien im Kampf gegen die Klimakrise werden dafür sor­gen, dass die Organisation der Weltwirtschaft auf weitere harte Proben gestellt und strukturelle Veränderungen erfah­ren wird. Schon heute ist abzusehen, dass zum Beispiel Maß­nahmen gegen den enorm großen CO2-Fußabdruck der Con­tainerschifffahrt die weltweite Logistik unter Druck setzen werden. Klar ist, dass die digitale Konnektivität in der Pandemie deut­lich an Dynamik gewonnen hat. Erkennbar ist das an der ver­änderten Arbeit in den Unternehmen mit Video-Calls statt persönlicher Meetings, mit deutlich weniger Dienstreisen, dafür intensivem Homeoffice und einem größeren Stellen­wert von Plattformen und virtuellen Teams. Die Trendfor­scher*innen vom Zukunftsinstitut bezeichnen in ihrer Defini­tion der „Megatrends 2022“ das Internet sogar als das „Betriebssystem“ der gegenwärtigen Gesellschaft, also als „führendes Kommunikationsmedium für eine stetig steigen­de Zahl von Menschen und Maschinen – und ein elementares Werkzeug für Industrien, Organisationen und Individuen“. So entstehe eine „Netzwerkökonomie“, die dafür sorge, dass sich die Position der Unternehmen verändere: „Unter vernetzten Vorzeichen können sich Unternehmen nicht mehr als isolier­te Einheiten verstehen, sondern nur noch als Knotenpunkte innerhalb größerer Netzwerke, als veränderbare Teile größe­rer Business Ecosystems.“ Die Trendforscher*innen legen den Unternehmen nahe, sich in diesem Umfeld nicht weiter als selbstreferenzielle Einzelkämpfer zu betrachten, sondern nach Partnerschaften zu suchen: „Immer wichtiger wird die Kompetenzvernetzung mit anderen Unternehmen sowie mit externen Expertinnen und Experten. Es gilt, die interne und externe Anschlussfähigkeit zu erhöhen, die Schnittstellen zur Umwelt zu vervielfältigen und Beziehungen zu pflegen.“ Ist also die ständige Weitervernetzung von technischen Unternehmen und den dort tätigen Ingenieur*innen das All­heilmittel, um der Komplexität der Gegenwart und Zukunft gerecht zu werden? Nach dem Motto: viel hilft viel?
Durch die Erfahrungen der Pandemie und andere Krisen ist an die Stelle einer ,Netzwerkeuphorie‘ eine ,Ernüchterungsphase‘ getreten.

Nachhaltige Netzwerkkontakte

Die oben beschriebenen Netzwerkprobleme der Welt im Zuge wackeliger und stockender Lieferketten bieten ein Gegenargument aus der Praxis: Vernetzung stößt spätestens dann an ihre Grenzen, wenn sie nicht nur digital existiert, sondern echte Produkte ins Spiel kommen, die gefertigt, transportiert und zusammengebaut werden müssen. Und diese realen, analogen Produkte werden auch in der digitalen Zukunft eine zentrale Rolle spielen, schließlich müssen auch autonome durchdigitalisierte Autos, 3D-Drucker und Roboter gebaut werden. Selbst der Quantencomputer, der in der Lage sein könnte, die Digitalisierung auf ein neues Level zu heben, ist eine Konstruktion auf Basis von Materialien. Es ist daher ein sinnvoller Ansatz, bei der Entwicklung, Herstellung und Anwendung von Technik auf eine smarte Vernetzung zu set­zen. Eine kluge Konnektivität mit Weitsicht – die zum Beispiel zur Entscheidung führt, dass der Halbleiterhersteller aus der Region trotz höherer Preise der nachhaltigere Netzwerkkon­takt ist als der günstige Lieferant aus Übersee.

Problem bei der Wellpappe

Der vermeinte Toilettenpapiermangel zu Beginn der Pandemie hat sich zu einem Running Gag entwickelt. Die Knappheit an Papier und Pappe dagegen ist auch zwei Jahre nach dem Auftauchen des Corona-Virus noch aktuell. Für produzierende Unternehmen besonders problematisch sind der stockende Nachschub und die hohen Preise von Wellpappe, einem Material, dessen Wert häufig erst dann auffällt, wenn es knapp wird. Eine so noch nie erlebte Kostenexplosion auf der Rohstoffseite bringe die ganze Branche der Wellpappen-Industrie in Bedrängnis, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes der Wellpappenindustrie VDW. „Der für unsere Industrie besonders wichtige Preis für altpapierbasiertes Wellpappenrohpapier ist von September 2020 bis Oktober 2021 um 62,3 Prozent in die Höhe geklettert“, wird der VDW-Geschäftsführer Dr. Oliver Wolfrum zitiert. Bei bestimmten für die Industrie relevanten Papiersorten zeige die Kurve noch steiler nach oben, meldet der Verband: So habe sich etwa Wellenstoff den Daten von EUWID (Europäischer Wirtschaftsdienst GmbH) zufolge von September 2020 bis November 2021 um 83,3 Prozent verteuert.

Die Trendforscherin Nina Pfuderer geht in einem Aufsatz für den „Zukunftsreport 2022“ des Zukunftsinstituts so weit, die Suche nach „Strategien und Taktiken“ vorzuschlagen, „die eine Entnetzung innerhalb der Vernetzung ermöglichen“. Kann das für technische Unternehmen gelingen, in denen Ingenieur*innen an Innovationen und Zukunftstechniken arbeiten, auf Basis neuester digitaler Technologien wie der künstlichen Intelligenz? Ist in dieser Netzwerkwelt eine Ent­netzung überhaupt noch möglich? Und wenn ja: Warum ist sie sinnvoll?

Idee der Entnetzung

Nina Pfuderer stellt zu Beginn ihrer Analyse unter dem Titel „Die große Entnetzung“ fest, dass durch die Erfahrungen der Pandemie und andere Krisen an die Stelle einer „Netzwerkeuphorie“ eine „Ernüchterungsphase“ getreten sei: „Immer klarer äußern sich die Schattenseiten der Hypervernetzung“, schreibt sie. Das erlebe man bei Themen wie Hatespeech und Verschwörungserzählungen in den sozialen Netzwerken, aber eben auch bei überlasteten ökonomischen Infrastruktu­ren, die zum Sicherheitsrisiko werden. Die Trendforscherin schlägt vor, die Frage zuzulassen, welche Vernetzung wirklich sinnvoll sei und welche ein reiner Selbstzweck oder nur kurz­fristig gewinnbringend. Als Beispiel nennt Nina Pfuderer eine Entwicklung im Bereich der neuen Arbeitskultur, zusammen­gefasst unter dem Begriff New Work: „Bei der Gestaltung von Büroräumen ist ein Mindshift zu beobachten, weg vom Pri­mat des Open Office, das einstmals den Inbegriff der neuen, vernetzten Arbeitswelt darstellte“, schreibt sie. Studien zufol­ge führten offene Büros eben nicht unbedingt zu mehr Aus­tausch, sondern im Gegenteil dazu, dass die Zahl persönlicher Begegnungen um etwa 70 Prozent sinke, Menschen Blickkon­takte vermieden oder sich mit Kopfhörern abschirmten. „Inzwischen“, schreibt die Autorin, „werden Open Offices wie­der rückgebaut, um Arbeitsplätze zu schaffen, an denen Mit­arbeitende ungestört arbeiten können.“
Open Offices werden wieder rückgebaut, um Arbeitsplätze zu schaffen, an denen Mitarbeitende ungestört arbeiten können.
Der entscheidende Schritt in Richtung einer klugen Konnekti­vität bestehe laut Nina Pfuderer darin, „Netzwerke auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen: Wo ist Austausch qualitativ wertvoll, wo ist Vernetzung zum Selbstzweck geworden?“. Dieses produktive Nachdenken über Entnetzung rücke unweigerlich die Frage nach der Qualität der Infrastrukturen und Netzwerke in den Mittelpunkt. „Damit hilft es, den Megatrend Konnektivität auf eine neue, reflektiertere Stufe zu heben. Und letztlich auch: die Netzwerkgesellschaft vor dem Kollabieren zu bewahren – denn Netzwerke haben per se einen exzessiven Charakter.“ Wie das konkret aussehen kann, zeigen die Reaktionen technischer Unternehmen auf die Materialknappheit: In einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zeigte sich, dass die Unterneh­men kreative Wege fänden, der Knappheit zu begegnen. „Hierzu zählen neben einer verstärkten Eigenerzeugung oder der Nutzung alternativer Rohstoffe auch die Verwendung von Recyclaten sowie eine Veränderung der Produktzusammen­setzung“, heißt es in der Meldung. Pragmatismus, Flexibilität, Regionalität und Kreislaufwirtschaft – gute Ansätze, der überlasteten Vernetzung zu begegnen.

