Mit Legal-Tech-Know-how Zukunft gestalten

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In Kanzleien wird die generative KI zum Gegenwartsthema. Large Language Modelle wie ChatGPT-4 unterstützen bei bestimmten anwaltlichen Tätigkeiten. Studien zeigen: Sie sind dabei so gut wie Menschen, aber schneller und kostengünstiger. Dieser Schub an Produktivität ist für Kanzleien notwendig – und gibt Juristinnen und Juristen die Möglichkeit, sich auf die Arbeiten zu fokussieren, bei denen sie wiederum der KI überlegen sind. Mit dem Ziel, eine Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine zu etablieren. Ein Essay von André Boße

Die Signale aus dem Rechtsmarkt klingen zunächst widersprüchlich. Einerseits gehen die Akteure davon aus, dass die Bedeutung von Legal-Tech-Anwendungen (also speziell für den Rechtsmarkt konzipierte digitale Tools, zumeist auf KI-Basis) weiter steigen wird, weil sie die Arbeit in Kanzleien effizienter machen. Andererseits bleibt es für Kanzleien eine Hauptaufgabe, Fachkräfte zu rekrutieren. Ein Widerspruch ist das aber eben nicht. Zwar wird der Rechtsmarkt von immer neuen technischen Möglichkeiten geprägt, ausgelöst insbesondere durch Entwicklungen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz. Jedoch ersetzen diese KI-Modelle keine juristischen Fachkräfte – zumindest nicht in den Arbeitsbereichen, in denen es auf echte juristische Expertise ankommt. Weshalb es auch nicht möglich sein wird, den Fachkräftemangel auf dem Rechtsmarkt durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu lösen, sondern im besten Fall abzumildern. Was wiederum bedeutet, dass keine Nachwuchskraft Angst haben muss, von einer künstlichen Intelligenz ersetzt zu werden.

Generative KI als Unterstützung

Online Kurse

Wer schnell und effizient seine Kenntnisse in Sachen KI für Juristinnen und Juristen erweitern will, findet im Internetangebot des Legal Tech Verbandes Informationen über Onlinekurse. Neben den Grundlagen der künstlichen Intelligenz erhalten die Teilnehmenden einen Überblick darüber, welche Rolle KI-Tools für den Rechtsmarkt spielen und wie sie sich gezielt im persönlichen Arbeitsalltag einsetzen lassen.

Im Einsatz sind Modelle der generativen KI aktuell vor allem als unterstützende Systeme für die Juristinnen und Juristen. Profitieren werden Kanzleien davon nur dann, wenn sie genügend Fachkräfte an Bord haben, die gewinnbringend mit den digitalen Systemen kooperieren. Die Kanzleiarbeit von morgen? Juristinnen und Juristen und KI-Modelle sind zusammen tätig, als Mensch-Maschine-Team. Wobei diese Partnerschaft dann von Erfolg gekrönt sein wird, wenn sich der Mensch nicht von der Maschine treiben lässt – sondern der Mensch es ist, der mit seinem juristischen Fachwissen und Gespür der generativen KI die richtigen Aufträge gibt.

Die aktuelle Future Ready Lawyer-Studie des Beratungsunternehmens Wolters Kluwer belegt diese Entwicklung mit Zahlen. Seit fünf Jahren werden für den Report weltweit führende Mitarbeiter in Kanzleien oder Rechtsabteilungen befragt. Die neueste Untersuchung zeigt, dass ein Großteil der Befragten von einem wachsenden Einfluss von Systemen mit generativer KI ausgeht. Diese Modelle unterscheiden sich von der „klassischen“ KI, indem sie nicht nur in der Lage sind, vorgegebene Inhalte zu analysieren, sondern auch eigene Inhalte herzustellen.

Der wachsende Einfluss generativer KI auf die Rechtsbranche ist einer der bemerkenswertesten Trends der diesjährigen Studie.

„Der wachsende Einfluss generativer KI auf die Rechtsbranche ist einer der bemerkenswertesten Trends der diesjährigen Studie“, heißt es in der Zusammenfassung der Future Ready Lawyer-Untersuchung. So erwarten 73 Prozent, dass der Umgang mit den KI-Modellen in den kommenden Monaten ein Teil ihrer juristischen Arbeit werden – und damit die Tätigkeit stark beeinflussen wird. Die KI in den Kanzleien ist also kein Zukunfts-, sondern ein Gegenwartsthema. Ihr Einsatz, so die Studie, passiert nicht, weil neue Technik ein „Niceto- have“-Thema ist, das man ausprobieren sollte. Es sei vielmehr ein echter Druck zu spüren, die Systeme einzusetzen, als „ein entscheidendes Kriterium für höhere Leistung im Rechtsmarkt“, wie es in der Zusammenstellung des Reports heißt.

Plus an Produktivität

Dabei setzen die Befragten zwei Hoffnungen in die Arbeit mit generativer KI: Erstens soll sie dabei helfen, in den Kanzleien die Produktivität und Effizienz zu erhöhen. Zweitens soll sie dadurch erreichen, das „Risiko einer Fluktuation von Mandant:innen zu verringern“, so die Studienautorinnen und -autoren. Interessant ist das Ergebnis, dass 87 Prozent der Kräfte in Kanzleien, die bereits heute auf Legal-Tech-Tools setzen, berichteten, die Möglichkeiten der Technologie hätten ihre „tägliche Arbeit verbessert“. Wie zentral der Punkt ist, dass die Modelle mit generativer KI einen menschlichen Partner an ihrer Seite benötigen, zeigt die Bewertung der Herausforderung, Fachkräfte zu finden und zu halten: „81 Prozent aller Studien-Teilnehmer:innen gehen davon aus, dass die Arbeit in Kanzleien und Rechtsabteilungen davon geprägt sein wird, wie gut sie imstande sind, Fachkräfte einzustellen und zu binden“, heißt es in der Zusammenfassung der Future Ready Lawyer-Studie.

LLMs: Plug-and-Work-Unterstützung im Office

Wie aber kann generative KI überhaupt in Kanzleien eingesetzt werden? Ein Thema sind vor allem Large Language Modelle (LLM), das bekannteste unter ihnen ist ChatGPT. Dem Entwickler OpenAI ist es gelungen, das Modell bereits früh in der Breite einzuführen, aktuell läuft die Fassung GPT-4. LLM-Systeme gibt es aber auch von Google (PaLM 2) oder Meta (Llama 2). Das Fraunhofer Institut, das daran beteiligt ist, generative KI-Modelle für die Wirtschaft nutzbar zu machen, definiert die LLMs als „leistungsstarke Modelle, die darauf ausgelegt sind, menschliche Sprache zu verstehen und zu generieren. Sie können Text analysieren und verstehen, kohärente Antworten generieren und sprachbezogene Aufgaben ausfuhren.“

Im Gegensatz zu herkömmlichen Sprachmodellen können LLMs viele Aufgaben ohne zusätzliches Finetuning erfüllen.

Dadurch ermöglichten sie eine natürliche Sprachverarbeitung, mit der Unternehmen und Kanzleien Erkenntnisse aus großen Mengen von Textdaten extrahieren oder ihre Content-Erstellung verbessern können. Der Clou: „Im Gegensatz zu herkömmlichen Sprachmodellen können LLMs viele Aufgaben ohne zusätzliches Finetuning erfüllen.“ Sprich, als Partner an der Seite einer juristischen Fachkraft ist dieses Modell kein Anfänger, sondern bereits mit sehr vielen Kenntnissen ausgestattet. Und gerade das macht die Arbeit mit ihm so effizient: Er ist von Beginn an startklar. Plug-and-Play nennt man das bei Unterhaltungsgeräten. Hier kann man von Plug-and-Work sprechen: Für Kanzleien ist das hochattraktiv, um schnell an Produktivität zuzulegen.

GPT-Jobs: zusammenfassen, recherchieren, umformulieren

Goldman Sachs Studie: Die KI übernimmt 44 Prozent

In einer Studie hat die Research-Abteilung der Investmentbank Goldman Sachs untersucht, in welchen amerikanischen Arbeitsbereichen die generative KI das größte Potenzial besitzt, bestimmte Tätigkeiten komplett zu übernehmen. Ganz oben auf der Liste: Tätigkeiten in der Verwaltung (46 Prozent) sowie im Rechtsbereich (44 Prozent). Gleichzeitig prognostiziert die Studie gerade für diese Bereiche einen Produktionsboom. Tritt dieser ein, hebt die KI das Arbeiten auf dem Rechtsmarkt auf ein neues Level.

Konkret schlägt Dr. Dirk Schrameyer, Leiter des Bereichs Digital Product Management Legal bei Wolters Kluwer in Deutschland, in einem Interview mit dem Fachportal Legal Tech Verzeichnis den Einsatz von LLMs dann vor, wenn es darum geht, gerichtliche Entscheidungen zusammenzufassen und den Inhalt von Urteilen und Beschlüssen zu erfassen. LLMs seien in der Lage, den gesamten Schriftsatz schnell zusammenzufassen – inklusive Sachverhalt und Verfahrensgang. „Dies ermöglicht eine schnelle inhaltliche Bewertung der Entscheidungen und reduziert die Anzahl der Dokumente, die vollständig gelesen werden müssen“, wird Dr. Dirk Schrameyer zitiert. Auf diese Art können in kurzer Zeit genau die relevanten Entscheidungen identifiziert werden, die für einen bestimmten Sachverhalt von Bedeutung sind. Es gehe nicht darum, so Dr. Schrameyer, dass die Juristinnen und Juristen sie nicht mehr lesen sollten. Der entscheidende Punkt sei, dass die LLMs für Zeitersparnis sorgen, indem sie die Entscheidungen identifizierten, die relevant seien.

