Kuratiert

Pandemien verhindern

Wie das Ärzteblatt im Januar 2022 berichtet hat in einem Report in „Science Advances“ eine internationale Forschergruppe eine Reihe von präventiven Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Pandemien gefordert: „Eine direkte Gefahr gehe vermutlich von der industrialisierten Viehwirtschaft aus, vor allem, wenn die Ställe sich in der Nähe natürlicher Forsten befänden. […] Eine Forderung der Experten ist deshalb, die Zahl der Veterinäre zu erhöhen, die regelmäßig die Viehbestände auf neue Viren überprüfen müssten. Eine weitere Maßnahme wären Einschränkungen des Wildtierhandels. […] Eine steigende Gefahr geht nach Ansicht der Forscher auch von der Abholzung der Regenwälder aus. In den gerodeten Regionen siedeln sich häufig Menschen an, die durch ihre Tätigkeit in Waldnähe gefährdet sind, sich mit zoonotischen Viren zu infizieren. […] Die Abholzung des Regenwaldes sollte deshalb auch zum Schutz vor neuen Pandemieerregern reduziert werden. Eine weitere Maßnahme wäre die Einrichtung einer globalen Datenbank für Virusgenome. Die Speicherung der Gendaten könnte es Forschern in Zukunft erleichtern, den Ursprung der Epidemie zu orten und dadurch die Ausbreitung zu stoppen.“

Nachhaltige Reifen durch Löwenzahn

Kein Fahrzeug kommt ohne Reifen aus Gummi aus. Die Pneus sind Hightech-Produkte mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Sie in dieser Qualität zu fertigen, gelingt nur durch Kautschuk aus der Natur. Doch der hochwertige Rohstoff ist rar. Wie lässt sich die Nutzung der Vorzüge von Naturkautschuk auch künftig gewährleisten – und zugleich auf eine nachhaltige Basis stellen? Dr. Carla Recker, Prof. Dr. Dirk Prüfer und Dr. Christian Schulze Gronover haben darauf eine passende Antwort gefunden. Sie fußt auf dem Russischen Löwenzahn – einer unscheinbaren Pflanze mit ungewöhnlichen Eigenschaften. Denn sie stellt eine alternative Quelle für den begehrten natürlichen Rohstoff dar, der bislang ausschließlich aus Kautschukbäumen gewonnen wird. Das Team aus Hannover und Münster hat gezeigt: Mit Kautschuk aus Russischem Löwenzahn lassen sich auf ökologisch verträgliche Weise Produkte herstellen, die denen mit Kautschuk aus herkömmlicher Fertigung ebenbürtig sind. www.deutscher-zukunftspreis.de

Im Dienst der Naturwissenschaften

Bereits 1995 gründete der Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) die nach ihm benannte Klaus-Tschira-Stiftung, die bis heute zu den großen gemeinnützigen Stiftungen Europas zählt, die mit privaten Mitteln ausgestattet wurden. Sie fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte die Wertschätzung für diese Fächer in der Gesellschaft steigern. Das Engagement der KTS beginnt dabei im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Wer einmal mit Kindergartenkindern einen Regenbogen beobachtet hat, lässt sich wieder anstecken von der Faszination für Naturphänomene. Wie die Lebensläufe vieler erfolgreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, ist dieses frühe Interesse die Basis für eine spätere intensive Beschäftigung mit den Naturwissenschaften.

Spezialisiert! Buch-, Link- und Veranstaltungstipps

„Stumme Erde“

Cover Stumme ErdeInsekten mögen klein sein, aber sie verrichten die großen Arbeiten auf unserer Erde. Sie entsorgen Abfälle, bestäuben Pflanzen, ernähren unzählige Tierarten und bereichern die Welt mit ihrer vielgestaltigen Schönheit. Dennoch wird ihr Beitrag kaum wahrgenommen und Tag für Tag sterben hunderte Arten aus. Was bedeutet ihr Verschwinden für uns Menschen? Dave Goulson zeichnet das Bild vom Aufstieg und Niedergang der Insekten. Wie kein anderer vermag er vorwegzunehmen, was genau passieren wird, sollte das Insektensterben nicht gestoppt werden. Ein Leben ohne Himbeeren und Schokolade ist sicherlich vorstellbar, globale Hungersnöte sind jedoch die ernste Folge des Insektensterbens. Wer „Stumme Erde“ liest, wird Insekten mit anderen Augen sehen lernen und handeln. Dave Goulson: Stumme Erde. Hanser 2022. ISBN 978-3-446-27267-5. 25 Euro

Welt der Physik

Podcasts, Nachrichten, Interviews und Wissenswertes aus dem Reich der Physik bietet die Webseite www.weltderphysik.de des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG).

Die 3 großen Fitmacher

Cover Die 3 grossen FitmacherMedizin so erklärt, dass es jeder versteht – das ist das Motto des bekannten NDR-Fernsehmediziners Dr. Johannes Wimmer, dem er auch mit seinem neuen Ratgeber treu bleibt. Dieses Mal geht er drei großen Themen auf die Spur: dem wichtigen Thema „gesunder Schlaf“, dem „Darkroom“ Bauch sowie unserem nicht erst durch Corona in den Fokus geratenen Immunsystem. Woher kommen unsere Schlafprobleme? Wieso sind chronische Erkrankungen so ein großes Thema? Wie kann das Immunsystem auf gesunde Weise geboostert werden? Er erklärt und veranschaulicht auf unterhaltsame Art, wie Krankheiten entstehen, wie man sich dagegen schützt und was man tun kann, wenn man darunter leidet. Dr. med. Johannes Wimmer: Die 3 großen Fitmacher. Warum Darmgesundheit, gesunder Schlaf und ein starkes Immunsystem überlebenswichtig sind. ISBN 978-3-8338-7873-2. 14,99 Euro.

Ozean-Dekade

Foto: AdobeStock/EwaStudio
Foto: AdobeStock/EwaStudio
Die in 2021 gestartete „UN-Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung (2021 bis 2030)“ hat das weltweite Ziel, die zentrale Rolle des Ozeans für das Ökosystem Erde stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, Wissen zu schaffen, bestehendes Wissen zu bündeln und dieses verfügbar zu machen – zum Beispiel in einem regelmäßig erscheinenden Podcast, der darauf abzielt, durch persönliche Erfahrungen, Geschichten und Perspektiven vielfältige Erkenntnisse aus der Meeresforschung zu vertiefen und kritisch zu hinterfragen. Die interviewten Meeresforscherinnen und Meeresforscher berichten sowohl von ihrem Ocean Decade Laboratorys, als auch über aktuelle Entwicklungen aus ihrem Forschungsgebiet. Darüber hinaus teilen sie ihre Faszination für den Ozean mit den Hörerinnen und Hörern.

Deutsche Biotechnologietage

Die Deutschen Biotechnologietage – kurz DBT – werden vom Branchenverband BIO Deutschland organisiert und sind Treffpunkt für Unternehmer, Forscher, Politiker, Förderinstitutionen und Verwaltung. Die Konferenz befasst sich in Plenarvorträgen, Podiumsdiskussionen und Frühstücksrunden mit den Rahmenbedingungen und den vielfältigen Anwendungsfeldern der Biotechnologie und findet jährlich an wechselnden Orten statt.

Hintergründe des Klimawandels

Foto: AdobeStock/Halfpoint
Foto: AdobeStock/Halfpoint
Die Fridays-for-Future-Bewegung hat es geschafft, was jahrzehntelange Forschung nicht vermocht hat: Am Thema Klimawandel führt in kaum einer gesellschaftlichen Debatte noch ein Weg vorbei. Wie man mit der Klimakrise umgehen kann, darüber herrscht jedoch keine Einigkeit. Das Phänomen ist sehr komplex, und die möglichen Lösungen für die Krise stellen unsere Lebensweise grundlegend in Frage. Der Oekom Verlag stellt Bücher über die Hintergründe des Klimawandels vor, die zeigen, wie Politik, Wissenschaft und Gesellschaft ihm begegnen können.

Wer singt denn da?

Foto: AdobeStock/Steve Byland
Foto: AdobeStock/Steve Byland
Von A wie Amsel bis Z wie Zilpzalp – in Deutschland findet sich mit 510 Singvögeln eine enorme Artenvielfalt. Je nach Region und Landschaft lassen sich verschiedene Exemplare identifizieren. Beim Beobachten ist es sogar möglich, spezifische Merkmale zu bestimmen sowie etwas über das jeweilige Revier- und Balzverhalten herauszufinden. Doch warum zwitschern Buntspecht, Rotkehlchen und Co. überhaupt? Und warum ist der Artenschutz für ihr Überleben so wichtig? All diese Fragen beantwortet das FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht in der Filmproduktion „Einheimische Singvögel“, die als DVD und in der Mediathek erhältlich ist.