EU-Chip-Gesetz: Abhängigkeiten verhindern

Im Februar 2022 hat die EU-Kommission mit dem europäischen Chip-Gesetz ein Maßnah­menpaket vorgeschlagen, um die Versorgung der EU im Bereich Halbleitertechnologien zu sichern. „Die aktuelle weltweite Halbleiterknappheit hat in einer Vielzahl von Sektoren, von der Automobilbranche bis zu medizinischen Geräten, dazu geführt, dass Fabriken schließen mussten“, heißt es in der Pressemeldung zur Initiative. So sei im Jahr 2021 in einigen Mitglied­staaten die Produktion im Automobilsektor um ein Drittel zurückgegangen, weil das Material gefehlt habe. „Dadurch wurde die extreme globale Abhängigkeit der Halbleiter-Wertschöp­fungskette von einer sehr begrenzten Zahl von Akteuren in einem komplexen geopolitischen Umfeld verdeutlicht.“ Das Chip-Gesetz der EU soll nun ein Halbleiter-Ökosystem von der For­schung bis zur Produktion und eine resiliente Lieferkette schaffen, mit dem Ziel, in Zukunft Unterbrechungen der Lieferketten zu verhindern oder zumindest rasch darauf zu reagieren.

EU-Chip-Gesetz: Abhängigkeiten verhindern

Im Februar 2022 hat die EU-Kommission mit dem europäischen Chip-Gesetz ein Maßnah­menpaket vorgeschlagen, um die Versorgung der EU im Bereich Halbleitertechnologien zu sichern. „Die aktuelle weltweite Halbleiterknappheit hat in einer Vielzahl von Sektoren, von der Automobilbranche bis zu medizinischen Geräten, dazu geführt, dass Fabriken schließen mussten“, heißt es in der Pressemeldung zur Initiative. So sei im Jahr 2021 in einigen Mitglied­staaten die Produktion im Automobilsektor um ein Drittel zurückgegangen, weil das Material gefehlt habe. „Dadurch wurde die extreme globale Abhängigkeit der Halbleiter-Wertschöp­fungskette von einer sehr begrenzten Zahl von Akteuren in einem komplexen geopolitischen Umfeld verdeutlicht.“ Das Chip-Gesetz der EU soll nun ein Halbleiter-Ökosystem von der For­schung bis zur Produktion und eine resiliente Lieferkette schaffen, mit dem Ziel, in Zukunft Unterbrechungen der Lieferketten zu verhindern oder zumindest rasch darauf zu reagieren.

