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Wachstum statt Boom

Man darf Wind, Sonne und Biomasse nicht mit Edelmetallen verwechseln: Im Bereich der Erneuerbaren Energien gibt es keinen Goldrausch. Stattdessen arbeiten die Unternehmen zielgerichtet daran, die grüne Kraft optimal zu nutzen. Dabei gibt es noch einiges zu tun. Dafür ist guter Nachwuchs gefragt. Von André Boße

Eine Arbeitswoche im Bereich der Erneuerbaren Energien kann sehr abwechslungsreich sein. Beispiel Windkraft: Den Montag verbringt man im Büro und setzt Verträge auf, am Dienstag sitzt man bis spät abends in einer Gemeinderatssitzung, um den Kommunalpolitikern ein geplantes Windkraftprojekt zu erläutern. Am Mittwoch geht es auf die grüne Wiese, wo das Projekt entstehen soll. Am Donnerstag dann zurück ins Büro, wo englischsprachige Videokonferenzen anstehen. Und am Freitag trifft man sich im Unternehmen mit Kollegen aus unterschiedlichsten Abteilungen, um das Projekt durchzusprechen, mit Ingenieuren und Juristen, Controllern und Forstspezialisten.

„Am wichtigsten ist Flexibilität: zeitlich, räumlich – aber auch im Kopf“, bringt Dirk Güsewell die Anforderungen an solche Jobs auf den Punkt. Seit 2013 ist der 44-Jährige Vorstand für den Bereich Portfolioentwicklung beim baden-württembergischen Energieversorger EnBW. Seine Aufgabe ist es, den Wandel des Konzerns im Zuge der Energiewende voranzutreiben. Für die großen Energieversorger ist das eine echte Herausforderung. „Wir brauchen Mitarbeiter, die um die Ecke denken, wenn klassische Prozesse nicht zum Erfolg führen“, sagt der EnBW-Vorstand. „Das ist sehr anspruchsvoll, macht aber auch viel Spaß. Zudem bieten Branchen im Wandel wie die Energiebranche die Chance, schnell Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen mitzugestalten.“

Die Branche der Erneuerbaren Energie bietet noch immer ausgezeichnete Chancen

Das Bild der Energiewende mag in der Öffentlichkeit zuletzt ein wenig von seinem Glanz verloren haben, doch für Einsteiger bietet die Branche der Erneuerbaren Energie noch immer ausgezeichnete Chancen. „Durch die Konsolidierung in der Photovoltaikindustrie ist der Arbeitsmarkt zwischenzeitlich ein Stück weit unter Druck geraten. Einbußen in der Solarindustrie konnten aber durch Zuwächse in der Windkraft- und Bioenergienutzung fast komplett ausgeglichen werden“, analysiert Alexander Knebel, Sprecher der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE), die Jobsituation.

2012 zählte die Branche knapp 380.000 Beschäftigte, davon rund 130.000 in der Bioenergie und rund 118.000 in der Windbranche. „Und auch die Photovoltaik hat noch erhebliche Wachstumspotenziale“, so Knebel. Wie in allen Sparten der Erneuerbaren Energien zahle sich hier aus, dass Deutschland nach wie vor technologisch führend sei. Ein Beispiel: Die Innovationsallianz Photovoltaik präsentierte Anfang 2014 ein Solarmodul mit einem Rekord-Stromertrag von 300 statt der üblichen 240 bis 260 Watt. Bei dem Projekt kooperierten zehn Unternehmen aus verschiedenen Bereichen – ein Beispiel dafür, dass Innovation durch Zusammenarbeit entsteht.

Auch die großen Konzerne meinen es ernst mit der Aufrüstung ihrer Abteilungen für erneuerbare Energien

Hier ist Deutschland stark. „Entsprechend wird ein Zuwachs an Arbeitsplätzen erwartet“, sagt Alexander Knebel. Die Prognose: „Allein in der Windkraftbranche rechnet man mit 160.000 Beschäftigten bis 2020. Ein Boom geht oft schnell vorbei, aber die Branche der Erneuerbaren Energien hat sich in Deutschland über die Jahre ein stabiles Fundament geschaffen.“ Was die Unternehmenslandschaft im Bereich der Erneuerbaren Energien so faszinierend macht, ist ihre Vielfalt. Einsteiger finden Jobchancen bei Spezialisten für Windkraft, Photovoltaik oder Bioenergie, aber auch die großen Konzerne meinen es ernst mit der Aufrüstung ihrer Abteilungen für Erneuerbare Energien.

