Auf Menschen zugehen

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Philipp Bremer hatte neben seinem Beruf als Anwalt und Jurist schon immer vielfältige Interessen. Zum Beispiel spielte er nebenbei Theater. 2023 schloss er außerdem eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten ab. Das Wissen daraus bringt ihn nicht nur menschlich voran, sondern auch beruflich. Aufgezeichnet von Christoph Berger

Zur Person

Seit Juli 2021 ist Philipp Bremer Leiter des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten und Nordafrika mit Sitz in Beirut, Libanon. Zuvor war er dreieinhalb Jahre als Rechtsanwalt für eine internationale Wirtschaftskanzlei tätig, in dieser Zeit auch sechs Monate als externer Berater vor Ort in der Litigation Communications Abteilung eines internationalen deutschen Automobilherstellers. Er hat Rechtswissenschaften an der Universität Mannheim studiert, sein Rechtsreferendariat absolvierte er u.a. im Europäischen Parlament bei Axel Voss, MdEP in Brüssel und im Büro der Staatsministerin Prof. Maria Böhmer, MdB im Auswärtigen Amt. www.kas.de
Philipp Bremer war Interdisziplinarität und das Schauen über den Tellerrand der Jurist*innen-Bubble immer ein Anliegen. Das mag einerseits mit seinem Aufwachsen zu tun haben. Bremer ist international aufgewachsen, hatte schon immer viel mit anderen Kulturen und unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu tun. Andererseits hatte er auch immer vielfältige Interessen. So gehörte er während seines Jurastudiums der Improvisationstheatergruppe der Uni an und spielte an einem kleinen Theaterhaus. Ein Hobby und eine Leidenschaft, die ihm nach dem Abschluss schnell einen Job in einer Großkanzlei einbrachte, obwohl Bremer es überhaupt nicht auf eine Laufbahn als Rechtsanwalt abgesehen hatte. Sein Ziel war es, in den diplomatischen Dienst zu kommen. Eine einzige Bewerbung verschickt er aber trotzdem. Um seine Chancen und Möglichkeiten auszuloten. „17 Minuten nach Abschicken meiner Bewerbung bekam ich von einem Partner der Kanzlei Antwort“, erinnert er sich. Die Kanzlei hatte gerade ein riesiges Mandat übernommen und suchte Anwälte mit Verhandlungskompetenzen. Im direkt darauffolgenden Telefonat sagte der Kanzleipartner: „Mir ist sehr positiv aufgefallen, dass Sie schon viel Theater gespielt haben. Das finde ich Klasse! Denn in Bezug auf Verhandlungen können wir jemanden gebrauchen, der einen starken Auftritt hat.“ Sprich: Improvisationsschauspieler*innen können mit ihrer Stimme und ihrem Auftritt arbeiten. Zudem sind sie reaktionsschnell. Alles Fähigkeiten, die auch im Gerichtssaal helfen. Ab diesem Moment wusste Philipp Bremer, dass er unter diesem Menschen arbeiten möchte. Ihm gefiel, dass nicht nur darauf geschaut wurde, ob er Schriftsätze verfassen kann, sondern der Blick ebenso auf andere Skills gelegt wurde. Noch heute dient ihm sein damaliger Chef als Vorbild für den Umgang mit Mitarbeitenden. Außerdem erinnert ihn die damalige Situation immer wieder daran, sich auch Themen abseits der Rechtsbranche zu widmen. Seine Theaterleidenschaft kam Philipp Bremer dann tatsächlich in seiner Kanzleizeit zu Gute. Und das nicht nur im Gerichtssaal. In Workshops vermittelte er Kolleginnen und Kollegen, was er von der Bühne mit in den Anwaltsberuf nehmen konnte. Das sei sowohl von Referendar* innen als auch von Associates und Partner*innen sehr gut aufgenommen worden. Gerade auch weil wahrgenommen wurde, dass es ein Anliegen der jüngeren Generationen ist, sich mit Soft Skills zu beschäftigen. Bremer sagt: „Es entwickelte sich eine große Bereitschaft und Offenheit dafür.“

Auf dem Weg zu sich selbst

Ebenfalls in seine Zeit bei der Großkanzlei fiel für Philipp Bremer die intensive Auseinandersetzung mit einer weiteren Tätigkeit, die, auf den ersten Blick, recht wenig Gemeinsamkeiten mit der Welt der Jurist*innen hat. Er begann berufsbegleitend eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten. Eine persönliche Krise hatte ihn dazu gebracht, sich intensiver mit sich selbst zu beschäftigen. Als er im Rahmen dieser Selbstreflexion auf die Gestalttherapie stieß, war ihm schnell klar: „Ich habe Lust, das zu erlernen.“ Er zitiert Gestalttherapeut Werner Bock: „Was ist, darf sein. Was sein darf, kann sich verändern.“ Laut der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie geht es in dem Verfahren darum, der Vielfalt von Individualität gerecht zu werden. Die Therapeut*innen verstehen sich dabei weniger als Anleiter*innen, sie sind vielmehr Begleiter* innen ihrer Klient*innen, mit denen sie bewusst, dynamisch und experimentell neue Erfahrungen machen. Wobei erwähnt werden muss, dass Gestalttherapie von den Krankenkassen nicht anerkannt wird. Es handelt sich auch nicht um einen geschützten Beruf, der eine festgelegte Ausbildung zum Führen der Bezeichnung voraussetzt.

Verständnis und Offenheit für Mitmenschen

Nach Besuch eines Basiskurses war für Bremer aber klar: „Das macht Freude, erfüllt mich und hilft mir.“ Zudem konnte er sich die dreijährige Ausbildung aufgrund seines Gehalts als Anwalt leisten. Allerdings merkt er an: „Die Ausbildung neben dem Beruf zu absolvieren, war unfassbar anstrengend.“ Zahlreiche Wochenenden und eigentlich als Urlaub vorgesehene Zeit investierte er. Wobei nicht alle Kolleg*innen immer Verständnis für die von ihm frei gewählte Zusatzbelastung hatten. Doch die allermeisten akzeptierten es. Ebenso sein neuer Arbeitgeber: 2021 wechselte Bremer zur Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort wurde er Leiter des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten & Nordafrika mit Arbeitsort Beirut im Libanon. Noch einige Male musste er von dort nach Deutschland reisen, um die Ausbildung abzuschließen. „Der Abschluss war mir sehr wichtig, zumal für mich in den drei Jahren mit den Mitlernenden eine sehr wertvolle Gemeinschaft entstanden ist. Wir verbringen einfach gerne Zeit miteinander und schätzen uns“, sagt er. Doch während 14 der 16 Kursteilnehmer* innen inzwischen tatsächlich als Gestalttherapeut*innen arbeiten, bleibt Philipp Bremer Jurist: „Das, was ich gerade mache, erfüllt mich. Derzeit sehe ich überhaupt keinen Anlass, das zu ändern.“ Daher verzichtet er auch darauf, den endgültigen Abschluss durch die dafür notwendige und nachweisbare Praxiserfahrung und Supervision zu erlangen. Das Erlernte kann er aber durchaus auch beruflich nutzen – in Bezug auf sich, um mit Stress zurechtzukommen, aber auch im Miteinander und der Führung seines Teams: auf Augenhöhe, wertschätzend, unterstützend und empathisch. „Ich habe das Gefühl, Probleme schneller wahrnehmen zu können und sensibel darauf einzugehen“, erklärt Bremer. Somit sei der Teamspirit und die Teamdynamik extrem hoch. In der Zeit seines Wirkens in dem Verantwortungsbereich habe es erst einen Konflikt gegeben. Was ungewöhnlich ist, birgt doch schon das reale Umfeld mehr als ausreichend Konfliktpotenzial: „Hier im Libanon herrscht eine extreme Wirtschaftskrise, täglich gibt es mehrere Stunden ohne Strom, von einem Rechtsstaat ist hier wenig zu sehen. Alle Menschen leiden furchtbar. Erst gestern waren so viel Proteste in der Stadt, dass alle im Home Office bleiben mussten, weil Reifen auf den Straßen brannten und ein sicheres Durchkommen unmöglich war. All das nehmen die Mitarbeitenden natürlich mit nach Hause und bringen es mit ins Büro.“ Daher laute die erste Frage in den Teamsessions auch immer: „How are you feeling?“

Schriftsätze Kultur-, Buch- und Linktipps

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Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?

