Als Vorstandsmitglied Personal ist Wilfried Porth bei Daimler für die Mitarbeiter und die Arbeitskultur zuständig. Der Diplom-Ingenieur empfing karriereführer-Autor André Boße für ein langes Gespräch in der Daimler-Zentrale in Stuttgart. Im Interview sprach er über seinen Karriereweg vom Planungsingenieur bis zum Vorstand und über die Frage, wie die Digitalisierung die Arbeit der Ingenieure verändern wird.
Herr Porth, als ich vorhin mit dem Zug in Stuttgart ankam, entdeckte ich an prominenter Stelle am Hauptbahnhof keine Werbung für Mercedes, sondern für Ihre Car-Sharing-Plattform Car2Go. Ist das ein Zeichen dafür, wie sich das Unternehmen wandelt? Vom Autobauer zum Mobilitätskonzern?
Der Bahnhof ist natürlich ein geeigneter Ort, um Menschen für das Thema Mobilität anzusprechen. Wir sind in Stuttgart mit der größten Car2Go-Elektroflotte unterwegs, daher ist es in meinen Augen der richtige Ansatz, dafür am Hauptbahnhof für Kunden zu werben. Hinzu kommt: Daimler ist in Stuttgart sehr bekannt. Für den Konzern brauchen wir in der Stadt keine Werbung mehr zu machen.
Zur Person
Wilfried Porth wurde am 2. Februar 1959 in Baden-Baden geboren. Von 1981 bis 1985 studierte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart und schloss sein Studium als Diplom-Ingenieur ab. 1985 trat er als Planungsingenieur im Bereich Zentrale Produktionsplanung in die damalige Daimler-Benz AG ein. Nach Stationen in Brasilien, Südafrika und Japan wurde er im 8. April 2009 zum Vorstandsmitglied der Daimler AG berufen. In dieser Funktion verantwortlich ist Porth für das Ressort Personal, gleichzeitig ist er Arbeitsdirektor des Unternehmens. Des Weiteren ist er verantwortlich für den Bereich IT, den Einkauf Nichtproduktionsmaterial und Dienstleistungen sowie das Geschäftsfeld Mercedes-Benz Vans.
Sie haben vor 31 Jahren im Konzern Ihre Laufbahn als Planungsingenieur begonnen. Seit 2009 sind Sie Mitglied des Konzernvorstands. Welche Karriereschritte haben Sie als besonders prägend empfunden?
Ich habe viele Dinge erlebt, in verschiedenen Funktionen und diversen Ländern. Rückblickend darf ich feststellen: Eigentlich war jeder Schritt prägend, weil jeder Wechsel eine wichtige Veränderung bedeutete. Von Zentralaufgaben zu operativen Aufgaben. Vom Pkw über die Busse zum Van. Von Stuttgart über Südamerika und Südafrika nach Japan. Die fachlichen und kulturellen Impulse, die man im Verlauf einer solchen Karriere erhält, sind immens. Zumal sich auch die Verantwortung, die man für das Budget oder das Personal trägt, mit jedem Wechsel verändert.
Und wenn man wie Sie dann eines Tages im Vorstand sitzt?
Dann ist das erstens eine Position mit noch mehr Verantwortung und zweitens eine doppelte Ehre: Vorstandsposten sind generell begrenzt, und dann noch im Vorstand eines Unternehmens mit dem Ruf und der Tradition von Daimler dabei zu sein – das nimmt man nicht als selbstverständlich hin. Es ist aber natürlich auch eine große Verpflichtung.
Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie sich fühlten, als Sie als junger Ingenieur zum ersten Mal Personalverantwortung übernehmen mussten?
Ja, das waren sehr persönliche Momente, in denen ich mir der Konsequenzen der eigenen Entscheidung sehr bewusst wurde. Meine erste große Führungsaufgabe war ab 1994 die Leitung der Omnibus-Fertigung in Brasilien. Leider musste ich den Bereich am Ende auflösen, dazu gehörte, dass ich die Mehrheit meiner Mitarbeiter entlassen musste. Das war natürlich ein einschneidendes Erlebnis.