Der Zukunftsgestalter Prof. Dr. Robert Schmitt im Interview

Als Direktoriumsmitglied des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnologie sowie Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement am WZL der RWTH Aachen ist Professor Dr. Robert Schmitt Experte für qualitätsorientierte Produkt- und Prozessgestaltungen. Was kennzeichnet heute die Qualität technischer Prozesse? Warum gewinnen Begriffe wie Resilienz und Purpose an Bedeutung? Und warum wächst damit der Gestaltungspielraum für Ingenieur*innen? Im Interview findet Robert Schmitt interessante Antworten. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt (Jahrgang 1961) ist Direktor am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums am Fraunhofer Institut für Produktionstechnologie IPT. Nach dem Studium der Elektrischen Nachrichtentechnik an der RWTH Aachen war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement im Bereich der fertigungsnahen Mess- und Kommunikationstechnik im automatisierten Umfeld. 1997 wechselte Robert Schmitt zum Nutzfahrzeughersteller MAN in München und Steyr, wo er leitende Positionen im Qualitätsbereich und in der Produktion innehatte. 2004 wurde er als Professor an die RWTH Aachen berufen. Er ist dort Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement, seine Schwerpunkte liegen im produktionstechnischen Bereich in der Verbindung von Mess- und Montagetechnik mit qualitätsorientierter Produkt- und Prozessgestaltung.
Herr Prof. Schmitt, wie definieren Sie als Ingenieur den Begriff Qualität? Qualität ist die Erfüllung von Anforde­rungen von Kunden. Um das zu errei­chen, hat sich allerdings der Begriff im betrieblichen Umfeld zuletzt sehr gewandelt. Lange verband man Quali­tät mit dem Begriff der Prozessfähig­keit. Sprich, funktioniert ein Prozess innerhalb bestimmter Grenzen? Das ist noch immer wichtig, greift aber heute, so scheint es mir, zu kurz. Qualität spielt auch eine Rolle, wenn es um den Ressourceneinsatz in einer Lieferkette geht oder um die Auswirkungen eines technischen Prozesses auf die Umwelt. Hier brauchen wir eine erweiterte Inter­pretation von Qualität, die dieser Kom­plexität gerecht werden Welche Begriffe könnten das sein? Mit Blick auf die Lieferkette wäre das zum Beispiel der Begriff der Resilienz: Wie widerstandsfähig ist die Supply Chain mit Blick auf Schwankungen oder Gefährdungen? Schauen wir auf die Umwelt, kommt ein weiter gefasster Effizienzbegriff in Frage, der sich anhand der vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit definiert, indem er nicht nur nach der Effizienz des eigentlichen Prozesses fragt, sondern auch Neben- und Folgekosten für die Umwelt inkludiert. Der Qualitätsbegriff fächert sich also auf … … darf dabei aber nicht beliebig wer­den. Was wir nicht brauchen, sind neue Metaphern, die den Qualitätsbegriff lediglich sprachlich erweitern. Wir müs­sen ihn inhaltlich sinnvoll weiterentwi­ckeln, nur dann kann Qualität die Ant­wort auf unsere sich sehr schnell wan­delnde VUKA-Welt sein, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt wird. Was bedeutet die Weiterentwicklung des Qualitätsbegriffs konkret? Ich glaube, eine zentrale Frage von Qua­lität lautet: Warum mache ich etwas? Und warum so? Der Purpose. Genau. Das ist ein Begriff, der für die Ingenieurwissenschaften immer wichtiger wird. Hier gestaltet Politik den Rahmen. Wenn man sich anschaut, wie die EU bestimmte Maßnahmen in der Forschung oder Wirtschaft fördert, stellt man fest, dass heute sehr genau gefragt wird: Wie effizient wirkt jeder Euro, den wir geben, auch in den Themen Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Stabilität oder Teilhabe an der Zukunft? Schließlich kaufen Roboter keine Brötchen, das machen Menschen, die also weiterhin im Mittelpunkt stehen. Wird es dabei bleiben, dass der Mensch im Mittelpunkt steht? Ich bin sicher, ja, wobei wir dabei vor der Herausforderung stehen, die Menschen so auszubilden, dass sie die Komplexität in einer technisierten Umgebung durchschauen. Diejenigen, die mit Maschinen arbeiten, müssen eine sehr gute Qualifikation im Sinne eines Verstehens, was sie wie warum machen, mitbringen. Hier wird Aus- und Fortbildung zu einem Schlüssel für das Qualitätsmanagement, und zwar schon deshalb, weil in komplexen Systemen keine unterkomplexen Lösungen helfen. Wir brauchen also Menschen, die technische Geräte nicht nur – im klassischen Sinn – „bedienen“ können. Wir müssen diese so auslegen und Menschen so qualifizieren, dass der Mitarbeiter die Anwendung versteht. Wir gehen also weg von einer mechanistischen Betrachtungsweise hin zu einem Gesamtverständnis von sinnvoller Wertschöpfung.
Wir Ingenieure sind diejenigen, die Antworten erfinden können, die uns voranbringen.
Welche neuen Anforderungen ergeben sich daraus für Ingenieur*innen? Ich denke, es ist wichtig, die jeweiligen Hintergründe der Fachdisziplinen zu verstehen – wobei es hier nicht um Theorien und Formeln geht, sondern darum, jeweils klarzumachen: Wie tra­gen wir dazu bei, einen Anwendungs­fall pfiffig zu lösen? Eine robotische Anlage zeichnet sich nicht allein durch eine gute Mechanik aus. Wenn sie sich so verhält, dass ein Mensch nicht mit ihr umgehen kann, dann nützt die tech­nische Qualität wenig. Es geht also darum, sehr vielen Dimensionen gerecht zu werden: der Technik und der Anwendung, dem gesellschaftlichen Nutzen und der Effizienz mit Blick auf die Nachhaltigkeit. Ja, das ist komplex. Aber natürlich erhöht sich dadurch auch der Gestaltungsspielraum für Ingenieure. Zumal es um den Aus­tausch mit anderen Fachbereichen wie der Informatik, der Ökonomie oder der Ethik geht. In diesem Sinne sind wir Ingenieure diejenigen, die Antworten erfinden können, die uns voranbringen. Wir zählen ohne Frage zu den Gestal­tern der Zukunft. Was entgegnen Sie kritischen Stim­men, die sagen, erst die Technik habe uns viele der Probleme eingebrockt? Ich finde hier den Gedanken des Wis­senschaftstheoretikers Jürgen Mittel­straß zielführend, der in seinem Buch von der „Leonardo-Welt“ schreibt, die Menschen hätten zu da Vincis Zeit damit angefangen, die Welt so zu gestalten, dass sie besser wird. Nun haben wir Menschen mit unseren Gestaltungen ohne Zweifel dafür gesorgt, dass sich ernsthafte Probleme ergeben, allen voran der Klimawandel. Die Lösung kann aber nun nicht sein, die Technik abzuschalten. Wobei ich wiederum auch kein konstruktivisti­scher Mensch bin, der sagt: Noch mehr Technik! Sondern: mehr Verstehen. Wo liegt die Mitte? Sie liegt dort, wo Ingenieure mit Hilfe ihrer Methoden ihrer ethischen Verant­wortung gerecht werden. Ich bin über­zeugt, dass Ingenieure dann einen gro­ßen Lösungsbeitrag leisten können.
Ingenieure lernen zunehmend, ein Verständnis dafür zu erhalten, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und sich zu fragen: Was können wir hier sinnvollerweise beitragen?
Wann überfordert man die Ingenieurwissenschaften? Wenn man voraussetzt, dass sie Wunder vollbringen. Was nicht bedeutet, dass es nicht dazu kommen kann: Wie anders als ein Märchen hätte es geklungen, wenn jemand zur Zeit der Gebrüder Grimm die Geschichte von Röhren erzählt hätte, in denen sich Menschen auf bequeme Stühle setzen und mit Getränken versorgt werden, um nach wenigen Stunden in der Luft in einer ganz anderen Welt aus dieser Röhre zu steigen? Was ich sagen will: Manche Dinge kann man sich heute noch nicht vorstellen – aber gerade Ingenieure legen die Hände nicht in den Schoß. Weshalb ich, bei allem Verständnis für ihre Ziele, nicht verstehen kann, dass sich eine Gruppe von Klima-Aktivisten als die „Last Generation“ bezeichnet. Das ist mir viel zu fatalistisch – es gibt immer eine nächste Generation. Ingenieure lernen zunehmend, ein Verständnis dafür zu erhalten, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und sich zu fragen: Was können wir hier sinnvollerweise beitragen? Haben Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Forschungsarbeit? Nehmen Sie das Tissue Engineering, also die künstliche Herstellung biologi­scher Gewebe, indem man Zellen kulti­viert – mit dem Ziel, bei einem Patien­ten individuell zu therapieren. Das erscheint zunächst einmal als ein Thema für die Nano- und Mikrobiolo­gen, klar. Aber wir am Fraunhofer-Insti­tut für Produktionstechnologie sind da natürlich auch involviert, wenn es um die Anwendung der Erkenntnisse der Automatisierungstechnik geht. Es ist super, wenn biologische Merkmale erreicht werden – aber für den Transfer in die Individualmedizin braucht es jemanden, der hier die Herstellung übernimmt. Und das sind wir Ingenieu­re. Hier sehe ich eine große Chance unseres Bereichs: Wenn ein junger Mensch sagt, er möchte einen sinnhaf­ten Beruf ergreifen, mit dem er die Möglichkeiten der Medizin um ein Viel­faches erweitert, dann kann er das auch tun, indem er als Ingenieur die techni­sche Umsetzung entwickelt. Und das gilt genauso für Fragen der Energieeffi­zienz, Mobilität, Umwelttechnik oder Textiltechnik. Ich denke sogar, hier liegt eine der großen Stärken der deutschen und europäischen Industrie: Dass wir Ingenieure in der Lage sind, relevante Fragestellungen rasch zu identifizieren, Lösungen zu entwickeln und unsere technische Umsetzungskompetenz auf einer Vielzahl von Feldern, die für unse­re Gesellschaften auf diesem verletzli­chen Planten wichtig sind, nutzen- und sinnstiftend anzuwenden.

Fraunhofer IPT

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT erarbeitet Systemlösungen für die vernetzte, adaptive Produktion nachhaltiger und ressourcenschonender Produkte. Dabei optimieren die Forschenden neue und bestehende Methoden, Technologien und Prozesse für eine effiziente und ökologische Produktion, die Klimaschutz und Umweltverträglichkeit in ihre Kalkulation einbezieht. An konkreten Anwendungen arbeitet das IPT mit Unternehmen aus Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Energiewirtschaft sowie aus den Bereichen Medizintechnik, Biotechnologie und Pharma. www.ipt.fraunhofer.de

Digitalisierung beim Autobau

0

Audi digitalisiert seine Produktion und damit die Arbeitswelt in allen seinen Produktionsstandorten weltweit mit Bereichen wie Planung, Montage, Logistik, Instandhaltung und Qualitätssicherung. Von Sabine Olschner

Viele zukunftsweisende Projekte entste­hen unter Mithilfe des Audi Production Lab, das 2012 ins Leben gerufen wurde und eine Art Thinktank für Produktions­themen ist. Ein Kernteam mit 30 Mitar­beitenden entwickelt Ideen und testet neue Ansätze gemeinsam mit Kolleg*in­nen aus der Fertigung und Logistik, um die Effizienz, Präzision und Qualität in den Werken weiter zu optimieren. Technolo­gien wie der 3D-Druck, Mensch-Robo­ter-Kollaboration, fahrerlose Transportsysteme sowie Augmented und Virtual Reality haben im Unternehmen bereits ihren Weg in die Großserie gefunden. Mit der „Automotive Initiative 2025“ will der Konzern ein weltweites Kompetenz­netzwerk für digitale Fabriktransformation und nachhaltige Innovationen auf­bauen. Das Werk in Neckarsulm soll dabei eine zentrale Rolle als Reallabor einneh­men. In den kommenden fünf Jahre wer­den hier digitale Lösungen für die Fahr­zeugfertigung und Lieferkette erprobt und bis zum Serieneinsatz entwickelt.