Cover Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten?Im März 2020 änderte sich alles. Homeoffice war plötzlich die neue Norm. Alle mussten sich digitalisieren und transformieren – ob sie wollten oder nicht. Die Arbeit drängte weiter ins restliche Leben, zur Erwerbsarbeit kam noch mehr Carearbeit. Die Schere zwischen systemrelevanten Berufen und Bürojobs ging weiter auf. Covid hat uns gezeigt, was in der Arbeitswelt nicht mehr funktioniert – und ist nur eine der Krisen unserer Zeit. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an? Immer mehr Menschen stellen sich diese Fragen, einige ziehen Konsequenzen. In den USA hat der Trend sogar schon einen Namen: „The Great Resignation“, das große Kündigen. Es bricht eine neue Ära an, aber weder durch agile Methoden noch durch Yoga im Alltag wird es gelingen, ein für uns alle und für den Planeten verträgliches Wirtschaften zu realisieren. Wir müssen uns überlegen, wie Arbeit heute und morgen wirklich funktionieren kann – mit einem Fokus auf Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit und den Menschen. Sara Weber: Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten? Kiepenheuer & Witsch 2023, 18 Euro

Das ökologische Grundgesetz

Cover Das ökologische GrundgesetzDieses Buch ist ein Plädoyer für die Entwicklung des liberalen und demokratischen Wohlfahrtsstaats zu einer ökologischen Verfassungsordnung. Univ.-Prof. Dr. Jens Kersten, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, analysiert darin den ökologischen Status Quo des Grundgesetzes, weist auf den ökologischen Entwicklungsbedarf hin und zeigt, wie ein ökologisches Grundgesetz gestaltet werden könnte. Konkret formuliert er Vorschläge für eine Reform der Grundrechte, der Staatsstrukturprinzipien und des gesamten Staatsorganisationsrechts. Jens Kersten: Das ökologische Grundgesetz. C.H.BECK 2022, 34,95 Euro

Die Auslegung von Gesetzen

Cover Auslegung von GestzenDie Auslegung von Gesetzen ist ein Teilgebiet der juristischen Methodenlehre. Bereits Studienanfänger*innen sollten sich damit beschäftigen, Fragen der Gesetzesauslegung begleiten sie auf ihrem gesamten Berufsweg. Sie ist jedoch auch für Nichtjuristinnen und -juristen geeignet, die sich über juristische Auslegungsarbeit informieren wollen. Die Darstellung geht von einfachen Beispielen aus und vermittelt den Leser*innen so Schritt für Schritt das Grundhandwerkszeug, das sie für die Auslegung von Gesetzen benötigen. Ihnen wird vor Augen geführt, dass die Rechtswissenschaft von Auslegung und Argumenten lebt. Entnommen wurden die Beispiele dem Bürgerlichen Recht, dem Strafrecht und dem Verfassungsrecht, also den Rechtsgebieten, mit denen die Studierenden zuerst konfrontiert werden. Dr. Rolf Wank, Dr. Martin Maties: Die Auslegung von Gesetzen. Vahlen 2023, 18,90 Euro

Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht

Cover Nachhaltigkeit und UnternehmensrechtDie Förderung eines nachhaltigen Unternehmertums verlangt eine Auseinandersetzung mit der internen Governance von Unternehmen als den Hauptakteuren auf Märkten der Real- und Finanzwirtschaft. Wie entsprechende Rechtsregeln aussehen könnten und inwieweit bestehende gesellschaftsrechtliche Kernkonzepte einer Neubewertung bedürfen, untersucht Anne-Christin Mittwoch, Professorin für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Halle-Wittenberg, aus deutscher und europäischer Perspektive. Anne-Christin Mittwoch: Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht. Mohr Siebeck 2022, 104 Euro

Erzählung: Wo willst du eigentlich hin?

Cover Wo willst du eigentlich hin?Tom ist von Selbstzweifeln geplagt: Er ist in seiner Führungsrolle als Teamleiter überfordert und hat gleichzeitig das Gefühl, sein Privatleben zu vernachlässigen. An einem chaotischen Morgen begegnet er auf dem Weg ins Büro einem alten Mann mit einem Fahrrad. Hilfsbereit nimmt der Alte Tom mit auf eine verrückte, aber erkenntnisreiche Fahrt zur Arbeit. Auf dem Gepäckträger sitzend entwickelt sich ein spannender Dialog über Lebensziele, Alltagsstress und das Wesen guter Arbeit. Tom erkennt, dass seine Krise eine Chance ist, ein entspannteres Verhältnis zu seinem Job aufzubauen. Thomas Belker, Personalmanager, kaufmännischer Leiter, Geschäftsführer und Rechtsanwalt, vermittelt in dieser humorvollen Erzählung die Prinzipien nachhaltiger Karriereplanung und effektiver Führung. Dabei nimmt er weit verbreitete Glaubenssätze und bekannte Management-Theorien unterhaltsam unter die Lupe, um ihre Tauglichkeit für das Berufsleben zu überprüfen. Eine Orientierungshilfe für alle, die im Job Verantwortung übernehmen und sich fragen, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Thomas Belker: Wo willst du eigentlich hin? Metropolitan 2022, 24,95 Euro

Liquid Legal – Humanization and the Law

„Humanization and the Law“ verbindet zwei aktuelle und sich ergänzende Trends im Business-to-Business- Markt der Rechtsbranche: Digitalisierung und Humanisierung. Auf der einen Seite schreitet die digitale Transformation in den Rechtsabteilungen von Unternehmen und Kanzleien weiter voran. Vertragsmanagement, E-Discovery, Due Diligence, Legal Operations und forensische Datenanalyse sind nur einige Beispiele für Aufgabenbereiche, in denen der Einsatz intelligenter Softwarelösungen rechtliche Risiken minimiert und die Compliance erhöht, Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen durch Automatisierung ermöglicht und schnellere und agilere Reaktionen auf veränderte Marktanforderungen und Kundenerwartungen erlaubt. Andererseits zeigt die zunehmende Zahl gescheiterter Digitalisierungsprojekte, dass Technologie allein nicht ausreicht, um Rechtsabteilungen und Kanzleien erfolgreich zu transformieren. Softwarelösungen müssen in bestehende Arbeitsabläufe integriert werden, einfach zu bedienen sein und einen echten Nutzen bieten, um von den Mitarbeiter*innen akzeptiert zu werden. Der Mensch und seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und andere zu führen, stehen auch in einer zunehmend digitalisierten Rechtsbranche im Mittelpunkt. Kai Jacob, Dierk Schindler, Roger Strathausen, Bernhard Waltl (Hrsg.): Liquid Legal – Humanization and the Law. Springer 2022, 92,83 Euro

Im Theater – vor Gericht

Cover Im Theater - Vor GerichtTheateraufführungen und Performances, die auf Gerichtsverhandlungen Bezug nehmen, erfreuen sich seit der Jahrtausendwende großer Beliebtheit. Worin liegen die Spezifik und das politische Potenzial solcher theatraler Gerichtsformate? Inwiefern haftet ihnen etwas Dokumentarisches an? Und welche Rolle spielt dabei die Publikumspartizipation? Anhand von acht Fallstudien zeitgenössischer Inszenierungen und Performances von Haus Bartleby, Yan Duyvendak und Roger Bernat, Christophe Meierhans, Milo Rau und Oliver Reese wird diesen Fragen im Spannungsfeld zwischen Spiel und Ernst nachgegangen. Die Vorstellungen davon, wie Theateraufführungen beziehungsweise Gerichtsverhandlungen auszusehen haben und wie man sich in ihnen zu verhalten hat, haben sich ungefähr im selben Zeitraum ausgebildet. Um die Publikumspartizipation in Gerichtsformaten im deutschsprachigen Gegenwartstheater zu untersuchen, wird daher die historische Genese von Theater und Gericht als Institutionen im 18. und 19. Jahrhundert analysiert. Basierend auf den daraus hervorgehenden Interdependenzen und auf aktuellen Partizipationstheorien wird ein Modell partizipativer Theaterformen entwickelt. Im Fokus steht ihr politisches Potenzial. Géraldine Boesch: Im Theater – Vor Gericht. Chronos 2023, 38 Euro

Das letzte Wort hat: Dr. Claudia Hahn – Rechtsanwältin, Kartoffelbäuerin und Buchautorin

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Dr. Claudia Hahn ist nicht nur Anwältin, sondern auch Kartoffelbäuerin. Im Interview erzählt sie von Gemeinsamkeiten der beiden Berufe, welchen Bezug sie zum Feld hat und was ihre Kolleginnen und Kollegen darüber denken. Die Fragen stellte Christoph Berger.