Sie waren damals neun Jahre im Konzern. Wie kamen Sie mit den Folgen der Werkschließung zurecht?
(überlegt) Es gibt da sicher kein allgemeines Rezept. Ich habe die Auflösung des Werkes tatsächlich sehr persönlich genommen. Dazu gehörte, dass ich die Entlassungspapiere persönlich unterzeichnet habe. Immerhin rund 4000 Schreiben. Ich habe das getan, um mir der Tragweite dieser Entscheidung für die Menschen dort bewusst zu werden. Jede Entlassung ist individuell und hat eine eigene Geschichte. Das wollte ich mir vor Augen führen.
Was haben Sie beruflich aus diesem Erlebnis gelernt?
Wenn man beim Aufbau eines neuen Geschäftszweigs oder einer neuen Produktion Fehler macht und diese nicht vorab korrigiert, sind sie die Basis dafür, wenn es später schiefgeht. Jede Entscheidung für die Zukunft kann ein Geschäft in der Zukunft eben auch belasten. Und es bringt nichts zu versuchen, sich durchzumogeln. Die Konsequenzen werden eines Tages eintreten, da geht kein Weg dran vorbei.
Heißt das für Nachwuchskräfte, die früh Führungsverantwortung übernehmen: Passt auf, seid euch der Konsequenzen bewusst?
Die Balance muss stimmen. Wir leben als Konzern von der Innovation, und wir wollen den Fortschritt fördern. Dazu gehört ohne Frage auch, dass man an bestimmten Stellen Risiken eingehen muss. Wenn es aber in die Breite geht – also darum, Standorte mit mehreren Tausend Mitarbeitern aufzubauen –, dann muss man sich in jedem Schritt über die Konsequenzen jeder Entscheidung bewusst werden.
Führungskräfte sollten bei aller Weiterentwicklung nicht versuchen, sich etwas anzutrainieren, das sie später nicht mit Leben füllen können.
Diese Balance aus Risiko und Vorsicht zu finden – ist das eine Frage des Talents oder der Erfahrung?
Talent ist immer gut, keine Frage. Aber ich bin kein Freund der Behauptung, zur Führungskraft müsse man geboren sein. Denn das hieße ja im Umkehrschluss, dass man Führung nicht erlernen könne. Und das stimmt natürlich nicht. Im Gegenteil, jeder muss seine Führungsqualitäten immer weiterentwickeln. Aber auch hier ist eine gute Balance wichtig: auf der einen Seite eine Leidenschaft für Führungsverantwortung, auf der anderen Seite die Bereitschaft, immer dazulernen zu wollen. Insbesondere, wenn man Führung in anderen Kulturen wahrnimmt oder es mit neuen Generationen von Mitarbeitern zu tun hat. Es würde nicht funktionieren, den einmal gelernten Führungsstil einfach durchzuziehen. Egal, wie erfolgreich dieser einmal war.
Können Sie Ihre Idealvorstellung einer zeitgemäßen Führungskultur in wenigen Sätzen zusammenfassen? Als Führungskultur-to-Go?
(lacht) Ich will es zumindest versuchen. Für mich ist wichtig, dass Führungskräfte authentisch bleiben. Dass sie bei aller Weiterentwicklung nicht versuchen, sich etwas anzutrainieren, das sie später nicht mit Leben füllen können. Denn das fällt am Ende immer negativ auf. Wichtig ist zudem, dass man sich den Respekt seiner Mitarbeiter und Kollegen erarbeitet. Und, wie erwähnt, dass man sich zu jeder Zeit seiner Verantwortung bewusst ist, die man übernimmt. Entscheidend ist, dass man diese Dinge nicht nur einmal für sich begreift und dann als abgehakt betrachtet. Es kommt darauf an, sich dieser Verantwortung und der Qualitäten auf jeder höheren Führungsebene neu bewusst zu machen – und zwar stets mit Blick auf die Zusammensetzung des jeweiligen Teams.
Die Führungskraft nimmt damit eindeutig auch soziologische und psychologische Aufgaben wahr. Zudem muss in technischen Konzernen auch fachlich top sein. Überfordert man Ingenieure damit?
