Schon als Personalvorstand der Telekom war Thomas Sattelberger ein wacher Geist, immer auf der Suche nach einem neuen Denken im Umgang mit Menschen in Unternehmen. Seit seinem Ausstieg entwickelt der 65-Jährige weiter mutige Ideen und analysiert, woher die Angst kommt und was Liebe dagegen ausrichten kann. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Thomas Sattelberger, geboren am 5. Juni 1949 in Munderkingen an der Donau, studierte BWL und blickt als Manager auf fast 40 Jahre Erfahrung zurück, vor allem im Personalmanagement. Vom Daimler-Konzern, wo er 1975 seine Karriere begann, führte ihn sein Weg über die Daimler-Tochter MTU, die Lufthansa sowie den Autozulieferer Continental 2007 zur Telekom, wo er bis 2012 als Personalvorstand tätig war. Seit Mai 2012 ist Thomas Sattelberger Botschafter für das Thema Personalführung bei der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, die eine Verbesserung der Arbeitsqualität als Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft des Standorts Deutschland betrachtet. Er ist Vorsitzender der Initiative „MINT Zukunft schaffen“, die sich für bessere Bildung und mehr Perspektiven in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) einsetzt.
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Herr Sattelberger, reden wir zunächst über die Angst. Wie verängstigt ist die Generation der Einsteiger und Nachwuchskräfte von heute?
Sie ist nicht offen verängstigt, aber voll darauf getrimmt, fast sogar genormt, durch Selbstoptimierung die Erwartungen anderer zu erfüllen. Dahinter steckt wohl auch Angst. Andererseits beobachte ich junge Menschen, die mit stolzgeschwellter Brust bei elitären Strategieberatungen, Großkonzernen oder Finanzinstituten einsteigen und sagen: Hier bin ich. Zudem gibt es junge, hochbegabte Potenzialträger, die offen Angst ausstrahlen – eine Angst, die sie mit Blick auf ihre Voraussetzungen sowie das Marktumfeld eigentlich gar nicht haben müssten. Dabei scheint ihnen die Lebensfreude und der Optimismus abzugehen. Und zwar mehr als jungen Menschen in anderen Ländern.
Woran kann man das festmachen?
Schauen Sie nur auf die Anzahl der Unternehmensgründungen von Absolventen. Die deutschen Studierenden rangieren hier international auf den hintersten Rängen. Hierzulande können sich lediglich rund sechs Prozent der Absolventen vorstellen, ein eigenes Unternehmen zu gründen. In anderen Ländern sind es bis zu 45 Prozent. Rund 40 Prozent der deutschen Absolventen wünschen sich den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber. Diese Zahlen sind eine Folge der Angst, Risiken einzugehen – eine Angst, die einem in nahezu allen Bereichen begegnet. Zum Beispiel bei den Ingenieuren, die in Deutschland häufig lieber die 17.000 Risiken abschätzen, als die 17.001 Hoffnungen und Potenziale herauszustellen.
Was muss passieren, damit sich das ändert?
Dieses Land muss eine neue Einstellung zum Scheitern und zur Niederlage entwickeln. Es darf nicht sein, dass zum Beispiel nach der Insolvenz eines eigenen Unternehmens ein ewiger Makel bleibt, während man in den USA sehr schnell eine neue Chance erhält.
Mit Blick auf den Nachwuchs: Ist diese Angst Ihrer Meinung nach objektiv begründbar?
Wenn wir in Spanien oder Griechenland wären, dann schon. Mit Blick auf die Perspektive auf dem deutschen Arbeitsmarkt und die Chance, in diesem Land recht bald genug Geld zu verdienen, um eine Familie zu gründen, erschließt sich einem diese Angst objektiv nicht.
Wer erzeugt denn dann diese Angst?
Ein Aspekt ist sicherlich, dass die jeweils ältere Generation hierzulande stets sehr kritisch auf die jüngere schaut. Es fallen dann Urteile wie „nicht-ausbildungsfähig“, oder es werden Analysen gemacht wie „erhebliche Schwächen in der Sozialkompetenz“. Ich habe eine 40 Jahre lange Karriere hinter mir – ich habe dieses Aburteilen der Jüngeren dutzendfach erlebt. Hinzu kommt, dass die Älteren den typisch deutschen Normierungswahn auf die jüngere Generation übertragen. Sie geben Kategorien vor, welche Dinge man in einem bestimmten Alter bereits erreicht haben muss, um in der Wahrnehmung der anderen als erfolgreich zu gelten. Dabei wissen wir heute, dass es die ungeraden, unnormalen Wege sind, welche die Normalität des Lebens abbilden. Denn das Leben gehorcht eben keinen Normierungen. Es gibt keine DIN für den Menschen, auch wenn das einige Führungskräfte gerade in technischen Unternehmen oder dirigistisch, also staatlich reglementiert, geführten Großkonzernen gerne so hätten.