Zur Person

Claudia Hahn, Jahrgang 1968, ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht sowie Partnerin der in Stuttgart ansässigen Kanzlei Frahm Kuckuk Hahn Rechtsanwälte PartG mbB. Sie studierte Rechtswissenschaften in Saarbrücken und promovierte im Arbeitsrecht zu flexiblen Arbeitszeitsystemen. In ihrer ursprünglichen Heimat, im Hunsrück, bewirtschaftet Claudia Hahn ihren Bauernhof und baut alte, seltene Kartoffelsorten an. https://fk.legal
Frau Hahn, Sie sind Anwältin und Partnerin in einer Kanzlei in Stuttgart, gleichzeitig Kartoffelbäuerin. Ihre beiden Berufe stellen Sie auch auf der Internetseite der Kanzlei anhand von zwei Bildern vor. Wie wichtig sind Ihnen diese beiden Berufe? Wenn ich Beruf mit Berufung gleichsetze, dann ist auf jeden Fall Anwalt sein meine Berufung. Das bestimmt mein ganzes Leben. Ich bin für meine Mandanten verantwortlich und als Kanzleipartnerin zudem für meine Mitarbeitenden. Aber natürlich ist Kartoffelbäuerin zu sein, auch mein Beruf. Beide ergänzen sich übrigens sehr gut. Inwiefern? Anwalt zu sein ist ein kreativer Beruf, man könnte fast sagen, wir sind auch Künstler. Doch für die Kreativität, wenn ich zum Beispiel juristische oder strategische Dinge gut entwickeln muss, brauche ich gedanklichen Freiraum. Im Kartoffelfeld bekomme ich einen freien Kopf. Wie das? Im Kartoffelfeld muss ich keine wichtigen Fragen richtig beantworten. Niemand redet dort mit mir, ich habe auch kein Handy dabei. Trotzdem muss ich mich sehr auf die ungewohnte körperliche Arbeit konzentrieren, weil ich ansonsten nichts ernten werde. Ich muss viel Mühe walten lassen, um schönen Kartoffelpflanzen beim Wachsen zusehen zu können. Diese Mühe und das ernannte Ziel sind Schnittmengen zwischen den beiden Berufen. Dabei sollte man erwähnen, dass Sie von dem Hof kommen, den Sie heute bewirtschaften, also einen Bezug zum Kartoffelanbau haben? Ich bin ein Hunsrücker Bauernkind und bewirtschafte heute den Hof, auf dem schon meine Großmutter, meine Eltern und meine Geschwister gelebt haben. In meinem zweiten Jahr als Anwältin habe ich ihn übernommen, erst verpachtet und später dann selbst bewirtschaftet. Seitdem pendeln Sie zwischen Stuttgart und dem Hunsrück? Man kann sagen, ich muss. Allerdings gibt es Zeiten, in denen ich mich intensiver um das Feld kümmern muss und Zeiten, in denen ich die Kartoffeln einfach wachsen lassen kann. Prinzipiell gilt: Je mehr ich die Kartoffeln einfach nur wachsen und machen lasse, desto besser werden sie. Und was die Distanz betrifft: Diese Entfernung brauche ich, um von der einen Welt in die andere zu kommen. Sie stellen diese beiden Welten auch auf der Internetseite Ihrer Kanzlei vor. Dass unsere Kanzlei Arbeitsrecht kann, hat sich inzwischen rumgesprochen. Wir sind aber auch Menschen. Dass ich mich um die Kartoffeln kümmere, dass ich sie zum Beispiel von den Kartoffelkäfern befreie, beruht auf demselben Verantwortungsgefühl und meinem Verständnis des Anwaltsberufs. Meine ganze Unterstützung lasse ich auch den Arbeitnehmern und Arbeitgebern zukommen, die ich vertrete. Außerdem sind beide Berufe mit viel Arbeit verbunden. Die manchmal hübsch dargestellte Romantik in Zeitschriften über das Landleben kenne ich nicht. Haben Sie von Kolleginnen und Kollegen schon einmal Rückmeldungen über Ihren Zweitberuf als Kartoffelbäuerin bekommen? Ja. Der Beruf ist häufig ein Gesprächsanker. Dadurch, dass der Beruf für Anwälte so exotisch ist, ist er oft ein Thema. Wir reden dann nicht über das Wetter oder Fußball, sondern über Kartoffeln.

Buchtipp

Cover Hüter deiner sieben SonnenHüter Deiner Sieben Sonnen. BoD – Books on Demand 2020, 26,99 Euro

Wissenschaftliche Mitarbeiter (m/​w/​d) für Legal Tech‑​Themen

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An unserem Standort Bonn suchen wir ab sofort einen qualifizierten Wissenschaftlichen Mitarbeiter (m/​w/​d), z. B. promotionsbegleitend, mit mindestens erstem, auch gerne zweitem Staatsexamen und hoher Affinität zu IT‑​Themen. Basierend auf der Software Lawlift customizen wir im kleinen Team für unterschiedlichste Mandate Vorlagen und Prozesse und entwickeln das Tool kanzlei‑​intern weiter. Programmier‑​Skills sind hierfür nicht erforderlich. Wenn Sie stabil juristisch‑​logisch denken, Interesse an betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen und Lust auf Projektmanagement haben, bewerben Sie sich bei uns!

Wir bieten

  • Flexible Arbeitszeiten an ein bis zwei Wochentagen
  • Intensive Einbindung in unser anwaltliches Legal‑​Tech‑​Team
  • Attraktive Arbeitsbedingungen
  • Attraktive Vergütung
  • Sehr gutes Arbeitsklima mit flachsten Hierarchien
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

Ihr Ansprechpartner

Alexander Schüßler Logo Redeker Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte PartG mbB Dr. Alexander Schüßler Willy‑​Brandt‑​Allee 11 53113 Bonn T +49 228 72625‐211 F +49 228 72625‐99

Datenschutz‑​Hinweis

Wir bitten Sie, uns keine personenbezogenen Daten besonderer Kategorien im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DS‐GVO zu übermitteln, es sei denn, die Übermittlung derartiger Daten erscheint aus Ihrer Sicht zur Wahrnehmung Ihrer Rechte oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich.

Die Rechts-Ethikerin Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski im Interview

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Impfpflicht im Kampf gegen das Coronavirus, drängende Fragen zum Klimaschutz, Folgen des Krieges auf europäischem Boden: Wir leben in einer Zeit, in der Politik und Recht gemeinsam vor der Herausforderung stehen, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Als Mitglied des Deutschen Ethikrats beschäftigt sich die Kölner Rechtsprofessorin Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski mit dem komplexen Verhältnis zwischen Ethik, Politik und Recht. Auch ihr zweites Kernthema trifft den Zeitgeist: Die Frage, wie Systeme mit Künstlicher Intelligenz die juristische Arbeit verändern. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski wurde am 6. Januar 1985 in Bad Nauheim geboren. Ihr Studium der Rechtswissenschaften absolvierte sie an der Uni Marburg, von 2009 bis 2014 war sie dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. 2017 schloss sie ihre Habilitation zum Thema „Der Tatbegriff im Strafrecht“ ab, 2017 promovierte sie zusätzlich im Fach Philosophie. Ihre erste Professur erhielt sie 2018 an der Uni Köln. Im April 2020 wurde sie als Mitglied in den Deutschen Ethikrat berufen, seit 2021 ist sie Mit-Herausgeberin der „Zeitschrift für Digitalisierung und Recht“. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter.
Frau Prof. Dr. Dr. Rostalski, wie bewerten Sie in der heutigen Zeit das Verhältnis des Rechts zur Politik: Verstehen Sie es als einen Gegenpol oder sogar als eine Korrekturebene? Das Verhältnis der beiden Bereiche ist zu komplex, als dass man Recht als bloßen Gegenpol zur Politik beschreiben könnte. Politik bewegt sich in den Bahnen des Rechts: Insbesondere durch unsere verfassungsmäßige Ordnung wird politischem Handeln Schranken gesetzt. Gleichzeitig kommt der Politik eine rechtsgestaltende Funktion zu, so auch wenn sie neue Problemlagen meistern muss. Eine Korrekturebene bieten insbesondere die Gerichte, die politische Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Eben dies ist durch die Gewaltenteilung intendiert. Welches Verhältnis hat das Recht zur Ethik? Die Frage betrifft ein altes und viel diskutiertes Problem, nicht nur der Rechtswissenschaft. Nicht zuletzt Kant widmete sich der Frage. Er beschreibt das Recht als die äußeren, zwingenden moralischen Gesetze, während die Ethik innere moralische Verpflichtungen betrifft. Dabei regeln sowohl das Recht als auch die Ethik das Miteinander der Menschen. Ich verstehe das Recht dabei als denjenigen Bereich an gesellschaftlichen Normen, die wir für ein Zusammenleben in Frieden als so wichtig einstufen, dass sie von staatlicher Seite erzwingbar sein müssen. Ich denke dabei etwa an strafrechtlich geschützte Verhaltensnormen wie das Tötungsverbot oder das Diebstahlsverbot. Das heißt aber nicht, dass die Ethik weniger bedeutsam wäre. Vielmehr ist unser gesamtes Miteinander von moralischen Normen durchdrungen. Es kann immer wieder geschehen, dass das, was wir bislang „lediglich“ dem Bereich der Ethik zugeschrieben haben, aufgrund eines gewandelten Zeitgeistes in seiner Bedeutung wächst und daher zu Recht erhoben wird. Auch im Hinblick auf neue gesellschaftliche Phänomene spielt die Ethik eine große Rolle – wenn es noch kein Recht gibt und wir aushandeln müssen, wie sich unser Recht etwa in Bezug auf Risiken durch die Digitalisierung gestalten soll. Das Recht wandelt sich durch die Digitalisierung. Um zunächst auf die Veränderungen in der juristischen Arbeit zu schauen: Welche Chancen bietet Legal Tech? Legal Tech-Anwendungen können die Rechtsanwendung erleichtern, beispielsweise durch Software, die bei der Sachverhaltserfassung unterstützt und in der anwaltlichen Praxis bereits verwendet wird. Weiterhin können sie Rechtsanwendung transparent machen und gerechtere Ergebnisse fördern. Beispielsweise könnte anhand des Einsatzes von KI eine Urteilsdatenbank geschaffen werden, die die Strafzumessung vergleichbarer machen kann. Insofern könnte sie einen Gegenpol zu subjektiv eingefärbten Entscheidungen bilden. KI-basierte Verhandlungsaufzeichnungen können die manuelle Protokollierung des Gerichtsverfahrens ersetzen. Legal Tech-Anwendungen wie zum Beispiel ein Vertragsgenerator kann es auch Nicht-Juristen erleichtern, Rechte wahrzunehmen. Gleichzeitig zeigt sich anhand dieses Beispiels bereits ein Risiko von Legal Tech-Anwendungen.
Rechtsanwendung setzt häufig eine umfassende und komplexe Wertung voraus. Dazu ist KI derzeit aber nicht in der Lage.
Nämlich? Aufgrund eines standardisierten Vorgehens könnten gerade die Besonderheiten des Einzelfalles aus dem Blick geraten. Rechtsanwendung setzt häufig eine umfassende und komplexe Wertung voraus. Dazu ist KI derzeit aber nicht in der Lage. Grundsätzlich besteht beim Einsatz von KI zudem die Gefahr, dass der Lernprozess einer KI nicht hinreichend nachvollzogen werden kann, so dass Fehler vielleicht nicht sichtbar werden. Wenn also KI zum Einsatz kommt, ist ein kritischer Umgang mit ihr zwingend erforderlich. Wo liegt die Grenze dessen, was digitale Technik im Recht leisten kann? Juristisches Arbeiten setzt die Berücksichtigung der Besonderheiten des Ein 19 zelfalls voraus. Aufgrund des hohen Abstraktionsgrads von Rechtsnormen müssen diese ausgelegt werden. Recht verlangt nach einer Abwägung – wir müssen die Gründe ermitteln, die für oder gegen eine bestimmte Entscheidung sprechen. Selbst wenn all dies in Zukunft von einer KI geleistet werden könnte, muss immer auch die Frage beantwortet werden, ob sie diese Aufgabe denn übernehmen soll. Ein anwaltliches Beratungsgespräch hat insbesondere im Strafrecht für den Einzelnen nicht nur die Funktion, Rechtsfragen zu beantworten. Ein Gerichtsprozess soll nicht einfach ein richtiges Ergebnis produzieren, vielmehr dienen Zivil- und Strafprozesse der Kommunikation. Im Hinblick auf das Strafrecht betrifft dies die Kommunikation zwischen dem – potenziellen – Täter sowie der Rechtsgemeinschaft. Dabei wird die Gesellschaft durch den Richter oder die Richterin vertreten. Diese Aufgabe können technische Systeme nicht leisten. Nicht zu vergessen ist, dass trotz aller Bemühungen – etwa zur optimalen Sachverhaltserfassung – immer auch Fehler in Gerichtsverfahren geschehen können. Es bedarf daher verantwortlicher Personen, die Entscheidungen treffen – auch dies kann nicht auf einen „Robo-Judge“ übertragen werden.
Ich bin allerdings nicht der Auffassung, dass eine solche Lücke existiert, denn in jedem Fall hat sich ein Mensch einer Technologie bedient – und ist der Verantwortliche für die damit verbundenen negativen Folgen.
Mit Blick auf die digitale Transformation der Gesellschaft: Ist in Ihren Augen die Frage, wer bei Systemen mit Künstlicher Intelligenz die Verantwortung trägt und damit haftet, bereits zufriedenstellend geklärt? In diesem Kontext wird häufig von einer Verantwortungslücke gesprochen. Damit ist gemeint, dass bei Fehlern der KI-Anwendungen niemand für negative Folgen haftet und damit die Verantwortung trägt. Das Problem resultiert daraus, dass sich die KI eigenständig weiterentwickelt und deswegen „Entscheidungen“ trifft, die für den Anwender oder die Anwenderin nicht immer vorhersehbar sind. Ich bin allerdings nicht der Auffassung, dass eine solche Lücke existiert, denn in jedem Fall hat sich ein Mensch einer Technologie bedient – und ist der Verantwortliche für die damit verbundenen negativen Folgen. Damit dies aber wiederum nicht das Aus für KI-Anwendungen bedeutet, weil sich ihrer aufgrund der Haftungsfolgen nur wenige bedienen möchten, müssen Kriterien für den sicheren und vertrauenswürdigen Einsatz von KI-Systemen erarbeitet werden. Und hier ist in letzter Zeit viel geschehen. Es besteht in der Rechtswissenschaft ein großes Forschungsinteresse im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Welche neuen Job-Profile werden sich im Bereich der fortschreitenden Digitalisierung für die junge Generation der Jurist*innen ergeben? Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung sollten sich junge Juristen und Juristinnen grundsätzlich darauf einstellen, in der Arbeitswelt mit KI konfrontiert zu sein. Es ist deswegen zu empfehlen, ein gewisses Grundverständnis zu entwickeln. Ferner könnte es in Zukunft notwendig sein, den vertrauenswürdigen Einsatz von KI-Anwendungen zu bewerten, sowohl durch den Anwender und die Anwenderin als auch übergreifend, zum Beispiel durch eine Behörde. Die Digitalisierung wird dazu führen, dass sich die Tätigkeit von Juristen und Juristinnen künftig verändern wird. Viele Aufgaben, die wir schon heute aufgrund ihrer Eintönigkeit eher als lästig empfinden, werden uns Technologieanwendungen abnehmen können. Dies wird dazu führen, dass wir in Teilen unser Berufsbild neu erfinden oder zumindest im Schwerpunkt anders als bislang zuschneiden müssen.