Anwendungen aus der Industrial Cloud

Der Volkswagen-Konzern baut derzeit eines der weltweit größten Cloud-Projek­te auf. In der Digital Production Platform werden die Daten aller Maschinen, Anla­gen und Systeme aus den weltweiten Fabriken zusammengeführt und analy­siert. Die Basis bilden Technologien aus den Bereichen Internet der Dinge (IoT), maschinelles Lernen, Datenanalytik und Computing Services, die für die speziellen Anforderungen der Automobilbranche entwickelt wurden. Jeder Standort bezieht Anwendungen für seine Maschi­nen, Werkzeuge und Anlagen direkt aus der Industrial Cloud. Auch die globale Lie­ferkette und industrielle Partner sollen in die offene Plattform eingebunden wer­den.

5G-Technologien zur Vernetzung

Für eine leistungsfähige Netzwerkinfra­struktur, die in Echtzeit reagieren kann, setzt Audi auf die 5G-Technologie in einer smarten Produktion. Die Funkverbindun­gen bieten eine hohe Datenrate und gel­ten als robust, sie verbrauchen nur wenig Strom, und die Zuverlässigkeit beträgt nahezu 100 Prozent. Und sie können eine große Anzahl von Industriegeräten draht­los koppeln. Bereits jetzt sind fahrerlose Transportsysteme im Einsatz, die Material und Komponenten just in time und ziel­genau für die Produktion anliefern.

3D-Druck auch für große Teile

Den digitalen 3D-Druck nutzt Audi schon seit mehr als 20 Jahren in den Produktionsprozessen. In den vergangenen Jah­ren ist der Anteil an Bauteilen für eigene Produktionswerkzeuge und Fahrzeugmo­delle deutlich gestiegen. Inzwischen pro­duziert der Kunststoff- und Metall-3D-Druck immer größere Teile. Das in Ingol­stadt ansässige Metall-3D-Druck-Zentrum ist spezialisiert auf komplexe Stahl- und Aluminiumteile sowie Werkzeugeinsätze für tonnenschwere Umformwerkzeuge, etwa zum Pressen von Karosserieteilen oder für den Druckguss, die im Laser­schmelzverfahren aus Metallpulver gefer­tigt werden. Ungewöhnliche Formen sind damit leichter umzusetzen, weil der 3D-Druck freie Geometrien ermöglicht, also alle denkbaren organischen Formen, beispielsweise für Werkzeugeinsätze mit konturnahen Kühlkanälen.

Instandhaltung voraussehen

„Predictive Maintenance“, also die vor­ausschauende Instandhaltung, macht am Standort Neckarsulm im Karosserie­bau die Wartung von Produktionsanlagen effizienter und sorgt für geringere Aus­fallzeiten. Spezielle Sensorik in einer Fügeanlage, die verschiedene Karosserie­bauteile zusammennietet, erkennt mit­hilfe von Daten, Algorithmen und Mess­werten Verschleißspuren in Kunststoff­schläuchen. Plötzlich auftretende Anlagenausfälle können damit weitest­gehend ausgeschlossen und anfallende Wartungsarbeiten in der produktionsfrei­en Zeit durchgeführt werden. Das erleich­tert die Arbeit in der Instandhaltung und fördert eine effizientere Produktion. Weitere Unterstützung für die Instand­haltung liefert die App „iMaintenance“, eine Wissensdatenbank mit rund 5000 Seiten zu Materialkunde und Handlungs­empfehlungen. Zeigt eine Maschine einen Fehlercode an, kann der Anwen­dende diesen auf einem Tablet eingeben und erhält eine Schritt-für-Schritt-Anlei­tung. Mit einer weiteren App werden Expert*innen in der Montage über Fehler an einer Anlage informiert.

Chip am Auto

Der Audi-Standort Neckarsulm setzte als erstes Automobilwerk im VW-Konzern die RFID-Technologie zur digitalen Fahr­zeugidentifikation ein. Jeder im Werk gefertigte Wagen erhält bereits beim ers­ten Fertigungsschritt im Karosseriebau ein sogenanntes Tag, bestehend aus einem Chip und einer Antenne. Dieses begleitet jedes Fahrzeug in die Lackiererei, zur Montage und bis zur Auslieferung. Mithilfe eines Lesegeräts können Fahr­zeuginformationen wie Karosserieform, Lackierung, Motorisierung und Ausstat­tung des jeweiligen Autos abgerufen werden. Für ein vollelektrisches Automo­dell gibt es RFID On Metal Tag, der die Karosserie des Wagens als erweiterte Antenne nutzt. Um die hohe Produktqualität gewährleis­ten zu können, sollen mithilfe von künstli­cher Intelligenz Qualitätsmängel aufge­deckt werden. Die eingesetzten Verfahren imitieren die menschlichen Fähigkeiten, Risse in Blechteilen zuverlässig zu erken­nen. Im Hintergrund agiert ein Algorith­mus, der auf tiefen neuronalen Netzen, sogenanntem Deep Learning, basiert. Damit ist er in der Lage, fehlerhafte Teile automatisiert, in Sekundenschnelle und mit höchster Präzision zuverlässig zu erkennen. Dazu wird die Software konti­nuierlich mit Beispielbildern trainiert und verbessert. Im Ingolstädter Presswerk erfassen mehrere Kameras in der Anlage neu produzierte Tiefziehteile. Die Bilder werden in Echtzeit durch den Algorith­mus bewertet. Wird ein Riss identifiziert, werden die Mitarbeitenden über ein opti­sches Signal gewarnt. Dreidimensionale Gebäudescans, Machi­ne Learning und Virtual Reality machen virtuelle Montageabläufe und Logistik­prozesse und die Erprobung ohne physi­sche Prototypen möglich. Sämtliche Mon­tageabläufe sowie die zugehörigen Logis­tikprozesse wurden in virtuellen Räumen erprobt und optimiert, zum Beispiel die exakte Anordnung von Maschinen, Rega­len und Bauteilen entlang der Montagelinie oder ergonomische Aspekte. Hierfür werden die Gegebenheiten in der Produk­tionshalle präzise und maßstabsgetreu durch 3D-Scans abgebildet. Der Scan-Pro­zess erzeugt eine dreidimensionale Punk­tewolke, die für die virtuelle Nachkonstruktion von Maschinen und Infrastruktur genutzt werden kann. Die Mitarbeiten­den können ihre Layout- und Planungs­systeme digital aktualisieren sowie Zeit und Kosten sparen. Kolleg*innen aus aller Welt können sich in virtuellen Räumen treffen, computergenerierten Werkern bei der Verrichtung der geplanten Abläufe über die Schulter schauen und die geplanten Prozesse für beliebige Bauteil­varianten in der Anwendung selbst erle­ben und optimieren.