Museum of the Future

Foto: MOTF Fatma AlMheiri
Foto: MOTF Fatma AlMheiri
Im Februar 2022 öffnete das Museum of the Future in Dubai seine Türen für Besucher. Die Ausstellungen drehen sich um neueste Entwicklungen aus Technik, Wissenschaft und Gesellschaft und stellen innovative Projekte von Talenten, Erfindern und Kreativschaffenden vor. Außerdem gehen sie der Frage nach, wie den großen Herausforderungen für die Menschheit, etwa dem Klimawandel, in Zukunft begegnet werden kann. Das siebenstöckige futuristische Gebäude mit einer 17.000 Quadratmeter großen Edelstahlfassade kommt ganz ohne Säulen aus. Der ovale Bau soll an ein Auge erinnern, durch das Besucher zukünftig sinnbildlich einen Blick in die Zukunft wagen.

Das letzte Wort hat: Dr. Suzanna Randall, Astrophysikerin auf dem Weg ins All

Dr. Suzanna Randall wurde 1979 in Köln geboren und studierte Astronomie am University College London. Von 2002 bis 2005 war sie Doktorandin der Astrophysik an der Universität Montreal in Kanada. Heute forscht sie am European Southern Observatory (ESO) und wird seit 2018 zur Astronautin ausgebildet. Die Fragen stellte Christiane Martin.

Frau Dr. Randall, Sie wollen als erste deutsche Frau ins Weltall fliegen – nachdem bereits zwölf deutsche Männer dort waren. Warum ist Gleichberechtigung auch im All wichtig? Zum einen, um ein Zeichen zu setzen: Astronaut*innen stehen im Fokus der Öffentlichkeit und sind für viele Kinder und Jugendliche ein Vorbild, da ist es immens wichtig, dass auch Frauen repräsentiert sind. Zum anderen werden auf der Internationalen Raumstation viele medizinische Experimente am eigenen Körper durchgeführt – und wenn es da fast nur männliche Probanden gibt, kommen die Erkenntnisse vor allem Männern zugute. Stichwort Gender Data Gap. Was haben Sie auf der Internationalen Raumstation vor – welche Experimente planen Sie? Zum Beispiel wollen wir untersuchen, wie sich unsere Augen in der Schwerelosigkeit verändern. Einige männliche Astronauten scheinen im Weltraum an Sehkraft einzubüßen, bei Frauen ist das noch nicht gut untersucht. Wir planen auch ein Experiment zum weiblichen Hormonhaushalt. Was fasziniert Sie am meisten am Weltall? Mich persönlich fasziniert das Unvorstellbare. Die Dimensionen, von denen wir beim Weltall sprechen, sind für unsere menschlichen Gehirne nicht greifbar: Zum Beispiel ist die Sonne 4,5 Milliarden Jahre alt. Und obwohl sie bei Weitem unser nächster Stern ist, ist sie immerhin 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Das sind Zahlen, die mit unserem täglichen Leben nichts zu tun haben – und alles etwas relativieren. Im Vergleich zum Universum sind wir und die Probleme, mit denen wir uns alle rumschlagen, winzig klein! Sie sind nicht nur Astrophysikerin, sondern auch Buchautorin. Verraten Sie uns, worum es in Ihrem neuen Buch gehen wird? In meinem Buch „Wellenreiten im Weltall“ nehme ich Euch mit auf eine Reise durchs Universum – zu fernen Galaxien, bunten Sternen und exotischen Planetenwelten. Dabei folgen wir immer den Spuren des sichtbaren und (für unsere Augen) unsichtbaren Lichts, von langen Radiowellen bis hin zur hochenergetischen Gammastrahlung. So können wir das große Ganze sehen, und dem Weltall seine dunkelsten Geheimnisse entlocken. Was können Sie jungen Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern mit auf den Weg geben, die am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn stehen? Habt Freude an dem, was Ihr tut! Nur so könnt Ihr auch wirklich Euer Bestes geben und die Chance, mit Euren Vorhaben erfolgreich zu sein, steigern. Und wenn es trotzdem nicht klappen sollte (was jeder und jedem mal passiert!) habt ihr zumindest Spaß dabei gehabt!

Buchtipp

Suzanna Randall: Wellenreiten im Weltall. Eine Reise durchs Universum. Gräfe und Unzer 2022. ISBN 978-3-8338-8380-4. 22 Euro.

karriereführer digital 2022.2023 – Grenzenlos digital: Gefragt sind Interdisziplinarität und digitales Mindset

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cover karrierefuehrer digital 2022-2023

Grenzenlos digital: Gefragt sind Interdisziplinarität und digitales Mindset

Wer davon ausgeht, die Digitalisierung sei irgendwann abgeschlossen, begeht einen großen Denkfehler. Das Gegenteil ist der Fall: Je weiter ein Prozess fortschreitet, desto stärker verästelt er sich. Für die deutsche Vorgehensweise, die Sachen gerne abhakt, ist das ein Problem. Umso mehr ist ein Mindset gefragt, dass die transformative Dynamik immer weiter antreibt. Wohlwissend, dass dadurch die Lösungen entstehen, die Wirtschaft und Gesellschaft dringend benötigen.

Grenzenlos digital

Wer davon ausgeht, die Digitalisierung sei irgendwann abgeschlossen, begeht einen großen Denkfehler. Das Gegenteil ist der Fall: Je weiter der Prozess fortschreitet, desto stärker verästelt er sich. Für die deutsche Vorgehensweise, die Sachen gerne abhakt, ist das ein Problem. Umso mehr ist ein Mindset gefragt, dass die transformative Dynamik immer weiter antreibt. Wohlwissend, dass dadurch die Lösungen entstehen, die Wirtschaft und Gesellschaft dringend benötigen. Ein Essay von André Boße

Was als „digitalisiert“ gilt und was nicht, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. In manch einer Schule oder Hochschule gelten Unterrichtsstunden oder Seminare schon dann als „hybrid“, wenn Lehrkraft oder Dozent*in mit ihrem Smartphone die Tafel abfilmen und anschließend Arbeitsblätter mailen, die man sich zu Haus ausdrucken soll. Und nicht wenige Verwaltungen verkaufen digitale Offensiven mit der neuen Möglichkeit, Vor-Ort-Termine nun auch online organisieren zu können – häufig mit Hilfe von Tools, die Erinnerungen an das Zeitalter des Uralt-Betriebssystems MS-DOS von Microsoft wecken.

Digitalisierung: Daten und Gesellschaft

Um auf einen Nenner zu kommen: Was also bedeutet Digitalisierung überhaupt? Bettina Distel ist Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement an der Universität Münster, in einem Aufsatz für die Schriftenreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung hat sie Digitalisierung wie folgt definiert: „Der Begriff der Digitalisierung bezieht sich einerseits auf die Umsetzung analoger Daten und Informationen in digitale Formate und andererseits auf die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die durch den Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnik entstehen.“ Ihr Text, erschienen im März 2022, trägt den Titel „Digitalwüste Deutschland? – Digitalisierung im internationalen Vergleich“. Beantworten will die Autorin darin die Frage, ob Deutschland tatsächlich in einer digitalen Krise steckt – eine Krise, die durch die Pandemie in absoluter Schonungslosigkeit offengelegt wurde, wie kritische Geister sagen. Haben diese Stimmen recht?
Digitale Spaltungen verlaufen in Deutschland sowohl entlang der Zugänglichkeit digitaler Infrastrukturen als auch entlang ihrer Nutzbarkeit für verschiedene Bevölkerungsgruppen.
Wie so oft, die Wahrheit liegt in der Mitte. Bewertet man die digitale Infrastruktur in Deutschland sowie die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung, stehe die Bundesrepublik nicht so schlecht da, schreibt Distel. Jedoch gelte dies nicht für alle Teile der Bevölkerung im gleichen Maße: „Digitale Spaltungen verlaufen in Deutschland sowohl entlang der Zugänglichkeit digitaler Infrastrukturen als auch entlang ihrer Nutzbarkeit für verschiedene Bevölkerungsgruppen.“ So zeigte sich zum Beispiel, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad das Internet im Allgemeinen sowie zentrale digitale Services wie E-Learning- Angebote oder die Online-Beteiligung an demokratischen Verfahren „im EU-weiten Vergleich unterdurchschnittlich oft nutzen, während Bürger*innen mit einem hohen formalen Bildungsgrad dies überdurchschnittlich häufig tun“, schreibt Bettina Distel.