Deutscher Ethikrat

Im Zuge der Corona-Pandemie rückte der Deutsche Ethikrat ins Zentrum der Debatte, weil hier überdisziplinär über die ethischen Auswirkungen politischer Entscheidungen diskutiert wurde. „Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens“, heißt es auf der Homepage. Die Mitglieder werden vom Präsidenten des Deutschen Bundestages ernannt, Vorsitzende ist seit 2020 die Medizinethikerin Prof. Dr. med. Alena Buyx. Frauke Rostalski wurde 2020 in das Gremium berufen, kurz nach dem Ausbruch des Corona- Virus. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind rechtliche und ethische Fragen der Fortschritte im Bereich der Medizin und der Biotechnologie, Herausforderungen der digitalen Transformation für Recht und Ethik sowie aktuelle rechtliche und ethische Fragen im Umgang mit der Pandemie.

Anwaltsberuf: Es geht ums Ganze

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Anwält*innen sind gefragt als Anker in der Not, als juristische Ratgeber bei komplexen Fragen und Ruhepol selbst in brisanten Situationen. Hinzu kommen die Herausforderungen der digitalen Transformation, die das juristische Arbeiten sowie den Rechtsmarkt stark verändern. Damit das funktionieren kann, fordert die Branche einen Wandel: Mehr Freiheit durch neue Honorarmodelle, mentale Probleme raus aus der Tabuzone. Das Ziel: den Menschen hinter dem Anwaltsberuf als Ganzes zu betrachten. Damit er, im Sinne des Mandaten, seine beste Leistung abrufen kann. Ein Essay von André Boße

Im März dieses Jahres gründete sich ein neuer Verband für Jurist*innen: Der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien (BDW) ist ein Zusammenschluss von derzeit 37 größeren deutschen Kanzleien, verbunden durch das Ziel, sich „gemeinsam für die fachlichen, strategischen und zukunftsorientierten Themen dieses wichtigen Segments des Rechtsmarkts in Deutschland einzusetzen“, wie es auf der BDW-Homepage heißt. Wie groß die Marktposition der beteiligten Kanzleien ist, zeigen ein paar Zahlen: Die Mitglieder des BWD erzielen zusammen pro Jahr mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz, wichtige Arbeitgeber für Jurist*innen sind die Mitgliedskanzleien auch, insgesamt sind dort rund 5000 Anwält*innen tätig. Ein interessanter Teil der Struktur des Verbandes ist das Advisory Board, dem laut BDW-Homepage führende Jurst*innen angehören, die in Unternehmen angestellt sind: „So stellen wir sicher, dass der BWD immer auch den Blickwinkel der Mandanten berücksichtigt.“

Mehr Freiheit durch Erfolgshonorare

Wie aber ergibt sich dieser „Blickwinkel der Mandanten“ konkret? Der BDW hat gleich zu Beginn seiner Arbeit eine Reihe von Task Forces ins Leben gerufen, die anzeigen, welche Änderungsprozesse die Wirtschaftskanzleien anstoßen wollen. Ein interessanter Punkt ist zum Beispiel der Bereich der „Erfolgshonorare“: Viele Jahre lang war es Rechtsantwält*innen in Deutschland untersagt, Erfolgshonorare zu vereinbaren. Seit dem 1.10.2021 sind diese nun bei Streitwerten von bis zu 2000 Euro erlaubt – Auslöser dieser kleinen Reform ist die steigende Zahl von Legal-Tech-Unternehmen wie Flighright, die dank digitaler Methoden eine Vielzahl von kleinen, fast gleichgelagerten Fällen bearbeiten – und Kunden über risikolose Erfolgshonorare gewinnen.

Lawyer Wellbeing: Studienergebnisse

Von den vom Liquid Legal Institute für die Studie befragten Antwält*innen berichteten fast 70 Prozent, dass sie in ihrem Berufsleben schon einmal unter von ihrem Beruf verursachten mentalen Problem gelitten hätten. Mehr als 80 Prozent bestätigten, Kolleg*innen zu kennen, die unter mentalen Problemen leiden. Was dagegen nach Ausage der Studienteilnehmer größtenteils fehle, sei eine Hilfsstruktur: Rund 70 Prozent der Befragten gaben an, dass es für sie selbst oder die Kolleg*innen keine Hilfe gegeben habe und das auch kein Frühwarnsystem existiere, das Möglichkeiten aufzeigt, mentale Krisen früh zu erkennen. Eine große Mehrheit der Befragten stimmte zu, dass mentale Probleme nicht nur dazu führten, dass die anwaltliche Performance leide, sondern auch die Führungsqualitäten verringere. Die Studie „Lawyer-Wellbeing – The Silent Pandemic“ steht im Internet kostenlos zur Verfügung.
Der BDW fordert nun, die Idee der Erfolgshonorare weiterzudenken. Geleitet wird die Task Force von Volker Römermann, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin und Vorstand der Wirtschaftskanzlei Römermann. „Wenn wir als junge Anwältinnen und Anwälte aus dem Studium kommen, dann glauben wir, dass wir in diesem Beruf eine Dienstleistung vollbringen. Dann crashen wir in die Wirklichkeit, und es kommen real existierende Mandanten, die fragen: ‚Was ist eigentlich dein Erfolg?‘ Daran messen sie uns, danach wollen sie uns bezahlen“, sagt Volker Römermann in einem Video- Clip, in dem er das Thema seiner Task Force vorstellt. Das Ziel dieser Untergruppe: eine erfolgsbezogene Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten einzuführen – ein Bezahlmodell also, das für die Mandanten der Wirtschaftskanzleien im unternehmerischen Alltag längst Selbstverständlichkeit ist. „Wir müssen hier dem Bedarf und dem Interesse der Mandanten gerecht werden, wir brauchen da mehr Freiheit“, fordert Volker Römermann in seinem Statement.

