Audi digitalisiert seine Produktion und damit die Arbeitswelt in allen seinen Produktionsstandorten weltweit mit Bereichen wie Planung, Montage, Logistik, Instandhaltung und Qualitätssicherung. Von Sabine Olschner
Viele zukunftsweisende Projekte entstehen unter Mithilfe des Audi Production Lab, das 2012 ins Leben gerufen wurde und eine Art Thinktank für Produktionsthemen ist. Ein Kernteam mit 30 Mitarbeitenden entwickelt Ideen und testet neue Ansätze gemeinsam mit Kolleg*innen aus der Fertigung und Logistik, um die Effizienz, Präzision und Qualität in den Werken weiter zu optimieren. Technologien wie der 3D-Druck, Mensch-Roboter-Kollaboration, fahrerlose Transportsysteme sowie Augmented und Virtual Reality haben im Unternehmen bereits ihren Weg in die Großserie gefunden.
Mit der „Automotive Initiative 2025“ will der Konzern ein weltweites Kompetenznetzwerk für digitale Fabriktransformation und nachhaltige Innovationen aufbauen. Das Werk in Neckarsulm soll dabei eine zentrale Rolle als Reallabor einnehmen. In den kommenden fünf Jahre werden hier digitale Lösungen für die Fahrzeugfertigung und Lieferkette erprobt und bis zum Serieneinsatz entwickelt.
Anwendungen aus der Industrial Cloud
Der Volkswagen-Konzern baut derzeit eines der weltweit größten Cloud-Projekte auf. In der Digital Production Platform werden die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus den weltweiten Fabriken zusammengeführt und analysiert. Die Basis bilden Technologien aus den Bereichen Internet der Dinge (IoT), maschinelles Lernen, Datenanalytik und Computing Services, die für die speziellen Anforderungen der Automobilbranche entwickelt wurden. Jeder Standort bezieht Anwendungen für seine Maschinen, Werkzeuge und Anlagen direkt aus der Industrial Cloud. Auch die globale Lieferkette und industrielle Partner sollen in die offene Plattform eingebunden werden.
5G-Technologien zur Vernetzung
Für eine leistungsfähige Netzwerkinfrastruktur, die in Echtzeit reagieren kann, setzt Audi auf die 5G-Technologie in einer smarten Produktion. Die Funkverbindungen bieten eine hohe Datenrate und gelten als robust, sie verbrauchen nur wenig Strom, und die Zuverlässigkeit beträgt nahezu 100 Prozent. Und sie können eine große Anzahl von Industriegeräten drahtlos koppeln. Bereits jetzt sind fahrerlose Transportsysteme im Einsatz, die Material und Komponenten just in time und zielgenau für die Produktion anliefern.
3D-Druck auch für große Teile
Den digitalen 3D-Druck nutzt Audi schon seit mehr als 20 Jahren in den Produktionsprozessen. In den vergangenen Jahren ist der Anteil an Bauteilen für eigene Produktionswerkzeuge und Fahrzeugmodelle deutlich gestiegen. Inzwischen produziert der Kunststoff- und Metall-3D-Druck immer größere Teile. Das in Ingolstadt ansässige Metall-3D-Druck-Zentrum ist spezialisiert auf komplexe Stahl- und Aluminiumteile sowie Werkzeugeinsätze für tonnenschwere Umformwerkzeuge, etwa zum Pressen von Karosserieteilen oder für den Druckguss, die im Laserschmelzverfahren aus Metallpulver gefertigt werden. Ungewöhnliche Formen sind damit leichter umzusetzen, weil der 3D-Druck freie Geometrien ermöglicht, also alle denkbaren organischen Formen, beispielsweise für Werkzeugeinsätze mit konturnahen Kühlkanälen.
Instandhaltung voraussehen
„Predictive Maintenance“, also die vorausschauende Instandhaltung, macht am Standort Neckarsulm im Karosseriebau die Wartung von Produktionsanlagen effizienter und sorgt für geringere Ausfallzeiten. Spezielle Sensorik in einer Fügeanlage, die verschiedene Karosseriebauteile zusammennietet, erkennt mithilfe von Daten, Algorithmen und Messwerten Verschleißspuren in Kunststoffschläuchen. Plötzlich auftretende Anlagenausfälle können damit weitestgehend ausgeschlossen und anfallende Wartungsarbeiten in der produktionsfreien Zeit durchgeführt werden. Das erleichtert die Arbeit in der Instandhaltung und fördert eine effizientere Produktion.
Weitere Unterstützung für die Instandhaltung liefert die App „iMaintenance“, eine Wissensdatenbank mit rund 5000 Seiten zu Materialkunde und Handlungsempfehlungen. Zeigt eine Maschine einen Fehlercode an, kann der Anwendende diesen auf einem Tablet eingeben und erhält eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Mit einer weiteren App werden Expert*innen in der Montage über Fehler an einer Anlage informiert.