Virtuelle Anwendungen gefragt

Digitale und virtuelle Anwendungen in Fahrzeugen sind zunehmend gefragt, ergab eine aktuelle Automobilstudie der Unter­nehmensberatung Simon-Kucher & Partners. Befragt wurden über 1400 Konsu­menten, darunter 684 in Deutschland, die restlichen in den USA. Laut der Studie haben die über 50-Jährigen besonderes Interesse an der Verknüpfung des Fahrzeugs mit einer fälschungssicheren, digitalen Aufzeichnung der Eigentumsver­hältnisse, des Kilometerstandes und der Ser­vicehistorie; an der Möglichkeit, ein Elektro­fahrzeug überall aufzuladen, indem man ein universelles Lade- und Zahlungssystem mit einem blockchain-basierten Modul im Fahr­zeug einsetzt; am Überblick zum CO2-Aus­stoß mit Hilfe von Aufzeichnungen durch Blockchains; an der Rückverfolgung von Fahrzeugteilen sowie an einem Modul, das bei Bedarf automatisch kleinere Zahlungen wie Parkgebühren, Mautgebühren oder Kraftstoffkosten ausführt. Für die Generation Z, die 18- bis 34-Jährigen, ist besonders wichtig, dass Beifahrer das Fahrzeug mit einer virtuellen Welt verbin­den und Spiele mit einer VR-Brille verwen­den können, die die Bewegungen des Fahr­zeugs mit einbezieht, sowie die Möglichkeit, neue Autos in einer digitalen Umgebung, beispielsweise Virtual Reality, zu erkunden und virtuell zu konfigurieren und zu testen.

Virtuelle Arbeitsgestaltung

Wie können durch innovative Arbeitsgestaltung Impulse für die Zukunftsfähigkeit industrieller Unternehmen und für die Entwicklung strukturschwacher Regionen gewonnen werden? Können Beschäftigte von digitalen Technologien und virtualisierten Arbeitsprozessen profitieren? Ist Homeoffice auch für Fachkräfte in Industrie und Handwerk denkbar? Diese Fragen sind vor allem für Regionen im Strukturwandel von zunehmender Bedeutung, denn die Leistungs-, Anpassungs- und Innovationsfähigkeit in industriellen und produktionsnahen Betrieben ist eng verbunden mit der Attraktivität der Region als Wirtschaftsstandort und als Lebensumfeld. Von Dr. Volker Hielscher, Geschäftsführer des Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) e.V.

Die genannten Herausforderungen geht das Projekt „Virtuelle Arbeitsgestaltung & Technologien für Innovationen im Struk­turwandel“ (ViSAAR) an, das durch das Bundesministerium für Bildung und For­schung (BMBF) gefördert wird. Im Rah­men des Vorhabens arbeiten vier Institute aus dem Bereich der Wirtschaftsinforma­tik, der Produktionstechnik, der Unterneh­mensförderung und der Arbeitsforschung und sieben mittelständische Unterneh­men des Saarlands zusammen. Ziel des Projekts ViSAAR ist es, kleine und mittelständische Unternehmen in struk­turschwachen Regionen des Saarlands durch innovative organisatorische und digitale Lösungen im Bereich des ortsun­abhängigen Arbeitens zukunftsfähig auf­zustellen. Auch jenseits der Corona-Krise ist dieses Thema für viele Unternehmen und Beschäftigte von einer strategischen Bedeutung. Die virtuelle Steuerung, die digitale Abwicklung der Prozesse und die Integration virtueller Aktivitäten in regu­läre ortsgebundene Tätigkeiten erfordern einen Wandel in den Unternehmen, bei den Führungskräften und den Beleg­schaften. Besonders kommt es darauf an, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Handhabung neuer Geräte und digi­taler Anwendungen sowie bei der Ent­wicklung neuer Arbeitsroutinen zu unter­stützen. Deshalb werden die Belegschaf­ten bereits frühzeitig bei der Konzi-pierung der betrieblichen Maßnahmen und Projekte beteiligt. Welche Maßnahmen in den einzelnen Verbundunternehmen durchgeführt wer­den, hängt vom betriebsindividuellen Bedarf ab und könne sich dabei auf unter­schiedliche Handlungsfelder beziehen:
  • Virtuelle Führung: z. B. ortsunabhängige Interaktionsunterstützung für Mitarbei­tende, dashboard-basiertes Manage­ment, Steuerung am Digitalen Zwilling
  • Virtuelle Kollaboration: z. B. wissensin­tensive Zusammenarbeit von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Technik über Distanzen hinweg
  • Virtuelle Mobilität: z. B. mobiles Arbeiten für jeden Einzelnen, Flexibilisierung des Arbeitsortes, Klimaschutz durch Redu­zierung von Reisetätigkeiten
  • Virtuelle Produktion: z. B. Produktionsas­sistenz während der Arbeitsdurchfüh­rung, Optimierung automatisierter Pro­zesse
  • Virtuelles Coaching: z. B. orts- und zeit­unabhängige Aus- und Weiterbildung, Remote-Schulungen am Arbeitsplatz.
Mit den Unternehmen werden Modelle entwickelt, erprobt und in einen Regelbetrieb überführt. Hierbei werden einer­seits eher bodenständige Lösungen reali­siert, etwa die virtuelle Unterstützung bei der Einrichtung von Baustellen und der Einhaltung der Arbeitssicherheit oder die Remote-Assistenz von Servicetechnikern. Andererseits kommen auch komplexe Technologiekonzepte zum Tragen, zum Beispiel die weltweite technische Inspek­tion von Kraftwerksanlagen, die von Deutschland aus gesteuert wird. Die Umsetzung in den Unternehmen erfolgt unter intensiver Mitwirkung von technischen Fach- und Führungskräften. Die beteiligten Ingenieurinnen und Inge­nieure bringen dabei nicht nur ihre Kom­petenzen für die technische Realisierung ein, sondern auch ihre Fähigkeiten, die vielfältigen Bedarfe im Betrieb zu erken­nen und in nachhaltige Lösungen einflie­ßen zu lassen. Die Konzeption dieser Lösungen erfolgt gemeinsam mit den Unternehmen in einem interdisziplinären Team von Ingenieur*innen aus der Pro­duktionstechnik, von IT-Experten*innen, Sozialwissenschaftler*innen und Unter­nehmensberater*innen. Als Ergebnis entstehen betriebliche Leuchtturmprojekte, die in die Region ausstrahlen sollen. Dies geschieht zum einen über Veranstaltungen mit regiona­len Multiplikatoren wie Wirtschaftsför­derern, Verbänden und Kammern. Zum anderen werden zu bestimmten Themen und Fragestellungen Expert-Groups ein­gerichtet, in denen die ViSAAR-Unterneh­men, technische Expert*innen und Arbeitsforscher*innen zusammenwirken. So wurde in der Startphase eine Expert- Group zum Thema Changemanagement aufgelegt, um das „Anschieben“ der betrieblichen Projekte und die Beteili­gung der Belegschaften zu unterstützen. Für Fragen der technischen und organi­satorischen Gestaltung virtueller Arbeit sollen weitere dieser themenbezogenen Treffen folgen. Perspektivisch sollen die Expert-Groups auch für andere Unter­nehmen der Region geöffnet und somit Lernprozesse von den Vorgehensweisen und Lösungsansätzen des ViSAAR-Pro­jekts ermöglicht werden. Die Ergebnisse des Projekts werden unter dem Blickwin­kel der möglichen Innovationsimpulse für Unternehmen und Region sowie mit Blick auf die Arbeitsqualität der techni­schen Fachkräfte evaluiert.

Gutgekleidete Avatare

Wenn künftig immer mehr Menschen als Avatare zusammenarbeiten sollen, will auch die Mode- und Konsumgüter­industrie ihren Anteil daran haben. Ver­schiedene Unternehmen machen sich bereits Gedanken dazu, wie sie Avatare mit virtuellen Produkten bestücken kön­nen. Laut dem amerikanischen Sender CNBC hat Nike bereits Markenanmel­dungen für virtuelle Turnschuhe und Kleidungsstücke eingereicht. Das Unter­nehmen gründete dafür ein Start-up, das digitale Sneaker und weitere Samm­lerstücke entwirft. Zusammen mit einem Künstler wurden bereits drei Sneakermodelle für 3.000, 5.000 und 10.000 Dollar herausgegeben, die schon von über 600 Personen für ihre Avatare gekauft wurden. Der Showroom für die Kleidung befindet sich bei Nikeland auf der Online-Spieleplattform Roblox.