Krisensymptom: Transformation verliert an Dynamik

Deutscher Digitalisierungsindex: Von 100 auf 108

Das Bundesministerium für Klimaschutz und Wirtschaft ermittelt jährlich den Digitalisierungsindex der deutschen Wirtschaft, der anhand externer und interner Faktoren wie Prozessen und Produkten, Geschäftsmodellen und Qualifizierungen, technischer Infrastruktur oder rechtlichen Rahmenbedingungen erstellt wird – aus Sicht der Unternehmen. Lag dieser 2020 noch bei 100 Punkten, ist er 2021 auf 108 Punkte gestiegen, heißt es in der Langfassung der Ergebnisse im Report „Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland“, veröffentlicht Anfang 2022. Den stärksten Zuwachs verzeichne demnach die unternehmensinterne Kategorie der „Prozesse“; sie beschreibt neben dem digitalen Reifegrad der unternehmensinternen Prozesse auch die digitale Vernetzung mit anderen Unternehmen. Ihr Kategorienwert steigt auf 121,1 Punkte. Den größten Rückgang gab es im Bereich Qualifizierung. Dieser Wert sank von 100 auf 87,5. „Der Rückgang in der Kategorie Qualifizierung ist ein deutlicher Dämpfer für die Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland“, so ein weiteres Ergebnis. Digitale Souveränität sei die Voraussetzung für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, sie beinhalte die „Befähigung der Menschen, handlungs- und entscheidungsfähig mit digitalen Technologien umzugehen“. Diese könne aber nur gegeben sein, wenn die Beschäftigten regelmäßig hinsichtlich ihrer IT-Kompetenzen weitergebildet werden, „unabhängig davon, ob sie IT-Anwendende oder IT-Fachkräfte sind“.
Mit Blick auf die Wirtschaft stellt sie fest: „Trotz des voranschreitenden Ausbaus digitaler Infrastruktur in Deutschland liegt ihre Nutzung in deutschen Unternehmen häufig unter dem EU-weiten Durchschnitt.“ Zwar liege die Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Big Data leicht über dem Durchschnitt, doch sei der Grad der Robotisierung und Automatisierung gegenüber anderen EU-Staaten geringer. „Berücksichtigt wurden in der Auswertung nicht nur die Nutzung relevanter digitaler Technologien (3D-Druck, Robotics, Cloud Computing) durch Unternehmen, sondern auch die Anwendung von Big-Data-Analysen, die Unterstützung betrieblicher Prozesse durch Software, die Bereitstellung elektronischer Rechnungen sowie Aspekte der digitalen Infrastruktur“, schreibt Bettina Distel über die Kategorien. Ihr Urteil: Insgesamt bewege sich Deutschland im Mittelfeld, „doch zeigt die Analyse, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen schlechter abschneiden“. Mehr noch: „Digitalisierung der Wirtschaft scheint an Dynamik zu verlieren.“ Spaltung und Verlust an Dynamik – wenn das keine Krisensymptome sind, was dann? Bettina Distel schreibt in ihrem Fazit, dass zum einen die digitale Transformation nicht zu mehr Ungleichheit führen dürfe, zum anderen nicht „als ein geschlossener Prozess“ verstanden werden dürfe, der mit einigen Strategien und Digitalpaketen zu bewältigen sei. „Sie ist vielmehr ein andauernder Prozess ohne klar definierte Start- oder Endpunkte.“

Haken dran und fertig? Klappt bei der Digitalisierung nicht

Gut möglich, dass genau hier ein sehr für Deutschland typisches Problem liegt: Staat, Wirtschaft und Gesellschaft haben es in der Moderne so g elernt, dass Prozesse durch bestimmte Maßnahmen abzuarbeiten sind. Das gilt für Reformen in der Politik, Neuorganisationen in Unternehmen, Wandlungen in der Gesellschaft: Die Deutschen, so scheint es, haben es gerne, wenn etwas ein festes Ende hat. Haken dran – fertig, weiter zur nächsten Aufgabe.
Die Veränderungsprozesse sind stetig, die Krisen werden chronisch. Abhaken? Kaum möglich.
Jedoch haben wir es seit einigen Jahren auf vielen Ebenen mit Herausforderungen anderer Art zu tun. Ob die Globalisierung oder die Digitalisierung, ob Krisen wie die Covid-19-Pandemie, die drohende Klimakatastrophe oder die Rückkehr des Angriffskriegs im Herzen Europas: Alle diese Entwicklungen scheinen kein klares Ende zu finden. Die Veränderungsprozesse sind stetig, die Krisen werden chronisch. Abhaken? Kaum möglich. Wie sehr es aber genau danach eine Sehnsucht gibt, zeigte die Corona-Pandemie mit ihrer häufig gestellten Leitfrage, wann denn eine Rückkehr zur Normalität möglich sei. Irgendwann wurde aus der Frage eine Forderung: Die Rückkehr müsse jetzt bald vollzogen werden. Als ob sich das Virus darum schere. Und machen wir uns nichts vor: Das Klima auf der Erde wird sich auch nicht darum scheren, ob die Menschheit ab einem bestimmten Punkt findet, jetzt sei es aber genug mit den Einschränkungen.

Lieferkette: Je tiefer der Einblick, desto mehr gibt’s zu tun

Wie die Politik und die Gesellschaft, so müssen auch die deutschen Unternehmen lernen, dass es die Normalität – wenn es sie denn überhaupt gab – nicht mehr geben wird. Insbesondere die Digitalisierung ist ein Fass ohne Boden. Mehr noch, sie ergibt überhaupt erst Sinn, wenn man sie als eine Entwicklung begreift, die kein Ende finden wird, die immer wieder aufs Neue Geschäftsmodelle, Prozesse und den Purpose des Unternehmens auf den Prüfstand stellt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Blick auf die Lieferkette: Unternehmen, die es mit dem Klimaschutz und den Menschenrechten ernst nehmen, analysieren jetzt ihre Supply-Chains, um Teile zu identifizieren, in denen Defizite offensichtlich werden. In der Folge werden Geschäfte mit langjährigen Partner-Unternehmen hinterfragt, manchmal sogar beendet. Betrachtet man jedoch die Komplexität von Liefer- und Wertschöpfungsketten zum Beispiel von digitalen Geräten oder auch Dienstleistungen, wird schnell deutlich, dass es sich auch hier um eine Aufgabe unendlichen Ausmaßes handelt.

Digital Economy & Society Index

Wo steht die Bundesrepublik im europäischen Vergleich? Der Digital Economy & Society Index der Europäischen Kommission vergleicht seit 2014 die Daten der EU-Länder und bewertet zum Beispiel den Stand der Staaten in Sachen Konnektivität, Internetnutzung oder Integration digitaler Technologien. EU-weit liegt der Index bei 50,7; Deutschland verzeichnet den Wert 54,1 und liegt damit im EU-Ranking auf Platz elf. Ein großes Defizit laut Zusammenfassung des deutschen Ergebnisses: Weniger als ein Drittel der Unternehmen (29 %) tauschten Informationen auf elektronischem Wege aus, nur 18 Prozent der kleinen oder mittleren Unternehmen (KMU) stellten elektronische Rechnungen aus. „Bei beiden Indikatoren hat Deutschland in den letzten Jahren kaum Verbesserungen erzielt.“
Um das zu verdeutlichen, ein Sprung in die fraktale Geometrie: Der Mathematiker Benoît Mandelbrot machte 1968 mit einem Aufsatz auf sich aufmerksam, in dem er die banale Frage stellte, wie lang die Küste Großbritanniens sei. Seine Antwort: Kommt drauf an. Arbeitet man mit Mess-Abschnitten von 200 Kilometern, ergibt sich eine Gesamtlänge von rund 2350 Kilometern. Nutzt man 100-Kilometer-Abschnitte, kommt man auf 2775 Kilometer, sind die Mess-Abschnitte nur 50 Kilometer lang, ergeben sich 3425 Kilometer. Kurz gesagt: Je kleinteiliger man misst, desto mehr Küstenstrecke ergibt sich. Betreiben kann man dieses Mess-Spiel bis in die Unendlichkeit. Ganz ähnlich ist es bei Analyse der Lieferketten von komplizierten Produkten: Digitale Tools, die mit ihrer Untersuchung immer weiter in die Tiefe gehen, werden in den Supply-Chains immer neue dunkle Ecken oder zumindest Graubereiche finden. So ambitioniert das Nachhaltigkeitsmanagement eines Unternehmens im Verbund mit seinen Digital-Expert*innen auch an der „Optimierung von Lieferketten“ arbeiten mag – der Prozess endet nie.

