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Die digitalen Städter

Im Juni 2017 fiel die Entscheidung: Darmstadt gewinnt den Wettbewerb „Digitale Stadt“, ausgeschrieben vom Digitalverband Bitkom. Nun soll in einem Pilotprojekt am Beispiel Darmstadt gezeigt werden, wie eine digitale Stadt der Zukunft aussehen kann. Simone Schlosser und David da Torre sind Geschäftsführer der Projekt-GmbH und erklären im Interview, warum digitale Städte die Lebensqualität erhöhen und welche Ansprüche sie an Ingenieure stellen. Das Interview führte André Boße.

Zu den Personen

Zusammen mit Joachim Fröhlich sind Simone Schlosser und David da Torre Geschäftsführer der Digitalstadt Darmstadt GmbH. Die Gesellschaft koordiniert die Prozesse der Kommune auf dem Weg zur Modellstadt einer Smart City. Der IT-Experte David da Torre ist zudem einer der Geschäftsführer des Energie-Mess- und Abrechnungsdienstleisters Count + Care.

Was zeichnet eine digitale Stadt in Ihren Augen eigentlich aus?

Simone Schlosser: Es geht dabei nicht ausschließlich um technische Weiterentwicklungen. Klar, digitale Innovationen und die Vernetzung sind die Grundvoraussetzungen. Wichtig ist aber vor allem, eine Art Ökosystem zu erschaffen, sprich: Die Menschen mit einzubeziehen und auch immer ethische Fragen im Fokus zu halten. So gibt es zum Beispiel bei uns einen Ethikrat, der sich intensiv mit den Folgen der technischen Entwicklungen beschäftigt. Denn es soll eben nicht darum gehen, technische Innovationen durchzusetzen, ohne dabei nach links und rechts zu schauen. Das Ziel ist es, durch digitale Ideen die Lebensqualität in dieser Stadt zu erhöhen.

Wie genau soll das gelingen?

Schlosser: Zum einen, indem die Stadt nachhaltiger und ökologischer wird und Ressourcen schont, so dass zum Beispiel die Belastung mit Emissionen geringer wird. Zum zweiten, indem wir Angebote entwickeln, die das Leben der Menschen in der Stadt konkret einfacher machen. Dazu zählen zum Beispiel digitale Plattformen in der Verwaltung, die dafür sorgen, dass man weniger häufig zum Amt muss, aber auch Smart-Traffic-Portale, die verschiedene Arten der Mobilität zusammenbringen.

Warum finden sich in Darmstadt besonders gute Voraussetzungen, um die Vision einer digitalen Stadt zu verwirklichen?

Schlosser: Darmstadt ist seit 1997 Wissenschaftsstadt, die Stadt verfügt über die Technische Universität, zwei Fachhochschulen sowie zahlreiche öffentliche und private Forschungseinrichtungen, darunter die Fraunhofer Institute. Hinzu kommt eine große Bandbreite an Unternehmen, vom Konzern bis zu vielen Start-ups. Unsere Stärke im Bereich der Digitalisierung zeigt sich daran, dass die Stadt Teil des IT-Clusters Rhein-Main-Neckar ist, man spricht hier ja sogar vom „Silicon Valley Europas“. Und auch unsere geografische Lage ist gut, wir sind nah an Frankfurt, der Weg zum Flughafen ist nicht weit, und Darmstadt hat noch Wachstumspotenzial.

Die vernetzte Technik wird zum Standard, weshalb für Ingenieure der Umgang mit Daten und Software immer wichtiger wird.

Welche technischen Entwicklungen sind Teil der Digitalen Stadt Darmstadt?

David da Torre: Ein wichtiger Bereich, der besonders auch für Ingenieure interessant ist, wird die Sensorik sein. Hier gibt es viele gute Ansätze, mithilfe der Technik wirklich Verbesserungen zu erzielen. Ein Thema ist zum Beispiel Smart Parking: Die Sensoren ermöglichen es, dass Parkplätze reserviert und auch digital bezahlt werden können. Spannend ist auch der Aspekt Smart Lightning, hier geht es nicht nur um besonders effiziente LED-Lampen, sondern auch um intelligente Systeme. Angenommen, Sie wollen zu Fuß eine schwer einsehbare Straße überqueren, dann wird es technisch möglich sein, Sie mit Hilfe von Sensor- und Radartechnik vor Gefahrensituationen wie schnell fahrenden Autos zu warnen. Beim Thema Smart Traffic geht es nicht nur darum, den Menschen Routen vorzuschlagen, wie sie sich am besten in der Stadt fortbewegen. Auch Daten zur Belastung mit Schadstoffen sind wichtig.

Schlosser: Die Hügelstraße in Darmstadt zählt bundesweit zu den Straßen mit der höchsten Stickoxid-Konzentration, was zeigt, dass es absolut sinnvoll ist, darüber nachzudenken, wie es gelingen kann, die Umweltbelastung zu verringern.