 
Foto: Nike
Foto: Nike

„Langsam kommen wir wieder vor die Welle“

Im Oktober 2021 wurde in Berlin der KI Park gegründet. Dieser will bis 2030 Deutschlands und Europas Rolle als globaler KI-Technologieführer sichern. Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Sabina Jeschke erklärt, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Die Fragen stellte Sabine Olschner

Wann wurden die Grundlagen für den KI Park gelegt? 2019 war Deutschland in vielen der auf­strebenden technologischen Bereiche, etwa bei der Batterietechnik, beim auto­nomen Fahren und auch bei der künstli­chen Intelligenz, nicht mehr führend. Es gab zu wenige Start-ups, die sich mit dem Thema befassten, zu wenige Treff­punkte, an denen KI-Expert*innen zusammenkommen konnten, und zu wenig Risikokapital für neue Gründun­gen. So entstand bei Deloitte und Inves­ta Real Estate der Wunsch, einen „Cam­pus für KI“, den KI Park, ins Leben zu rufen. Die Berater*innen von Deloitte wollten das Thema Künstliche Intelli­genz in Deutschland mit einem ganz neuen Schwung nach vorn bringen. Und der Immobilienentwickler Investa hatte mit dem Marienpark in Berlin die pas­sende Immobilie, aus der man einen Campus machen konnte. Zusammen wollten sie ein Ökosystem für Menschen aus der KI-Szene schaffen.
Welche großen Themen in der künstlichen Intelligenz müssen wir heute bearbeiten, wenn wir in den nächsten Jahren weltweit vorne mit dabei sein wollen?
Was hat sich seit 2019 getan? Im Jahr 2021, als ich den Vorsitz für den KI Park übernahm, sah es mit der Ent­wicklung der künstlichen Intelligenz in Deutschland bereits anders aus. Inzwi­schen gibt es in vielen Universitäten und größeren Städten Acceleratoren mit dem Schwerpunkt Künstliche Intel­ligenz, die Start-ups unterstützen und fördern. Daher stehen jetzt andere Fra­gen im Mittelpunkt: Welche großen Themen in der künstlichen Intelligenz müssen wir heute bearbeiten, wenn wir in den nächsten Jahren weltweit vorne mit dabei sein wollen? In wel­chen Bereichen wird der Technologie­kampf wirklich entscheidend? Dazu gehören zum Beispiel die Felder Quan­tencomputing, Mobilfunkstandards 5G und 6G oder Explainable AI. Diese Themen wollen wir mit dem KI Park pushen. Wir streben einen großen Wurf an, einen wirklich bedeutenden Schritt nach vorn. Wie soll das konkret funktionieren? Fast alle Start-ups stehen vor den glei­chen Problemen: Sie benötigen ver­nünftige und finanzierbare Flächen für ihre Geschäftsräume, die bei Bedarf schnell und unkompliziert vergrößert werden können. Sie brauchen Rechts­beistand, Steuerberater, eine Infrastruk­tur für die Telekommunikation, Zugang zu Bibliotheken, zu Software, zu Clouds und High Perfomance Computing. Weil jedes Start-up bei all diesen Fragen wie­der von vorn beginnen muss, geht viel Kraft und Zeit nicht in die Produktent­wicklung – da aber gehört sie hin. Unsere erweiterten Services unterstüt­zen die Start-ups dabei, dass sie fokus­siert an ihrem Produkt arbeiten und es weiterentwickeln können. Dadurch werden sie schneller, weil sie weniger administrativen Aufwand haben, um ihr Unternehmen überhaupt erst ein­mal ans Laufen zu bekommen. Künftig wollen wir auch bei der Finanzierung helfen, indem wir einen Pool an Inves­toren schaffen, mit denen sich unsere Start-ups in einem effizienten Prozess verknüpfen können. Darüber hinaus bieten wir Weiterbildungen, Schulun­gen und Netzwerkveranstaltungen an. Die Startfinanzierung ist durch die zwölf Gründungsmitglieder gesichert. Derzeit bauen wir weitere Partner­schaften auf, insbesondere auch für die Finanzierung der Start-ups.

Der Einfluss künstlicher Intelligenz auf die Gesellschaft

Die Volkswagenstiftung fördert sieben Projektkonsortien aus den Gesell­schafts- und Technikwissenschaften mit insgesamt 9,8 Mio. Euro. In Projek­ten wie „Towards Responsible AI in Local Journalism“, „The Answering Machine“ oder „From Machine Lear­ning to Machine Teaching (ML2MT) – Making Machines AND Humans Smarter“ antizipieren die Forschenden die Auswirkungen der KI auf die Gesellschaft und wie man diese posi­tiv gestalten könnte.

Was muss ein Start-up tun, um dieser Unterstützung profitieren zu können? Wichtig ist uns, dass es sich um ein wirkliches KI-Start-up handelt, mit einem ambitionierten Programm im Bereich KI. Solche Start-ups können sich einfach informell über unsere Website melden, und wir laden sie zu einem Kennenlerngespräch ein. Da der KI Park erst im Oktober 2021 an den Start gegangen ist, sind wir noch aufnahme­fähig und können unser Gelände in Ber­lin oder auch weitere Satellitenflächen noch ausbauen. Der erste Satellit wird derzeit in Nürnberg-Erlangen gebaut, und wir planen einen weiteren in Nord­deutschland. Denn es gibt auch außer­halb von Berlin interessante Start-ups, die es wert sind, gefördert zu werden. Wir wollen perspektivisch viele Plätze in Europa finden, an denen sich Univer­sitäten und Forschungseinrichtungen befinden, die weniger im Fokus stehen wie bekannte Einrichtungen etwa in Berlin, Frankfurt oder München. Wir wollen uns nicht nur auf große Bal­lungsgebiete konzentrieren, sondern auch KI-Expert*innen aus anderen Orten für die KI-Community gewinnen. Was glauben Sie, wo wird Deutschland in fünf oder zehn Jahren beim Thema KI stehen? Ich glaube, dass wir in den vergange­nen Jahren gelernt haben, wieder schneller zu sein und kritischer auf uns selbst zu schauen. Zu oft und in zu vie­len Feldern haben wir den technologi­schen Vorsprung, für den wir in Deutschland und Europa bekannt waren, verloren. Mittlerweile ist es aber wieder besser geworden, weil wir gemerkt haben, dass wir anderen Län­dern das Feld überlassen haben. Die vorherige Bundesregierung hat bereits damit begonnen, das Thema Quanten­computing – eins der wichtigsten Fel­der überhaupt – mit hohen Summen zu fördern. Schon jetzt gibt es Förde­rungen für den 6G-Standard, der vor­aussichtlich im Jahre 2027/28 zur Anwendung kommt. Es haben sich mehr KI-Start-ups gegründet, die Großunternehmen setzen auf KI. Lang­sam kommen wir wieder vor die Welle. Wenn wir die Luft nicht wieder raus­lassen, haben wir als Deutschland und Europa die Chance, auf diesem Gebiet perspektivisch ganz vorne mitzuspielen.

Wie nachhaltig ist künstliche Intelligenz?