Auch für die Liebe gibt es keine DIN-Norm. Was denken Sie, hat die Liebe in Unternehmen überhaupt eine Chance?
Es gibt heute den Trend, Unternehmen nach außen hin zu schminken und attraktiv scheinen zu lassen, Stichwort „Employer Branding“. Ich hege jedoch große Zweifel, ob diese Schminke auch das Innere eines Unternehmens ändert. Sagen wir mal so: Wer in ein toll geschminktes Unternehmen einsteigt, erfreut sich häufig an einem Flirt. Doch schon bald kann es sein, dass man in einer öden Beziehung steckt, der man sich im schlimmsten Fall ein Leben lang lieblos hingibt, weil man Angst vor dem Risiko hat, der Sache ein Ende zu machen. Wo keine Liebe ist, ist es jedoch die bessere Alternative, sich rasch zu trennen.
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass es anders kommt, dass man erst als Nachwuchs- und später als Führungskraft eine langfristige leidenschaftliche Beziehung zu seinem Arbeitgeber hat?
Gerade junge Menschen haben Leidenschaften oder Ideale. Vor Kurzem habe ich dazu einen spannenden Satz gelesen: Unternehmen müssen Financiers der Leidenschaften ihrer Mitarbeiter sein. Sprich: Jemandem, der brennt, müssen die Arbeitgeber den passenden Kontext geben, damit das Feuer nicht ausgeht. Mit Blick auf meine eigene Karriere kann ich feststellen, dass ich immer dann aufgeblüht bin, wenn ich die Freiräume besaß, um meine Ideen leidenschaftlich zu verwirklichen. Oft an der Grenze, aber immer im Sinne des Unternehmens, also nicht aus egoistischen Beweggründen. Das Gefühl in diesen Momenten war: Das Unternehmen und ich sind eins in dem, was wir uns wechselseitig zutrauen.
Was steht der Liebe im Job sonst noch entgegen?
Sehr vieles. Zum Beispiel Selbstbetrug. Ich kann weiterhin nicht nachvollziehen, wie viele junge Menschen mit großem Potenzial freiwillig ihre Welt einschränken, indem sie als Ingenieure in den Legebatterien großer technischer Konzerne in die normierte Geschäftswelt eintreten und für sich entscheiden, fortan ein eingeengtes Leben zu führen. Ich habe in meinem beruflichen Leben häufig beobachtet, wie Menschen, die sich für Schein statt Sein entschieden haben, an persönlich sehr kritische Punkte gelangt sind. Wenn die Zweifel immer wieder kamen. Wenn die Perspektiven immer geringer wurden. Wenn dann kein Sein vorhanden ist, also ein starkes Ich, sondern nur noch der Schein einer Rolle, die man zu spielen gelernt hat – na, dann bin ich eine arme Sau.
Ist dieses „Sein“ im Gegensatz zum „Schein“ heute wichtiger denn je?
Die zwei wichtigen Fragen in meinem Leben lauten: Wer bin ich? Und wo will ich hin? Wer mit allen Sinnen durchs Leben geht, wird merken, dass es heute immer weniger ehrliche, nicht von Interessen geleitete Akteure gibt, die einem bei der Antwort auf diese Fragen helfen. Eigendiagnose und Eigenverantwortung sind gefragt. Das kostet Energie, bereitet Zukunftssorge. Und mit Blick darauf entscheiden sich viel zu viele junge Menschen weiterhin für ein enges Leben ohne Liebe. Junge Menschen haben es in ihrer Hand, Täter statt Opfer zu sein. Sie sollten es nutzen. Denn wer seine Optionen in frühen Jahren massiv reduziert, wer viel ausschließt, weil es unbekannt und unsicher ist, und wer sich einem Lebensstil verweigert, der es einem erlaubt, auch mal mit dem Leben zu experimentieren, der raubt sich damit ein gutes Stück Lebensfreude. Schließlich ist es die Gnade junger Menschen, Sünden zu begehen.
Was fehlt Unternehmen, damit sie ein Ort der Liebe sein können?
Zum Beispiel eine neue Sprache. Überlegen Sie mal: Personal, Belegschaft, Arbeitnehmer, abhängig Beschäftigte – diese, pardon, bescheuerten Begriffe degradieren den Menschen zum Objekt.
Da ist dann nicht viel mit Liebe.
Nein. Das sind keine Begriffe für die Wissens- und Kreativökonomie. Viel besser gefällt mir der Begriff des „Unternehmensbürgers“. Wäre ich heute noch aktiv, würde ich ein Pilotprojekt starten, bei dem die Mitarbeiter ihre Führungskräfte selber wählen dürften. Die Mitarbeiter hätten dann Bürgerrechte, sie dürften mitbestimmen, wer sie in der oberen Etage vertritt – und damit auch, in welche Richtung ein Unternehmen geht. Sie hätten aber auch Pflichten, denn es geht gleichermaßen um Teilnahme und Teilhabe.