Ich hätte jetzt beinahe gesagt: Offensichtlich nicht, denn sonst wäre es ein Fehler gewesen, mich als Führungskraft zu entwickeln (lacht). Aber es stimmt schon, ich würde es mir wünschen, wenn man die fachspezifischen technischen Studiengänge etwas breiter aufstellen würde, um solche eher geistigen Themen früher zu vermitteln. Wenn ich auf meine Laufbahn blicke, habe ich mir diese Kompetenzen an anderen Stellen angeeignet. Ich habe zum Beispiel in Vereinen und Verbänden Posten übernommen, wo ich dann gelernt habe, dass man Führung unterschiedlich angehen muss.
Mit Blick auf die neue Generation: Vereine sind nicht mehr so angesagt, die jungen Menschen tun andere Dinge. Wie beurteilen Sie das Engagement des Nachwuchses?
Ich erlebe viele junge Menschen, die sehr engagiert sind. In der Politik zum Beispiel, gerade auch in der Hilfe für Flüchtlinge. Klar, das Engagement ist heute anders als zu meiner Zeit. Die Strukturen sind vielleicht nicht mehr so fest. Aber auch der intensive Umgang mit den sozialen Netzwerken bringt ja Skills mit sich.
Führungskompetenz durch Facebook?
Durchaus, ja. Wie reagiere ich auf Posts, wie schaffe ich es, meine Posts zu teilen und damit die Wirkung zu erhöhen, wie gestalte ich die Kommunikation – da werden natürlich auch Dinge geschult. Die junge Generation lernt hier, wie sich die Kommunikation in diesen Netzwerken für die persönliche Entscheidungsfindung nutzen lässt. Sie selektiert und reflektiert Wissen auf eine andere Art. Für mich reichte es früher zu wissen, wo das richtige Lehrbuch in der Uni-Bibliothek steht. Heute gibt es einen Dschungel an Informationen, durch den man sich erfolgreich kämpfen muss. Aus diesem Wandel entstehen im Vergleich zu meiner Generation andere Fähigkeiten. Für uns als Unternehmen sind diese aber genauso wichtig.
Wir leben in einer App-Welt – und da ist es manchmal schwer zu vermitteln, wenn es in manchen Personalprozessen noch schriftliche Bögen auszufüllen gilt.
Die Trendforscher sagen, dass die Digitalisierung der Wirtschaft alle Prozesse in den Unternehmen auf den Kopf stellen wird. Wie weit sind Sie in dieser Hinsicht bei Daimler schon?
Die Wirkung ist sicher von Bereich zu Bereich unterschiedlich, aber im Konzern ist das Thema Digitalisierung an jeder Stelle angekommen. Nach draußen, in den Produkten. Und damit natürlich auch in den internen Prozessen. Unsere Mitarbeiter haben den Anspruch, sich innerhalb des Unternehmens genauso digital zu bewegen, wie sie es im Privaten tun. Wir leben in einer App-Welt – und da ist es manchmal schwer zu vermitteln, wenn es in manchen Personalprozessen noch schriftliche Bögen auszufüllen gilt.
Sprich: Der Druck des Wandels entsteht von unten.
Kann man so sagen, ja. Wir kommen da schrittweise voran, stehen aber auch vor Herausforderungen. Viele Systeme wurden ganz bewusst spezialisiert, weil sie von Experten verantwortet werden. Sie waren generell nicht dafür vorgesehen, dass sie jedem als Endanwender zur Verfügung stehen. Wenn jemand also einen Personalantrag stellen möchte, können wir ihm nicht die spezialisierte Oberfläche der Personalabteilung zur Verfügung stellen. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Systeme mobil zu machen. Je näher wir dem Produkt kommen, also dem Auto, desto weiter sind wir mit der Digitalisierung. Das liegt auf der Hand, denn wir können ja kein Connected Car entwickeln, ohne dafür auch vernetzte Prozesse zu verwenden.
Ist Industrie 4.0 in der Produktion schon Realität?
Ja. Andere machen es erst jetzt zu einem Hype. Wir arbeiten schon längst damit.
Steht bei Ihnen schon die 5.0 auf der Agenda?