Weitere Einsatzbereiche von generativer KI in Kanzleien sind Tools, die bestimmte Inhalte juristischer Dokumente direkt mit den betreffenden Rechtsprechungen und Gesetzen in den Datenbanken verbinden. Auch beim Erstellen von Vertragstexten sowie bei der Umformulierung von gesetzlichen Texten – zum Beispiel, um sie für Laien verständlicher zu machen – bietet die generative KI effiziente Unterstützung.

GPT schlägt juristische Aushilfskräfte

Wer noch Zweifel hat, ob LLMs im Dickicht des Kanzleialltags und der juristischen Komplexität auch tatsächlich das halten, was sie versprechen, erhält in ersten Studien Antworten. Das in Neuseeland beheimatete AI Center of Excellence hat untersucht, wie gut LLMs im Vergleich zu menschlichen Hilfskräften darin sind, Vertragstexte auf ihre juristische Stichhaltigkeit zu überprüfen. Mit Bezug auf die amerikanische Anwaltsserie „Better Call Saul“ gaben die Forschenden ihrer Studie die Überschrift „Better Call GPT“. Verglichen wurde die Leistung der generativen KI mit der von Rechtsreferendarinnen und -referendaren oder LPOs, also Legal Process Outsourcers, die von der Kanzlei beauftragt werden, diese Prüfungen zu übernehmen.

Insbesondere bei der Geschwindigkeit der Vertragsprüfung zeigen LLMs einen deutlichen Vorteil aufgrund ihrer Rechenleistung, die es ihnen ermöglicht, Texte viel schneller zu verarbeiten und zu analysieren als menschliche Fachkräfte.

Die Ergebnisse zeigen, dass die LLMs mit Blick auf die rechtlichen Aspekte die Vertragstexte genauso gut bestimmen und bewerten, wie es die menschlichen Prüferinnen und Prüfer tun. „Insbesondere bei der Geschwindigkeit der Vertragsprüfung zeigen LLMs einen deutlichen Vorteil aufgrund ihrer Rechenleistung, die es ihnen ermöglicht, Texte viel schneller zu verarbeiten und zu analysieren als menschliche Fachkräfte. Dieser Vorteil ist ein entscheidender Faktor in Bezug auf die Produktivität und die Durchlaufzeiten bei der Vertragsprüfung“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. LLMs lieferten also genaue Ergebnisse zu einem Bruchteil der Zeit und der Kosten, die für die herkömmliche, von Menschen durchgeführte Prüfung erforderlich sei, bewerten die Studienautorinnen und -autoren das Ergebnis ihrer Untersuchung.

Ist es also doch so, dass die Maschine den Menschen ersetzt? Für bestimmte Dienstleistungen wie zum Beispiel die Überprüfung von Vertragstexten gilt das. Diese Services sind allerdings keine Beispiele für eine Arbeit, bei der es auf juristische Finesse ankommt, die nach anwaltlichem Gespür oder einem empathischen Umgang mit den Mandantinnen und Mandanten und ihren juristischen Problemen verlangt. Überall dort also, wo es auf den Menschen ankommt, wird auch auf dem neuen, verstärkt von generativer KI geprägten Rechtsmarkt eine Form von juristischem Know-how gefragt sein, über das selbst die komplexesten und besttrainierten LLMs nicht verfügen. Und wohl auch nie verfügen werden. Es lohnt sich also gerade für den Nachwuchs, sich früh auf diese nicht ersetzbaren Skills zu fokussieren. Wer hier gut aufgestellt ist, findet auf dem Rechtsmarkt der Zukunft auch weiterhin attraktive Jobs – und darf davon ausgehen, als Nachwuchskraft nicht übermäßig mit langweiliger Routinearbeit behelligt zu werden. Denn genau dafür ist die generative KI ja jetzt da.

Zwei-KI-Prinzip gegen Halluzinationen

Wenn LLMs „halluzinieren“, bedeutet das, sie erfinden falsche Fakten. Weil sie sich verschätzen, ihr Deep-Learning-Programm auf eine falsche Fährte gerutscht ist oder sie den Spruch, dass Reden Silber, aber Schweigen Gold sei, nicht kennen. Gerade im juristischen Bereich sind falsche Pseudo-Fakten fatal. Weshalb die LLM-Entwickler aktuell viel dafür tun, den Modellen das Halluzinieren abzugewöhnen. Zum Beispiel, indem sie eine KI-Prüfschleife implementieren, die einen KI-generierten Text prüft. Nach dem Motto: Zwei KIs sind besser als eine.

Cyberstaatsanwältin Jana Ringwald im Interview

Als sich die Staatsanwältin Jana Ringwald entschied, ein Inhouse-Seminar zum Thema Cyberkriminalität zu besuchen, ahnte sie nicht, wie sehr sie dieses Thema fesseln würde. Heute ermittelt sie als Oberstaatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zusammen mit ihrem Team sehr erfolgreich bei Cyberattacken auf Unternehmen und Vergehen im Darknet. Auf welche Skills es dabei ankommt, erzählt sie im Interview. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Jana Ringwald ist Oberstaatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Sie leitet dort das Team Cybercrime, das regelmäßig international koordinierte Ermittlungsverfahren mit dem Bundeskriminalamt führt. Jana Ringwald leitet zudem die Zentralstelle zur Verwertung virtueller Währungen der hessischen Justiz und bildet bundesweit Justiz- und Polizeiangehörige in der Sicherstellung und Einziehung von virtuellen Währungen aus. Vor ihrem Einstieg in diesen Bereich hatte sie nach ihrem Jura- und Geschichtsstudium eine konventionelle Karriere als Staatsanwältin gestartet.

Frau Ringwald, vor sieben Jahren besuchten Sie ein Inhouse-Seminar zum Thema Cyberkriminalität. Warum hat diese Weiterbildung alles geändert?
Diese Schulung fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem ich offen für etwas Neues war. In der Justiz gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen Expertentum einerseits und Verwendungsbreite andererseits. Das heißt, es werden Juristen benötigt, die in Feldern wie dem Betäubungsmittelstrafrecht oder dem Wirtschaftsstrafrecht tief in der Materie stecken. Wir dürfen aber nicht zu reinen Fachkräften werden, als Volljuristen müssen wir universell einsetzbar bleiben. Dieser Anspruch an unsere Arbeit wird mit zunehmender Spezialisierung zu einer echten Gratwanderung. Bei mir war es so, dass ich viele Jahre im Wirtschaftsstrafrecht tätig war. Mit Blick auf meine Laufbahn war es notwendig, auch Neuland zu beschreiten.

Was haben die Leiter der Inhouse- Schulung denn richtiggemacht, dass Sie dort Feuer gefangen haben?
Die Kollegen haben uns einen sehr anschaulichen und praxisnahen Eindruck von der Arbeit in ihrem Bereich gegeben. Dass man an das Ermitteln im Darknet ganz anders herangeht als an konventionelle Ermittlungen. Ich war wirklich blutige Anfängerin. Viele schreckt es ab, sich auf etwas völlig Neues wie Internetkriminalität einzulassen. Klar, das juristische Instrumentarium ist dasselbe. Aber es präsentiert sich in diesem Bereich komplett neu. Mich hat das sehr gereizt.

Abseits davon, dass Sie ein neues Feld erobern wollten – warum gerade dieses?
Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, sich als Juristin und Staatsanwältin mit Internetthemen zu beschäftigen, weil wir in einer Zeit leben, in der die Cyberwelt immer weiter an Bedeutung gewinnt. Unser Leben findet zu großen Teilen auch im Netz statt. Das spiegelt sich in der kriminellen Welt. Bei der Schulung sah ich die Chance, als Staatsanwältin hier anzuknüpfen.

Wie haben Sie das notwendige Wissen erlangt?
Ich habe mich ins Internet begeben, mir dort das Wissen angeeignet, wie das Internet funktioniert, um zu verstehen, wie ich dort arbeiten muss. Auch Cyberkriminelle holen sich ihr Wissen im Netz. Gewissermaßen bin ich vorgegangen wie sie.

ZIT

Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) wurde 2010 als Außenstelle der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main errichtet. Sie ist erste Ansprechpartnerin des Bundeskriminalamtes für Internetstraftaten bei noch ungeklärter örtlicher Zuständigkeit in Deutschland oder bei Massenverfahren gegen eine Vielzahl von Tatverdächtigen bundesweit. Als operative Zentralstelle bearbeitet die ZIT besonders aufwendige und umfangreiche Ermittlungsverfahren aus den Deliktsbereichen Kinderpornographie, Darknet-Kriminalität, Cyberkriminalität im engeren Sinne wie Hackerbetrug oder Datendiebstahl sowie Hasskriminalität im Internet (Hate Speech).

Wieviel wissen Sie heute darüber?
Realistisch betrachtet, habe ich mir ein qualifiziertes technisches Laienwissen angeeignet. Die Profis, mit denen ich arbeite, wissen natürlich deutlich mehr. Nicht selbst die Expertin zu sein, ist aber auch Teil meines Jobs. Ich muss die neue Materie durchdringen und die Sachlage, nachdem ich meine rechtlichen Schlüsse daraus gezogen habe, zum Beispiel dem Ermittlungsrichter näherbringen. Der schaut vor allen Dingen durch eine juristische Brille auf unsere Anträge.

