Prof. Dr. Tommaso Calarco ist Direktor des Instituts für Komplexe Quantensysteme an der Universität Ulm. Im Gespräch mit Sabine Olschner erklärt er, wie Quantencomputer künftig in der Industrie eingesetzt werden könnten.
Was sind eigentlich Quantencomputer?
Wir haben fast alle einen Computer in der Tasche, der auf den Gesetzen der Quantenmechanik basiert: das Handy. Ohne die Quantenmechanik zu beherrschen, könnten wir keine Transistoren, keine Halbleitertechnik, keine Laser, keine Glasfaser zur Datenübertragung schaffen. Smartphones sind Geräte der ersten Quantenrevolution: Pro Bit haben wir mehrere Elektronen zum Beispiel in einem Strom- oder einem Schaltkreis und zahlreiche Photonen in einer Glasfaser. Diese Bits sind entweder 0 oder 1. Quantencomputer der nächsten Generation funktionieren so: Jedes Bit wird durch ein einzelnes Atom, Photon oder Elektron dargestellt. Es gibt also nicht mehr Hunderte Photonen pro Bit, sondern nur eins. Das führt zu einer anderen Logik bei den Halbleitern: Diese folgen nicht mehr binären Zahlen, also 0 oder 1, sondern gleichzeitig 0 und 1 oder einer beliebigen Kombination. Durch diese unendlich vielen und parallel veränderbaren Kombinationsmöglichkeiten von Daten in meinem Bitregister entsteht die herausragende Leistungsfähigkeit von Quantencomputern.
Lesen
Spektrum der Wissenschaft. Welt der Qubits Auf dem Weg zum Quantencomputer (E-Book). Spektrum der Wissenschaft 2017
Hans-Peter Dürr: Es gibt keine Materie! Crotona Verlag 2012
Wie weit ist die Entwicklung bei Quantencomputern schon fortgeschritten?
IBM hat gerade ein Projekt für einen Quantencomputer mit 17 Quantenbits gestartet, Google testet einen Chip mit 50 Quantenbits. Die Industrie hofft, dass diese Geräte bald der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und zwar nicht nur für Experimente und Demonstrationen – was bei IBM bereits der Fall ist –, sondern auch für die Nutzung, zum Beispiel als Koprozessoren für Rechenzentren.
Welche Rolle spielen Ingenieure künftig beim Thema Quantencomputer?
Für die Umsetzung von Ideen, wie die neuen Geräte eingesetzt werden, brauchen wir nicht mehr nur Physiker, sondern einen neuen Beruf: einen Quanteningenieur, also jemanden, der die Gesetze der Quantenmechanik kennt, die Funktionsweise der Geräte versteht und in der Lage ist, die Funktionsprinzipien in skalierbaren, kompakten, kosten- und energieeffizienten Geräten umzusetzen. Weder die heutigen Physiker noch die heutigen Ingenieure besitzen die Kompetenz, es wirklich zu einer industriellen Revolution zu bringen. Dafür brauchen wir die neuen Quanteningenieure.
In Europa entstehen immer mehr Studiengänge, die genau darauf abzielen. Diese sind unter anderem interessant für Elektroingenieure, Ingenieure der Kommunikationstechnik oder auch Raumfahrtingenieure. Die Europäische Weltraumorganisation ESA will zum Beispiel künftig auf Satelliten Quantenkommunikation durchführen. Für solche und andere Projekte sind die verschiedensten Ingenieurkompetenzen gefragt.
Wo könnten Quantencomputer sonst noch eingesetzt werden?
Die kleinsten Quantencomputer werden als Knoten für Quanten-Repeater notwendig sein. Ein Quanten-Repeater ist ein Gerät, das es erlaubt, die Reichweite von Quantenkommunikation über photonische Kanäle zu vergrößern. Bisher werden bei der Punkt-zu- Punkt-Verbindung 200 bis 300 Kilometer erreicht. Mit den Quanten-Repeatern könnten die kurzen Wege in den Glasfasern verbunden werden, so dass eine längere Kommunikationsübertragung erreicht wird. Anwendungsmöglichkeiten bestehen hier zum Beispiel beim maschinellen Lernen, also der künstlichen Intelligenz. Es könnte die Leistungsfähigkeit von großen Rechenzentren erweitert werden. Auch neue supraleitende Materialien oder neue Chemikalien könnten mithilfe von Quantensimulatoren entwickelt werden, die die Eigenschaften der Materialien oder Chemikalien viel schneller berechnen als es bisher möglich ist.
Quantengeld
Ein Forschungsteam aus Physikern der Universitäten Kassel, Erlangen und Mainz befasst sich mit dem Thema Quantengeld. Sie entwickeln den Prototypen eines Zahlungsmittels, bei dem ein mit Quantenmechanik verschlüsselter Sicherheitscode in einen Diamanten eingeschrieben wird. Der Code wäre nicht zu knacken.
Data Mining, das Management von großen Datenmengen, hat ebenfalls viel mit Machine Learning zu tun und könnte mithilfe von Quantenmechanik beschleunigt werden. Das ist auch die Hauptmotivation von Unternehmen wie Google, diese Technologien voranzutreiben.
Wann könnten Quantencomputer für uns zum Alltag werden?
Gemeinsam mit zahlreichen Forschern haben wir ein Quanten-Manifest verfasst, in dem wir eine gemeinsame europäische Initiative für Quantentechnologien fordern, um Europas führende Rolle bei dieser technologischen Revolution zu sichern. Wir erwarten, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren das Thema Quantencomputer in aller Munde sein wird. Schon heute beschäftigt sich die Industrie ganz konkret mit den ersten Anwendungen. So hat zum Beispiel ein deutscher Automobilhersteller einen in Kanada entwickelten Quantensimulator eingesetzt, um den Verkehr von Taxis in Peking zu optimieren. Solch ein Anwendungsbereich würde einem Physiker nie in den Sinn kommen, dafür brauchen wir Ingenieure. Auch andere Unternehmen überlegen derzeit, welche weiteren Anwendungsbereiche für Quantencomputer es geben könnte.