Neue Position im Markt

Unternehmerisches Denken bei Anwält*innen zählt schon lange zu den zentralen Skills in Wirtschaftskanzleien. Nun sollen weitere Schritte folgen, sie betreffen – wie das Thema Erfolgshonorar zeigt – nun auch die Rahmenbedingungen und Strukturen, in denen die Jurist*innen tätig sind. Das ist unbedingt sinnvoll, denn jede Struktur beeinflusst das Handeln. Mit einer Erfolgshonorierung würde die Arbeit der Wirtschaftsanwält*innen ein gutes Stück weiter in den freien Markt rücken. Erkennbar ist dieser Trend schon jetzt, mit der Folge, dass Skills und Themen auf die Agenda rücken, die bislang in juristischen Tätigkeitsfeldern kaum auf dem Radar stehen und daher an den Universitäten häufig nicht genügend vermittelt werden. Was nicht heißt, dass sie nicht von großer Bedeutung sind. Jedoch wurde kaum über sie diskutiert. Und genau das ändert sich jetzt: Der Job der Jurist*innen in Wirtschaftskanzleien wird nun ganzheitlicher betrachtet.

Mentale Probleme eine stille Pandemie?

Der BDW hat eine weitere Task-Force zu einem Bereich gegründet, den man mit in einer Liste der zentralen Ziele eines erfolgsorientierten Verbands von Wirtschaftskanzleien nicht unbedingt erwartet: Lawyer Wellbeing. Impulsgeber, sich als Verband eingehend mit dem Wohlergehen der Anwaltschaft zu beschäftigen, ist die Studie „Lawyer Wellbeing – The Silent Pandemic“, die in diesem Jahr federführend vom Liquid Legal Institute erstellt wurde, einer interdisziplinären Plattform, der sich für ein neues Denken im Rechtsbereich engagiert. Mentale Probleme bei in Wirtschaftskanzleien tätigen Jurist*innen? „Bist du verrückt – Mental Health ist doch bei Jurist*innen kein Thema!“ – so, oder ähnlich sei häufig die Reaktion gewesen, als die Autoren der Studie ihr Thema benannten. „Mit dieser Haltung steht die Profession nicht allein da. Es ist eine natürliche spontane Reaktion auf die Frage zu einem oft tabuisierten Thema, die einen sehr sensiblen Lebensbereich von hochausgebildeten Expert*innen berührt“, heißt es im White Paper der Studie, das die Studienautor*innen im März 2022 im Magazin „Legal Tech Times“ der Legal-Tech-Plattform Future-Law veröffentlichten. Mentaler Stress ergebe sich für Jurist*innen in vielen Fällen bereits im Studium: „Selbstdisziplin ist die Kompetenz der Stunde“, so die Autor*innen. Häufig sei man als Einzelkämpfer* in unterwegs, der Druck, eine exzellente Note im Examen zu erzielen, sei allgegenwärtig, da diese „unwiderruflich über die weitere berufliche Zukunft entscheidet“.

BDW: Verband mit Leitbild

Der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BDW) hat sich bei der Gründung im Frühling 2022 ein Leitbild gegeben, das einige bemerkenswerte Aspekte beinhaltet. So stehe er für eine „vielfältige, regelbasierte, weltoffene, verantwortungsbewusste, tolerante und demokratische Zivilgesellschaft und für eine lebendige und leistungsfähige Rechtsstaatlichkeit“ ein. Außerdem beachtet er die „Grundsätze der Diversität“ und betrachtet die nachhaltigen ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) als wesentlichen Bestandteil sowie Richtschnur des Verhaltens. In diesem Sinne positioniert sich der BDW nicht als Lobby-Verband, sondern als gesellschaftlicher Player.
Ist die Ausbildung schließlich geschafft, bleibe vom gelernten juristischen Arbeiten, also dem Ansatz, rechtliche Probleme zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen, nicht mehr viel übrig. Nun würde der Nachwuchs darauf getrimmt, „auch unter Hochdruck einen ‚kühlen Kopf‘ zu bewahren, Mandanten in kritischen Fragestellungen – zunächst einmal – das Gefühl von Sicherheit zu geben, bei Verhandlungen das Poker Face aufzusetzen und – falls erforderlich – auch mal gegen den eigenen moralischen Kompass zu agieren“, heißt es in der Studie. Jurist*innen sollten also immer einen Ausweg sehen, jederzeit als Ratgeber*in ansprechbar sein und als „Fels in der Brandung zur Verfügung stehen, um Mandant*innen sicher und natürlich möglichst unversehrt durch den juristischen Dschungel zu geleiten, oft in prekären Situationen.“

Digitalisierung kann Stress steigern

Hinzu komme seit einigen Jahren nun noch der Druck sowie die Unsicherheit, die mit der Digitalisierung einhergehen: Steigender Kommunikationsaufwand, gigantische Mengen an Dokumenten und Daten, die von häufig genug veralteten IT-Systemen kaum zu bewältigen seien, dazu Themen wie Cyber-Sicherheit und Datenschutz: „Die Digitalisierung ist ein Brandbeschleuniger für die Verschlechterung des Gesundheitszustands“, heißt es in der Studie. Für eigene Ängste, Schwächen, Zweifel, Unsicherheiten bleibe da wenig Raum. Mehr noch: Alle diese Aspekte würden weiterhin tabuisiert. Doch das müsse aufhören, so die Forderung der Studienautor*innen. Schließlich gehe es um „nicht weniger als um den Menschen hinter der Rolle ‚Jurist*in‘ und seine Position in der modernen Arbeitswelt.“
Für eigene Ängste, Schwächen, Zweifel, Unsicherheiten bleibt wenig Raum. Mehr noch: Alle diese Aspekte werden weiterhin tabuisiert.
Wer nun auch weiterhin denkt, das Thema Wellbeing dürfe in der harten Arbeitsrealität keine Rolle spielen, schließlich wisse man als Nachwuchs, in welche Branche man sich begebe, und obendrein sei der Job gut bezahlt, der verkennt die Rolle, die Anwält*innen heute zu erfüllen haben. In seinem Vorwort zur Studie erklärt der Lebenskrisen-Berater Fritjof Nelting, warum es für ihn als Mandanten kein gutes Zeichen sei, wenn sein Anwalt ihm per Mail eine automatische Benachrichtigung mitsamt Entschuldigung schickt: Er sei im Urlaub, sodass es rund zwei Stunden dauern könnte, bis er Zeit für die Antwort habe. „Anwält*innen besitzen in dieser Gesellschaft eine exponierte und wichtige Position“, schreibt Nelting. „Damit sie ihre Arbeit auf gesunde Weise machen und vielleicht sogar Vorbilder für ein modernes und gut ausbalanciertes Leben werden, sind einige Änderungen notwendig.“ Das sei nicht nur im Sinne der Jurist*innen, sondern auch der Mandanten: „Ein gesunder Anwalt sei das Beste, was einem Mandanten passieren kann“ – und gerade in dieser Zeit, in der es wichtiger denn je sei, „einen resilienten und stabilen Anwalt an der Seite zu haben“.

Schlüsseljob in Kanzleien: Legal Hybrid

Die international tätige Consulting-Gruppe Henchman aus Belgien berät Anwält*innen und Kanzleien auf dem Weg, die anwaltliche Arbeit neu zu denken. Digitalisierung ist hier ein Kernthema. Im Henchman-Report „The must have legal tech stack of 2022“ geben Expert*innen Prognosen über die juristische Arbeit der Zukunft ab. In einem Beitrag skizziert der Legal-Tech-Berater Thomas Aertgeerts einige Schlüsselstellen in den Kanzleien der nahen Zukunft. Besonders interessant ist die Postion des „Legal Hybrid“: „Keine Technologie, sondern eine Person. Jemand, der die Bedürfnisse von Kanzleien erkennt und die notwenige Technologie anstößt, damit diese erfüllt werden kann. Ohne eine Person mit diesen Skills ist die jeweilige Kanzlei von der Gnade der Software-Entwickler abhängig.“ Sprich: Der „Legal Hybrid“ sorgt dafür, dass Wirtschaftskanzleien die digitale Transformation mit Aufwind bewältigen.