Sie verbinden also die Welt der Nerds mit der normalen juristischen Welt.
Genau, es ist eine meiner Aufgaben, eine Art kommunikative Brücke zu bauen. Ich habe gerade heute ein Gespräch geführt, bei dem ich meine Spezialisten noch mal gefragt habe: „Die Sache ist also folgendermaßen, hab‘ ich das richtig verstanden?“ Und die sagten: „Nein, das ist dieses Mal ein bisschen anders.“ Und dann wurde mir erläutert, was genau das ist. Auf diese Weise korrigiert zu werden, hilft mit, die jeweilige Sachlage für den justiziellen Apparat vorzubereiten.

Heißt: Für Ihren Job wäre ein IT-Studium eher hinderlich?
So weit würde ich nicht gehen, aber ich werde oft gefragt: „Wäre es nicht besser gewesen, du hättest Informatik studiert?“ Meine Antwort: Man muss es nicht studiert haben. Ideal wäre, man verbände als Staatsanwalt in meinem Bereich beides: IT-Fachwissen und Brückenfunktion. Wichtiger ist aber Zweiteres.

Sehen Sie, die Justiz ist ein sehr konventionelles Gebilde, und sie ist deshalb so beständig, weil sie sich selbst treu geblieben ist. Das bedeutet, dass ultramoderne Themen, zum Beispiel aus der IT-Welt, in diesen Apparat hineinfließen müssen. Dafür braucht es Schnittstellen, an denen das neue Wissen aus der Cyberwelt in die Justiz übergeht.

Kriminalität hält unserer Gesellschaft und Lebensweise den Spiegel vor und legt dort den Finger in die Wunde.

Und das ist Teil Ihres Jobs.
Genau. Denn der Ermittlungsrichter hatte vor meinem Fall vielleicht eine Schlägerei oder eine Urkundenfälschung. Meine Aufgabe ist es, ihm nahezubringen, wie sich das, was sich im Netz abspielt, unter unser Normverständnis subsumieren lässt. Und er muss – genau wie ich zuvor – in die Lage versetzt werden, das überprüfen zu können. Die Grundlage unserer Arbeit sind Tatsachen, aus denen ziehen wir unsere rechtlichen Schlüsse.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Ich surfe nicht permanent im Darknet und ermittle. Diesen Job übernehmen die Ermittler. Mit denen sind meine Kollegen und ich in einem sehr engen Austausch, immer verbunden mit der Frage: Was hat als Nächstes zu geschehen? Was ist zu veranlassen, was ist ein kluger nächster Schritt? Wir müssen viele unserer Fälle buchstäblich selbst gestalten. Weil wir nicht nur dann ermitteln, wenn jemand eine Anzeige erstattet hat.

Wo liegt die Herausforderung bei Ihrer Arbeit?
Wir müssen uns gut überlegen, wie wir unsere Ressourcen einsetzen, wo wir hinschauen, wie wir taktisch vorgehen. Zumal wir permanent im technischen und oft auch im rechtlichen Neuland unterwegs sind. Das heißt, es gibt keine gesetzten juristischen Leitplanken, die uns führen. Das führt dazu, dass wir sehr viel diskutieren. Das ist allerdings auch ein spannender Teil meiner Arbeit.

Bräuchte es ein neues Rechtssystem für die Cyberwelt?
Ich glaube nicht. Klar, unser Rechtssystem ist in einer Zeit entstanden, als Telefone noch Wählscheiben hatten. Aber wir können in diesem Rechtssystem erfolgreich ermitteln, auch bei Cybervergehen. Das bedeutet, das bestehende Reglement klug einzusetzen. Stellenweise gibt es natürlich immer wieder wichtige gesetzgeberische Anpassungen.

Cover RingwaldZum Vertiefen:

Jana Ringwald: Digital. Kriminell. Menschlich. Eine Cyberstaatsanwältin ermittelt. 220 Seiten. Murmann 2024. 25,00 €.

Welche Art von Kriminalität findet im Netz statt?
Es ist häufig ein Äquivalent der Fälle, die wir draußen auf der Straße erleben. Drogen- oder Waffenhandel gab es immer, nun haben sie sich ins Netz verlagert. Der Banküberfall von früher ist heute ein Online-Banking-Trojaner: gleiche Grundintention, anderes Mittel. Interessant finde ich, dass Kriminalität immer auch die Gesellschaft spiegelt und da den Finger in die Wunde legt. Ein Online-Banking-Trojaner zum Beispiel profitiert von unserer Bequemlichkeit und dem Wunsch, zu jeder Zeit mobil auf unser Konto zuzugreifen.

Wie gut sind die Unternehmen in Deutschland vor Cyberangriffen geschützt?
Das Thema Cybersicherheit gerät mehr und mehr ins Bewusstsein. Es wird auf höchster Ebene mitgedacht, es gibt Budgets und eine Sensibilität. Gut aufgestellt sind meiner Meinung nach Unternehmen, die davon ausgehen, dass der schlimmste Fall zeitnah eintritt – und die trainieren, in diesem Fall die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Keinem Unternehmen wird es gelingen, niemals angegriffen zu werden. Ein gut geschütztes Unternehmen ist daher eines, das mit dem Ernstfall rechnet und vorbereitet ist.

Blicken Sie mit Sorge auf den Durchbruch der generativen KI?
Ich glaube nicht, dass die generative KI die Grundstruktur von Kriminalität im Netz komplett auf den Kopf stellen wird. Sie ist allerdings ein Skalierungselement, sprich, sie erhöht etwa die Masse an Angriffen oder an betrügerischen E-Mails. Sie erleichtert den Tätern viele technische Zwischenschritte, was zweifelsohne ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Besitzt der Umgang mit Bitcoins mehr kriminelles Potenzial als Bargeld?
Wenn Sie es schaffen, jemandem in einem Park komplett unbeobachtet eine große Menge an Bargeld in einer Papiertüte zu übergeben, hinterlassen Sie deutlich weniger Spuren, als wenn Sie eine kriminelle Bitcoin-Aktion vornehmen. Denn die Datenspuren, die Sie dort hinterlassen, sind durch Tracing-Tools verfolgbar. Grundsätzlich können wir im Bereich der Kryptowährung gut ermitteln: Die Transaktionen sind nachvollziehbar, gerade beim Bitcoin, der auf der Blockchain-Technik beruht. Wobei hinter derartigen Transaktionen kein Klarname steht. Es kommt also vor, dass wir wissen, was passiert ist – aber verschleiert ist, wer das veranlasst hat. Hier wartet dann wieder Ermittlungsarbeit auf uns. Klar ist aber, dass es sich lohnt, bei diesem Thema polizeilich und justiziell zu investieren. Kryptowährungen sind nicht irgendein technischer Gag, sie sind komplett in der Finanzwelt angekommen. Darauf finden wir täglich Antworten.

Was sind die zentralen Skills, die Sie als Cyberstaatsanwältin täglich benötigen?
Mutig zu sein. Ich kann nicht darauf vertrauen, dass mir jemand sagt: „Das habe ich schon mal gemacht, das geht folgendermaßen, Jana.“ Es kommt regelmäßig vor, dass ich Wege beschreite, die vorher noch niemand beschritten hat. Es geht dann kopfüber ins kalte Wasser. Wichtig ist zudem ein großes Abstraktionsvermögen. Ich habe kein Tatmesser in der Asservatenkammer liegen. Mein Team und ich sind auch nie am Tatort. Es liegt alles im Abstrakten. Die Welt, in der wir uns tummeln, besteht aus Daten. Dafür sollte man ein Verständnis mitbringen. Und auch eine gewisse Freude, denn unsere Spuren sind nicht der Fußabdruck im Park, sondern eine Kombination aus Nullen und Einsen.

Kuratiert

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Regelwerk für wirksame Beaufsichtigung von KI

Die Europäische Kommission hat kürzlich den „AI Act“ erlassen. In dem Gesetz ist geregelt, dass KI-Systeme, die einen weitreichenden Einfluss auf das Leben von Menschen haben können, auch von Menschen „wirksam beaufsichtigt“ werden können. Offen geblieben ist jedoch, wie diese wirksame Aufsicht aussehen und gestaltet werden kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der Informatik, Philosophie, Psychologie und Rechtswissenschaft aus Saarbrücken, Dresden und Freiburg haben Antworten auf diese Frage gesucht und nun ein Regelwerk vorgelegt. Hierin finden sich Kriterien, die den Entwicklern und Anwendern von KI-Systemen, aber auch Gesetzgebern und Gerichten einen Rahmen geben sollen, um die wirksame Aufsicht zu gewährleisten.

International Legal Studies als Schlüssel zur internationalen Karriere

Seit Herbst 2024 bietet die Universität Trier einen neuen Studiengang an, der Kenntnisse im deutschen Recht und in (mindestens) einem von sechs ausländischen Rechtssystemen vermittelt. Zur Auswahl stehen angloamerikanisches, französisches, spanisches, türkisches, japanisches und chinesisches Recht. Muttersprachliche Juristinnen und Juristen vermitteln das Wissen. Daher sind Fremdsprachenkenntnisse Voraussetzung für die Teilnahme – mit Ausnahme von Chinesisch und Japanisch. Fester Bestandteil des Internationalen Jura-Bachelors ist ein Auslandssemester an einer der Partneruniversitäten. Auf Wunsch können Interessierte auch ein ganzes Jahr im Ausland studieren oder ein Praktikum im Ausland absolvieren. Da der Abschluss mit dem Bachelor of Laws „International Legal Studies“ international anerkannt ist, sind Absolventinnen und Absolventen bestens für den Arbeitsmarkt gewappnet.

Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch KI-generierte Stimmen?

Per künstlicher Intelligenz lassen sich Stimmen von Personen täuschend echt nachbilden. Das wirft juristische Fragen auf. In den USA und in China sind erste Urteile gefällt worden. Davon berichtet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner und nimmt eine rechtliche Einordnung für Deutschland vor. Im US-Bundesstaat Tennessee reguliert der so genannte ELVIS Act den Einsatz von KI-Stimmen. Ein chinesisches Gericht befand jetzt, dass die Nutzung von KI zur Nachbildung einer Stimme rechtswidrig sein kann, da die Stimme ein Teil der Persönlichkeit ist. Sie charakterisiere den Menschen und ermögliche, ihn zu identifizieren. Auch in Deutschland fällt die Stimme unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wird die Stimme einer Person ohne deren Einverständnis genutzt, kann die betreffende Person wegen materieller oder immaterieller Schäden dagegen vorgehen.

von Dr. Marion Steinbach

Künstliche Intelligenz verstehen und nutzen

Generative KI bietet enormes Potenzial. Jedoch sind nicht alle Antworten und Lösungen, die ChatGPT und Co. liefern, korrekt. Wir haben Dr. Aljoscha Burchardt, Experte in Sprachtechnologie und künstlicher Intelligenz, gebeten, uns die Ursachen für das „Halluzinieren“ von KI und mögliche Lösungen zu erklären. Die Fragen stellte Dr. Marion Steinbach.

Zur Person

Dr. Aljoscha Burchardt forscht als Principal Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Berlin. Gemeinsam mit der Journalistin Nadia Kailouli geht er in dem rbb-Podcast „KI und jetzt?“ der Frage nach, was KI mit den Menschen macht und was wir mit ihr machen können. Er ist u. a. Senior Research Fellow des Weizenbaum-Institutes für die vernetzte Gesellschaft, stellvertretender Vorsitzender der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft sowie Mitglied im Fachausschuss Kommunikation und Information der UNESCO. 2018-2020 war er sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Deutschen Bundestages.

Wie kommt es zu dem, was als Halluzinieren von KI bezeichnet wird?
Erst einmal gefällt mir die Formulierung „bezeichnet wird“. Tatsächlich finde ich den Begriff Halluzination trotz seiner Einprägsamkeit irreführend und letztlich ist er auch stigmatisierend. Die Systeme haben kein Bewusstsein und entsprechend auch keine Wahnvorstellungen. Wenn von KI generierte Texte Aussagen oder Fakten enthalten, die nicht stimmen, spricht man von Halluzination. Dazu kommt es, weil die Systeme im Kern einfach immer nur das nächste Wort vorhersagen, bis der gewünschte Text da steht. Das ist reine Statistik, die Wortfolgen klingen total plausibel und häufig stimmt auch, was da steht. Aber eine Garantie gibt es nicht, die Systeme sind keine Orakel oder Wahrheitsmaschinen.

Woran erkennt man, dass die KI „halluziniert“?
Wie gesagt, es geht hier gar nicht um die KI, es geht einfach nur darum, ob der Output stimmt. Ob zum Beispiel generierte Publikationsangaben und Links existieren, ob genannte Fakten stimmen oder die Aussagen wahr sind. Das prüft man genauso, als ob sie von einem Menschen kommen, dessen Fähigkeiten wir vielleicht nicht kennen. Wenn meine kleine Tochter etwas Falsches sagt, spreche ich übrigens auch nicht von Halluzinationen.

In welchen Bereichen kann das heikel sein?
Kontexte, in denen Fehlinformationen und Unwahrheiten heikel sein können, kann man sich beliebig ausdenken. Ein Beispiel sind sicherlich die anstehenden Wahlen, bei denen Leute auf die Idee kommen könnten, sich von einem Chatbot beraten zu lassen oder nach den Positionen von bestimmten Politikern zu bestimmten Themen zu fragen.

Was bedeutet das für die User?
Sie müssen auch verstehen, dass generative KI-Systeme keine Suchmaschinen sind. So bequem es scheint, sich auf den mundgerechten Output der Systeme zu verlassen, man sollte nur Dinge anfragen, die man überprüfen kann.

Mittlerweile gibt es aber doch KI, die Quellen angibt. Dann ist der User doch auf der sicheren Seite, oder nicht?
Das macht es sicher leichter, die Ergebnisse im Zweifelsfall zu überprüfen. Allerdings sind Menschen ja auch gerne bequem und das überprüfen ist natürlich wieder mehr Aufwand. Bisher habe ich noch kein Gefühl dafür, welche Aussagen man überhaupt entsprechend belegen kann. Einfache Fakten und Wahrheiten oder (abgewandelte) Zitate sicher. Aber was ist mit freieren Texten, die sich von den Trainingstexten ablösen?

Wie kann die IT das Problem lösen?
Man kann Systeme für bestimmte Aufgaben anpassen und optimieren, man kann auch hybride Systeme bauen, die explizites Wissen mit statistischer Power kombinieren, da wird noch einiges kommen.

Was empfehlen Sie den Usern, bis das Problem gelöst ist?
Ob es theoretisch überhaupt gelöst werden kann, sei mal dahingestellt. In jedem Fall ist es wichtig, sich zu überlegen, welche Aufgaben man an die Technologie abgeben möchte und wie die Ergebnisse geprüft werden (immer/ stichpunktartig/teilautomatisch etc.). In Summe sollte sie uns Arbeit abnehmen, unsere Fähigkeiten erweitern und die Arbeit sollte mindestens genauso viel Spaß machen wie ohne KI. Dann haben wir gewonnen.

Alle Folgen des Podcasts „KI – und jetzt? Wie wir Künstliche Intelligenz leben wollen“, eine Co-Produktion von rbb und DFKI, sind in der ARD Audiothek App verfügbar und überall dort, wo es Podcasts gibt.

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Technologie zur Entlastung bei Massenverfahren

„Massenverfahrens- Assistent mithilfe von KI“, kurz MAKI – das ist der Name eines bundesweit einzigartigen KI-Projekts, das vom Niedersächsischen Justizministerium initiiert wurde. Das Tool soll Richterinnen und Richtern mithilfe modernster Technologie dabei helfen, gleichgelagerte Verfahren, insbesondere Massenverfahren, effektiver zu bearbeiten. Die Entwicklung von MAKI orientiert sich damit eng an den Bedürfnissen der Richterinnen und Richter, die durch Massenverfahren in den vergangenen Jahren erheblich belastet waren.

Zur Person

Gesine Irskens, Foto: Angelika Zwick
Gesine Irskens, Foto: Angelika Zwick

Gesine Irskens ist seit 2010 als Richterin in der niedersächsischen Justiz tätig. Seit 2019 ist sie Referatsteilleiterin im IT-Referat des Niedersächsischen Justizministeriums.

Massenverfahren haben verschiedene Besonderheiten. Eine ist, dass zu bestimmten Sachverhalten nahezu wortgleiche Klagen eingereicht werden, bei denen lediglich die klagende Person (ggf. noch ein Datum und die Klageforderung) geändert wurde. Die Richterinnen und Richter wünschen sich in diesen Fällen, dass ein System die eingehende Klage automatisiert der richtigen Fallgruppe zuordnet und die in der Vergangenheit gesprochenen Urteile, Beschlusse oder Verfügungen als hilfreiches Entscheidungsmuster präsentiert.

Gerade bei gleichlautenden Klageschriften, die leicht bis zu 300 Seiten umfassen, ist die Ähnlichkeit nur mit viel Arbeit festzustellen. Das System erkennt die Ähnlichkeit, weist aber auch auf Unterschiede zu bisherigen Klagen hin. Entscheidet sich der Richter das Muster heranzuziehen, passt das System das Musterurteil automatisch an die Daten der aktuellen Klage an – es individualisiert die Entscheidung. Das heißt: Die bisher händische Arbeit – Pflege von Fallgruppen, Sammeln der jeweiligen (aktuellsten) Musterurteile und dann das Individualisieren der Musterurteile (aus Klägerin wird Kläger, Kaufvertragsdatum wird angepasst etc.) – soll durch das System übernommen werden.

Ein konkretes Beispiel

Richter H. öffnet ein von ihm zu bearbeitendes Verfahren. Ein neuer Schriftsatz ist eingegangen. Das System analysiert im Hintergrund den Verfahrensbestand von Richter H., erkennt Ähnlichkeiten zu anderen Verfahren und weist darauf hin. Richter H. kann sich die anderen Akten ansehen und entscheiden, die Akte den ähnlichen Verfahren hinzuzufügen. Diese Ähnlichkeitsanalyse führt auch dazu, dass Richter H. seine bisherigen Entscheidungen in ähnlichen Konstellationen als Muster angezeigt werden.

Liegen bereits Klage und Klageerwiderung vor, könnte das System – bei ähnlichen Konstellationen in der Vergangenheit, z. B. einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die DSGVO oder wegen Verspätung eines Fluges – die in anderen Verfahren getroffenen Entscheidungen präsentieren: Wählt Richter H. ein vorgeschlagenes Muster – Beschluss, Verfügung oder Urteil – aus, nimmt das System die relevanten Anpassungen und Individualisierungen vor. Dafür muss der Anwender dem System für jedes Muster prototypisch einmalig zeigen, wo sich die anzupassenden Informationen in einer Akte finden (können), damit das System den Kontext lernt (sog. One-Shot-Annotation). In einem letzten Schritt wird Richter H. dann auf relevante Unterschiede zu dem ähnlichen Verfahren, dem das Entscheidungsmuster entstammt, hingewiesen.