Mathematisch wäre das korrekt, ja (lacht). Inhaltlich geht es bei uns um die Weiterentwicklung des Themas Big Data. Die Frage lautet: Wie kann ich die Informationen, die ich durch den digitalen Prozess gewinne, so auswerten, dass ich daraus einen maximalen Nutzen generiere? Schon heute sammeln wir Daten und nutzen sie, zum Beispiel um Qualitätstrends in der Produktion zu entdecken und hier frühzeitig einzugreifen. Nun geht es darum, diese Informationen auf globaler Ebene noch besser zu vernetzen, damit Abläufe zum Beispiel in Bremen und China genauso synchronisiert vonstattengehen wie Prozesse in einem Werk hier in Stuttgart.
Sprich: Die Daten sind da, jetzt brauchen Sie Software und Experten, die diese noch smarter nutzen.
Genau.
Gefragt sind damit IT-Spezialisten – und die sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt begehrt.
Wir haben erst gerade 20 junge Big-Data-Experten eingestellt und haben dabei gemerkt, dass diese Spezialisten sehr gerne zu uns gekommen sind.
Ich finde, die Autobranche ist heute eine sehr spannende Industrie, weil hier sehr viele Umwälzungen stattfinden.
Wo liegt hier als Arbeitgeber Ihr Vorteil gegenüber den reinen IT-Unternehmen?
Schauen Sie sich an, über welche technischen Zukunftsthemen gerade gesprochen wird. Es geht um Elektromobilität und Smart Mobility, um Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz. Ich finde, die Autobranche ist heute eine sehr spannende Industrie, weil hier sehr viele Umwälzungen stattfinden. Und eine Branche, die in Bewegung ist, ist für junge Menschen generell attraktiv. Zumal dieser Konzern weiterhin ein gesichertes Umfeld bietet, das ist mit Blick auf die Bedürfnisse der jungen Generation ein weiterer Pluspunkt.
Bei Themen wie den autonom fahrenden Fahrzeugen tangieren Sie als Autohersteller auch rechtliche Aspekte. Wie wichtig ist es für Ingenieure, hier auf dem Laufenden zu sein?
Das grundsätzliche Problem ist ja, dass die rechtliche immer der technischen Dimension hinterherhinkt. Das Recht kann nicht vorhersehen, was erfunden wird. Das sehen wir beim Thema Datenschutz, wo die Realität nicht nur das Recht abgehängt hat, sondern wir in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen vorfinden. So müssen wir häufig Maßstäbe setzen, die nicht auf einem Gesetz basieren, sondern auf dem Stand ethischer und gesellschaftlicher Debatten – die sich wiederum ja auch immer weiterentwickeln. Hier Dinge vorherzusehen, ist für uns eine echte Herausforderung. Wenn wir zum Beispiel konkret auf autonom fahrende Autos schauen, stehen wir vor drei Ebenen. Da ist einmal die technische Dimension, sprich: Was ist machbar? Dann haben wir die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Fahrzeugs, das von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert wird. Und schließlich noch den rechtlichen Aspekt der Haftung.
Wie ist denn mit Blick auf die drei Dimensionen der Stand der Dinge?
Die Technik wird viel früher reif sein, als die Gesellschaft bereit sein wird, diese zu akzeptieren. Wir haben aus ingenieurtechnischer Sicht nachgewiesen, dass mit höherer Automatisierung der Mobilität die Zahl der Unfälle abnimmt. Schauen Sie auf den Luftverkehr, wo die meisten Unglücke durch Pilotenfehler passieren. Dennoch begegnen wir einer großen Skepsis. Das Problem ist doch: In dem Moment, in dem wir als Mensch unsere Verantwortung an eine Maschine abgeben, erhoffen wir uns die absolute Sicherheit. Eine solche gibt es aber nicht. Über den Umgang mit dieser Frage wird die Gesellschaft diskutieren. In den USA hingegen ist die Haftungsfrage von riesiger Bedeutung, weil diese dort ein gigantisches Geschäftsmodell ist.
Die Autos müssen weiterhin den höchsten Qualitätsstandards entsprechen, das ist die Basis. Es muss aber auch möglich sein, in der Entwicklung von mobilen Services Dinge auszuprobieren und auf den Markt zu bringen, bevor sie ausgereift sind.