Beispiel Siemens: Die Windkraftsparte weist derzeit einen Auftragsbestand von zwölf Milliarden Euro vor – „ein Rekord, der zeigt, dass wir unabhängig vom Zeitgeist ein wichtiger Bestandteil des Konzerns sind“, sagt Markus Schwarzenböck, Vice President HR bei Siemens Wind Power, dem Windkraftbereich des Technologiekonzerns. Statt kleiner Parks mit wenigen Turbinen baut und entwickelt das Unternehmen heute große Windkraftwerke mit einer Leistung von bis zu 630 Megawatt – genug, um rund eine halbe Million Haushalte mit Strom zu versorgen.

11.000 Mitarbeiter hat die Konzernsparte bereits, darunter auch Leute in den Bereichen Service, Vertrieb und Logistik. „Schwerpunktmäßig sind dennoch Absolventen der klassischen Ingenieurdisziplinen wie Maschinenund Anlagenbau, Verfahrenstechnik und Elektrotechnik gefragt, aber auch Absolventen der Umwelttechnik, Energietechnik, des Bauingenieurwesens oder der Raum- und Umweltplanung“, sagt Schwarzenböck. Begeisterung für ökologische Themen ist dabei genauso wichtig wie sehr gute Englischkenntnisse. „In den internationalen Teams ist das die Alltagssprache“, so der Siemens- Personalverantwortliche.

„Wir stoßen in neue Leistungsklassen vor, in denen noch die Erfahrungswerte fehlen“

Zudem verlangen die Unternehmen von Einsteigern, dass sie Freude daran finden, neue Bereiche zu erobern. „Obwohl wir weltweit bereits eine Flotte von mehr als 13.000 Windturbinen im Einsatz haben, gibt es an vielen Stellen noch Pionierarbeit zu leisten“, so Schwarzenböck. Technische Herausforderungen ergeben sich zum Beispiel mit der zunehmenden Größe der Anlagen. „Bei Rotordurchmessern von 154 Metern und Maschinenhäusern, die Generatoren von sechs Megawatt Leistung beherbergen, müssen wir Logistik- und Installationsprozesse weiterentwickeln. Hier stoßen wir in neue Leistungsklassen vor, in denen noch die Erfahrungswerte fehlen“, sagt der Personalmanager.

Der Königsweg der Karrieren in den Erneuerbaren Energien führt schließlich ins Projektmanagement – also dorthin, wo alle Fäden zusammenlaufen. Hier ist mehr gefragt als nur technisches Know-how. Bei EnBW verantworten die Projektmanager die gesamte Entwicklung der Windprojekte – von der Akquise über die Planung und das Genehmigungsverfahren bis zum Bau und Betrieb. „Mitarbeiter sollten daher einen Unternehmersinn mitbringen“, definiert Vorstand Dirk Güsewell, „einen inneren Antrieb, ihr Projekt zum Erfolg zu führen.“ Auch Kommunikationsstärke sei von hoher Bedeutung. „Wir führen täglich Verhandlungen mit Lieferanten, Genehmigungsbehörden oder Bürgerinitiativen. Wie wir auftreten, macht oft den entscheidenden Unterschied aus.“

Industrie 4.0 und grüne Energie

Mit dem „Internet der Dinge“ entsteht ein Netz, in dem nicht nur Menschen mit Menschen sowie Menschen mit Maschinen kommunizieren, sondern auch Maschinen mit Maschinen. Unter den Stichworten „Industrie 4.0“ und „Integrated Industry“ revolutioniert sich somit die Produktion in den Fabriken, die Hannover Messe machte diesen Trend 2014 zum Leitthema.

Auch im karriereführer ingenieure 1/2014 war „Industrie 4.0“ das Titelthema.

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