Da Massenverfahren oftmals sehr umfangreich sind, ist dies hilfreich, damit keine neuen Argumente oder Anträge übersehen werden. Im Projektfokus steht auch die Erprobung verschiedener Large Language Models, die über einen sogenannten Switch in der elektronischen Akte ausgewählt und für z. B. Zusammenfassungen genutzt werden können.

Einsatzbereiche und Einsatzstart

Das Tool kann in allen Rechtsgebieten und auch für alle Dienste eingesetzt werden. Die Extraktion der für die Entscheidung wesentlichen Informationen kann das System vornehmen und einen Musterbeschluss vorbereiten, der dann aber immer durch einen Menschen geprüft und verantwortet wird. Die Tests des Systems sollen 2024 abgeschlossen werden.

Mandate, Machine Learning und Menschenkenntnis: Zukunftskompetenzen für Juristinnen und Juristen

Zunehmend ziehen Legal- Tech-, wie etwa KI-basierte, Anwendungen in Kanzleien, Rechtsabteilungen und die Justiz ein. Während dadurch erste Aufgaben bereits (teil-) automatisiert werden können, werden andere Fähigkeiten umso bedeutsamer. Eine nicht abschließende Übersicht solcher Fähigkeiten gibt uns Legal-Tech- Spezialistin Nathalia Schomerus.

Zur Person

Nathalia Schomerus, Foto: Anke Illing
Nathalia Schomerus, Foto: Anke Illing

Nathalia Schomerus arbeitet seit 2022 im Bereich Legal Tech in der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Zuvor war sie bei einer der größten Unternehmensberatungen sowie nach Abschluss ihres Studiums einige Jahre in England und Israel in der Wissenschaft tätig und hat ein erfolgreiches Start-up gegründet, für das sie das Magazin Forbes in die Liste der „30 under 30 Europe“ aufnahm. Studiert hat sie Rechtswissenschaften, VWL, Geschichte und Theologie an der Bucerius Law School, Universität Hamburg, Universität Bonn, Universität Potsdam, Facoltà Valdese di Teologia (ERASMUS) und Universität Oxford. 2017 hat sie ihren Master of Studies an der Universität Oxford abgelegt.

In einer Welt, in der KI-Systeme schon heute Rechtsrecherchen vereinfachen und Vertragsprüfungen unterstützen, stehen juristische Berufe vor einem tiefgreifenden Wandel. Wenn beispielsweise bei einer internen Compliance-Untersuchung mithilfe eines KI-gestützten Tools innerhalb von zwei Stunden 750.000 Dokumente durchsucht werden können, ändert dies die Arbeit von Kanzleien. Wer dann noch die wesentlichen juristischen Kommentare mittels eines Chatbots befragt oder eigene Stichpunkte von Sprachmodellen in Mandantenmemos wandelt, sichert sich schon heute einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Hierbei ist es besonders wichtig, sich nicht von den jetzigen Schwächen (generativer) künstlicher Intelligenz fehlleiten zu lassen. Zum einen ist generative KI nur eine Untergruppe von KI, deren Schwächen durch die Verknüpfung mit anderen KI-Arten gemindert werden können. Zum anderen stehen wir derzeit erst am Anfang der Entwicklung und beobachten schon jetzt, dass auch generative KI-Modelle schnell immer besser werden.

Auch deshalb ist es ratsam, nicht nur den unmittelbaren nächsten Schritt der Entwicklung zu antizipieren. So mag KIkonformes Prompten heute eine gesuchte Fähigkeit sein, dies muss jedoch in Zukunft nicht der Fall sein. Wenn KI-Modelle etwa in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren und KI-Agenten die jeweils passende KI für die jeweilige Aufgabe auswählen, werden einige der jetzt noch von Legal Engineers und anderen Techaffinen übernommenen Tätigkeiten automatisiert werden können. Wichtig ist deshalb, sich grundsätzlich zu fragen, worin in Gegenwart und Zukunft der Wert der eigenen Arbeit für Mandanten besteht und die juristische Ausbildung, den Berufseinstieg und die persönliche Weiterbildung daran zu orientieren.

Wesentliche Kompetenzen im KI-Zeitalter

Technische Kompetenz

Für diejenigen mit besonderer Begeisterung für Technologie bietet sich die Möglichkeit, bei der Entwicklung der relevanten Tools in Zukunft mitzuwirken. Doch auch jenseits des Trainings von Modellen ist ein grundlegendes Verständnis schon heute hilfreich für ihre Nutzung. Dazu gehören die Grundlagen von generativer KI, zu der alle größeren KI-Anbieter kostenlose Webinare mit Videomodulen und grundlegenden Erklärungen anbieten. Ein fundiertes Wissen über Schwachstellen der Modelle mit daraus resultierendem Qualitätsverlust etwa in Form von falschen Informationen, Diskriminierung und anderen Ungerechtigkeiten ist ebenfalls wichtig.

Zudem gehört ein wissenschaftlich fundiertes und selbstkritisches Verständnis von Mensch-Computer-Interaktion zu den hilfreichen Fähigkeiten, die eine richtige Nutzung von Technologie unterstützen. Studien wie die von Lucía Vicente und Helena Matute in der Fachzeitschrift „Nature“ im Oktober 2023 veröffentlichte zeigen etwa, dass Menschen Biases von KI-Systemen übernehmen und sogar nach Wegfall der Modelle fortfuhren. Diese Erkenntnis sollte sich auf die Nutzung von KI durch User auswirken.

Zwischenmenschliche Kompetenz

Auch soziale Fähigkeiten, Gesprächsführungskompetenz und Empathie gewinnen an Bedeutung, um die Bedürfnisse der Mandatierenden zu verstehen. Dies hilft bei der Erstellung maßgeschneiderter Lösungen, die über Standardantworten hinausgehen. Solche maßgeschneiderten Lösungen erfordern außerdem Kreativität, da sie nicht immer die augenscheinlichen und meistgenutzten sind. Jura bleibt dabei ein „people‘s business“. Die Studie „Predicting Lawyer Effectiveness“ von Marjorie M. Shultz und Sheldon Zedeck aus dem Jahr 2018 deutet sogar darauf hin, dass psychologische Modelle den späteren beruflichen Erfolg von Jurastudierenden besser vorhersagen können als Tests wie der Law School Admission Test (LSAT).

Investitionen in Soft Skills und datengestützte Erkenntnisse, beispielsweise aus der Psychologie, lohnen sich daher besonders. Diese zwischenmenschliche Kompetenz wird auch bedeutender, weil das, was für Menschen schwierig ist, für eine KI nicht schwierig sein muss – und umgekehrt. Hans Peter Moravec beschrieb dieses Paradox bereits in den 1980ern. Während wir etwa Ironie, Humor und Andeutungen zwischen den Zeilen durch unser Kontextwissen besser erkennen können als KI-Modelle, arbeiten verschiedene Anbieter schon heute an einer Automatisierung der für uns zeitaufwendigen Due Diligence.

Erfahrungswissen

Zu den für KI schwierig zu erlangenden Fähigkeiten gehört das besonders wertvolle Erfahrungs- und Kontextwissen, welches eine zutreffende Gewichtung und Einschätzung erlaubt. Ein Beispiel ist die Verhandlungsführung, bei der es auf Erfahrung teilweise mehr ankommt als auf reines Lehrbuchwissen. Diese Erfahrung schneller zu gewinnen, wird eine Herausforderung für die Entwicklung derjenigen, die sich erst am Beginn des Berufslebens befinden. Während die Aufgaben von Associates oder Referendaren etwa schon heute teilweise automatisiert werden können, sind es häufig gerade diese Aufgaben, durch die wertvolles Erfahrungswissen erst erworben wird. Hier können Mentorship-Programme, zentrale Wissenssammlungen und gemeinsame Projekte mit Erfahreneren dabei helfen, Wissen schneller zu vermitteln.

Die Kontrolle von KI-unterstützten Antworten setzt häufig ein tiefes Verständnis der Materie voraus.

Spezialwissen

Eng mit Erfahrungswissen verbunden sind die Fähigkeiten, die durch Spezialisierung erworben werden. Noch sind KI-Modelle zumeist auf ein Mehrheitsverständnis trainiert und nicht darauf, auch bei sehr speziellen Fragen die richtige Antwort zu finden. Die Kontrolle von KI-unterstützten Antworten setzt häufig ein tiefes Verständnis der Materie voraus. Ebenso wie es Übersetzerinnen oder Muttersprachlern leichter fällt, von Übersetzungstools generierte Texte zu korrigieren, ist tiefgreifendes Domänenwissen auch im juristischen Zusammenspiel mit technischen Lösungen besonders hilfreich.

Juristische Exzellenz

Durch KI und andere Technologien werden zukünftig einige administrative Aufgaben ebenso wie weniger anspruchsvolle juristische Anfragen automatisiert bearbeitet werden können. Dies macht die juristische Arbeit noch kernjuristischer und stellt einen Vorteil für diejenigen dar, die inhaltlich glänzen können. Dazu gehört, dass die juristische Art zu denken und damit verbundene Kernkompetenzen weiter an Bedeutung gewinnen. Eine Studie von Jonathan H. Choi, Amy Monahan und Daniel Schwarcz aus dem Jahr 2023 deutet darauf hin, dass die Nutzung eines großen Sprachmodells für unterdurchschnittliche Jurastudierende zu einer Notenverbesserung führt, während exzellente Studierende lediglich Zeit bei der Bearbeitung von Aufgaben sparen. Technische Angebote automatisieren derzeit also insbesondere Leistungen bis zum juristischen Mittelmaß, während hervorragende Leistungen noch Menschen vorbehalten bleiben.