In der digitalen Stadt geht es auch darum, die Infrastruktur zu digitalisieren. Wie verändert sich dadurch der Anspruch an Ingenieure?

da Torre: Die vernetzte Technik wird zum Standard, weshalb für Ingenieure der Umgang mit Daten und Software immer wichtiger wird. Ich glaube, man kann heute als Ingenieur nicht mehr losgelöst von allem sagen: Ich betrachte nur die Laterne, nur das Gebäude, nur die Straße. Denn in dieser modernen Infrastruktur wird immer mehr Sensorik stecken. Sie wird damit zum Teil der digitalen Stadt, so dass der Ingenieur diese IT-Dimension unbedingt mitdenken muss.

Auf der anderen Seite benötigt die IT aber auch die Ingenieure.

da Torre: Genau. Die IT liefert im Idealfall die Idee, welche Daten interessant sind und was mit ihnen geschehen soll. Wir brauchen dann aber Ingenieure, die diese Sensoren entwickeln und in die Infrastruktur einbauen. Wobei diese Technik robust und für den dauerhaften Einsatz in einer Stadt erprobt sein muss. Klar, man kann sich solche Sensoren recht billig aus China kaufen, das mag erst einmal nach einer kostengünstigen Variante klingen. Aber die Belastung der Technik in einer Stadt ist groß, daher kommt es auf eine zuverlässige Technik an. Hier sind wiederum Ingenieure gefragt, die beurteilen, welche Technik sich eignet – und welche eher nicht.

Ziel ist es, durch digitale Ideen die Lebensqualität in dieser Stadt zu erhöhen.

Angenommen, die digitale Sensorik legt eine Straßensperrung nahe, weil sonst Grenzwerte überschritten werden. In diesem Moment nehmen Autofahrer und Anlieger diese Innovation eher als negativ wahr …

da Torre: Kurzfristig, ja. Daher spielt in diesem gesamten Prozess die Kommunikation eine große Rolle. Es ist eben nicht nur eine technische Abwicklung, sondern wirklich ein Projekt, dass die gesamte Stadtgesellschaft mit einbezieht: die Bürger, aber auch die Medien, die Unternehmen und die wissenschaftlichen Einrichtungen. Daher gehört es auch für die technisch Verantwortlichen zu ihrem Aufgabenbereich, Menschen zu vernetzen und sie kommunikativ von dem Prozess zu begeistern.

Dadurch werden diese Prozesse immer komplexer. Empfinden Sie das manchmal als Belastung?

Schlosser: Es ist eine große Herausforderung, ja. Aber der Prozess besitzt auch eine große Eigendynamik, was ich als positiv empfinde.

da Torre: Ich mag die Vielseitigkeit des Prozesses, es gibt sehr viele Bereiche, in die man sich einklinken kann. Aber natürlich spüren wir auch den Druck, der auf diesem Modellprojekt liegt. Es gibt einige, die glauben tatsächlich, Smart Traffic bedeute: „Grüne Welle für alle, endlich kein Stau mehr in Darmstadt“. Das wird auch die Digitale Stadt nicht hinbekommen, wir können den Verkehr zwar bis zu einem gewissen Punkt optimieren – aber die Frage, ob ich als Einzelperson alleine mit meinem Auto zum Arbeiten oder Einkaufen in die Stadt fahre oder nicht, die muss immer noch jeder Mensch selbst beantworten.

Schlosser: Wobei wir den Bürgern zum Beispiel durch die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs sinnvolle Alternativen zum eigenen Auto ans Herz legen können.

Erkennen Sie schon jetzt, dass im Zuge der digitalen Stadt neue Jobprofile entstehen werden?

da Torre: Schon heute haben viele Städte einen CDO eingestellt, also einen Chief Digital Officer. Es geht vor allem darum, in allen technischen Fragen noch mehr Verständnis für Sensorik und Daten zu gewinnen, bis hinein in die Methodik, wie man aus Daten einen wissenschaftlichen Mehrwert generieren kann. Absehbar ist auch, dass Themen wie künstliche Intelligenz und – gerade mit Blick auf das Ingenieurwesen – der 3-D-Druck an Bedeutung gewinnen werden.

 

 

Wettbewerb Digitalstadt

Der Digitalverband Bitkom startete 2016 den Wettbewerb, teilnehmen konnten mittelgroße Städte, Darmstadt setzte sich schließlich durch. Seit Anfang 2018 werden Bereiche wie der Verkehrssektor, die Energieversorgung, Schulen und das Gesundheitswesen mit neuesten digitalen Technologien ausgerüstet. Zudem sollen die öffentliche Verwaltung innovative Online- Anwendungen und der Handel intelligente Lieferdienste anbieten. Auch die Telekommunikationsnetze sollen ausgebaut und verbessert werden. www.digitalstadt-darmstadt.de

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