Wo gibt es den Fachkräftemangel – und wo nicht? Und was bedeutet das für Absolventen? Ina Kayser analysiert beim VDI den Arbeitsmarkt für Ingenieure und rät Einsteigern zu Flexibilität und Grundlagenwissen. Das Interview führte André Boße.
Zur Person
Dr. Ina Kayser, 29 Jahre, ist seit 2012 beim VDI als wissenschaftliche Referentin für das Thema Arbeitsmarkt tätig. Sie promovierte zum Thema „Akzeptanz von E-Government“ und war zu dieser Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Duisburg-Essen tätig. Sie hat einen Master-Abschluss in internationaler Politik und ein Diplom in Wirtschaftsinformatik.
Frau Dr. Kayser, zuletzt gab es widersprüchliche Aussagen zum Fachkräftemangel. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?
Aktuelle Auswertungen des VDI in Kooperation mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen eine ungebrochen hohe Nachfrage an Ingenieuren, die nicht gedeckt werden kann. Der resultierende Fachkräftemangel kann vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und einer innovationsgetriebenen Wirtschaft kritische Folgen haben, denn Ingenieure sind das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Sie sind von zentraler Bedeutung für den Technikstandort Deutschland und für unseren Wohlstand. Damit ist der andauernde Fachkräftemangel ein großes Problem für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands.
Fehlen denn überall und aus allen Fachrichtungen Ingenieure?
Der Fachkräftemangel betrifft nicht alle Fachrichtungen gleichermaßen. Die Ingenieurlücke ist am größten im Maschinenbau und in der Elektrotechnik; im Vermessungsingenieurwesen ist dagegen kaum ein Mangel erkennbar. Auch beobachten wir regionale Differenzen: Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind regional gesehen vom Fachkräftemangel am stärksten betroffen.
Gibt es andererseits Regionen, wo es Ingenieure schwerer haben, Stellen zu finden?
Wir beobachten in Berlin und Brandenburg in vielen Ingenieurberufen eher einen Überschuss an arbeitslosen Ingenieuren als an offenen Stellen. Hier ist also trotz des generellen bundesweiten Mangels an Ingenieuren bei den kommenden Ingenieuren und Bewerbern Flexibilität gefragt, was die Wahl sowohl der Studienrichtung und Schwerpunkte als auch der Beschäftigungsregion angeht.
Mit welchen Fähigkeiten und Qualifikationen wird der Ingenieurabsolvent zur besonders begehrten Fachkraft?
Aus unserer Sicht ist es von besonders großer Bedeutung, ein breites Basiswissen zu erlangen, beispielsweise in Form eines grundlegenden Bachelorstudiengangs. Eine Spezialisierung kann dann besser entweder an konkreten Aufgaben orientiert im Unternehmen erfolgen oder über ein Masterprogramm mit starkem Fokus auf einer Spezialisierung. Daneben spielen aber auch Soft Skills eine wichtige Rolle. Neben der fachlichen Qualifikation legen Unternehmen großen Wert auf Kompetenzen wie etwa Teamfähigkeit, aber auch solide Fremdsprachenkenntnisse sind gefragt.
Viele Unternehmen suchen Spezialisten. Warum sind die Grundlagen noch immer wichtig?
Durch die breite ingenieurwissenschaftliche Basisqualifikation erhalten sich Einsteiger die nötige Flexibilität, um auf Anpassungen am Arbeitsmarkt zu reagieren.
Ist ein Bachelorabschluss tatsächlich eine gute Grundlage für den Karrierestart?
Ja, denn wir beobachten in der Industrie eine konstant hohe Nachfrage nach Bachelorabsolventen. Sie sind in den Unternehmen vor allem aufgrund ihrer kurzen Studiendauer gern gesehen. Die Spezialisierung kann dann entweder praxisorientiert im Unternehmen erfolgen oder in einem späteren Masterstudium erworben werden.
Dürfen Einsteiger als Folge aus dem Fachkräftemangel heute mit Spitzen- Einstiegsgehältern und rasanten Karrieren rechnen?
Der VDI führt in regelmäßigen Abständen eine Gehaltsstudie durch, nach der wir einen leichten Anstieg beobachten können; der große Gehaltssprung ist aber bislang ausgeblieben. Es ist jedoch erkennbar, dass immer mehr Ingenieure auch Führungs- und Managementpositionen bekleiden. So gab es im Jahr 2009 in der Industrie rund 79.000 Manager mit ingenieurwissenschaftlichem Abschluss, während die Zahl der Manager mit betriebswirtschaftlichem Abschluss sich auf lediglich rund 62.000 belief.
Der VDI
Für Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker gibt es eine Vereinigung, die sie bei ihrer Arbeit unterstützt, fördert und vertritt. Diese Aufgabe übernimmt der VDI, Verein Deutscher Ingenieure. Er versteht sich als Sprecher, Gestalter und Netzwerker. Seit über 150 Jahren steht er Ingenieurinnen und Ingenieuren zur Seite. Mit fast 150.000 Mitgliedern ist der VDI die mit Abstand größte Ingenieurvereinigung Deutschlands. Auch in Europa zählt er zu den führenden Organisationen für Ingenieure.
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