Gar nicht einfach, Luisa Neubauer für ein Interview zu erwischen. Regelmäßig ist sie in den großen Talkshows zu Gast, zusammen mit Greta Thunberg besucht sie Angela Merkel, im Sommersemester schloss sie ihr Bachelorstudium in Geographie ab. Zudem ist ihr Job, als bekanntestes Gesicht die deutsche „Fridays for Future“-Bewegung voranzubringen, in Pandemie-Zeiten nicht einfacher geworden. Kurz vor Redaktionsschluss hat es aber geklappt: Wir reden mit der 24 Jahre alten Klimaaktivistin über die Rolle von Unternehmen im Kampf gegen die Klimakrise – und über das, was Nachwuchskräfte bei der Jobwahl bedenken sollten, wenn sie ihr Engagement ernst nehmen. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Luisa Neubauer, geboren 1996 in Hamburg, wurde stark von ihrer Großmutter geprägt, die eine bedeutende Aktivistin der Anti- Atomkraft-Bewegung in den 1980er-Jahren war. Sie war es auch, die ihre Enkelin früh für die gewaltige Klimakrise sensibilisierte. Nach ersten Engagements in der Kirche arbeitete Luisa Neubauer nach dem Abitur für ein Entwicklungshilfeprojekt in Tansania, in England war sie auf einem Bio- Bauernhof tätig. Ab 2015 studierte sie in Göttingen Geographie, im Sommersemester 2020 schloss sie das Studium mit einem Bachelor ab. Nach einigen Posten bei NGOs lernte Luisa Neubauer auf dem Weltklimagipfel 2018 Greta Thunberg kennen. Seit 2019 ist sie nicht nur eine der führenden Aktivistinnen von Fridays for Future in Deutschland, sondern auch die bekannteste. Insbesondere mit ihren unerschrockenen Talkshow-Auftritten machte die 24-Jährige auf sich aufmerksam.
Der Sommer 2020 war nicht ganz so heiß und trocken wie in den vergangenen Jahren. Stattdessen überschattet die Pandemie fast alles. Und schon werden die Stimmen derjenigen lauter, die sagen: „Erderwärmung, war da was?“ Was tun Sie, damit solche Aussagen Sie nicht demotivieren?
Die Klimakrise wird Tag für Tag gefährlicher, Millionen Menschen bekommen sie bereits heute zu spüren. Menschen, die eine Wetterlage in Deutschland mit der geophysikalischen Extremsituation des Planeten verwechseln, demotivieren mich natürlich nicht. Eher frage ich mich, wie anstrengend es sein muss, so vehement die Augen vor den Bränden, Fluten, Gletscherschmelzen und Klimaleiden zu verschließen. Die Klimakrise ist da, und sie passiert jetzt.
Durch die Pandemie erlebt Deutschland ein Jahr, in dem der Staat eine ganz andere Rolle spielt, als in den Jahren zuvor: Er prägt, bestimmt Regeln, setzt Rechte für ein höheres Ziel außer Kraft. Ist das für den Kampf gegen den Klimawandel ein gutes Zeichen, weil sich zeigt, was möglich ist, wenn der politische Wille da ist?
Das stimmt zum einen, ja. Was Sie beschreiben, zeigt aber eben auch, dass die Klimakrise von vielen Verantwortlichen in diesem Sinne überhaupt noch nie „ernst“ genommen wurde – oder auch nur ernst genommen werden wollte.
Auch wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Innovationen prägen dieses Jahr. Wie wichtig ist es für Ihre Bewegung, sich mit neuen Entwicklungen aus diesen Bereichen auseinanderzusetzen?
Wir sprechen regelmäßig mit Wissenschaftler* innen. Viele Menschen aus diesem Bereich treten mit ihren Ideen und Visionen an uns heran. Dabei sehe ich spannenderweise auch, wie viele Menschen sich ein wenig auf uns als Bewegung ausruhen.
Wie meinen Sie das konkret?
Diese Leute erklären uns enthusiastisch, mit wem wir noch alles sprechen, was wir unbedingt angehen und umsetzen sollen. Das ist jedoch ein Missverständnis, denn: Die Klimakrise verlangt von uns als Gesellschaft, dass wir uns alle – und ich betone: wirklich alle! – selbstkritisch befragen, was wir denn eigentlich beitragen und was wir darüber hinaus beitragen könnten. Fridays for Future übernimmt einen Teil der Arbeit, das reicht aber bei Weitem nicht, um das Problem zu lösen. Da sind alle anderen auch gefragt.
Was glauben Sie, welche Rollen werden Ingenieure beim Kampf gegen die Erderwärmung spielen?
Ich mag diese Frage. Denn es ist merkwürdig, dass in Talkshows und auf Podien zum Klima vor allem Aktivst*innen und Klimaforscher*innen befragt werden – dabei sind, wie erwähnt, ja alle gefragt. Die Architekt*innen, die Manager* innen, die Lehrer*innen und natürlich auch die Ingenieur*innen dieses Landes. Wie alle Menschen sind sie gefragt, an Lösungen zu arbeiten.
Wir brauchen dringend junge Menschen, die sich bei ihrer Berufswahl die Frage stellen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen möchten.
Die Pandemie zeigt: Bevor es eine „technisch-medizinische Lösung“ gibt, also einem Impfstoff, ist der Mensch auf sich allein gestellt, Gesellschaften müssen beweisen, ob sie über ihr Verhalten Probleme lösen können. Gibt Ihnen das, was Sie aktuell beobachten, für den Kampf gegen den Klimawandel Hoffnung?