Digitales Mindset der Fachkräfte nutzen

Wer als Nachwuchskraft in Unternehmen startet, hat echte Vorteile, wenn man dieses Mindset mitbringt und in die Teams einbringt. Digitalisierung ist kein Schalter, der eines Tages umgelegt sein wird. Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Was sich daher entwickeln muss, ist ein besseres „digitales Ökosystem“, wie Florenz Kasen, Digital-Spezialist beim Personalberatungsunternehmen TechMinds, schreibt. In seinem Fachbeitrag „Digitalisierung in Deutschland. Wie digital sind wir 2022?“, abzurufen auf der TechMinds-Homepage, stellt er fest, dass das heimische digitale Ökosystem starke Defizite verzeichnet: „Die schlechte Verfügbarkeit von Risikokapital ist in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich stärker ausgeprägt – es wird kaum in junge Startups investiert.“ Dazu komme, dass die deutsche Bevölkerung grundsätzlich eher negativ gegenüber unternehmerischen Risiken eingestellt ist. „Zudem werden viel zu selten die Kompetenzen der verfügbaren Informations- und Kommunikations- Fachkräfte genutzt – hier liegt Deutschland ganz klar unter dem europäischen Durchschnitt.“
Der Fachkräftemangel wird nicht ansatzweise ausreichend bekämpft.
Verstärkt werde das Problem durch den Fachkräftemangel im IT-Sektor: „Der Fachkräftemangel wird nicht ansatzweise ausreichend bekämpft“, urteilt Florenz Klasen. Um die Digitalisierung in Angriff nehmen zu können, müssten nicht nur IT-Professionals aus dem Ausland rekrutiert werden, sondern auch einheimische Talente gefördert werden. „Deshalb sollte schon an den deutschen Schulen, Berufsschulen und Hochschulen eine bessere digitale Infrastruktur sowie Pädagogik etabliert werden“, fordert er. Das sei nicht nur wichtig für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft. Seine These: „Digitale Rückständigkeit hinterlässt die Bürger müde und wütend.“ Die Digitalisierung Deutschlands ist also längst nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein gesellschaftliches Projekt. Wer es – ob in großen Unternehmen, dynamischen Start-ups oder Behörden – voranbringt, erfüllt einen Job mit einem Purpose, der weit über das Geldverdienen hinausgeht.

Bevölkerung setzt auf Zukunftstechnologie

Der „Digitalreport 2022“ des European Center for Digital Competitiveness zeigt, dass die deutsche Bevölkerung weder unbeteiligt noch pessimistisch, sondern größtenteils erwartungsvoll auf die digitale Innovationen schaut. Bei der Frage, welche Zukunftstechnologien große Bedeutung erlangen werden, nennt eine große Mehrheit der Befragten Drohnen, 3D-Drucker und Künstliche Intelligenz, gefolgt von Technologien, die autonomes Fahren, besseren Klimaschutz sowie Unterstützung bei der Pflege ermöglichen. „Die junge Generation ist generell bei allen Technologien überdurchschnittlich überzeugt, dass sie in Zukunft große Bedeutung haben werden“, heißt es im „Digitalreport 2022“.
     

Digital-Work-Expertin Prof. Dr. Yasmin Mei-Yee Weiß im Interview

Prof. Dr. Yasmin Mei-Yee Weiß ist als BWL-Professorin, mehrfache Aufsichtsrätin und Start-up-Gründerin eine gefragte Expertin für die Zukunftsthemen New Work, Future Skills und digitale Bildung. Im Interview begründet sie, auf welche Kompetenzen es in einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt ankommt. Ihre These: Je stärker der Digitalisierungsgrad, desto mehr kommt es darauf an, Mensch zu sein. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Yasmin Mei-Yee Weiß, Jahrgang 1978, ist Professorin, Expertin für die Themen „Future Skills“, „Future of Work“ sowie für Digitale Bildung. Zu diesen Themen ist sie auch als Publizistin und Keynote Speakerin aktiv. Sie ist Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und Gründerin des Start-Ups Yoloa. Tätig ist sie auch als Politikberaterin. 2014 wurde sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Innovationssteuerkreis der Bundesregierung und von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den Außenwirtschaftsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums berufen. Laut Wirtschaftsmagazin „Strive“ zählt sie zu den Top 10 der weiblichen Business Influencer im Bereich Digitalisierung.
Frau Prof. Weiß, Sie sprechen von Tätigkeiten, die „dull, dumb & dangerous“ sind, verstärkt von Maschinen und Robotern übernommen werden können. Was wäre ein Beispiel für die Kategorie „dangerous“? Sprengkörper in Kriegsgebieten zu entschärfen oder zu sprengen, ist eine äußerst gefährliche Tätigkeit, also „dangerous“. Daher gibt es Anti-Minen-Roboter, die diese Aufgaben für menschliche Spezialisten übernehmen können. Und was wäre ein prägnantes Beispiel von Tätigkeiten der Kategorien „dull“ und „dumb“? Am Amtsgericht in Frankfurt wird zukünftig eine KI die Richter dabei assistieren, Urteile zu Fluggastrechten zu fällen. Hier gibt es zwischen 10.000 und 15.000 Fälle pro Jahr mit riesigen Datenmengen, die ausgewertet werden müssen. Die Software ist darauf spezialisiert, Bordkarten, Flugzeiten, Wetterdaten und vorangegangene Entscheidungen des Amtsgerichts zu analysieren und die Richter wirkungsvoll bei der Urteilsvorbereitung zu unterstützen. Das Urteil selbst wird aber weiterhin von Richtern gefällt werden. Wen betrachten Sie als entscheidende Gestalter*innen der neuen Arbeitswelt? Jeder kann die schöne neue Arbeitswelt mitgestalten, dazu muss man nicht Führungskraft sein. Wir stehen gerade an einem neuen Scheideweg, wie „New Work“ nach der Pandemie aussehen wird: Für welche Aufgaben kommen wir zukünftig noch ins Büro? Welche Aufgaben können wir örtlich flexibel an einem anderen Ort erledigen? Was ist hierbei eine gute Mischung? Ich persönlich glaube, dass Wissensarbeiter durchaus zu weiten Teilen örtlich flexibel und virtuell zusammenarbeiten können, dass jedoch für den kreativen Austausch, für die Entwicklung neuer Strategien sowie den Vertrauensaufbau und die Stärkung persönlicher Netzwerke das physische Zusammentreffen erforderlich ist. Hier allerdings scheiden sich in vielen Unternehmen die Geister, wie darüber gedacht wird. Wie kann es gelingen, die Änderungsdynamik zu nutzen? Bei jeder Veränderung gilt: Erfolg ist das beste Argument. Wenn jemand sich dafür einsetzen möchte, dass man auch 75 Prozent der Zeit remote arbeiten und dabei einen sehr guten Job machen kann, der sollte exzellente Leistung abliefern.
Grundsätzlich gilt: Je technologisierter die Welt um uns herum, desto menschlicher müssen wir selbst werden.
Was bedeutet das für die Führung im digitalen Zeitalter? Ich glaube, Führungskräfte müssen ein extrem gutes Gespür bei der Auswahl von Mitarbeitern an den Tag legen, denn die Bedeutung des Faktors Mensch sinkt im Zuge der Digitalisierung nicht – sie steigt. Dann gilt es, diesen Menschen zu vertrauen, Aufgaben zu delegieren, gut zuzuhören, anders lautende Meinungen zuzulassen, ein Team mit diversen Fähigkeiten und Sichtweisen zu orchestrieren und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Gerade bei virtueller Zusammenarbeit steigt auch die Bedeutung von digitaler Empathie: Wie schaffe ich es als Führungskraft, Fingerspitzengefühl für meine Mitarbeiter, Kollegen, Partner, Kunden und Lieferanten zu entwickeln, wenn wir uns weniger physisch sehen? Wie also schaffe ich es, remote Vertrauen aufzubauen, tragfähige Beziehungen zu entwickeln und Wertschätzung zu vermitteln? Es klingt wie ein Paradoxon, aber in Zeiten, in denen Speed zum Erfolgsfaktor wird, müssen sich Führungskräfte noch mehr Zeit für gute Führung nehmen. Grundsätzlich gilt: Je technologisierter die Welt um uns herum, desto menschlicher müssen wir selbst werden. Auf welche weiteren Skills wird es für den Nachwuchs in digital geprägten Positionen besonders ankommen? Ich denke, dass die Mehrheit der Menschen begriffen hat, dass IT-Kompetenz und mindestens ein Grundlagenwissen in den neuen Schlüsseltechnologien wie KI oder Blockchain inzwischen zur Allgemeinbildung gehört und branchenübergreifend in verschiedenen Berufsfeldern relevant wird. Was oftmals von vielen unterschätzt wird, ist die Bedeutung von zeitbeständigen Metakompetenzen, die unheimlich wichtig sind, um erfolgreich in einer zunehmend digital-vernetzten und volatilen Zukunft agieren zu können. Gemeint sind Lernfähigkeit, Problemlösungskompetenz, Ambiguitätstoleranz oder Resilienz. Einen zusätzlichen Bedeutungsschub werden auch Sozialkompetenzen wie Empathie, Kommunikationsgeschick und Teamfähigkeit erfahren, denn diese unterscheiden uns von den immer intelligenter werdenden Maschinen. Letztlich gilt es, genau das zu stärken, was wir als Menschen einbringen können, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen.
Letztlich gilt es, genau das zu stärken, was wir als Menschen einbringen können, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen.
Sie sind aktuell in Elternzeit. Wie gelingt es Ihnen in dieser sehr besonderen Zeit, den „Nestbau“ als Mutter mit den Ansprüchen, die Sie an Ihre Jobs und an Ihre Wissensaneignung haben, in Einklang zu bringen? Ehrlich gesagt: Das ist nicht einfach und nicht nur ein organisatorischer, sondern auch ein emotionaler Spagat. Du kannst, wie ich, Aufsichtsrätin, Professorin, Start-up Gründerin sein, das ist alles gut und schön, doch der wichtigste Job steht nicht auf den Visitenkarten, und er bedeutet für mich: Mutter von zwei wunderbaren kleinen Kindern zu sein. Mir hilft es, dass ich viel zeitliche und örtliche Autonomie habe, um meinen Job zu erledigen und die finanziellen Mittel, um mir viel Unterstützung im Haushalt von extern zu holen. Und: Ich liebe es, zu lernen. Das fühlt sich nicht wie Arbeit an, sondern wie ein Privileg, und ich baue es, so häufig es geht, in meinen Alltag ein. Ich höre zum Beispiel beim Sport oder beim Reisen viele Technologie-Podcasts und stelle mir auf Blinkist täglich Bücherlisten zusammen, die ich mir in Audio-Zusammenfassungen anhöre, wenn ich zum Beispiel unterwegs zu einem Termin bin. Ich möchte auf einen Ansatz zurückgreifen, den Sie in Ihren Vorträgen oft nennen: Was würden Sie Ihrem 25 Jahre alten Ich raten, mit den Erfahrungen, die Sie seitdem gesammelt haben? Ich würde rückblickend vieles genauso machen, aber auch einiges anders. Ich hatte immer große Träume und Flausen im Kopf und würde meinem 25-jährigen Ich raten, jeden Tag ernsthaft an diesen Träumen zu arbeiten und gleichzeitig in Summe gelassener zu sein und daran zu glauben, meinen eigenen Weg gehen zu können – auch wenn viele Stimmen von außen sagen, das gehe nicht. Die Zukunft wird immer weniger linear verlaufen und unsere Werdegänge werden es auch nicht sein, sondern von viel mehr Individualität, Brüchen, Pausen und Neuanfängen geprägt sein. Und das ist völlig in Ordnung. Ich glaube zudem auch fest daran, dass man auch lachend ernsthaft sein kann und dass vieles dadurch auch besser gelingt. Das gelingt mir mit zunehmendem Alter immer besser. Wenn Ihre Kinder eines Tages sagen werden: „Ich gehe zur Arbeit“ – was werden sie damit meinen, wie wird sich „Arbeit“ im Jahr 2050 definieren? Arbeiten ist immer mehr das, was wir tun, nicht wohin wir gehen. Ich habe mir vorgenommen, meine eigenen Kinder nicht nur in der digitalen Bildung persönlich zu unterstützen, sondern auch dabei, sich selbst zu entdecken. Und damit meine ich ihre persönlichen Stärken, ihre Interessen, Werte und ihren Purpose. Und dann sollen sie selbst entscheiden, was „gute Arbeit“ für sie bedeutet.