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E-Paper karriereführer handel / e-commerce 2022.2023 – Unterstützung für den Menschen: Einsatz von Künstlicher Intelligenz

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Dem Menschen Aufwind geben

Der Einsatz von Systemen mit Künstlicher Intelligenz ist überall dort sinnvoll, wo Menschen die Komplexität an Daten nicht mehr durchschauen. Dies ist zum Beispiel bei den Lieferketten in Handelsunternehmen der Fall: KI gibt die Chance, diese zu analysieren und tatsächlich nachhaltig und fair zu gestalten. Aber Achtung: Da die KI von Menschen gestaltet wird, stecken die menschlichen Vorurteile auch in den Systemen. Ein Essay von André Boße

Die US-Digitalexpertin und Autorin Frederike Kaltheuner hat eine Anthologie über die Künstliche Intelligenz geschrieben, die den für diese Zukunftstechnik wenig schmeichelhaften Titel „Fake AI“ trägt. Für das im Netz frei zugängliche Buch (zu finden unter: fakeaibook.com) haben diverse Autor*innen über die KI geschrieben, zum Einstieg hat Frederike Kaltheuner den Informatik-Professor Arvind Narayanan interviewt, Hochschullehrer in Princeton, laut Ranking weltweit die elftwichtigste Hochschule im Bereich „Computer Science“. Wer hier lehrt, der beherrscht also sein Fach.
Recruiting ist ein Stochern im Nebel – umso begieriger greife man zum „Snake Oil“ in der Hoffnung, dass die KI diesen Nebel lichten möge. Was sie natürlich nicht könne.
Im Interview sagt der Princeton-Professor einen bemerkenswerten Satz, im englischen Original lautet er: „Much of what is sold commercially today as ‘AI’ is what I call ‘snake oil’.“ Auf Deutsch: Vieles von dem, was heute unter dem Label KI verkauft werde, bezeichne er als „Schlangenöl“. Gemeint ist öliges Zeug, das zur Zeit des Wilden Westens von vermeintlichen Wunderheilern bei ihren „Medicine Shows“ verscherbelt wurde, gekoppelt an das Versprechen, diese Tinkturen würden gegen diverse Leiden helfen. Der Begriff hat es viele Jahre später von der Prairie in die Welt der Software geschafft, als „snake oil“ werden IT-Produkte bezeichnet, die Bemerkenswertes versprechen, davon jedoch fast nichts halten, zum Beispiel in der Praxis nutzlose Antiviren-, Festplattenaufräum- oder Arbeitsspeicherverdoppelungsprogramme. Arvind Narayanan trifft also ein hartes Urteil über viele der Versprechen der KI, macht aber eine wichtige Differenzierung: „Some are not snake oil.“ Einige Künstliche Intelligenzen wirkten, andere nicht. Wo also liegt der Unterschied?

Superintelligenz? Schlangenöl!

Seine Kritik fokussiert Arvind Narayanan auf eine „Artificial General Intelligence“ (AGI), eine Allgemeine Künstliche Intelligenz, die in der Lage sei, nahezu jede intellektuelle Aufgabe zu erlernen. Eine solche Superintelligenz würde also das Problembewusstsein eines Menschen mit der Rechengeschwindigkeit von Supercomputern kombinieren; sie arbeite damit nicht mehr aufgabenspezifisch, sondern generell. Umfragen zeigten, sagt Narayanan, dass viele Menschen glaubten, diese Form von AGI stehe kurz vor der Realisation – womit ein Wendepunkt der menschlichen Zivilisation kurz bevorstehe. „I don’t think that’s true at all“, hält Narayanan dagegen. Er beschreibt die Vorstellung, die aktuellen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz könnten zu einer solchen „Artificial General Intelligence“ führen, mit dem Versuch, eine immer längere Leiter zu bauen, um damit den Mond zu erreichen. Kurz: Die Vorstellung einer AGI sei „absurd.“

KI im Handel

Laut einer Studie des Handelsverbands Deutschland (HDE) sind zu hohe Kosten das Haupthindernis, in KI-Systeme zu investieren. „Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist in vielen Bereichen des Handels eine wichtige Investition in die Zukunftsfähigkeit. Unsere Studie zeigt aber, dass der mittelständische Handel in Deutschland vor den damit verbundenen Investitionen oft zurückschreckt“, wird Stephan Tromp, stellvertretender HDE-Hauptgeschäftsführer, in einer Pressemitteilung zur Studie zitiert. Aus der Studie von HDE und „Safaric Consulting geht hervor, dass KI-Projekte in rund 37 Prozent der befragten Handelsunternehmen einen mittleren Stellenwert haben: Sie führen konkrete Projekte durch, um einzelne Prozesse zu unterstützen. Zwar sei das Interesse am Einsatz von KI im Vergleich zum Vorjahr gewachsen, doch nur 2,5 Prozent der Befragten wendeten KI unternehmensübergreifend an. Bei 10,6 Prozent komme sie in einzelnen Bereichen zum Einsatz. Genutzt wird KI vor allem in Form von Kamerasystemen zum Diebstahlschutz, zur Klassifizierung von Produktgruppen sowie zur automatisierten Sortimentsüberarbeitung und somit insgesamt im Rahmen einfacher Anwendungsfälle.
Bei den Bereichen, in denen die Menschen laut Arvind Narayanan besonders anfällig für „Schlangenöl-KI“ seien, steche eines besonders hervor: das Recruiting. Dass man hier auf Künstliche Intelligenz hoffe, liege daran, dass die Not besonders groß sei – weil halt niemand vorhersagen könne, ob eine neu eingestellte Person tatsächlich in einem Job etwa in der Handelsbranche überzeugen werde oder nicht. Recruiting ist ein Stochern im Nebel – umso begieriger greife man zum „Snake Oil“, in der Hoffnung, dass die KI diesen Nebel lichten möge. Was sie natürlich nicht könne: Es gebe, sagt Arvind Narayanan im Interview im Buch „Fake AI“, mittlerweile eine Reihe wissenschaftlicher Studien, die gründlich der Frage nachgegangen seien, wie gut KI-Systeme darin sind, soziale Folgen von Entscheidungen abzuschätzen, zum Beispiel der, wen man für einen neuen Job einstellt und wen nicht. Das Ergebnis: „Die KI schneidet so gerade bei besser als der Zufall ab.“

Recruiting führt KI an die Grenzen

Eine Meldung zu den Human Ressource-Trends für das Jahr 2022 des Talent-Lösungs-Anbieters Robert Halt scheint dieser Ansicht zu widersprechen. KI werde „bei der Suche nach geeigneten Bewerber*innen eine unterstützende Rolle spielen“, wird Sven Hennige, Senior Managing Director Central Europe bei Robert Half, in einer Pressemeldung zur Vorstellung der aktuellen Arbeitsmarktstudie 2021 zitiert. Basis der Analyse ist die Befragung von 300 Manager*innen mit Personalverantwortung in kleinen, mittelgroßen und großen deutschen Unternehmen, darunter auch Handelsunternehmen. Dabei zeigen sich zwei Einsatzgebiete der Systeme: Zum einen setzen Personalabteilungen sie ein, um Termine für Bewerbungsgespräche zu koordinieren oder formale Anforderungen in den Unterlagen prüfen, um so den Kreis der Kandidat*innen zu definieren. Das sind alles Routinearbeiten im Vorfeld, hier übernimmt die Künstliche Intelligenz eine Reihe von Prozessen, die den Menschen viel Zeit kosten. Der positive Effekt: Die HR-Spezialisten können sich auf ihre wahre Arbeit fokussieren. Kein „snake oil“, sondern echte Hilfe.
KI soll Bewerbungsverfahren bestenfalls fairer machen. Denn: Menschen sind nicht immer vorurteilsfrei.
Doch die Befragten nannten noch ein weiteres Einsatzfeld für die KI im Bereich des Recruiting: Sie könne auch dafür genutzt werden, auf Basis einer passenden Datenbasis zu entscheiden, ob jemand anhand der fachlichen Skills für einen Job in einem Handelsunternehmen geeignet sei – und zwar unabhängig von den sonstigen Merkmalen dieser Person. „Die Entscheidung richtet sich dann zum Beispiel nicht danach, ob es sich bei dem Bewerber um einen Mann oder eine Frau handelt“, so Hennige in der Pressemeldung. Seine Schlussfolgerung: „KI soll Bewerbungsverfahren bestenfalls auch fairer machen. Denn: Menschen sind nicht immer vorurteilsfrei.“ Das stimmt. Der Haken an der Sache ist nur: Das stimmt dann aber auch für die Künstliche Intelligenz. Schließlich wird sie von den vorurteilsbehafteten Menschen gestaltet.

KI im Handel: Muster erkennen

Ein Blick in die Praxis zeigt, wo Künstliche Intelligenz aktuell in den großen deutschen Unternehmen zum Einsatz kommt. Siemens vermeldet in einem Pressetext, die KI gestalte die Produktion in der Industrie „effizienter, flexibler und zuverlässiger“. Konkrete Anwendungen seien „Spracherkennung zum Bearbeiten einfacher Aufträge, das Erfassen von Umgebungen mittels Kameras, Laser- oder Röntgenstrahlen bis hin zu virtuellen persönlichen Assistenten in der Logistik“, heißt es in der Meldung zu den industriellen Anwendungsfeldern der KI. Bei Audi setzt man laut Pressmeldung aus dem Sommer 2021 darauf, KI-Methoden für einen besonders komplexen Bereich einzusetzen, der auch für den Handel von großer Bedeutung ist: den Einblick in die Lieferkette. Gerade diese Komplexität sorge dafür, dass es wichtig sei, „mögliche Risiken zu verstehen und Zusammenhänge frühzeitig herzustellen“, heißt es in der Pressemeldung.