Interdisziplinarität und Offenheit

Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung sind lebenslanges Lernen und die Offenheit für neue Arbeitsweisen unerlässlich. Ständige Weiterbildung und Freude am Experimentieren sind dabei zunehmend bedeutsam. Der Blick über den Tellerrand in andere Fachgebiete hilft außerdem, kommende Entwicklungen zu antizipieren, zu verstehen und bestmöglich darauf zu reagieren. Durch die Nutzung etwa aktueller soziologischer, wirtschaftlicher, technischer oder psychologischer Erkenntnisse gewinnt der Rechtsmarkt. Es bleibt zu wünschen, dass die juristische Ausbildung dafür mehr Raum schafft als bisher.

Mit Legal Design Lösungen entwickeln, die Mandanten lieben

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Digitalisierung, Technisierung, Kostendruck und eine veränderte Erwartungshaltung vonseiten der Mandanten sind Herausforderungen für Kanzleien. Legal Design ist die Antwort hierauf. Was es mit der Methode auf sich hat, welche Vorteile damit einhergehen und wie sie in der Praxis eingesetzt werden kann, erläutert Rechtsanwältin und Designerin Astrid Kohlmeier.

Zur Person

Die Rechtsanwältin und Legal Design Pionierin Astrid Kohlmeier verbindet seit über 20 Jahren Recht und Design. Sie entwickelt nutzerzentrierte Lösungen und juristische Dienstleistungen mit Fokus auf Innovation und digitale Transformation und berät Rechtsabteilungen von Unternehmen und Kanzleien. Sie wurde mit Design-Preisen sowie als „Woman of Legal Tech” ausgezeichnet, ist Mitglied und Dozentin der Executive Faculty am Bucerius Center on the Legal Profession, Mitbegründerin des „Liquid Legal Institute e. V.”, Referentin und Fachbuchautorin.

Was ist Legal Design?

Legal Design ist eine Kombination aus Recht und Design. Dabei wird vor allem die Innovationsmethode Design Thinking, also die Denkweise von Designern, auf die Rechtspraxis übertragen. Die Methode löst die Aufgabe, das Recht für Menschen ohne Rechtsausbildung zugänglich zu machen, indem sie dazu beiträgt, nutzerzentrierte Lösungen zu entwickeln. Konkret bedeutet das: Wir starten den Prozess beim Empfänger und fragen uns, welche Bedarfe er hat.

Nehmen wir den Due Diligence Report als Beispiel aus dem Kanzleialltag: Er ist oft sehr lang, sehr juristisch und für den Empfänger schwer verständlich. Denn der Empfänger eines solchen Reports ist meist eine Person aus dem Management. Daher fragen wir uns als Legal Designer: Welche Informationen benötigt der Manager oder die Managerin und wie müssen diese aufbereitet sein? Wie machen wir es dem Empfänger leicht, die Inhalte zu verstehen und für seine Aufgaben zu nutzen? Das Ergebnis ist dann beispielsweise ein Report, in dem mit Farben gearbeitet wird, mit Schaubildern und Grafiken, in dem eine einfachere Sprache genutzt wird, Inhalte verkürzt werden. Beim Kurzen ist es wichtig, dass wir keine Rechtsposition beschneiden, denn das ist ein weiterer Wesenskern des Legal Design: Die Inhalte müssen juristisch korrekt bleiben, können aber einfacher, besser strukturiert und leichter verpackt sein. Wir nehmen auch Rücksicht auf digitale Gewohnheiten und fügen z. B. interaktive Elemente ein, die den Nutzer intuitiv führen.

Die aktuelle Praxis in den Kanzleien

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Kanzleien. Aber wir beobachten, dass die Mandanten zugängliche, interaktive und verständlichere Arbeitsergebnisse wünschen. Die Nachfrage ist also da, sodass Kanzleien nicht mehr wegschauen können, wenn sie die Mandanten halten wollen. Tatsächlich ist Legal Design auch ein Instrument, um Kosten, Zeit und Ressourcen zu sparen. Das gilt gerade auch für Unternehmen: Erstellt die Rechtsabteilung beispielsweise interne Richtlinien, die zwar juristisch korrekt sind, von den Mitarbeitern aber nicht verstanden werden, kommen zum einen viele Rückfragen, zum anderen ist die Gefahr groß, dass die Richtlinien nicht beachtet werden.

Der Weg zum Legal Designer

Legal Designer besitzen im Idealfall das juristische Fachwissen und die Kenntnisse eines Designers. Natürlich kann man nach dem Jurastudium noch Design studieren. Wir bieten aber auch Legal-Design-Kurse, die das entsprechende Wissen vermitteln. Zudem kann man sich im Selbststudium mit Büchern und Selbstlernkursen das nötige Wissen beibringen.

Umsetzung des Wissens in die Praxis

Starten Sie einfach einmal mit einem kleinen Projekt. So können Sie zeigen, welchen Nutzen und Mehrwert Legal Design bringt und das Mindset in der Kanzlei verändern. Dabei ist es gar nicht zwingend erforderlich, dass Sie alles selbst erarbeiten können. Sie sollten dabei kollaborativ vorgehen und beispielsweise mit der IT- und der Marketingabteilung zusammenarbeiten. Denn auch der interdisziplinäre Ansatz und Zusammenarbeit sind eine Besonderheit von Legal Design. Gerade Juristinnen und Juristen sollten hier umdenken. An den Universitäten werden sie zu Einzelexpertinnen und -experten „erzogen“. In der Praxis brauchen wir aber Kollaborateure.

Future Skills im Recht

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„Alles Recht entwickelt sich“, so Montesquieu. Qua Profession sowie Arbeitsalltag liegt Juristinnen und Juristen eine Offenheit für Neues und Lernen ziemlich nahe, weiß unser Gastautor Daniel Piontzik. Auch im Studium und Referendariat werden angehende Rechtsanwältinnen und -anwälte darauf vorbereitet. Denn Kern der Arbeit ist häufig, rechtliche Sachverhalte und neue komplexe Themengebiete inhaltlich zu durchdringen.

Zur Person

Daniel Piontzik ist Personalreferent bei Luther Rechtsanwalts­gesellschaft mbH Hier kümmert er sich um die Personalgewinnung von anwaltlichen Mitarbeitenden und das kanzleiinterne Personal­ent­wicklungsportal Luther.academy.

Recht (und die Ausbildung darin) bewegt sich. Jenseits aller Updates der rechtlichen Materie ist das Veränderungspotenzial durch Digitalisierung, KI sowie globale gesellschaftliche Herausforderungen enorm. Auch die Arbeit der Zukunft ist im Wandel. Die Konsequenz: Fachwissen wird weniger relevant, Berufsbilder und deren Anforderungsprofile ändern sich, neue Kompetenzen werden erforderlich.

Welches Wissen, welche Skills, Handlungen und Werte benötigen Lernende im 21. Jahrhundert? Welche sind für Rechtsanwältinnen und -anwälte besonders relevant? Eine Zustandsanalyse durch die Befragung von knapp 300 Jura-Professorinnen und -Professoren zeigt einen besonderen Fokus auf die Skills kritisches Denken, Problemlösungskompetenz, Urteilskompetenz und Entscheidungskompetenz. Soweit, so erwartbar.

Allerdings: Im Vergleich zu anderen Fächern (z. B. BWL, VWL, Soziale Arbeit) tut sich eine große Lücke auf. Nicht nur finden Kollaboration und Kommunikation kaum Förderung in der Lehre. Ebenfalls legen die befragten Jura-Lehrenden bislang nur sehr wenig Wert auf digitale Skills und ‚transformative‘ Fähigkeiten wie Kreativität, interkulturelle Kommunikation, Resilienz, Innovationskompetenz, Missionsorientierung und Veränderungskompetenz. Dabei soll das Konzept keineswegs auf eine reine „Employability“ (aus Sicht der Arbeitgeber) reduziert werden. Vielmehr geht es darum, Studierende wie auch potenzielle Mitarbeitende zu befähigen, „sich in der im Umbruch befindlichen Gesellschaft gut zurechtzufinden und gesellschaftliche Transformationsprozesse aktiv mitzugestalten“. Sprich: „Menschen für die Welt von morgen auszubilden“, so Dr. Nina Horstmann in „Bildung für die Zukunft?“ aus dem Jahr 2023.

Juristinnen und Juristen stehen also für sich selbst in der Verantwortung, Skills wie Digital Literacy, digitale Kooperation und Kollaboration, Veränderungskompetenz oder Resilienz zu erlangen und mit Leben zu füllen. Die Möglichkeiten, neben Studium, Referendariat oder Arbeitsalltag aktiv zu werden sind vielfältig: Studentische Initiativen und universitätsnahe Vereine, Wahlstation im Ausland, (Pro Bono-) Ehrenamt oder Themen wie Legal Design. Netter Nebeneffekt: So erweitert sich in einem der Future Skill „Lernkompetenz“. Denn die Welt dreht sich weiter: „Nichts ist beständiger als der Wandel.“

Kanzleiluft schnuppern Erste Einblicke in die Arbeitswelt

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Jule Goldmann hat bereits während ihres Studiums angefangen, als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Kanzlei zu arbeiten. Wir haben sie nach ihren ersten Berufserfahrungen gefragt. Mit ihr sprach Dr. Marion Steinbach.