 Buchtipp

cover weltbeste bildung„Weltbeste Bildung: Wie wir unsere digitale Zukunft sichern“ Mitte September erscheint im Campus- Verlag das neue Buch von Yasmin Weiß, in dem sie sich der Frage widmet, wie es gelingen kann, in einer immer stärker digitalisierten Welt alle Menschen mitzunehmen und für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft fit zu machen. Dabei macht sie deutlich, warum dafür lebenslanges Lernen notwendig ist und wie sich dieses organisieren lässt. Den Schwerpunkt setzt sie dabei auf die digitale Bildung sowie auf die Stärkung jener Eigenschaften, die den Menschen nachhaltig von immer intelligenter werdenden Maschinen unterscheiden. Als Autorin liegt es ihr fern, allein die Politik in die Pflicht zu nehmen – vielmehr sieht sie die Verantwortung bei jedem Einzelnen sowie bei den Unternehmen. Yasmin Weiß: Weltbeste Bildung: Wie wir unsere digitale Zukunft sichern. Campus-Verlag September 2022, 28 Euro (ab September 2022)

BIM: Gebaut wie geplant

Am Bau kommt die Digitalisierung voran. Schritt für Schritt. Die Branche hat die Digitalisierungspotenziale erkannt und steht vor der riesigen Herausforderung, auf dem Weg in die Welt des Bauens 4.0 alle Akteure mitzunehmen. Von Christoph Berger

Die Bauwirtschaft zählt zu einer der Schlüsselindustrien Deutschlands. Allerdings wird ihr immer wieder mangelnde Produktivität im Vergleich zu anderen Branchen zugeschrieben. Wofür es natürlich Ursachen gibt. So ist zum Beispiel jedes Bauwerk ein Unikat oder bei Tiefbauprojekten kommt es immer wieder zu unvorhersehbaren Ereignissen, die nur schwer planbar sind und Standardprozesse damit unmöglich machen. Trotzdem könnte die Branche im Hinblick auf die Digitalisierung weiter sein, gibt es doch viele Prozesse, die digital abgebildet werden könnten. So kommt eine im Dezember 2021 veröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens PwC zu dem Ergebnis, dass der Digitalisierungsschub, den viele Branchenkenner erwartet hätten, bislang ausgeblieben sei. Zwar seien sich die Befragten einig, dass die Digitalisierung viele Chancen biete, allerdings habe sich die Diskrepanz zwischen den Potenzialen und den Fähigkeiten im Vergleich zum Vorjahr nur bei zwei von sieben digitalen Lösungen verkleinert. Häufig fehle es den Unternehmen an der dafür nötigen Expertise und der unternehmensinternen Akzeptanz. Knapp die Hälfte der Befragten, 47 Prozent, attestiert dem eigenen Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad. Mit Blick auf die administrativen Prozesse wie Finanzen oder HR und die Projektprozesse – beispielsweise zur Planung und Kalkulation – sehen sogar rund sechs von zehn Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad. Anders sieht es im Bereich digitaler Lösungen wie Cloud-Technologien aus: Hier sehen zwar 81 Prozent laut den Studienergebnissen hohes Potenzial, aber nur 44 Prozent bescheinigen sich einen hohen Digitalisierungsgrad. Wenn von Digitalisierungsgraden am Bau die Rede ist, kommt man an BIM nicht vorbei. BIM steht für Building Information Modeling und beschreibt eine Methode, in der sämtliche Bauwerksdaten digital modelliert, miteinander kombiniert und gemeinsam erfasst werden. Und dies über den gesamten Lebenszyklus des jeweiligen Bauprojekts. So entsteht ein digitaler Zwilling, der bis zu sieben Dimensionen abbilden kann: Zu dem dreidimensionalen Gebäudemodell können die Faktoren Zeit, Kosten, Nachhaltigkeit und Verwaltung, gemeint ist hier das Betreiben von Gebäuden beziehungsweise das Facility Management, hinzugefügt werden.

