Als Universitätsprofessor und ehemaliger Geschäftsführer des Elektro- Nutzfahrzeugentwicklers Streetscooter beschäftigt sich Achim Kampker seit Jahren mit neuen Formen der Mobilität. Als er erkannte, dass noch immer zu viel geredet und zu wenig getan wird, gründete der Aachener einen Verein für Ingenieure. Das Ziel: nicht weniger als die Rettung der Welt. Dabei hilft Humanotop, das Modell einer Stadt, in der alle Ressourcen vor Ort hergestellt werden. Ein anspruchsvolles Projekt, das Ingenieuren aber auch viel Spaß an ihrer Arbeit bringen soll. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Prof. Dr. Achim Kampker ist seit April 2009 Universitätsprofessor für das Fach Produktionsmanagement in der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen. Von 2009 bis 2013 leitete er den Lehrstuhl für Produktionsmanagement am Werkzeugmaschinenlabor WZL. Im Januar 2014 gründete er den neuen Lehrstuhl Production Engineering of E-Mobility Components (PEM). Der promovierte Maschinenbauer ist zudem Gründer und Vorsitzender des Vereins „Ingenieure retten die Erde“ sowie Mitgründer und bis April 2019 Geschäftsführer der Streetscooter GmbH. Der vierfache Vater lebt mit seiner Familie in Aachen.
Herr Prof. Kampker, steckt hinter Ihrem Verein „Ingenieure retten die Erde“ die Devise: Erst haben wir Ingenieure Techniken entwickelt, die der Welt den Schaden zugefügt haben, nun müssen wir auch dafür sorgen, diesen wieder zu beheben?
Nein, etwas differenzierter ist es schon. Es ist ja nicht so, dass die von Ingenieuren entwickelte Technik unserer Erde nur Schaden zugefügt hätte. Fest steht aber auch, dass wir Ingenieure – wie viele andere Gruppen auch – bislang unser Potenzial dessen, was wir für die Welt tun können, noch nicht eingelöst haben. Wir können mehr. Doch leider ist es bis heute so, dass wir mehr reden als handeln. Aber uns läuft die Zeit davon. Dennoch will ich eine positive Aufbruchsstimmung erreichen, denn es ist sicher klug, weder in Panik zu verfallen noch eine Anti-Stimmung zu verbreiten.
Wenn uns nun die Zeit davonläuft: Warum haben Ingenieure nicht früher auf diese Aufbruchsstimmung gedrängt?
Auch wir sind Teil des marktwirtschaftlichen Systems. Ingenieure arbeiten in Unternehmen, die technische Dinge produzieren, die sich bis heute gut verkaufen lassen. Dort sind aber auch viele andere Berufsgruppen tätig, von ihnen hat auch kaum jemand das System hinterfragt. Wenn ich meinen Appell an die Ingenieure richte, liegt es daran, dass ich selbst einer bin. Und ich möchte nicht mit dem Finger auf andere zeigen und sagen: Ihr seid schuld, ihr Konzernmanager oder Politiker. Ich versuche lieber, selbst anzupacken und die Ingenieure zu motivieren. Der Vorteil ist, dass wir Ingenieure an vielen Stellen sitzen, an denen wir die Dinge bewegen können. Wenn wir dort unseren Beitrag leisten, bin ich zuversichtlich, dass sich schnell andere anschließen.
Worauf es ankommt, ist die Entwicklung von Techniken, die dafür sorgen, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen. Hier wird es wichtig sein, einige der Begriff e, die wir verwenden, neu zu denken.
Aufgabe der Ingenieure wird es also sein, neue Techniken zu entwickeln. Was sollte dabei im Fokus stehen: Lösungen zu finden, die die Erde retten und unsere Lebensqualität erhalten? Oder muss es einen drastischen Paradigmenwechsel geben, mit Techniken, die auch Verzicht bedeuten?
Sowohl als auch. Fest steht, dass es Änderungen geben wird – und diese fallen uns Menschen generell schwer. In der Summe sollten wir schon die Botschaft senden, dass es nicht heißen wird: Zurück in die Steinzeit. Das wäre Blödsinn. Worauf es ankommt, ist die Entwicklung von Techniken, die dafür sorgen, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen. Hier wird es wichtig sein, einige der Begriffe, die wir verwenden, neu zu denken.
Welchen zum Beispiel?
Nehmen sie den Begriff der Freiheit in der Mobilität: Bedeutet es tatsächlich Freiheit, wenn ich in einer großen Stadt ein Auto besitze und dieses benutze, um von A nach B zu kommen? Wenn ich im innerstädtischen Stau stehe, ist mein Erleben von Freiheit in diesem Moment eher gering. Hier ist es sinnvoll, die Mobilität im urbanen Raum so zu gestalten, dass andere Verkehrsmittel wie das Fahrrad gefördert werden. Das wird der Besitzer eines noch recht neuen Dieselfahrzeugs vielleicht zunächst einmal als Rückschritt betrachten. Lässt er sich aber einmal darauf ein, wird auch er erkennen, dass er mit den ressourcenschonenden Alternativen zum Auto nicht nur gesünder und ökologischer lebt, sondern im Zweifel auch schneller unterwegs ist.
Worauf Automobilisten gerne erwidern: In der Stadt mag das funktionieren, aber für die Freiheit auf dem Land ist das Auto weiter unverzichtbar.