Zur Person

Jule Goldmann begann ihr Jurastudium 2017 in Osnabrück und wechselte nach dem Grundstudium an die Universität Münster. 2023 schloss sie dort ihr Erstes Staatsexamen mit dem Schwerpunkt Steuerrecht ab. Im Juni 2024 hat sie ihr Referendariat am Landgericht in Köln aufgenommen.

Nach welchen Kriterien haben Sie sich die Kanzlei ausgesucht, in der Sie gestartet sind?
Es hat mich vor allem gereizt, Großkanzleiluft zu schnuppern. Auf der JurStart – einer Karrieremesse an der Uni in Münster – habe ich mit vielen verschiedenen Kanzleivertretern gesprochen und mich dann für Görg entschieden. Angefangen habe ich dort im Bereich gewerblicher Rechtsschutz. Unter anderem die Bandbreite an verschiedenen Rechtsgebieten und die Unterstützung auch während der Ausbildung (bspw. durch ein Bildungsbudget) haben mich damals überzeugt. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass sich die verschiedenen Großkanzleien auf den ersten Blick nicht besonders voneinander unterscheiden. Die Unterschiede werden erst deutlich, wenn man dort arbeitet. Im Endeffekt hat bei Görg damals mein Bauchgefühl einfach gestimmt, was sich rückblickend als richtig erwiesen hat.

Wie haben Sie die erste Zeit in einer Kanzlei erlebt?
Ich weiß noch, wie ich an meinem ersten Tag vor dem eindrucksvollen Bürogebäude stand und mich dann auf den sieben Etagen und mit den neuen Eindrücken erstmal zurechtfinden musste. Da war ich zugegebenermaßen ganz schön aufgeregt und auch etwas eingeschüchtert. Das Gefühl ist aber bei der herzlichen Atmosphäre im Arbeitsalltag schnell verflogen.

Danach arbeiteten Sie in einer explizit technologieoffenen Kanzlei. Wie kam es dazu?
Nachdem ich das letzte Studienjahr mit einem Schwerpunkt im Bereich Steuerrecht abgeschlossen hatte, wollte ich dieses Gebiet auch praktisch kennenlernen und gleichzeitig nochmal eine neue Kanzlei. Bei YPOG hat mich u. a. das technologieoffene Konzept der Kanzlei angesprochen. Nach einem ersten Kennenlernen mit dem Team wusste ich, dass ich hier viel lernen und eine tolle Zeit haben kann.

Was waren die Unterschiede zwischen den beiden Kanzleien?
Der größte Unterschied ist das völlig andere Rechtsgebiet. Steuerrecht und gewerblicher Rechtsschutz insbesondere Markenrecht haben kaum Schnittstellen. Zudem hatten wir bei Görg als sehr kleines, spezialisiertes Team auch aufgrund der Ausgestaltung des Rechtsgebietes häufig mit ähnlichen Sachverhalten zu tun. Dadurch konnte ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin einen sehr guten Einblick bekommen und an den Mandaten intensiv mitarbeiten.

Das Steuerrecht ist meines Erachtens eins der umfangreichsten und komplexesten Rechtsgebiete. Bei YPOG arbeiten daher nicht nur Juristen, sondern u. a. auch Steuerberater und Betriebswirte eng zusammen. Das war für mich neu, aber auch bereichernd, weil man die Fälle nicht nur aus der juristischen Perspektive betrachtet. Durch die Arbeit in einem größeren, breit aufgestellten Team wurde ich quasi jeden Tag mit neuen Rechtsfragen in Bereichen konfrontiert, mit denen ich mich im Studium noch nie beschäftigt habe. Das ist sehr vielfältig und spannend.

Was war Ihre spannendste Aufgabe?
Ich durfte eine sehr komplexe Umstrukturierung begleiten und jeden Schritt intensiv mitverfolgen. Das hat sehr viel Arbeit im Detail erfordert und mir zugleich deutlich gemacht, dass auch die größten und kompliziertesten Projekte auf ganz allgemeinen juristischen Grundsätzen beruhen, die man uns im ersten Semester beigebracht hat. Zu sehen, dass Jura am Ende des Tages ein großes Puzzle ist und man sich im Berufsleben immer wieder an im Studium gelernten Basics orientieren kann und muss, finde ich sehr faszinierend.

Wir müssen reden!

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Zwischen Boomern, Gen X und Gen Z herrscht oft Schweigen, schlimmstenfalls Unverständnis und Ablehnung, wenn es um Arbeit, Leistung und Karriere geht. Zu unterschiedlich scheinen die Haltungen zu Work und Life zu sein. Susanne Nickel ist den Ursachen hierfür auf den Grund gegangen. Ihr Buch „Verzogen. Verweichlicht. Verletzt. Wie die Generation Z die Arbeitswelt auf den Kopf stellt und uns zum Handeln zwingt“ ist innerhalb von kurzer Zeit zum Spiegel- Bestseller avanciert.

Zur Person

Susanne Nickel ist Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin, Management- Beraterin und Expertin für Arbeit und Wandel. Ihre Erfahrung sammelte sie in ihrer langjährigen Tätigkeit als Managerin und Beraterin in nationalen und internationalen Unternehmen und Konzernen. Viele Jahre war sie als Pressesprecherin und Rechtsexpertin im Fernsehen zu sehen.

Die Juristin Susanne Nickel ist Expertin für Arbeit und Wandel. Das prädestiniert sie, den Konflikten zwischen den Generationen auf den Grund zu gehen. Denn viele Unternehmen klagen über die Anspruchshaltung der Gen Z: Sie möchte sich selbst verwirklichen, selbstbestimmt und flexibel arbeiten, am liebsten vier Tage pro Woche, aber auch finanzielle Sicherheit. Wie passt das zusammen? „Selbstbestimmt zu arbeiten und die Arbeit selbst zu gestalten gibt der Gen Z das Gefühl der Sicherheit“, erklärt Susanne Nickel. Dass das Leistungsstreben bei der Gen Z negativ besetzt ist, hat wiederum mit deren Erfahrungen zu tun: „Die Gen Z hat erlebt, wie die Eltern – Boomer oder Angehörige der Gen X – alles für die Arbeit gegeben haben, um Anerkennung zu erhalten. Bis zum Burnout. Gen Z ist zwar auch leistungsbereit, aber nicht um jeden Preis.“

Dass die Gen Z Forderungen an die Arbeitgeber stellt, hat auch mit der Wirtschaftslage zu tun: „Die Gen Z ist sich ihres Marktwerts bewusst. Der Fachkräftemangel, aber auch der mediale Fokus auf die Gen Z spielen ihr in die Hände. Beides stärkt ihr Selbstbewusstsein zusätzlich.“ Ganz anders sind die Erfahrungen der Boomer und Gen X: Sie waren nach dem Studium oft erst mal arbeitslos, mussten dankbar sein für jeden Job, konnten keine Forderungen stellen. Dabei hätten sie sich auch mehr Flexibilität und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeit gewünscht.

Der Weg: mehr Empathie

Susanne Nickel plädiert für mehr Generationenempathie: „Wir sollten in den Dialog gehen und uns aufeinander zu bewegen.“ Die Älteren sollten erkennen, was die Gen Z Gutes mitbringt, wie digitale Kompetenzen, Schnelligkeit, frische Ideen. Die Gen Z sollte sich erst einmal zurücknehmen, Grenzen erkennen und akzeptieren und den richtigen Zeitpunkt abpassen, um ihre Ideen einzubringen.

Auch die oft gehörte Klage, dass Gen Z keine Führungsverantwortung übernehmen möchte, hat Susanne Nickel analysiert: Abgelehnt werde nicht die Führungsverantwortung als solche, sondern die alten Führungsstrukturen: „Gen Z will gecoacht werden und möchte als Coach führen. Das jedoch klappt nicht immer. Wenn die Hütte brennt, kann ich nicht überlegen, wer den Schlauch am besten abrollt. Da muss ich löschen“, beschreibt Nickel anschaulich die Notwendigkeit, als Führungskraft Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen.

4 Tipps für Gen Z

Kommunikation ist für Susanne Nickel der Schlüssel für ein verständnisvolles und erfolgreiches Miteinander. Dabei meint Nickel die soziale, die zwischenmenschliche Kommunikation. Ihre Tipps:

  1. Nimm eine positive Haltung zur sozialen Kommunikation ein.
  2. Prüfe, wie gut deine Soft Skills sind.
  3. Lerne zuzuhören, um zu verstehen, und nicht zuzuhören, um zu antworten.
  4. Gehe mit Interesse auf andere Menschen zu und zeige Empathie. Schau genau hin, „gehe ein Stück in den Schuhen der anderen“ und versuche zu verstehen.

Gerade Juristinnen und Juristen legt sie diese Tipps ans Herz: Im Studium, so die Juristin, lernen Jurastudierende sich – auch kommunikativ – durchzusetzen. Sie lernen jedoch nicht, empathisch zuzuhören, bei einem Konflikt beide Seiten zu sehen und für beide (!) Seiten eine Lösung zu finden. Genau das sei jedoch der Weg zu einem erfolgreichen Miteinander der Generationen.