Eine Branche im Change

Diese Zusammenfassung eines Projekts in einem digitalen Modell fordert die Bau- und Immobilienbranche nicht nur technisch heraus, sondern auch kulturell, stellt sie doch eine ganz neue Form der Zusammenarbeit der bisher äußerst fragmentierten und meist getrennt voneinander arbeitenden Akteure dar. Inga Stein-Barthelmes, Geschäftsführerin der planen-bauen 4.0 – Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH, erklärt zu BIM: „Es ist definitiv eine bessere Zusammenarbeit. Das Planen und Bauen funktioniert reibungsloser. Deswegen wird Zeit und natürlich auch Geld gespart.“ Und sie betont bezüglich des Change in der Branche, dass der Faktor Mensch umdenken müsse: „Das tun die jungen Menschen aber bereits. Ihnen geht es um die Sache und nicht um die goldene Ananas, also den „Ruhm“ der eigenen Disziplin.“
Klar brauchen wir alle, die rund um das Thema Bau studieren. Aber zudem auch die Absolventinnen und Absolventen aus ganz anderen Fachrichtungen. Es muss umgedacht werden.
Doch wie weit ist die BIM-Einführung in den bauausführenden Unternehmen nach ihrer Einschätzung vorangeschritten? Sie sagt: „Wir merken Fortschritte. Vor allem auch bei den größeren bauausführenden Unternehmen. Die können in der Regel BIM. Allerdings kein open BIM. Deswegen ist es wichtig alle mitzunehmen. Und es müssen Standards für alle geschaffen werden, damit auch der Mittelstand und kleine Unternehmen mitgenommen werden. Es muss ja nicht immer jeder alles können. Das sollte man im Auge behalten.“ Große Fortschritte und gleichzeitig noch deutliches Ausbaupotenzial, so lässt sich die Situation wohl beschreiben. Dass aber schon viel passiert sei, wird auch von Planradar, einer plattform- und geräteunabhängigen sowie zudem webbasierten SaaS-Lösung (Software as a Service) für Dokumentation und Kommunikation in Bau- und Immobilienprojekten anerkannt. Das Unternehmen schreibt im Rahmen eines Länderverglichs, „dass BIM im europäischen Bauwesen noch nicht sein volles Potenzial erreicht hat. Während Großbritannien aktuell bei der Entwicklung und Implementation von BIM führend ist, sind es vor allem andere große Länder wie Deutschland, die bei der Adaption und der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen in den letzten Jahren große Sprünge verzeichnet haben“.

Interdisziplinarität ist gefragt

Für diesen Change werden natürlich Bauingenieurinnen und Bauingenieure gesucht, die einerseits das fachliche und technische Know-how mitbringen, das für den Bau Grundvoraussetzung ist. Doch nicht nur die. Inga Stein-Barthelmes ergänzt: „Klar brauchen wir alle, die rund um das Thema Bau studieren. Aber zudem auch die Absolventinnen und Absolventen aus ganz anderen Fachrichtungen. Es muss umgedacht werden. Man kann auch von anderen Bereichen profitieren und Effizienzgewinne erzielen. Gemischte Teams sind das A und O.“ Wie interdisziplinär die Herausforderungen angegangen werden, ist zum Beispiel im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekt „intelligent Empowerment of Construction Industry“ (iECO) erkennbar. In dessen Zentrum steht die Schaffung eines Datenraums auf Basis von Gaia-X. „Gaia-X ist ein Projekt von Europa für Europa und darüber hinaus. Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus Europa und der ganzen Welt arbeiten Hand in Hand zusammen, um eine vernetzte und sichere Dateninfrastruktur zu schaffen“, heißt es dazu auf der Website des BMWK. Auch im Rahmen von iECO arbeiten insgesamt elf Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft unter Konsortialführung der RIB Information Technologies AG unter anderem daran, den erwähnten Datenraum dafür zu nutzen, um einen Digitalen Zwilling des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu schaffen. Zum anderen soll dieser Datenraum dafür genutzt werden, um Advanced Smart Services zu entwickeln, mit denen sich der Bauprozess quer über die Wertschöpfungskette weiter optimieren lässt. Mit diesen Services sollen beispielsweise Prüf- und Genehmigungsverfahren digital vorbereitet, Terminpläne mit KI (teil)automatisiert erstellt, optimiert und angepasst werden, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Zudem könnten Baustellen unter Einsatz entsprechender Services in Echtzeit überwacht und dadurch nicht nur Störungen frühzeitig identifiziert und antizipiert, sondern auch die Arbeitssicherheit erhöht, Projektfortschritte inkl. (Teil-)Abnahmen und Mängelidentifikation bzw. -behebung transparent und effizient in Smart Contracts dokumentiert werden. Oder die während Planung und Bau eines Bauwerks entstandenen Daten für seinen späteren Betreiber festgehalten werden. Gelingt das, rückt das anvisierte Projektziel näher: Die Bauwirtschaft will die 30 Prozentpunkte, die sie hinter anderen Industrien zurückliegt, durch die Schaffung dieser Wertschöpfungspotenziale schließen. Dass dafür verschiedenste Fachdisziplinen notwendig sind, erschließt sich aufgrund der Breite der Herausforderungen.

Podcast-Tipp

In Folge 39 beschäftigt sich der Podcast „Technik aufs Ohr“ mit BIM:  

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Digitale Technologien für Städte

Nicht nur Unternehmen, auch Städte und Gemeinden können digitale Technologien so nutzen, dass sie zu sogenannten Smart Cities werden. Kommt es dann noch zu einer segmentübergreifenden Vernetzung, kann die Digitalisierung einen maßgeblichen Anteil zur Erreichung der Klimaziele leisten. Von Christoph Berger

Käme es zur Einführung gigabitfähiger Infrastrukturen, könnten massiv CO2- Emissionen eingespart werden. Dies ist ein Ergebnis der im Herbst 2021 veröffentlichten Studie „Der Smart City Markt in Deutschland, 2021-2026“, die Arthur D. Little in Partnerschaft mit dem eco Verband und der Unterstützung des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation sowie den Unternehmen Uber, NetCologne und Cloudflare erarbeitet hat. Demnach könnten beim Datentransport bis 2026 um 270.000 Tonnen und bei smarten Gebäuden 275 Millionen Tonnen CO2- Emissionen eingespart werden. Sharing- Konzepte und die Verbesserung von Verkehrsflüssen, unter anderem durch Smart Parking, könnten bis 2030 bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen im städtischen Pkw-Verkehr reduzieren, Bürger*innen bis zu 34 Milliarden Euro an Kosten allein für die Parkplatz-Suche sparen. Auch Car-Sharing-Angebote hätten mit rund 0,52 Millionen Tonnen weniger CO2 bis 2026 einen direkten Nachhaltigkeitseffekt.
Es muss in Metropolen weltweit das Ziel sein, Potentiale der Digitalisierung voll auszuschöpfen.
Damit ist für die Studienautor*innen klar: Digitale Technologien und Anwendungen leisten einen unverzichtbaren Beitrag, das deutsche Klimaziel von 55 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 zu erreichen. „Städte müssen segmentübergreifend denken, eine ganzheitliche Anwendung von Smart- City-Konzepten ist der Schlüssel für eine nachhaltige Digitalisierung“, betont Lars Riegel, Partner bei Arthur D. Little und Studienautor. So zeige die Analyse, dass dies nur mit intelligenter Nutzung digitaler Technologien funktionieren werde. Riegel ergänzt: „Es muss in Metropolen weltweit das Ziel sein, Potentiale der Digitalisierung voll auszuschöpfen. So verbessert sich nicht nur die Lebensqualität signifikant – vielmehr können Städte somit ihren Beitrag zu Klima- und Umweltschutz leisten.“ Dass sektorenübergreifend gedacht werden müsse und eine ganzheitliche Anwendung von Smart City-Konzepten notwendig sei, um eine nachhaltige Digitalisierung zu erlangen, betont auch Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender im eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. Dazu gehöre für ihn beispielsweise auch die Förderung energieeffizienter Rechenzentren und die verstärkte Nutzung der Abwärme. Sowie die Einführung ressourcenarmer Kommunikationsdienste. „Es braucht beispielsweise Anreize für den Einsatz von Wärmepumpen zur Aufbereitung der Abwärme für kommunale Nah- und Fernwärmenetze. Gleichzeitig empfiehlt sich ein professioneller Schutz des Ökosystems durch Investitionen in Cybersicherheit“, so Süme weiter. Unternehmensberater Riegel gibt ein Beispiel, anhand dessen die segmentübergreifende Wirkung deutlich wird: „Viele Städte und Kommunen ersetzen ihre Straßenbeleuchtung durch moderne LED-Technologien, die bis zu 70 Prozent weniger Strom verbrauchen. Der große Nachhaltigkeitseffekt zeigt sich allerdings erst, wenn man die Straßenlaternen intelligent vernetzt, mit Sensoren ausstattet und zusätzlich die damit entstehende Infrastruktur für Smart- Parking-Systeme verwendet. In diesem Fall wird die Brenndauer um weitere 50 Prozent reduziert.“ Es kommt also auf die effiziente Nutzung der Synergien zwischen den Segmenten an.