Erstmals ist ein Forschungsteam von AlgorithmWatch, dem Institut für öko­logische Wirtschaftsforschung (IÖW) und dem Distributed Artificial Intelli­gence Laboratory der Technischen Uni­versität Berlin mit Förderung durch das Bundesumweltministerium der Frage nachgegangen, wie soziale, öko­logische und ökonomische Wirkungen von KI-Systemen systematisch und vergleichbar analysiert werden können . Darauf aufbauend hat das Team einen Kriterien- und Indikatorenset für nachhaltige KI entwickelt.

Grenzen zwischen Engineering und IT lösen sich auf

Die Arbeit von Engineering-Dienstleistern verändert sich im Zuge der Digitalisierung. Worauf müssen sich die externen Entwicklungsexpert*innen künftig einstellen? Von Sabine Olschner

Die Digitalisierung von Prozessen in Pro­duktion, Forschung und Entwicklung sowie im gesamten Produktlebenszyklus verändert die Anforderungen, die Kunden an Engineering-Dienstleister stellen. Dies geht aus der Studie „Der Markt für Engi­neering Services in Deutschland“ hervor, die das Marktforschungsunternehmen Lünendonk in Zusammenarbeit mit den Engineering-Dienstleistern Brunel, Cap­gemini Engineering, EDAG und Modis durchgeführt hat. Demnach beobachten 83 Prozent der befragten Engineering- Dienstleister, dass insbesondere die Kom­bination aus Engineering- und IT-Services ein wichtiges Kriterium für die Wahl eines Engineering-Dienstleisters ist. 72 Prozent geben an, dass ihre Kunden sogar explizit eine hohe Softwareentwicklungs­kompetenz erwarten. Die Grenzen zwi­schen Engineering und IT werden also immer mehr verschwimmen, weil sich die Projektinhalte selbst sowie die für deren Umsetzung erforderlichen Kompe­tenzen zunehmend überschneiden.
Absolvent*innen, die sowohl Ingenieur- als auch IT-Kenntnisse mit­bringen, sind besonders gefragt.
Der Anteil von Software in den Produkten steigt immer mehr und damit auch der Bedarf an Systemintegration, Datenana­lysen und IT-Betriebsleistungen. Derzeit erzielen laut Lünendonk die Enginee­ring-Dienstleister im Durchschnitt bereits 16,3 Prozent ihrer Umsätze mit IT-Services wie IT-Consulting, Software­entwicklung und Systemintegration. Das Marktforschungsunternehmen erwartet, dass dieser Anteil in den kommenden Jahren infolge der sich durch die Digitali­sierung verändernden Kundenanforde­rungen stark ansteigen wird. Aber auch der Umsatzanteil mit Embedded Sys­tems, einem klassischen Tätigkeitsfeld von Engineering-Dienstleistern, steigt: Im Corona-Krisenjahr 2020 konnten die befragten Engineering-Dienstleister ihre Umsatzanteile mit der Entwicklung und Einführung von Embedded Systems deutlich erhöhen – in einem Jahr von 10,5 Prozent auf 11,3 Prozent. Als Gründe nennt Lünendonk die im Jahr 2020 getä­tigten Investitionen in die digitale Trans­formation, vor allem im Wandel zur Industrie 4.0. Die Lünendonk-Studie zeigt auch, dass die ebenfalls befragten Industrieunter­nehmen vor allem in der Produktentwick­lung, in der Digitalisierung der Steuerung von Industrieanlagen (Operational Tech­nology – kurz OT) und der damit verbun­denen OT/IT-Integration große Zukunfts­aufgaben und Herausforderungen sehen. Allerdings fehlen ihnen Digital-Expertin­nen und -Experten für die Umsetzung dieser Aufgaben, so dass sie von steigen­den Ausgaben für externe Dienstleister ausgehen. Absolvent*innen, die sowohl Ingenieur- als auch IT-Kenntnisse mit­bringen, sind also besonders gefragt. Ein überwiegender Teil der Engineering- Dienstleister erwartet durch die Themen „Digital Engineering“, „Cloud-native Soft­wareentwicklung“ und „Agile Software­entwicklung“ einen hohen bis sehr hohen Einfluss auf den zukünftigen Geschäftserfolg. Kenntnisse über digitale Technologien gewinnen also für Enginee­ring-Dienstleister deutlich an Relevanz. Besonders gefragt sind Mitarbeitende mit interdisziplinären Kompetenzen aus Engineering und IT.

Was machen Engineering-Dienstleister?

Engineering-Dienstleister, auch Entwicklungsdienstleister genannt, unterstützen Industrieunternehmen bei deren Entwicklungsaufgaben. Sie übernehmen für die verschiedensten Branchen die Entwicklung von Gesamt- oder Teilsystemen, von Software, Hardware oder IT-Services. Zudem beraten sie beim Projektmanagement. Die externen Spezialisten leisten einen wichtigen Beitrag zur Innovationstätigkeit der Industrieunternehmen und sind beliebte Arbeitgeber bei Jungingenieur*innen.

Kuratiert – Tipps und Termine für (angehende) Ingenieure

0

Life Cycle Engineering

Die Ingenieurkammer Niedersachsen bietet am 22. Juni 2022 von 9 bis 16:30 Uhr für Ingenieur*innen das Online-Seminar „Life Cycle Engineering für (junge) Ingenieure“ an. Dozent ist Prof. Dr. Martin Pfeiffer aus der Abteilung Maschinenbau und Bioverfahrenstechnik an der Hochschule Hannover. Es geht um Nachhaltigkeit im gesamten Lebenszyklus von Bauwerken. Angesprochen sind Ingenieur*innen aller Fachrichtungen. Das Seminar kostet 160 Euro für Mitglieder der Ingenieurkammer, 260 Euro für Gäste.

Geringes Interesse an Elektrotechnik

Die Lücke zwischen Absolvent*innenzahlen und dem steigenden Bedarf an Elektroingenieur*innen nimmt dramatische Ausmaße an. Zu diesem Ergebnis kommt die neue VDE Studie „Arbeitsmarkt 2022 – Elektroingenieurinnen und Elektroingenieure: Zahlen, Fakten, Schlussfolgerungen“. Treiber für den hohen Bedarf an Elektroingenieur*innen sind die Energiewende, die Digitalisierung, die E-Mobilität, autonomes Fahren und Industrie 4.0. Auf der anderen Seite beobachtet der VDE seit Jahren mangelndes Interesse am Elektrotechnik-Studium, während Informatik immer größeren Zulauf hat. Ein Grund dafür könnte sein, dass Informatik stärker mit modernen Themen wie Künstliche Intelligenz, Big Data oder Embedded Systems assoziiert wird. Der Verband arbeitet derzeit an einer groß angelegten Imagestudie zur Elektro- und Informationstechnik. Quelle: www.vde.com

Qualitätsstandards für KI-Testdaten

Der Verband der Elektrotechnik (VDE) entwickelt zusammen mit Partnern Qualitätsstandards für KI-Test- und Trainingsdaten. Bisher erfüllen diese Daten zur Entwicklung von KI-Anwendungen keine einheitlichen Vorgaben. Das Forschungsprojekt KITQAR schafft nun als Grundlage für die europäische Standardisierung ein Framework für die Datenqualität, das technische, rechtliche, ethische und soziale Aspekte enthält. „KI-Anwendungen lernen auf Basis von Daten. Diese Daten müssen nicht nur technisch einwandfrei sein, sie müssen auch dafür sorgen, dass die Anwendung diskriminierungsfrei arbeitet. Es geht um die Herkunft der Daten, Transparenz, Datenschutz, Haftung und viele weitere Fragen“, erklärt der VDE. Das Forschungsprojekt soll diese Fragen auf Basis von Datensätzen aus der Praxis und synthetischen Daten beantworten. Ein teilautomatisiertes Testkit soll Anwender*innen künftig die Bewertung der Datenqualität erleichtern. Quelle: www.vde.com