Nun, wir sehen, dass eine beispiellose Zahl an Menschen bereit ist, für das Klima auf die Straßen zu gehen, sich in Gemeinschaften, Gewerkschaften und Betrieben zu organisieren. Ich glaube, dass immer mehr Menschen verstehen, dass die Zivilgesellschaft gefragt ist, um Druck auf Entscheidungsträger*innen in allen Institutionen aufzubauen – und sie bringen sich ein. Das gibt mir Hoffnung.
Die Industrie ist ein Bereich, in dem es in Sachen Klimaschutz noch viel zu tun gibt. Die Unternehmen, die hier tätig sind, werden für Uni-Absolventen die Arbeitgeber von morgen sein. Was würden Sie jungen Menschen raten: Wie kann es gelingen, Karriere und Klimabewusstsein zusammen zu denken?
Macht die Klimastrategie der Unternehmen zum Kriterium bei Bewerbungen und in Bewerbungsgesprächen! Das hat unfassbar große Effekte, das sehen wir jetzt schon. Wir brauchen für die Lösung der Klimakrise dringend junge Menschen, die sich – soweit sie eine Wahl haben – bei ihrer Berufswahl die Frage stellen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen möchten. Das klingt drastisch, aber so drastisch ist die Situation. Ich denke, man kann schon unterscheiden zwischen Jobs in Unternehmen, die für eine gerechte Zukunft für alle auf einem intakten Planeten einstehen – oder die eben dagegen arbeiten.
Fridays for Future
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ Mit diesem Satz macht die globale Bewegung Fridays for Future die Weltgesellschaft darauf aufmerksam, dass die Zeit des Abwartens vorbei sein muss. Daher versteht sich die Gruppierung weniger als Sammelbecken für Aktivisten, sondern als Motor, der durch seine Aktionen möglichst viele Menschen für den Klimaschutz gewinnen will – wohlwissend, dass es zum Erfolg der Initiative eigentlich keine Alternative mehr gibt. Gegründet wurde die Bewegung von der Schwedin Greta Thunberg als Resultat eines Schulstreiks. „In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir intensiv mit zahlreichen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammengearbeitet, um konkrete Forderungen an die Politik aufzustellen“, heißt es in der aktuellen Zielerklärung. „Diesen Folge zu leisten, ist notwendig, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten und die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.“
Erkennen Sie an Ihren Gesprächen mit den Führungspersönlichkeiten der großen Unternehmen, dass dort tatsächlich ein Umdenken einsetzt? Oder beurteilen Sie das, was dort geschieht, eher als „Green wa shing“?
Ein Umdenken sehe ich bisher höchstens punktuell. Man hat in vielen Unternehmen erkannt, dass man mit grünen Logos und Slogans über Nachhaltigkeit – man könnte es auch „Futurewashing“ nennen – Menschen für sich gewinnen kann. Ich kenne aber leider nicht mehr als eine Handvoll Unternehmen, bei denen ich jenseits von Feel-Good- Marketing oder Scheinlösungen tatsächlich ein ernsthaftes Bemühen erkenne. Gleichzeitig wird das politische Gewicht von Unternehmen krass unterbewertet.
Inwiefern?
Viele Unternehmen signalisieren die Bejahung von Klimazielen, CO2-Preisen und Gesetzen – nur kommt diese Bereitschaft nicht bei der Politik an. Da sind auch Unternehmen und Personen in Führungspositionen gefragt, deutlicher Farbe zu bekennen.
Angenommen, Sie wären Mitglied eines Teams, das eine Strategie ausarbeitet, welche Rolle große Konzerne in der Zukunft haben, zum Wohle der Gesellschaft und des Gemeinsinns. Welche Aspekte würden Sie in diese Runde einbringen, wofür steht in Ihren Augen das „Unternehmen der Zukunft“?
Nun ja, am Ende des Tages stellt sich die Frage, wie wir auf diesem Planeten mit unseren begrenzten Ressourcen haushalten. Und wie Ökonomien tatsächlich auf das Wohlergehen der vielen ausgerichtet werden können. 71 Prozent der Emissionen von CO2 werden von den 100 größten Unternehmen der Welt emittiert – und zwar, weil man sie emittieren lässt. Weil es keine Gesetze und keine Regeln gibt, die das verhindern. Das muss sich ändern, wenn ich an die „Unternehmen der Zukunft“ denke.
Welche technische Entwicklung ist für Sie ein echter Hoffnungsträger im Kampf gegen die Erderwärmung?
Erneuerbare Energien, ganz klar.
Und bei welcher technischen Entwicklung würden Sie eher sagen: „Finger weg!“?
Bei derjenigen, die uns die Illusion gibt, sie würde auf magische Art unsere Probleme lösen. So ein vermeintliches technisches Wundermittel würde nämlich vom Wesentlichen ablenken.
Buchtipp: „Vom Ende der Klimakrise“
Zusammen mit dem Aktivisten und Wissenschaftsautoren Alexander Repenning veröffentliche Luisa Neubauer Ende 2019 das Buch „Vom Ende der Klimakrise: Eine Geschichte unserer Zukunft“. Wer etwas über die Relevanz der Publikation erfahren will, sollte die Amazon-Bewertungen anschauen: Es hagelt Ein-Sterne- Bewertungen von Menschen, die sich von den kritischen Ausführungen und der direkten Sprache der Autoren offensichtlich auf den Schlips getreten fühlen. Dabei ist das Buch keineswegs pessimistisch, sondern zeigt Wege aus dem Dilemma auf. Die Voraussetzung dafür: Sehr viele müssen dabei mitmachen. Gerade auch die Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die nicht nur an den Hebeln der Wirtschaft sitzen, sondern auch genügend Einfluss haben, eine neue Klimapolitik einzuleiten.
Luisa Neubauer, Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft. Tropen Verlag 2019. 18 Euro