Digital Life! Kultur-, Buch- und Linktipps

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Roman: RCE

Cover RCESibylle Bergs neuer Roman setzt in der neoliberalen Absurdität an, in der der Einzelne machtlos scheint. Der Kapitalismus ist alternativlos geworden. Das beste aller Systeme hat wenigen zu absurdem Reichtum verholfen und sehr vielen ein menschenwürdiges Dasein genommen. Die Krise ist der Normalzustand, Ausbeutung heißt nicht mehr „Kolonialismus“, sondern „Förderung strukturschwacher Länder“. Inflation, Seuchen, Kriege, Diktatoren, Naturkatastrophen, Müllberge. Und die Menschheit vereint nur noch in ihrer Todessehnsucht. Die Lage scheint ausweglos. Aber in einem abhörsicheren Container brennt noch Licht. Fünf Hacker programmieren die Weltrettung. Sibylle Berg: RCE – #RemoteCodeExecution. Kiepenheuer&Witsch 2022, 26 Euro

Ausstellung: Deutschland digital

Studenten der Informatik an der Technischen Universität Braunschweig 1973. Foto: UB Braunschweig, Universitätsarchiv J IV 1-2
Studenten der Informatik an der Technischen
Universität Braunschweig 1973. Foto: UB Braunschweig, Universitätsarchiv J IV 1-2
World Wide Web, Big Data, Künstliche Intelligenz – Die Digitalisierung hat in den letzten Jahrzehnten einen radikalen, alle Lebensbereiche umfassenden Wandel ausgelöst, dessen ambivalente Auswirkungen zunehmend Menschen in aller Welt betreffen. Mit mehr als 400 Objekten, Fotos und zahlreichen interaktiven Medienstationen beleuchtet das Zeitgeschicht liche Forum Leipzig die Entwicklungen und die tiefgreifenden Auswirkungen der Digitalisierung in Deutschland. Das vielschichtige Thema und seine komplexe Dynamik sollen anhand von Alltagserfahrungen deutlich werden. Mit einer Chipkarte eröffnen sich die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung Portale, durch die sie zentrale Aspekte entdecken können. Ein „Open Space“ bietet Gelegenheit, das eigene digitale Selbstverständnis zu reflektieren und unmittelbar mit Expertinnen und Experten ins Gespräch zu kommen. Die Ausstellung ist bis 3. Oktober 2022 zu sehen. Weitere Infos unter: www.hdg.de/zeitgeschichtliches-forum

Gegenwartsroman: Automation

Cover AutomatonDer aktuelle Roman „Automaton“ von Berit Glanz wird als visionärer Gegenwartsroman gepriesen, der zwischen der Klaustrophobie der eigenen vier Wände und den Hanffeldern Kaliforniens spielt und von neuen Ausbeutungsverhältnissen und den Chancen virtueller Solidarität erzählt. Es geht um die junge Mutter Tiff, die sich mit schlecht bezahlten Online-Jobs für die Plattform Automa durchschlägt, da sie wegen einer Angststörung ihre Wohnung kaum verlassen kann. Ihre zermürbende Akkordarbeit wird als angebliche Überwachungsleistung einer KI teuer verkauft, weshalb sie zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Doch dann wird sie am Bildschirm Zeugin eines Verbrechens. Berit Glanz: Automaton. Berlin Verlag 2022, 22 Euro.

Sammelband: 10 Minuten Soziologie: Digitalisierung

Cover 10 Minuten SoziologieVom Algorithmus bis zum Sensor umfasst die Digitalisierung eine Vielfalt technologischer Innovationen. Ebenso facettenreich sind die Dimensionen, in denen sie die Gesellschaft transformiert und gleichzeitig von ihr geprägt wird. Die Auswirkungen auf die Kommunikation im öffentlichen Raum, auf die Wissenschaft und Landwirtschaft sowie die Wechselwirkungen mit dem Recht, der Wirtschaft und der Ökologie – die Beitragenden des Bandes gehen diesen und anderen Aspekten von Digitalisierung aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln nach. Damit eröffnen sie Perspektiven, die Digitalisierung als sozio-technischen Wandel verstehen und erklären lassen. Katharina Block, Anne Deremetz, Anna Henkel, Malte Rehbein (Hg.): 10 Minuten Soziologie: Digitalisierung. Transcript 2022, 18 Euro.

Thriller: Systemfehler

Cover SystemfehlerMitten in der Urlaubszeit bricht in ganz Europa das Internet zusammen. Flugzeuge können nicht mehr landen, Ärzte nicht mehr operieren, der Verkehr versinkt im Chaos. Bald sind alle Kommunikationswege gekappt. Ganz Europa befindet sich im Ausnahmezustand, die Menschen geraten in Panik, die Versorgung bricht zusammen. BND-Ermittler Nelson Carius vermutet ein hochkomplexes Computervirus hinter den Internetausfällen. Eine Spur führt ihn ausgerechnet zum IT-Experten Daniel Faber aus München, einem unbescholtenen Familienvater. Während das ganze Land gegen das Chaos kämpft, muss Daniel nicht nur seine Familie retten, sondern auch seine Unschuld beweisen. Wolf Harlander: Systemfehler. Rowohlt 2021, 12 Euro

Essay: Träge Transformation

Cover Träge TransformationDeutschland investiert Milliarden in prestigeträchtige Leuchtturmprojekte und Pseudo- Veränderungen – und ist trotzdem digital weit abgeschlagen. Das liegt auch daran, dass Digitalisierung nicht als Transformation verstanden wird: Es geht eben nicht darum, Gegenstände oder Strukturen einfach ins Digitale zu überführen. Transformationsprozesse müssen die Gegenstände und Strukturen selbst hinterfragen und wandlungsfähig sein. Und selbst da, wo man dies erkannt hat, verhindern Missverständnisse die Entwicklung. Digitale Transformation ist ein komplexer Vorgang, der nicht dann abrupt endet, wenn irgendein neuer Dienst eingeführt wurde. Dieser Essay stellt heraus, dass isolierte Blicke auf Gesellschaft oder Technik nicht zielführend sind, und entlarvt dabei stets bemühte Buzzwords und die wichtigsten Denkfehler. Sascha Friesike, Johanna Sprondel: Träge Transformation. Welche Denkfehler den digitalen Wandel blockieren. Reclam 2022, 6 Euro.

Roman: TICK TACK

Cover Tick-TackBevor sie sich auf die U-Bahngleise legt, kündigt Mette, 15, in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Niemand reagiert – gerettet wird sie trotzdem. Der Suizidversuch verwirrt ihr privilegiertes Umfeld: Bislang hat sie professionell die Leistung des hochbegabten Kindes abgeliefert – Mettes Strategie, um unter dem Radar einer Welt zu bleiben, deren Verlogenheit sie frustriert. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, brillant und voller Wut, ein Verbündeter. Als Anti-Influencer hat er sich ein Following aufgebaut und rekrutiert Mette für den Kampf gegen den Mainstream. Ein Spiel beginnt, dessen Regeln sie nicht durchschaut. Mit gleißender Klarheit und schneidendem Witz zeigt Julia von Lucadou einen Ausschnitt unserer Gegenwart, in der die digitale und reale Wirklichkeit sich komplett durchdringen. Julia von Lucadou: Tick Tack. Hanser 2022, 23 Euro.