Magazin zu KI-Gestaltungen und -Erfahrungen

„TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis“ nennt sich ein Open-Access-Zeitschriftenprojekt des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Es erscheint beim Oekom-Verlag, der PDF-Zugriff ist gratis. Die Ausgabe 30, erschienen Ende 2021, widmet sich dem Thema „KI-Systeme gestalten und erfahren“ – ein Titel, der impliziert, dass es Menschen sind, die bei der Entwicklung der KI-Systeme die Gestaltungsrolle übernehmen. In ihren Texten betrachten die Autor*innen u. a. die juristischen oder demokratietheoretischen Rahmenbedingungen von KI sowie die Frage, wie sich solche Systeme in Hinblick auf Akzeptanz und Vertrauen mitarbeiterfreundlich implementieren lassen. www.tatup.de
Im Herbst 2020 startete Audi ein Pilotprojekt: In weltweit rund 150 Ländern analysieren intelligente Algorithmen Nachrichten über Lieferant*innen aus online zugänglichen öffentlichen Medien und sozialen Netzwerken. „Geprüft werden Nachhaltigkeitskriterien wie Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverstöße und Korruption. Besteht der Verdacht auf potenzielle Nachhaltigkeitsverstöße, schlägt die Künstliche Intelligenz Alarm“, heißt es in der Pressemeldung. Entwickelt wurde die dafür eingesetzte KI vom österreichischen Start-up Prewave. „Machine Learning und automatisierte Sprachverarbeitung machen so möglich, was manuell ein Ding der Unmöglichkeit wäre: kontinuierliche Risikoabschätzungen über die gesamte Lieferkette hinweg, mit denen die Beschaffung dann proaktiv auf die Lieferant*innen zugehen kann“, wird Harald Nitschinger, CEO von Prewave, in der Audi-Pressemeldung zitiert. Die Fallbeispiele aus der Praxis zeigen: Zum Einsatz kommt Künstliche Intelligenz in den Unternehmen vor allem dort, wo die Menge und Tiefe an Informationen das menschliche Gehirn komplett überfordert. Welche dieser Daten relevant sind und welche nicht – diese Regeln gibt weiterhin der Mensch vor. Das muss er auch, denn eine KI weiß von sich aus nichts über Menschenrechte oder das Fehlverhalten der Korruption. Daraus folgen zwei Dinge: Erstens bleibt der Mensch das bestimmende Element, zweitens bringt er damit weiterhin seine moralischen Vorstellungen, aber auch Vorurteile ins Spiel. Darauf zu bauen, die KI könnte sich aus eigener Motivation heraus zu einer fairen, gerechten oder sogar moralischen Instanz entwickeln, ist der Glaube ans „snake oil“.
Computer sind unschlagbar im Rechnen und in der Mustererkennung, doch nur Menschen können denken, fühlen, Kontexte erfassen und kreativ schöpferisch sein.

Menschen machen Maschinen

Was die KI-Systeme aber durchaus leisten können: Prozesse in Gang zu setzen, die den Menschen dabei helfen, unfaire und ungerechte Strukturen offensichtlich zu machen – in den Lieferketten der Handelsunternehmen. Aber eben auch in einem Bereich wie dem Recruiting, wo die KI fehlende Diversity erkennbar machen kann. „Entscheidend ist dabei ein Verständnis der verschiedenen ‚Superkompetenzen‘ von Mensch und Maschine“, schreiben die Trendforscher*innen vom Zukunftsinstitut in ihrem „Trendausblick 2022“. „Computer sind unschlagbar im Rechnen und in der Mustererkennung, doch nur Menschen können denken, fühlen, Kontexte erfassen und kreativ schöpferisch sein.“ Die eigentliche Zukunftsbestimmung intelligenter Technologien werde deshalb darin bestehen, die Erschließung dieser genuin menschlichen Potenziale zu unterstützen. Kurz: Der Job der Künstlichen Intelligenz sollte es sein, dem denkenden Menschen Aufwind zu geben.

KI in der Lehre

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena und die Technische Universität Ilmenau starteten Ende 2021 ein Forschungsprojekt, das es ihren Studierenden und Lehrenden ermöglicht, Kenntnisse und Fähigkeiten über Künstliche Intelligenz zu erlangen. „Angesichts der zunehmenden Durchdringung nahezu aller Bereiche der Gesellschaft mit Künstlicher Intelligenz, werden KI-Angebote nicht nur für MINT-Studiengänge, sondern für das gesamte Studienangebot der beiden Universitäten entwickelt“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Hochschulen. Bislang seien solche Verfahren vor allem in der Informatik und in ingenieurtechnischen Fachbereichen entwickelt und eingesetzt, „doch sind Kenntnisse und Fähigkeiten über Künstliche Intelligenz auch in naturwissenschaftlichen und zunehmend in geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereichen nützlich und künftig immer notwendiger. Daher werden für Universitätsabsolventen und -absolventinnen KIKompetenzen in Zukunft wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Karriereeinstieg sein. Und diese sorgen wiederum dafür, dass KI-Kenntnisse verstärkt in Wirtschaft und Gesellschaft transferiert werden“, wird der Ansatz des Pilotprojekts erklärt.

Eintauchen

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Liebe zum Homeoffice

Überall auf der Welt sind Büros wieder offen: Auch in Deutschland gehört die Homeoffice-Pflicht der Vergangenheit an und viele Unternehmen scheinen zu erwarten, dass ihre Mitarbeiter ins Büro zurückkehren. Doch laut einer neuen weltweiten Studie von OnePoll, im Auftrag von Citrix, ist dieser Weg nicht unbedingt der Richtige. Denn Arbeitnehmer sind nicht bereit, die neue Freiheit aufzugeben. Die Mehrheit genießt die Flexibilität, die es ihnen ermöglicht, von überall aus zu arbeiten, und ist auch bereit, ihren Arbeitsplatz aufzugeben, um diese Flexibilität zu erhalten. Zahlen zeigen das: 77 Prozent der Büroangestellten geben an, dass ihr Büro wieder geöffnet ist, aber lediglich 5 Prozent sind zu 5 Tagen pro Woche im Büro zurückgekehrt.

Studie zu Diversity

Diversity, Equity und Inclusion (DEI) gewinnt für Handelsunternehmen in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Das zeigt eine gemeinsame Studie des Handelsverbands Deutschland (HDE), der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland und Google Deutschland aus dem Jahr 2022. Während DEI-Konzepte im Mittelstand noch wenig Verbreitung gefunden haben, bestehen in vielen Großunternehmen bereits entsprechende Initiativen. Vor allem mit Blick auf die bereichsübergreifende Verankerung von DEI zeigt die Studie Handlungsbedarf auf und gibt darüber hinaus Empfehlungen für die Praxis. Von den 334 befragten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erwarten 55 Prozent, dass Diversität für ihr eigenes Unternehmen in Zukunft ein immer wichtigeres Thema werden wird. Für 37 Prozent der Teilnehmenden sind DEI schon heute von Bedeutung, während 30 Prozent dem Konzept gegenüber neutral eingestellt sind. Nur ein knappes Drittel gab an, Diversität habe keine Relevanz für ihren Betrieb.

Vielfalt an Lieferdiensten

Immer mehr Lieferdienste schießen nun auch in deutschen Städten wie Pilze aus dem Boden. Während die einen mit blitzschnellen Lieferzeiten werben, setzen andere eher auf Nachhaltigkeit und Regionalität. Und wer nur das Einkaufen scheut, aber seine Mahlzeit trotzdem lieber selbst zubereitet, wird auch fündig – bei meist jungen Start-ups wie beispielsweise dem Kölner Unternehmen Kochtiger. Hier bestellt man Kochboxen mit Zutaten für ayurvedische, vegetarische, vegane oder glutenfreie Gerichte. Eine detaillierte Anleitung zur Zubereitung liegt bei. Das Portfolio reicht von Mexikanischer Bohnen-Bowl über Pitabrot mit Ofengemüse bis zu Risotto mit schwarzem Reis und Zucchini-Minz-Crème. von Christiane Martin