Wie beeinflussen diese Einflüsse die Innovationskultur des Konzerns?
Wir müssen Innovation anders begreifen als ein Startup, das Apps programmiert. Diese Firma schickt Ihnen von einer neuen Entwicklung zunächst einmal nur eine Betaversion aufs Smartphone. Und wenn Sie die App am nächsten Tag updaten sollen, steht bei den Neuerungen zu 90 Prozent: Bug fixed. Als Handynutzer akzeptieren sie das. Als Daimler-Kunde, der einen Mercedes kauft, verständlicherweise nicht. Wir leben damit als Autohersteller in zwei Welten. Wir sind in der digitalen Sphäre aktiv, in der wir das Tempo und die Dynamik dieser Branche aufnehmen. Wir bauen aber auch weiterhin Autos, bei denen die Kunden zurecht davon ausgehen, dass sie keine Betaversion kaufen, sondern ein perfektes technisches Produkt. Diese beiden Felder zusammenzubringen, das ist eine der großen Herausforderungen, vor der wir als Konzern stehen.
Wie lösen Sie dieses Problem?
Indem wir die zwei Welten sehr sauber voneinander abgrenzen. Die Autos müssen weiterhin den höchsten Qualitätsstandards entsprechen, das ist die Basis. Es muss aber auch möglich sein, in der Entwicklung von mobilen Services Dinge auszuprobieren und auf den Markt zu bringen, bevor sie ausgereift sind. Ich denke schon, dass wir in dieser Hinsicht in der Vergangenheit etwas zu konservativ waren und alle Entwicklungen dem großen Daimler-Maßstab untergeordnet haben. Daher wollen wir nun sauber zwischen diesen zwei Maßstäben trennen, um damit dort, wo es möglich ist, neue Dynamiken entstehen zu lassen.
Es ist für erfahrene Daimler-Kräfte sicherlich nicht ganz einfach zu akzeptieren, dass in der digitalen Sphäre andere Standards gelten, oder?
Das kann im Einzelfall natürlich so sein, aber deshalb haben wir neue Geschäftsfelder wie MyTaxi oder Car2Go ein wenig vom Konzern separiert, um dort eine höhere Entwicklungsgeschwindigkeit und Risikobereitschaft zu etablieren. Trotzdem sind diese Bereiche Teile des Konzerns – und prägen die Unternehmenskultur natürlich mit.
Wie prägend sind die jungen Arbeitskräfte der Generation Y, die nun bei Ihnen im Konzern langsam, aber sicher Karriere machen? Wie ändern sie die Daimler-Kultur?
Die Generation Z rückt ja auch schon ran. Zunächst aber finden Sie in allen Generationen die ganze Bandbreite an Einstellungen. Es gibt die Traditionalisten, die früh heiraten und eine Familie gründen wollen. Die Fortschrittlichen, die auf Home Office und grenzenlose Mobilität stehen. Und diejenigen, die sehr viel Wert auf den Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit legen. Kurz: Sie finden in jeder Generation alle Typen.
Der gewaltige Unterschied zwischen der Generation Y und Z sowie allen Generationen davor ist der Grad der Digitalisierung. Die Art, wie sie kommunizieren und wie sie die Geräte bedienen, unterscheidet sich fundamental. Da muss ich nur schauen, wie ich mit einem Finger eine Textnachricht auf dem Smartphone schreibe und wie meine 16 und 18 Jahre alten Söhne das tun. Selbst mein Ältester, der 25 ist, kommt da nicht mit. Und ich bin der festen Überzeugung, dass dieser digitale Lebensstil nicht nur die Konzernkultur, sondern die ganze Gesellschaft auf vielen Ebenen verändern wird.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich als junger Ingenieur bei Daimler Mitte der 80er-Jahre meinen eigenen Apple, den mein Vater mir dankenswerterweise für teures Geld gekauft hatte, mit an den Arbeitsplatz brachte. An diesen Tagen durfte ich ausnahmsweise mit dem Wagen bis zur Eingangstür vorfahren, weil dieser PC so schwer war. Im Büro versammelten sich dann die Kollegen, um zu schauen, was für einen Kasten ich da angeschleppt hatte. Die Einführung der PCs in die Arbeitswelt war schon einschneidend, aber die Digitalisierung aller Handlungen und Lebensbereiche, die wir derzeit erleben, wird noch prägender sein.