Augmented Reality: Kunstspaziergang durch Basel

Foto: ARTour (©Andy Picci)
Foto: ARTour (©Andy Picci)
Mit der kostenlosen App „ARTour“ erwachen digitale Kunstwerke an unterschiedlichen Orten in Basel auf dem Handybildschirm zum Leben. Die Tour führt an zehn Kunstwerken vorbei, dauert insgesamt rund 90 Minuten und kann jederzeit absolviert werden. Gemeinsam mit der Kuratorin des Projekts, der Direktorin des HEK Sabine Himmelsbach, wurden nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler ausgewählt, die eigens für die ARTour digitale Kunstwerke zum Thema „Celebrate Life“ kreiert haben. Das Unternehmen Roche hat die ARTour in Kooperation mit dem HEK (Haus der Elektronischen Künste), dem Präsidialdepartement und Basel Tourismus konzipiert und schenkt sie anlässlich ihres 125-Jahr-Jubiläums der Bevölkerung der Stadt Basel. Weitere Infos unter: https://artour.basel.com/de

Das letzte Wort hat: Alexander Türk, CEO & Co-Founder Aeditive

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Alexander Türk ist studierter Mathematiker und ehemaliger Strategieberater. 2019 gründete er mit Hendrik Lindemann, Roman Gerbers und Niklas Nolte das ConTech-Unternehmen Aeditive. Dort ist er verantwortlich für Strategie und Finanzen. Der von dem Start-up entwickelte Concrete Aeditor kommt in diesem Jahr erstmals bei Pilotkunden zum Produktionseinsatz. Seine Freizeit verbringt Alexander Türk gerne in den Bergen oder auf dem Wasser. Die Fragen stellte Christoph Berger

Herr Türk, Sie und Ihre Kolleg*innen haben eine Roboter-Spritzbeton-Drucktechnologie entwickelt, die das Herz Ihrer 3D-Drucklösungen für die schalungsfreie Betonteilfertigung ist – einen 3D-Großdrucker. Können Sie das kurz erklären? Die Bauindustrie ist eine sehr traditionelle Industrie, in der noch viel manuell gearbeitet wird und wenig automatisiert wurde. Das gilt insbesondere für den Betonbau. Hier muss händisch eine Schalung aus Holz produziert werden, in die dann der Beton reinfließt – wobei die Schalung die spätere Form vorgibt. Mit der 3D-Drucktechnologie haben wir die Möglichkeit, auf diese Schalung komplett zu verzichten. Der Beton wird stattdessen schichtweise aufgedruckt, danach werden die Oberflächen bearbeitet. Das Bauteil ist somit schalungsfrei und automatisiert produziert worden. Das bedeutet also höhere Effizienz sowie weniger Personal- und Materialeinsatz? Genau. In erster Linie ist unsere Lösung eine Antwort auf den Fachkräftemangel in einer wachsenden Branche: Es gibt Wohnraumknappheit und einen Sanierungsstau bei großen Infrastrukturprojekten. All diese Herausforderungen können aufgrund fehlender Fachkräfte kaum noch bedient werden. Deswegen Automatisierung. Zudem produzieren wir mit dem Verfahren nachhaltiger. Da der Roboter den Beton nur dort aufträgt, wo er im Bauteil benötigt wird – zum Beispiel zur Lastaufnahme oder Schallisolation, sparen wir Beton ein. Welche Herausforderungen haben Sie bei der Entwicklung Ihres 3D-Produkts zu meistern? Die 3D-Technologie ist äußerst komplex. Die Technologie kann nur dadurch entstehen, dass Ingenieur*innen und Fachkräfte verschiedenster Fachrichtungen zusammenarbeiten. In unserem Team sind Architekten und Bauingenieure, Sie finden Betonspezialisten, Maschinenbauer, Automatisierungstechniker und Softwareentwickler. Diese Spannbreite an Disziplinen und deren Zusammenarbeit ist notwendig, um eine Automatisierungslösung für den Bau zu entwickeln. Sie selbst sind Mathematiker. Wie sind Sie dazu gekommen, an einer Innovation für den Bau zu arbeiten? Ja, ich bin Mathematiker. Aber vor allem bin ich ein technologiebegeisterter Mensch. Nach dem Studium habe ich für eine große Strategieberatung gearbeitet und mich dort mit der Digitalisierung beschäftigt: Wie verändert Technologie eine Industrie oder ein Geschäftsmodell? Oder die Strategie eines Unternehmens? Zu der Idee der Unternehmensgründung bin ich gekommen, weil einer meiner drei Mitgründer ein Freund aus der Kindheit ist, der das Thema mit zwei anderen Kollegen in einem Forschungsprojekt an der Uni bearbeitet hat. Zusammen haben wir dann überlegt, wie man die Technologie an den Markt bringen könnte. Wie wichtig ist in der Gründungsphase der Kontakt und die Kommunikation mit Unternehmen der Branche? Beides ist extrem wichtig. In der Start-up-Sprache nennt sich das „Product Market Fit“. Hier wird sichergestellt, dass das Produkt auch tatsächlich zu den Anforderungen der Kunden passt. Ein Beispiel: Es liegt auf der Hand, mit unserer Technologie das Bauteil 3D zu drucken und, dass es am Ende eine schöne Oberfläche hat und die Bewehrung darin enthalten ist. Eine andere Frage ist dann aber, wie ich die Anlage wieder gereinigt bekomme. Hierfür ist die Kommunikation mit den Kunden essentiell. Die ConTech-Branche wächst. Was ist Ihr Tipp für Gründer*innen? Manchmal muss man genau hinhören, manches Mal aber auch genau weghören. Wichtig ist, Kunden und Investoren zuzuhören und darauf zu achten, was sinnvolles Feedback ist. Manchmal muss man aber auch weghören, weil es Menschen gibt, die sagen: Das wird nicht funktionieren. Würde man immer darauf hören, traut man sich am Ende nicht, etwas zu machen.

Zum Unternehmen

Das Unternehmen Aeditive hat eine digitale Automatisierungslösung für die Baubranche entwickelt. Im Interview erklärt Co-Founder Alexander Türk, wie es zu der Idee für die 3D-Drucklösung kam und, auf was es bei der Entwicklung einer solch komplexen Lösung ankommt.

Kuratiert

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Zertifikatskurs „Digitale Transformation: Tech Innovation“

Die FOM Hochschule und der Digital Campus Zollverein bieten Berufstätigen und Studierenden im neu konzipierten Zertifikatskurs „Digitale Transformation: Tech Innovation“ an, sich innerhalb von vier Monaten aktuelles Wissen zu Technologiekonzepten und Anwendungssystemen anzueignen. In dieser Zeit werden praxisrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, um IT-Prozesse betriebswirtschaftlich kompetent zu begleiten und so die Voraussetzungen für Markt- und Unternehmenserfolge im digitalen Wettbewerb schaffen zu können. Im Fokus stehen unter anderem digitale Schlüsseltechnologien wie Cloud-Computing, Big Data oder IoT, also Internet of Things. Zudem werden mit Hilfe der Kreativitätsmethode „Design Thinking“ innovative kundenzentrierte Lösungsansätze für verschiedene Problemstellungen entwickelt.

Master-Major „Music and Digital Creation“

Ob als Künstler*in, als Musiklehrer*in, als Komponist*in oder als Musikwissenschaftler*in – digitale Werkzeuge braucht es inzwischen in beinahe allen musikalischen Feldern. Um dieser Entwicklung bereits in der Ausbildung stärker Rechnung zu tragen, lancieren die beiden Departements Musik und Informatik der Hochschule Luzern, Schweiz, ab Herbst 2022 den neuen Major auf Master-Stufe „Music and Digital Creation“. Vermittelt werden dabei grundlegende Kompetenzen in den Bereichen digitale Entwicklung und Datenanalyse – das reicht von Programmierkenntnissen bis hin zum gekonnten Umgang mit Software und Applikationen für Auftritts-, Unterrichts- oder Forschungstätigkeiten. Andererseits bietet das neue Angebot aber auch Potenzial für jüngere und stark wachsende Bereiche wie etwa das Komponieren und Programmieren von Musik für Computerspiele oder Online-Anwendungen.

MBA-Fernstudiengang „Digital Finance, Strategie & Accounting“

In dem vom Zentrum für Fernstudien im Hochschulverbund – zfh angebotenen Fernstudiengang „Digital Finance, Strategie & Accounting (MBA)“ geht es im Kern um eine verantwortungsvolle Unternehmenssteuerung in der Arbeitswelt 4.0. Das Studium vermittelt Schlüsselqualifikationen in zentralen Fragen der finanzwirtschaftlichen Unternehmenssteuerung. Zu den Studieninhalten zählen Rechnungslegung & Kapitalmarktkommunikation, Change- & Projektmanagement sowie Entwicklung, Implementierung & Überwachung von Unternehmensstrategien. Fachübergreifende Kompetenzen wie Problemlösung, Gesprächs- und Verhandlungsführung, Digitalkompetenz und Coaching runden das Studienkonzept ab. Zielgruppe des Angebots sind Hochschulabsolvent*innen mit mindestens einjähriger Berufserfahrung nach dem Erststudium. Auch beruflich Qualifizierte ohne Erststudium, aber mit einschlägiger Berufserfahrung, können über eine Eignungsprüfung zum Studium zugelassen werden. Der Studiengang ist akkreditiert und der Abschluss international anerkannt. von Christoph Berger