Der Markt für Quantentechnologien wächst rasant, ihre wirtschaftliche Relevanz steigt. Dabei gibt es Einsatzmöglichkeiten in fast allen Branchen. Doch Expert*innen sind rar und werden dringend gesucht. Von Christoph Berger
Die Investitionssummen in Quantentechnologien steigen weiter. Daran hat auch die Pandemie nichts geändert. Laut dem Quantum Technology Monitor der Unternehmensberatung McKinsey & Company hat sich die Finanzierung von Quanten-Start-ups von 700 Millionen US-Dollar im Jahr 2020 auf über 1,4 Milliarden US-Dollar in 2021 mehr als verdoppelt. Unter den drei Quantentechnologien verzeichneten die Quantensensorik und Quantenkommunikation im zweiten Halbjahr 2021 die höchsten Finanzierungszuwächse. Im Bereich Quanten Computing wurden mit insgesamt drei Milliarden US-Dollar seit 2011 jedoch nach wie vor die meisten finanziellen Mittel investiert. Darüber hinaus sind hier mit 228 Akteuren die meisten Unternehmen aktiv.
Eine Analyse zum Ursprung der Investitionen zeigt, dass vor allem private Investoren aktiv sind. Der weltweit größte Anteil entfällt dabei nach wie vor auf US-Unternehmen, gefolgt von Großbritannien (17 %) und Kanada (14 %). Ziel der Investitionen sind vorrangig etablierte Start-ups. Was den Einsatz öffentlicher Mittel betrifft, übertrifft China alle anderen Länder. Die angekündigten Investitionen der Volksrepublik betragen mehr als das Doppelte der Investitionen der Regierungen der Europäischen Union (15,3 Milliarden US-Dollar gegenüber 7,2 Milliarden US-Dollar) und achtmal mehr als die Investitionen der US-Regierung (1,9 Milliarden US-Dollar). Innerhalb der EU entfällt der größte Teil der angekündigten öffentlichen Mittel für die Entwicklung von Quantentechnologien auf Deutschland (41 %), gefolgt von Frankreich (29 %).
Schnelligkeit, Sicherheit und Genauigkeit
Der mit der Technologie verbundene Reiz ist zum einen deren Schnelligkeit: Quantencomputer versprechen in Zukunft exponentiell schneller zu sein als aktuelle Großrechner oder Server. Doch dies ist nicht der einzige Vorteil. Während Quantenkommunikation im Kern eine sicherere Übertragung von Quanteninformationen verspricht, handelt es sich bei Quantum Sensing um eine neue Generation von Sensoren. Diese können Messungen verschiedener Größen – zum Beispiel Schwerkraft, Zeit, Elektromagnetismus – durchführen und sensibler messen als klassische Sensoren, heißt es von Seiten der Unternehmensberatung.
Buchtipp
In diesem Buch teilen führende Vertreter aus Industrie und Forschung ihre Erfahrungen und Empfehlungen zur wirtschaftlichen Nutzbarmachung der Quantentechnologien. Verständlich geschrieben erklären sie, was Quantentechnologie ist, beleuchten aktuelle industrielle Anwendungen und ordnen die Herausforderungen für eine wirtschaftliche Nutzung ein. Alissa Wilms, Florian Neukart (Hrsg.): Chancen und Risiken von Quantentechnologien. Springer Gabler 2022, 54,99 Euro
Laut den Analysten werden die ersten Profiteure der rasanten Quantentechnologie- Entwicklung voraussichtlich die Pharma-, Chemie-, Automobil- und Finanzindustrie sein. Im Jahr 2035 könnten diese Branchen Wertschöpfungspotenziale in Höhe von fast 700 Milliarden US-Dollar erzielen. Langfristig würden Quantentechnologien für Finanzdienstleistungen und Biowissenschaften die wertvollsten Anwendungsfälle entwickeln. „Quantentechnologien haben das Potenzial, einige der schwierigsten globalen Herausforderungen zu lösen – von der bahnbrechenden Verkürzung der Arzneimittelentwicklungszeiten bis zur Begrenzung der globalen Erwärmung“, sagt Niko Mohr, Partner im Düsseldorf Büro von McKinsey und globaler Leiter des Bereichs für Quantentechnologien. Das Capgemini Research Institute hat in seiner Studie „Quantum technologies: How to prepare your organization for a quantum advantage now“ ermittelt, dass weltweit fast jedes vierte Unternehmen an der Nutzung von Quantentechnologien arbeitet oder plant, dies zu tun. Die Firmen rechnen mit mindestens einer größeren kommerziellen Anwendung innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre.
Herausforderung Talentsuche
Doch um diese Potenziale zu heben, braucht es die dafür ausgebildeten Expert*innen. Allerdings offenbaren die Analysen von McKinsey eine erhebliche Talentlücke. Demnach würden die universitären Kapazitäten nur etwa einem Drittel der derzeitigen Nachfrage entsprechen: Im Dezember 2021 habe es weltweit 851 offene Stellen für Quanten- Jobs gegeben, denen jedoch nur rund 290 jährliche Hochschulabsolvent* innen gegenüberstehen, die für diese Stellen infrage kommen könnten. Dabei verfüge die EU im globalen Vergleich derzeit noch über die höchste Konzentration von Quantentechnologie- Talenten. Hier kommen laut der Analyse 231 Talente auf eine Millionen Einwohner. In Großbritannien liege der Wert bei 169, in den Vereinigten Staaten bei 126 und in China bei 33.
Die Lücke zwischen Nachfrage und Angebot könnte nach Einschätzung des Beratungshauses potenziell durch Weiterbildungsprogramme geschlossen werden. So gebe es rund 350.000 Absolvent* innen aus Studiengängen wie Biochemie, Chemie, Elektronik und Chemieingenieurwesen, Informations- und Kommunikationstechnologie, Mathematik, Statistik und Physik, die über Wissen verfügen, das gezielt weiterentwickelt werden könnte. „Wenn wir in Deutschland und Europa Technologieführerschaft erlangen wollen, müssen wir eine Kultur geschaffen, die rasche technologische Fortschritte und den Aufbau eines wettbewerbsfähigen Talentpools begünstigt. Diese Kultur muss durch das öffentliche Bildungssystem und Weiterbildungsmaßnahmen von Unternehmen vollumfassend gestützt werden“, sagt Niko Mohr.
Wie wichtig eine solche Kultur ist, betonte auch Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder im Rahmen der Ergebnis-Veröffentlichung einer repräsentativen Befragung von Unternehmen aller Branchen zum Einsatz von Quantencomputern: „Quanten Computing ist eine der wichtigsten Grundlagentechnologien. Nachdem Deutschland in der traditionellen IT den Anschluss an die USA und China verloren hatte, bietet Quanten Computing die Chance auf einen echten Neuanfang. In der Quantentechnologie sind alle wieder zurück auf Start, und diese einmalige Chance muss Deutschland nutzen.“