Chip am Auto
Der Audi-Standort Neckarsulm setzte als erstes Automobilwerk im VW-Konzern die RFID-Technologie zur digitalen Fahrzeugidentifikation ein. Jeder im Werk gefertigte Wagen erhält bereits beim ersten Fertigungsschritt im Karosseriebau ein sogenanntes Tag, bestehend aus einem Chip und einer Antenne. Dieses begleitet jedes Fahrzeug in die Lackiererei, zur Montage und bis zur Auslieferung. Mithilfe eines Lesegeräts können Fahrzeuginformationen wie Karosserieform, Lackierung, Motorisierung und Ausstattung des jeweiligen Autos abgerufen werden. Für ein vollelektrisches Automodell gibt es RFID On Metal Tag, der die Karosserie des Wagens als erweiterte Antenne nutzt.
Um die hohe Produktqualität gewährleisten zu können, sollen mithilfe von künstlicher Intelligenz Qualitätsmängel aufgedeckt werden. Die eingesetzten Verfahren imitieren die menschlichen Fähigkeiten, Risse in Blechteilen zuverlässig zu erkennen. Im Hintergrund agiert ein Algorithmus, der auf tiefen neuronalen Netzen, sogenanntem Deep Learning, basiert. Damit ist er in der Lage, fehlerhafte Teile automatisiert, in Sekundenschnelle und mit höchster Präzision zuverlässig zu erkennen. Dazu wird die Software kontinuierlich mit Beispielbildern trainiert und verbessert. Im Ingolstädter Presswerk erfassen mehrere Kameras in der Anlage neu produzierte Tiefziehteile. Die Bilder werden in Echtzeit durch den Algorithmus bewertet. Wird ein Riss identifiziert, werden die Mitarbeitenden über ein optisches Signal gewarnt.
Dreidimensionale Gebäudescans, Machine Learning und Virtual Reality machen virtuelle Montageabläufe und Logistikprozesse und die Erprobung ohne physische Prototypen möglich. Sämtliche Montageabläufe sowie die zugehörigen Logistikprozesse wurden in virtuellen Räumen erprobt und optimiert, zum Beispiel die exakte Anordnung von Maschinen, Regalen und Bauteilen entlang der Montagelinie oder ergonomische Aspekte. Hierfür werden die Gegebenheiten in der Produktionshalle präzise und maßstabsgetreu durch 3D-Scans abgebildet. Der Scan-Prozess erzeugt eine dreidimensionale Punktewolke, die für die virtuelle Nachkonstruktion von Maschinen und Infrastruktur genutzt werden kann. Die Mitarbeitenden können ihre Layout- und Planungssysteme digital aktualisieren sowie Zeit und Kosten sparen. Kolleg*innen aus aller Welt können sich in virtuellen Räumen treffen, computergenerierten Werkern bei der Verrichtung der geplanten Abläufe über die Schulter schauen und die geplanten Prozesse für beliebige Bauteilvarianten in der Anwendung selbst erleben und optimieren.
Virtuelle Anwendungen gefragt
Digitale und virtuelle Anwendungen in Fahrzeugen sind zunehmend gefragt, ergab eine aktuelle Automobilstudie der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners. Befragt wurden über 1400 Konsumenten, darunter 684 in Deutschland, die restlichen in den USA. Laut der Studie haben die über 50-Jährigen besonderes Interesse an der Verknüpfung des Fahrzeugs mit einer fälschungssicheren, digitalen Aufzeichnung der Eigentumsverhältnisse, des Kilometerstandes und der Servicehistorie; an der Möglichkeit, ein Elektrofahrzeug überall aufzuladen, indem man ein universelles Lade- und Zahlungssystem mit einem blockchain-basierten Modul im Fahrzeug einsetzt; am Überblick zum CO2-Ausstoß mit Hilfe von Aufzeichnungen durch Blockchains; an der Rückverfolgung von Fahrzeugteilen sowie an einem Modul, das bei Bedarf automatisch kleinere Zahlungen wie Parkgebühren, Mautgebühren oder Kraftstoffkosten ausführt. Für die Generation Z, die 18- bis 34-Jährigen, ist besonders wichtig, dass Beifahrer das Fahrzeug mit einer virtuellen Welt verbinden und Spiele mit einer VR-Brille verwenden können, die die Bewegungen des Fahrzeugs mit einbezieht, sowie die Möglichkeit, neue Autos in einer digitalen Umgebung, beispielsweise Virtual Reality, zu erkunden und virtuell zu konfigurieren und zu testen.