Cover Verzogen Verweichlicht Verletzt

Buchtipp

Verzogen. Verweichlicht. Verletzt. Wie die Generation Z die Arbeitswelt auf den Kopf stellt und uns zum Handeln zwingt. 208 Seiten. FinanzBuch Verlag 2024. 18,00 €.

Als Berufseinsteiger im Ausland arbeiten? Workation macht es möglich

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Die Generation Z legt viel Wert auf flexibles Arbeiten. Da digitale Arbeitsprozesse mehr Optionen eröffnen, mobil zu arbeiten, auch im Ausland, bieten immer mehr Unternehmen und Kanzleien diese Möglichkeit an, um für Berufseinsteigende attraktiv zu sein. Eine davon ist die Workation. Ein Vorteil für Arbeitnehmende: Die Tätigkeit findet im Rahmen der Anstellung statt und alle rechtlichen Aspekte, die es dabei einzuhalten gilt, werden von Unternehmensseite aus geregelt. Das Unternehmen muss festlegen, was erlaubt ist, damit es aufenthalts-, arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlich nicht zu Problemen kommt. Das betrifft auch den Ort der Workation, denn ist sie auf den europäischen Raum begrenzt, sind die bürokratischen Hürden einfacher zu händeln.

Zur Person

Omer Dotou, Foto: BDAE Gruppe
Omer Dotou, Foto: BDAE Gruppe

Omer Dotou ist Leiter der Unternehmensberatung BDAE Consult GmbH, die sich auf die Beratung von Unternehmen und Organisationen spezialisiert hat, die Mitarbeitende im Ausland beschäftigen. Als Jurist und staatlich geprüfter Rentenberater verfügt er über langjährige Erfahrung im Bereich des über- und zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts. Er hat an Universitäten und Hochschulen in Lomé (Togo), Nancy (Frankreich), Reinfeld und Bielefeld studiert. Er ist außerdem ein gefragter Referent für zahlreiche Themen mit Bezug auf internationale Beschäftigung.

Warum ist es in Europa einfacher? In Europa sind in der Regel keine Arbeitserlaubnis und kein Visum nötig. Auch die soziale Absicherung kann relativ einfach von Arbeitgeberseite aus gewährleistet werden. Europäischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern ist es nämlich erlaubt, sich in der EU, dem Europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz frei ohne Visum aufzuhalten und auch mit wenigen Einschränkungen erwerbstätig zu werden. Dort gibt es länderübergreifende einheitliche Rechtsgrundlagen und Verordnungen. Für sogenannte Drittstaaten gibt es diese länderübergreifenden Regelungen nicht. Somit können erste Hürden schon bei der entsprechenden Aufenthaltsgenehmigung entstehen. Folgen weitere Herausforderungen, etwa die Beantragung eines Arbeitsvisums, kann der bürokratische Aufwand für den Arbeitgeber zu hoch werden.

Wie lang kann eine Workation sein? Es ist empfehlenswert, die Workation auf eine maximale Dauer von 15 bis 60 Tage im Jahr zu beschränken, um rechtliche Schwierigkeiten zu vermeiden. Insgesamt dürfen die Aufenthalte pro Tätigkeitsstaat aus steuerrechtlicher Sicht nicht mehr als 183 Tage pro 12-Monats-Zeitraum umfassen. Auch Urlaubsaufenthalte und Wochenenden sind hierbei von Bedeutung.

Wichtig: die soziale Absicherung Eine Workation, so die Europäische Kommission, wird wie eine Entsendung betrachtet. Somit können Mitarbeitende in Deutschland versichert bleiben, wenn die entsprechenden Anforderungen erfüllt sind. Bei einer Workation innerhalb der EU, des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz wird die sogenannte A1-Bescheinigung benötigt. Sie sichert den Verbleib in der deutschen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung und gilt für Aufenthalte bis maximal 24 Monate. Somit ist ein Arbeitnehmer von der ausländischen Sozialversicherungspflicht befreit und zahlt nicht doppelt.

Wird die Workation in einem Drittstaat außerhalb der EU gemacht, muss geprüft werden, ob es ein Sozialversicherungsabkommen mit dem jeweiligen Land gibt. Falls das nicht der Fall ist, könnte es zu einer doppelten Beitragspflicht kommen. Das ist etwa bei beliebten Zielen wie Bali oder Thailand der Fall, weshalb die meisten Arbeitgeber diese Staaten als potenzielle Workation-Ziele ausnehmen.

Stationen auf dem Weg ins Mittelalterliche Kriminalmuseum

Historia vero testis temporum … (Cicero, De oratore, II, 36) umschreibt eine meiner frühesten Leidenschaften, die Geschichte. Die Zweite wurzelte in der friedlichen Revolution (1989/90). Als Siebtklässler im Weimar der ehemaligen DDR erlebte ich hautnah die Wende von Planwirtschaft und Unfreiheit hin zu sozialer Marktwirtschaft und Rechtsstaat – beides fasziniert mich seitdem.

Zur Person

Dr. Markus Hirte, LL.M. ist Geschäftsführender Direktor des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber und Lehrbeauftragter an den Universitäten Augsburg und Jena.

Die Qual der Studienwahl nahmen mir die schlechten Jobaussichten für Historiker ab. Schnell merkte ich beim Jurastudium in Jena, eine der schönsten Unistädte schlechthin, dass sich Recht und Geschichte in der Rechtsgeschichte perfekt verbinden lassen. Gleichwohl ließ mich auch das Wirtschaftsrecht nicht los. Dank eines guten ersten Examens und Landesgraduiertenstipendiums konnte ich mich im mittelalterlichen Kirchenstrafrecht promovieren. Über 4.000 päpstliche Entscheidungen galt es aus dem Mittellatein zu übersetzen; Quellen, die mich oft genug staunend zurückließen ob der hohen juristischen Fertigkeit unserer Vorfahren im 13. Jahrhundert!

Zum Referendariat wollte ich indes „Wirtschaftsluft“ schnuppern und wechselte ins „Ländle“ (LG Heilbronn). Neben den Justiz-Stationen beeindruckten mich vor allem die Stationen in den beiden Stuttgarter Großkanzleien Gleiss Lutz und CMS Hasche Sigle, die bereits damals mit einem umfangreichen Referendar- Ausbildungsprogramm glänzten. Meine Entscheidung gegen eine Habilitation und für den Berufseinstieg bei CMS im Aktien- und Kapitalmarktrecht war erneut von Neugier getrieben, hatten mich doch im Gesellschaftsrecht bis dahin eher Personengesellschaften gereizt. Dank eines guten und engen Mentorings ging es dann auch gleich im ersten Jahr mit in Hauptversammlungen.

Neben Secondments in Berlin und London absolvierte ich im Abendstudium einen LL.M. mit Schwerpunkt Wirtschaft und Rechtsgeschichte. Noch ganz fokussiert auf die Partnerschaft, hörte ich von der vakant werdenden Stelle des Geschäftsführenden Direktors des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber, Europas bedeutendstem Rechtskundemuseum, mit zuletzt jährlich über 125.000 Gästen aus 125 Ländern, einem Bestand von gut 50.000 Exponaten und einer über 100-jährigen Geschichte. Gesucht wurde ein Volljurist und Rechtshistoriker mit starkem betriebswirtschaftlichen Verständnis, da sich das in der Rechtsform einer Stiftung öffentlichen Rechts betriebene Haus durch Eintrittsgelder tragen muss, also eher wie ein Unternehmen zu führen ist … insoweit ein Unikum im sonst stark defizitären Kulturbetrieb.

Den Wechsel zurück zur Geschichte könnte man als Sprung ins kalte Wasser bezeichnen, denn fast nahtlos ging es von meiner letzten Hauptversammlung (Delisting) zur ersten strafrechtshistorischen Fachtagung im Kriminalmuseum, der 9. Scharfrichtertagung. Besonders überraschte mich die Aufgabenvielfalt jenseits des reinen Tagesbetriebes, etwa Ausstellungskuration und Sammlungsausbau, Marketing und PR oder Networking und Wissenschaft sowie die Vielzahl der juristischen Themen auf meinem Schreibtisch, z. B. Vertrags-, Arbeits-, Handels-, Stiftungs-, Steuer-, Sachen-, Urheber-, Marken- und IT-Recht.

Besonders gewöhnungsbedürftig war anfangs der Sprung vom Schreibtisch vor die Kamera, ist doch das Haus eng vernetzt mit Funk und Fernsehen im In- und Ausland, von TerraX und ZDF-History bis nach Japan, Süd-Korea oder Taiwan; essenziell für neue Gästegruppen, um auch in 20 Jahren noch eines der beliebtesten Museen in Deutschland zu sein.

Meine drei Tipps an Studierende, Referendarinnen und Referendare:

  1. Enjoy the choice! Da der Mensch meist will, was er (schon) kennt … probiert euch aus … warum nicht eine Station oder ein Praktikum in Großkanzlei, Kriminalmuseum oder Ausland?
  2. Der leichte Weg ist meist der Holzweg! Wenn der Gedanke kommt „lieber nicht“, dann „erst recht“ … nur so verlasst ihr die Komfortzone und wachst.
  3. Beim „Hochschalten“ ruckelts! Nur wenige Studiengänge und Karrieren sind so hart wie die Juristerei: „Enttäuschungen“ oft unvermeidlich. Dass diese nicht das „Ende“ sind, zeigen unzählige erfolgreiche Jura-Viten bis hin in höchste Positionen in Justiz, Anwaltschaft, Wirtschaft und Staat … also „dranbleiben“.