Supermarkt-Experte Prof. Dr. Stephan Rüschen im Interview

Der Supermarkt der Zukunft? Im Kassenbereich ist kein Personal mehr nötig, alles läuft digital ab. Dafür gibt es Bedientheken, an denen Mitarbeiter*innen die Kund*innen beraten. Lieferservices gibt es auch, auf Wunsch rasend schnell, bei Bedarf aber auch mit einem Vollsortiment im Angebot. Prof. Dr. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel, erforscht solche Szenarien und analysiert den aktuellen Zustand in den deutschen Supermärkten. Sein Credo: Der Lebensmittelhandel gibt Menschen Jobs, die Eigenverantwortung, Umgang mit Daten und Kontakt zu Menschen schätzen. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Stephan Rüschen ist seit 2013 Professor für Lebensmittelhandel und Studiengangsleiter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann studierte er BWL und promovierte 1996 in München. Seine Karriere im Handel startete er 1996 als Senior Associate in der Unternehmensentwicklung bei der Tengelmann Group. 2000 wechselte er zur Metro Group, wo er zunächst als Head of Portalmanagement des Tochterunternehmens Dayconomy tätig war. Bei Metro Cash & Carry stieg er bis 2012 zum Customer Management Director auf, bevor er 2013 in die Wissenschaft wechselte.
Herr Prof. Rüschen, im Zuge der Pandemie waren Supermärkte die einzigen Orte, an denen man konsumieren konnte. Zählen daher Supermärkte zu den Gewinnern der Pandemie? Ja, Supermärkte wie Rewe und Edeka waren die sogenannte Pandemie-Gewinner, da Menschen bei geschlossenen Restaurants und beim Arbeiten im Home- Office sich beim Einkauf von Essen etwas leisten wollten und daher das One-Stop- Shopping im Supermarkt dem Discounter vorgezogen haben. Positive Umsätze haben aber alle Lebensmittelhändler in dieser Zeit verzeichnen können. Während der Lockdowns wurden die Mitarbeiter* innen in den Lebensmittelgeschäften tatsächlich zum Teil als Corona- Held*innen angesehen. Allerdings vergessen wird doch sehr schnell: Von dieser besonderen Wertschätzung gegenüber den Mitarbeiter*innen ist ehrlich gesagt nicht mehr viel zu spüren. Inflationssorgen und sinkende Kaufkraft stehen heute mehr im Fokus als die Systemrelevanz des Lebensmittelhandels. Ein weiterer Effekt der Pandemie war der Zulauf für Lieferdienste. Warum tat sich Deutschland bisher beim Thema Lebensmittellieferung eigentlich so schwer? Deutschland hat eine der höchsten Filialdichten in Europa. Die überwiegende Anzahl an Kund*innen ist in diesem Land maximal fünf Minuten vom nächsten Lebensmittelgeschäft entfernt. Daher drängt sich der Bedarf nach Lebensmittellieferungen für Kund*innen nicht unbedingt auf. Außerdem wollen wir frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse oder Fleisch lieber selbst auswählen. Die Mentalität in Deutschland ist auch davon geprägt, neue Entwicklungen nicht unbedingt als Erste auszuprobieren. Auch sind wir sehr preissensibel. Lebensmittellieferungen sind etwas teurer als der stationäre Einzelhandel, daher wollen viele Kund*innen lieber im stationären Handel die Produkte selbst aussuchen – und dabei möglichst noch ein Schnäppchen machen. Ist den Lieferdiensten nun der nachhaltige Durchbruch gelungen? Ja, auf alle Fälle. Die Lieferdienste hätten im Zuge der Pandemie noch deutlich mehr Umsatz gemacht, wenn sie die plötzlich nachgefragten Lieferkapazitäten gehabt hätten. Viele Kund*innen haben die Belieferung mit Lebensmitteln in der Pandemiezeit ausprobiert und realisiert, dass es funktioniert. Daher sind viele dabeigeblieben. Außerdem war die steigende Nachfrage der Nährboden für die Entstehung vieler neuer Anbieter und Konzepte. Die Quick-Commerce-Anbieter wie Gorillas, Getir, Flink und einige andere sind in der Pandemie entstanden und sehr schnell gewachsen. So schnell, dass wir bereits jetzt eine erste Konsolidierung im Markt sehen. Wie wird sich dieser Markt entwickeln? Es gibt bei der Belieferung mit Lebensmitteln unterschiedliche Zielgruppen, daher werden aus meiner Sicht mehrere verschiedenen Modelle ihre Berechtigung haben. Zum einen die erwähnten Quick-Commerce-Anbieter, die innerhalb kürzester Zeit, rund zehn Minuten, eine beschränkte Anzahl an Produkten liefern können, zum anderen die Vollsortimenter, die auch einen kompletten Wochenendeinkauf aus einem großen Sortiment mit mehr als 10 000 Artikeln abdecken können. Wobei die Lieferung dann eben etwas länger dauert. Dazu kommen noch Spezialisten für Tiernahrung oder Bio-Kisten. Wir werden also ein vielfältiges Angebot vorfinden, zumindest in Städten. Wer wird den Markt bestimmen, neue Player oder etablierte Händler? Es sind zwar einige Start-ups in den Markt eingestiegen, aber letztlich werden die etablierten Lebensmittelhändler den Markt bestimmen, in dem sie zum Beispiel Kooperationen eingehen, wie wir dies bereits bei Flink und Rewe oder Edeka und Picnic beobachten können. Lebensmittellieferdienste benötigen starke Partner, zum Beispiel, um ihnen Produkte zu einem günstigen Preis beschaffen oder auch Eigenmarken zur Verfügung zu stellen.
Die Kundenbedürfnisse werden immer differenzierter, in der Folge sind Supermärkte deutlich größer als vor 15 Jahren, da die Sortimente deutlich größer und vielfältiger geworden sind: vegan, vegetarisch, glutenfrei, laktosefrei, regional, lokal und so weiter.
Wenn Sie neu entstehende Filialen in den Supermärkten mit solchen vergleichen, die vor 10 bis 15 Jahren eröffnet haben, welche Veränderungen fallen Ihnen auf? Die Kundenbedürfnisse werden immer differenzierter, in der Folge sind Supermärkte deutlich größer als vor 15 Jahren, da die Sortimente deutlich größer und vielfältiger geworden sind: vegan, vegetarisch, glutenfrei, laktosefrei, regional, lokal und so weiter. Außerdem erleben wir bei den Supermärkten ein Trading-up in der Ladengestaltung: Es macht heute mehr Spaß und Freude, in einem Supermarkt einzukaufen. Und: Die Digitalisierung hält auch Einzug in die Märkte, zum Beispiel mit Selfcheckouts und Elektronischen Preisschildern. Sie forschen auf Ihrem Campus zu personallosen Läden. Wie weit sind wir bei der Entwicklung von Märkten, die ohne Personal funktionieren und in dem die Abläufe automatisch ablaufen? Abhängig vom System funktioniert das bereits sehr gut. Kassen-Selfcheckout und Smartphone-Scanning funktionieren ohne Probleme. Das von Künstlicher Intelligenz getriebene „Grab & Go-Prinzip“ wird noch ein paar Jahre dauern, bis es wirklich für deutsche Supermärkte marktreif sein wird. Gemeint sind Supermärkte, in denen Kund*innen ihre Produkte einpacken und das Bezahlen über automatische digitale Systeme funktioniert. Bisher werden nur sehr kleine Märkte betrieben, mit einer Fläche bis zu 200 Quadratmetern. Die Anzahl derjenigen Händler, die hier Tests durchführen, und auch die Anzahl der technologischen Anbieter steigt jedoch rasant. Aktuell werden über 50 Tests solcher weitestgehend unbemannter Stores in Deutschland durchgeführt. Hinzu kommt: Die KI-Technologie hinter Grab & Go wird jeden Tag ein bisschen schlauer. Allerdings müssen auch die Kund*innen mitspielen. In welcher Hinsicht? Wie schon erwähnt: Wir sind in Deutschland in der Nutzung funktionierender Technologien dem europäischen Ausland hinterher. Der Blick nach England zeigt, dass solche Systeme nicht nur marktreif sein, sondern auch von den Kund*innen akzeptiert werden müssen. Auf der anderen Seite gibt es in vielen Märkten eine Art Renaissance der Beratung, auch hier scheint es großen Bedarf zu geben. Ist das ein Widerspruch zur Entwicklung vollautomatisierter Märkte? Nein, nicht unbedingt. Händler wollen vor allem den Kassiervorgang sowie die internen Abläufe, wie Bestellung von Ware, automatisieren. Das hat aber keinen Einfluss auf die Bedientheken. Jedoch wird es immer schwieriger, Fachpersonal für diese Theken zu gewinnen. Supermärkte wollen Bedientheken auch langfristig behalten, einige haben sogar Bedienungen bei Obst und Gemüse wieder eingeführt. Man braucht dafür aber qualifizierte Mitarbeiter*innen.
Das Handelsgeschäft ist in den Zentralen zunehmend datengetrieben. Ein Grundverständnis von Daten und Zusammenhängen sollte man daher mitbringen.
Mit Blick auf Nachwuchskräfte, die eine Karriere im Lebensmittelhandel anstreben: Welche Skills und Eigenschaften sind generell wichtig, um hier Spaß zu haben und erfolgreich zu sein? Das Handelsgeschäft ist in den Zentralen zunehmend datengetrieben. Ein Grundverständnis von Daten und Zusammenhängen sollte man daher mitbringen, dazu Spaß daran, sich mit Umsatz- und Kundendaten zu beschäftigen. Im Vertrieb wird auch in Zukunft die Interaktion mit Menschen, sei es mit Mitarbeiter*innen oder Kund*innen, im Vordergrund stehen. Wer Menschen mag, der mag auch den Handel. Generell unterscheidet sich der Handel in Sachen Schnelllebigkeit von anderen Branchen: Man kann sehr schnell den Erfolg seiner eigenen Entscheidungen sehen und messen. Wer also Verantwortung für Menschen und Entscheidungen übernehmen will, der ist im Handel hervorragend aufgehoben. Zumal die Verantwortung in den Filialen weiter wachsen wird, da immer mehr Daten zur Verfügung stehen, die bei der Entscheidungsfindung Unterstützung bieten. Bitte vervollständigen Sie zum Abschluss folgenden Satz: Der Supermarkt der Zukunft wird ein ganz neues Einkaufserlebnis bieten, weil … … er viele Einkaufsvorgänge digital unterstützt und trotzdem der Mensch noch den Unterschied machen wird.

Grab & Go im Supermarkt

In „Grab & Go“-Supermärkten ermöglicht die sogenannte Just-Walkout-Technologie durch KI-Systeme zur Bilderkennung, Computer und „Sensor Fusion“ in den Regalen ein reibungsloses Einkaufserlebnis für die Kund*innen, „Frictionless Shopping“ genannt. In Seattle eröffnete Amazon bereits 2016 den ersten Store dieser Art. Es dauerte einige Jahre, bis die Technologie mit weiteren Technologieanbietern und Händlern auch in Europa Einzug gehalten hat, das polnische Handelsunternehmen Zappka betreibt mittlerweile mehr als 50 solcher „Smart Stores“, den Markteintritt in Deutschland wagte das Unternehmen im Sommer 2022 in der „Tesla Gigafactory“ im brandenburgischen Grünheide.