Auch hier sollte man sich überlegen, ob man weiter einfach vom Auto als Garanten der Mobilität ausgeht oder ob man nicht Alternativen andenkt. Zum Beispiel kann es ja auch eine Idee sein, die Dienstleistungen und Angebote so mobil zu machen, dass jemand, der auf dem Land lebt, nicht mehr so häufig in die Stadt fahren muss. Dieses neue Denken hat es aber recht schwer in diesem Land.
Warum?
Ich glaube, den Menschen fehlt es generell häufig an Fantasie. Es gibt diese Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts, als den Leuten die Pferdekutschen zu langsam wurden. Auf die Frage, was sie sich denn wünschen würden, sagten sie: schnellere Pferde. Auf die Idee, dass es einmal ein Auto geben könnte, kamen sie nicht. So ist das auch heute noch. Umso wichtiger ist es, Räume zu schaffen, in denen neues Denken gefördert und die Fantasie angeregt wird, um dann neue Dinge auszuprobieren. Mit diesen Ideen mag man dann auch mal danebenliegen, aber ohne das Ausprobieren werden wir nicht auf die Lösungen kommen, die wir heute sehr dringend benötigen. Daher brauchen wir den Aufbruch – und müssen das Gefühl von Angst und den Drang, unseren Besitzstand zu sichern, aufbrechen.
Humanotop ist das Modell einer ressourcenneutralen Stadt, und zwar in allen Bereichen: Energie, Versorgung mit Lebensmitteln, Mobilität.
Sie haben mit Ihrer Modellstadt Humanotop einen solchen Ort erschaffen. Was zeichnet dieses Projekt aus?
Humanotop ist das Modell einer ressourcenneutralen Stadt, und zwar in allen Bereichen: Energie, Versorgung mit Lebensmitteln, Mobilität. Alles, was diese Stadt benötigt, wird in diesem geografischen Raum auch hergestellt. Und zwar nicht auf Kosten der Umwelt – im Gegenteil, auch eine möglichst hohe Artenvielfalt ist Ziel des Modells.
Humanotop ist also der Idealzustand. Wie lässt sich der Ansatz in Städten umsetzen, die heute noch weit von diesem Optimum entfernt sind?
Wir haben verschiedene Bausteine definiert, die dabei helfen, einzelne Bereiche in einer Stadt oder einem Viertel umzubauen. Man stülpt also nicht das ganze Modell über eine Stadt, sondern kon struiert einzelne Bereiche neu.
Welche Kompetenzen brauchen Ingenieure, um bei der Neugestaltung der Welt erfolgreich zu sein?
Vor allem müssen die Ingenieure die Veränderung wollen. Positive Emotionen sind wichtig. Dabei erreichen wir die junge Generation der Ingenieure sehr einfach, denn die müssen wir nicht lange davon überzeugen, wie wichtig es ist, den Hebel umzulegen. Die Sache ist nur: Die Zeit zu warten, bis diese Generation zum Zuge kommen wird, haben wir nicht. Daher müssen wir auch diejenigen erreichen, die mit 50 Jahren plus derzeit an den Schaltstellen sitzen.
„Ingenieure retten die Erde“
Der von Prof. Kampker gegründete Verein hat sich das Ziel gesetzt, nicht nur über die notwendigen Änderungen mit Blick auf die Erderwärmung und sonstige Umweltprobleme zu reden, sondern Taten folgen zu lassen. Offen ist er für alle, nicht nur Ingenieure. Kern der Arbeit ist die Erschaffung der Modellstadt Humanotop, in der alle benötigten Ressourcen auf dem gleichen geografischen Gebiet produziert werden. Dies betrifft insbesondere Energie Wasser und Lebensmittel, Mobilität und weitere dazu benötigte Infrastruktur, inklusive der Gebäude und Vegetation. Ein weiteres Ziel ist es, dass im Humanotop eine möglichst hohe Artenvielfalt vorkommt.
Wie können die Jungen dabei helfen, die Älteren zu begeistern?
Ich denke, es kommt auch hier auf eine positive Ansprache an. Es ist nicht sinnvoll, mit Begriffen wie Schuld zu arbeiten. Wichtiger ist es klarzumachen, dass die Erfahrungen der älteren Generation benötigt werden, um erfolgreich neu zu denken – und sich dabei weder zu verzetteln noch mit kopfloser Euphorie in die falsche Richtung zu rennen. Insofern sind gemischte Teams gut, in denen man miteinander über Lösungen nachdenkt. Und zwar nicht nur ältere und jüngere Ingenieure, sondern auch Leute aus anderen Fakultäten: Bau- und Wirtschaftsingenieure, natürlich IT-Experten, aber auch die Sozialwissenschaftler wie zum Beispiel Mobilitätsforscher, die uns davon erzählen, wie sich das Thema gesellschaftlich entwickelt.
Mit Blick auf das, was es für Ingenieure zu tun gibt: Ist die Art, wie das Fach gelehrt wird, noch zeitgemäß?
Die technischen Inhalte bleiben natürlich wichtig, aber es kommt verstärkt darauf an, dass Ingenieure eine Art Überbau beachten. So wie Ärzte den ethischen Konsens formulieren, das Leben eines Menschen zu retten, brauchen wir für Ingenieure ebenfalls eine übergeordnete Philosophie – nämlich den Erhalt der Erde. Darauf sollten wir mit allem, was wir tun, hinarbeiten.