Müssen Sie eine Nachwuchskraft, die ein hohes digitalisiertes Tempo vorlebt, bremsen, damit die älteren Mitarbeiter nicht überfordert werden?
Junge Ingenieure werden natürlich durch die Prozesse gebremst. Wie erwähnt: Eine S-Klasse entsteht nicht im Trial-and-Error-Verfahren. Da muss sich der Nachwuchs an die notwendigen Abläufe anpassen. Auf der anderen Seite müssen wir Älteren uns daran gewöhnen, dass die digitale Kommunikation anders ist, als wir es von früher kennen. Mein Sohn ist zurzeit in Thailand unterwegs. Ich kann, wenn ich will, innerhalb von wenigen Sekunden erfahren, was er dort gerade macht – mit Foto, wenn er denn will. Auf der anderen Seite bekomme ich oft Textnachrichten, die in Sachen Rechtschreibung und Grammatik nicht fehlerfrei sind (lacht). Dieser Grundkonflikt wird bestehen bleiben.
Zum Unternehmen
Mit den Geschäftsfeldern Mercedes-Benz Cars, Daimler Trucks, Mercedes-Benz Vans, Daimler Buses und Daimler Financial Services gehört Daimler zu den größten Anbietern von Premium-Pkw und ist der größte weltweit aufgestellte Nutzfahrzeug-Hersteller. Der Konzern mit Sitz in Stuttgart vertreibt seine Fahrzeuge und Dienstleistungen in nahezu allen Ländern der Welt und hat Produktionsstätten auf fünf Kontinenten. Im Jahr 2015 setzte das Unternehmen mit 284.000 Mitarbeitern rund 2,9 Millionen Fahrzeuge ab. Neben seinen Automarken wie Mercedes-Benz, Mercedes-Maybach oder smart betreibt der Konzern auch Mobilitätsplattformen wie moovel, car2go oder mytaxi.
Das ist aber nicht schlimm für ein Unternehmen. Wichtig ist, dass ich als älteres Semester diese Unterschiede erkenne und akzeptiere. Ein Problem hätten wir, wenn ich die Jüngeren zwingen würde, so zu agieren, wie wir es gelernt haben. Dann würden wir ihnen die Freiheit und die Dynamik rauben, und das wäre fatal, weil ich damit den jungen Kollegen auch die Lust am Erlernen neuer Dinge nehme. Genauso falsch ist es aber, wenn eine junge Nachwuchskraft denkt, jeder ältere Kollege müsse zum Digital Native werden, das funktioniert natürlich genauso wenig.
Glauben Sie eigentlich noch daran, dass der Elektromobilität tatsächlich eines Tages der Durchbruch gelingen wird?
Wir sind uns ziemlich sicher, dass die Elektromobilität schneller eine große Bedeutung gewinnen wird, als wir das heute denken. Wir erkennen schon heute, dass in manchen urbanen Gegenden Rahmenbedingungen des Umweltschutzes gesetzt werden, die mit herkömmlichen Antrieben nur schwer erreicht werden können. Die künftigen Grenzwerte sind der Treiber. Denn der Kunde fragt sich heute, warum er ein Auto mit einer geringeren Reichweite und längeren Ladezeiten kaufen soll, das dazu noch teurer ist. Er wird sein Kaufverhalten erst dann ändern, wenn die Preise stimmen, die Infrastruktur vorhanden ist und er eine gute Auswahl vorfindet.
Zum Abschluss: Wie oft schimmert bei Ihrer Arbeit als Vorstand eigentlich noch die Geisteshaltung des Ingenieurs durch?
Oh, das kommt schon noch häufiger vor. Meine Mitarbeiter sind immer begeistert, wenn ich in dicken Vorlagen sofort herausfinde, wenn die Zahlen nicht zueinander passen. Der prüfende Blick, das hat der Ingenieur immer drauf (lacht).