Was muss wo und wann getan werden, damit wir Menschen die Klimakrise in den Griff bekommen? Der Berliner Physiker und Klimaforscher Prof. Dr. Felix Creutzig versucht, sachlich analytische Antworten auf diese Frage zu finden. Im Interview benennt er die Bereiche mit der größten Hebelwirkung – und macht klar: Wer heute als Ingenieur*in einsteigt, wird immer mit dem Thema Klimaschutz konfrontiert werden. Die Fragen stellte André Boße
Zur Person
Prof. Dr. Felix Creutzig leitet am MCC Berlin die Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport. Er ist Leitautor des fünften IPCC-Sachstandsberichtes und war Leitautor im Global Energy Assessment. Er unterrichtet zudem im Bereich Climate Change & Infrastructure an der Technischen Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Analyse der Möglichkeiten für Klimaschutz in Städten und die Modellierung nachhaltiger urbaner Formen und Transportsysteme. Seit 2009 ist Creutzig zudem Gruppenleiter in der Abteilung Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin. Er hat seinen PhD in Computational Neuroscience an der Humboldt-Universität zu Berlin erworben.
Herr Prof. Dr. Creutzig, um auf die Dringlichkeit des Kampfes gegen die Klimakrise hinzuweisen, arbeiten Sie gerne mit dem Bild einer Badewanne: Die Wanne läuft voll, doch um zu vermeiden, dass alles überschwemmt wird, hilft es nicht, den Zulauf nur zu drosseln: Wir müssen ihn ganz abstellen. Wie weit sind wir in dieser Hinsicht?
Es sieht nicht sehr gut aus, die Wanne läuft weiterhin voll, teilweise sogar mit erhöhter Geschwindigkeit. Es geht ja nicht nur um CO2, sondern auch um andere Treibhausgase, allen voran Methan. Diese Emissionen treten gerade beschleunigt auf – und zwar auch durch biogene Prozesse …
… für die wir Menschen nichts können.
Genau, aktuell beobachten wir das beim Methan, das in der Tundra freigegeben wird. Die Vorstellung, dass sich zusätzliche Effekte ergeben, die die Geschwindigkeit des Klimawandels mitbestimmen, ohne dass wir etwas damit zu tun haben, ist beängstigend.
Das klingt nicht sehr optimistisch.
Es gibt auch andere positive Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sich die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen nicht nur langsam stabilisieren, sondern die Geschwindigkeit in den nächsten Jahren auch abnehmen könnte. Wir sollten uns hier nicht davon demotivieren lassen, dass die Ergebnisse unserer Bemühungen erst langsam bewertbar werden. Zu Beginn dauert es, bis überhaupt etwas erkennbar ist. Aber dann wird es relativ schnell gehen, dass sich die Werte verbessern, sogar exponentiell.
Zu Beginn dauert es, bis überhaupt etwas erkennbar ist. Aber dann wird es relativ schnell gehen, dass sich die Werte verbessern, sogar exponentiell.
In welchen Feldern geht es gut voran?
Nehmen Sie die E-Autos: Sie sind dabei, den Verbrenner abzulösen. Zudem ist die Art und Weise, wie heute gebaut wird, deutlich klimafreundlicher, auch hier gibt es viele positive Veränderungen.
Würden Sie sagen, dass es die Weltgesellschaft begriffen hat, worauf es beim Kampf gegen die Klimakrise ankommt?
Intellektuell begriffen, ja. Emotional nicht unbedingt. Die „eine“ Weltgesellschaft gibt es ja sowieso nicht, sondern es gibt verschiedene Reaktionen von verschiedenen Teilen der Gesellschaft. Da sind zum Teil emotional-psychologische Prozesse erkennbar, die in die eine oder andere Richtung gehen und teilweise zu Widerstand gegen Maßnahmen führen können. Das will ich gar nicht abwerten, oft stecken persönliche Begründungen dahinter. Das sind komplizierte Prozesse – gesellschaftlich, persönlich –, mit denen wir alle umzugehen haben.
Bleiben wir noch einmal beim Bild mit der Badewanne: Es ist bereits technisch möglich, CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Ist diese Technik die Pumpe, die uns dabei hilft, die Wanne leerzusaugen?
Diese Technik funktioniert, das schon. Aber es wird nicht funktionieren, ab jetzt mit der Einstellung an das Problem heranzugehen: „Wir haben hier einige technologische Optionen, da braucht man ja nichts mehr zu machen.“ Da muss man schon mal genau auf die Zahlen gucken: Wir Menschen emittieren derzeit 55 Gigatonnen CO2 pro Jahr. Wenn wir alle negativen Emissionstechnologien implementieren würden, dann wäre es schon gigantisch, wenn wir pro Jahr ein, zwei Gigatonnen aus der Atmosphäre holen könnten. Es gibt Studien, die sagen, zehn Gigatonnen seien auch möglich, aber ich bin da skeptisch.
Der Hochlauf einer solchen Technologie ist nicht in drei Jahren zu machen, das dauert mehrere Jahrzehnte. Daher: Wir müssen unsere Emissionen auf null reduzieren – und zwar möglichst schnell.
Aber wenn es doch generell funktioniert: Warum holt man nicht mehr aus der Atmosphäre raus?