Zur Lage im Mittelstand

Auf der einen Seite freuen sich Unter­nehmen etwa aus den Branchen Che­mie, Pharma, Maschinenbau und Bauin­dustrie über eine zum Teil hervorragen­de Geschäftslage und volle Auftrags- bücher. Auf der anderen Seite leidet die Autobranche unter der Halbleiterkrise und Produktionsausfällen und verzeich­net massive Umsatzrückgänge. Laut dem EY Mittelstandsbarometer, einer repräsentativen Befragung von 800 mittelständischen Unternehmen in Deutschland, bezeichnen über alle Branchen hinweg derzeit 52 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftslage als gut. Die Spanne reicht dabei von 72 Pro­zent in der chemisch-pharmazeutischen Industrie, 61 Prozent bei Bauunterneh­men, 51 Prozent im Maschinenbau bis zu 29 Prozent in der Automobilbranche. Nur neun Prozent der befragten Mittel­ständler bewerten ihre aktuelle Lage als schlecht oder eher schlecht. Jedes neun­te Unternehmen aus der Metallindustrie sieht sich in einer eher oder gar sehr kritischen Verfassung. Vor allem strukturelle Themen treiben die Unternehmen um: Als große Gefahr für das eigene Unternehmen bezeich­nen derzeit 67 Prozent der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel – im Vorjahr lag der Anteil noch bei 54 Prozent. Und hohe Rohstoffpreise berei­ten 63 Prozent (Vorjahr: 38 Prozent) der Unternehmen Sorgen, während Hacker­angriffe aus Sicht von 61 Prozent eine Gefahr darstellen – vor einem Jahr waren erst 50 Prozent dieser Meinung. Die Pandemie stellt „nur“ für 54 Prozent der Mittelständler eine Gefahr dar, eine schwache Konjunkturentwicklung für 51 Prozent.
Als große Gefahr für das eigene Unternehmen bezeich­nen derzeit 67 Prozent der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel.
In den kommenden Monaten wollen die Unternehmen ihre Investitionen unterm Strich spürbar erhöhen: Knapp jeder dritte Betrieb will die Investitio­nen hochfahren, nur fünf Prozent wol­len weniger investieren als im Vorjahr. Die größten Herausforderungen dabei sind die aktuellen Lieferengpässe sowie hohe Rohstoff- und Energiepreise. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Neueinstellungen: 34 Prozent planen, die Zahl der Beschäftigten zu erhöhen, nur bei sechs Prozent soll die Zahl der Mitarbeitenden sinken. Der bereits bestehende Fachkräftemangel wird sich jedoch noch weiter verschärfen. Bereits heute beklagen 80 Prozent der Unter­nehmen, dass es ihnen schwerfalle, neue und ausreichend qualifizierte Mit­arbeitende zu finden. Besonders hoch ist der Anteil bei Mittelständlern aus der Elektrotechnikbranche (94 Prozent), der chemisch-pharmazeutischen Indus­trie (90 Prozent) sowie der Metallerzeu­gung und -verarbeitung (88 Prozent). Deutlich entspannter ist die Lage im Kfz-Bau (66 Prozent).

Pop-Office: Arbeitsplatz der Zukunft?

Carlos Kuchkovsky, Gründer der Firma Remotefulness, rechnet damit, dass viele Unternehmen langfristig gar keine eigenen Arbeitsplätze mehr vorhalten werden und die Mitarbeitenden stattdessen dauerhaft von zu Hause arbeiten. Seine Lösung für die neue Arbeitswelt: Pop-Offices. Von Sabine Olschner

Eine der wenigen guten Dinge der Coro­na-Pandemie ist die zunehmende Anzahl von Homeoffice-Arbeitsplätzen. Viele Beschäftigte haben es zu schätzen gelernt, ihre Arbeit von zu Hause erledi­gen zu können. Das hat Folgen für die Unternehmen: „In dem Maße, wie sich Telearbeit durchsetzt, wird es für immer mehr Unternehmen absurd, weiterhin für Büros zu bezahlen, die praktisch leer stehen“, sagt Kuchkovsky. Er stützt seine Annahme unter anderem auf die eine Umfrage der US-amerikani­schen Freiberufler-Plattform Upwork unter mehr als 1000 Personalverantwort­lichen. Die Studie hat ergeben, dass 40,7 Millionen Amerikaner damit rechnen, ab 2026 remote zu arbeiten – das sind fast 28 Prozent der Befragten. „Es ist eine neue Epoche angebrochen, die auch eine neue Art des Arbeitens mit sich bringt“, ist Kuchkovsky überzeugt. Fernarbeit hat auf jeden Fall die Art und Weise, wie Teams zusammenarbeiten, verändert. „Es ist nicht dasselbe, ob man von Angesicht zu Angesicht arbeitet oder von unterschiedlichen Orten aus“, so der Unternehmensgründer. „Beschäftigte müssen sich an diese neue Realität anpassen – was nicht immer leicht ist.“ Nach zwei Jahren Pandemie, in denen sich die Fernarbeit konsolidiert hat, gehö­ren seiner Ansicht nach zu den häufigs­ten Defiziten in Fernarbeitsteams die Erosion der Unternehmenskultur und der Beziehungen, Burnout und psychische Gesundheitsprobleme, mangelnder Teamzusammenhalt, schlechtes Onboar­ding-, Entwicklungs- und Leistungsmanagement, Schwierigkeiten bei der Anpassung an die Unternehmenskultur, die Visionen und die Ziele des Unterneh­mens sowie der Verlust von Talenten.
Der Vorteil für die Unternehmen: Sie verbessern die Produktivität ihrer Beschäftigten sowie die Unterneh­menskultur und sparen gleichzeitig Kosten ein.
Hier kommt die Firma Remotefulness ins Spiel: „Viele Arbeitgeber haben erkannt, dass es in den Teams wichtig ist, sich von Zeit zu Zeit physisch zu tref­fen“, erklärt Kuchkovsky. Das verbessere den Teamzusammenhalt, die Produkti­vität, die Motivation und das Vertrauen der Mitarbeitenden. Doch wo treffen, wenn Büros, wie wir sie kennen, im Begriff sind zu verschwinden? Für diese Zwecke bietet das Start-up seinen Kun­den Pop-Offices an: Orte, an denen die Teams für einige Zeit zusammen arbei­ten und lernen können. Neben den Arbeitsplätzen will Remotefulness auch Weiterbildungen zu Wissensgebieten anbieten, die die Welt verändern: etwa zur Zukunft der Arbeit, nachhaltigem Wandel oder neuen 4.0-Technologien. „Der Vorteil für die Unternehmen: Sie verbessern die Produktivität ihrer Beschäftigten sowie die Unterneh­menskultur und sparen gleichzeitig Kosten ein. Zwei oder drei Retreats pro Jahr sind günstiger als die Kosten für Büros in verschiedenen Ländern der Welt“, sagt Kuchkovsky. Vor allem Unternehmen aus den Bereichen Deep Tech, Fintech und Nachhaltigkeit spricht er mit seinem Angebot an sowie ande­re, die für neue Ansätze offen sind. Der Gründer ist überzeugt: Fernarbeit ist nicht mehr rückgängig zu machen. Und die Arbeitgeber erkennen, dass sie ihren Mitarbeitenden mehr Flexibilität bieten müssen, wenn sie sie an sich binden wollen. „Mehr Freiheiten bei der Wahl der Arbeitszeit und des Arbeitsortes, weniger Emissionen, Einsparen von Zeit und Geld – es gibt aus unserer Sicht viele Argumente, die für ein dauerhaf­tes Remote-Modell sprechen“, so Kuch­kovsky.