Weil die Menge an Energie, die man dafür benötigt, alles sprengen würde. Was man auch bedenken muss: Der Hochlauf einer solchen Technologie ist nicht in drei Jahren zu machen, das dauert mehrere Jahrzehnte. Daher: Wir müssen unsere Emissionen auf null reduzieren – und zwar möglichst schnell. Gibt es dann eines Tages diese Technologien im großen Maßstab, dann helfen sie uns im besten Fall dabei, die Temperatur wieder schrittweise zu reduzieren. Negative Emissionen sind also kein Allheilmittel, sondern die Möglichkeit, es am Ende noch ein wenig besser hinzubekommen.
Wir reden also nicht von einer Pumpe, sondern von einem Löffel, der superschwer und noch gar nicht erfunden ist.
Genau. Aber der Löffel kann schon seinen Dienst erfüllen, so ist es nicht. Wir sollten uns also dran machen, diesen Löffel zu schmieden und ihn so leicht, also kosteneffizient, wie möglich hinzubekommen.
In welchen Bereichen können Ingenieur*innen helfen, die Emissionen auf die Null zu drücken?
Der zentrale Bereich sind die Energiesysteme. Solarenergie ist die Technik, in der aktuell am meisten passiert, dort ist das Innovationspotenzial am größten. Die Technik ist sehr modular, man kann sie sehr kleinteilig einsetzen.
Dadurch ist Möglichkeit gegeben, sie auch in Nischen zu nutzen. Ich spinne einfach mal ein wenig rum: Warum nicht auf dem elektrischen Auto immer auch das Dach mit Photovoltaik bepflastern? Das würde zwar nicht reichen, das Auto anzutreiben. Aber es würde dabei helfen, die Batterie aufzuladen – und letztlich die Netze entlasten. Natürlich bleibt auch Windenergie ein Thema. Hier ist die Dynamik nicht ganz so hoch, weil die Energieform nicht so günstig ist wie die Photovoltaik. Wir werden Wind dennoch in großem Stil brauchen, gerade auch in Deutschland, wo Wind zur Sonne komplementär ist: Weht der Wind, scheint häufig die Sonne nicht, gerade im Winter.
Übergeordnet brauchen wir Ingenieurinnen und Ingenieure zudem bei den Netzen, die neu konfiguriert werden müssen. Wind und Solar sind nicht unbedingt dort, wo bisher die Kohlekraftwerke standen. Um das zu kompensieren, brauchen wir neue Netze, verbunden mit einer Nachfragesteuerung. Blicken wir in die 2030er-Jahre: Da werden wir an sehr vielen Tagen im Jahr zu 100 Prozent Energie aus den Erneuerbaren haben – aber im Winter könnte es dann doch zu ein, zwei Wochen kommen, in denen diese Quellen vielleicht nur 50 Prozent liefern werden. Wir werden dann wasserstoffbetriebene Gaskraftwerke haben oder Netzmanagement, sodass dieser Fall keine Gefahr für die Stromversorgung darstellt. Dennoch: Der Energiefluss muss systemisch neu geregelt werden.
Nachhaltig zu denken, ist schon heute eine Berufsqualifikation – und das wird sich noch verstärken.
Wie betrachten Sie das Thema Wasserstoff?
Wir müssen, davon bin ich überzeugt, massiv grünen Wasserstoff produzieren. Wir sollten ihn aber nicht überall einsetzen, dafür ist er zu teuer. Es muss schon ökonomisch sinnvoll bleiben, das heißt, wir müssen ihn dort nutzen, wo er den meisten Wert besitzt. Im Flug- oder Schiffsverkehr, wo elektrische Antriebe noch nicht funktionieren. Oder in der chemischen Industrie. Eine Sackgasse ist es dagegen, ihn als E-Fuel im Straßenverkehr einzusetzen. Dort besitzt er ökonomisch keine Perspektive, weil er im Vergleich zum batterie-ökologischen Antrieb einfach zu teuer ist.
Eine Nachwuchskraft, die jetzt im Ingenieurbereich anfängt – wird die es zwangsläufig immer mit nachhaltigen Techniken zu tun haben?
Ja, absolut. Nachhaltig zu denken, ist schon heute eine Berufsqualifikation – und das wird sich noch verstärken.
Wobei nachhaltig zu denken auch bedeutet, ganzheitlich und systemisch zu denken. Bleiben wir beim grünen Wasserstoff, da kann man sagen: „Ja, der ist nachhaltig.“ Aber so einfach ist das nicht, denn man muss auch entscheiden, wo dieser Wasserstoff sinnvoll eingesetzt werden kann und wo nicht. Man muss sich über die Konsequenzen Gedanken machen, über die Effekte, die zu ganz anderen Ergebnissen führen können, als man sich das vorgestellt hat. Angenommen, wir nutzen und subventionieren den Wasserstoff im Pkw-Bereich. Das funktioniert zunächst einmal prima. Systemisch gedacht zahlen wir als Gesellschaft in diesem Fall jedoch dafür, dass er uns woanders fehlt. Das ist ein Fehler im System, und den zu erkennen und zu formulieren, das wird eine Kernaufgabe der Ingenieurinnen und Ingenieure sein.
Zum MCC
MCC steht für Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Als Thinktank mit Sitz in Berlin verfolgt es das Ziel, hochrangige wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Analysen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik zu erstellen. So erforsche und liefere MCC
„lösungsorientierte Handlungsoptionen für Klimapolitik sowie generell für das Bewirtschaften der globalen Gemeinschaftsgüter – und damit für die Stärkung der vielfältigen Aspekte von menschlichem Wohlergehen“, heißt es in der Selbstbeschreibung auf der Homepage. Gegründet wurde das MCC 2012 von der Stiftung Mercator und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) als gemeinnützige Gesellschaft.