Lese-TrainING – Buchtipps

0

Geschichte der Digitalisierung

Noch nie hat sich ein entscheidendes Kapitel der Menschheitsgeschichte so schnell vollzogen wie die digitale Revolution. Aber keine Technik ohne Geschichte: Der SZ-Feuilletonchef Andrian Kreye hat mit seinem Buch „Der Geist aus der Maschine“ eine, so der Untertitel, „superschnelle Menschheitsgeschichte des digitalen Universums“ geschrieben. Kreye analysiert die rasante Entwicklung der Digitalisierung, beginnt in den Nerd-Universen der frühen Programmierer, zitiert Optimisten und Pessimisten und zeigt, in welchen Momenten die digitalen Daten zur „Superkraft der Gegenwart“ wurden. Andrian Kreye: Der Geist aus der Maschine. Eine superschnelle Menschheitsgeschichte des digitalen Universums. Heyne 2024. 24 Euro

Bedroht KI die Menschlichkeit?

Cover RealitaetsverlustNeurowissenschaftler, Arzt und Psychotherapeut Prof. Dr. med. Joachim Bauer ist überzeugt: Die Menschlichkeit ist in Gefahr. Künstliche Intelligenz wird unsere Lebenswelt radikal verändern – am Arbeitsplatz, in Schulen, in der Medizin oder in vielen anderen Bereichen. Ihre Schöpfer verkaufen KI als dem Menschen ebenbürtig oder gar überlegen. Gleichzeitig fliehen wir vor der Realität immer öfter in die virtuellen Welten der sozialen Netzwerke, Apps und Games. In seinem neuen Buch mahnt Bauer: Reale Begegnungen, zwischenmenschliche Resonanz und analoge Präsenz sind für die Entwicklung des menschlichen Selbst, für unsere Gesundheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbar. Joachim Bauer: Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen – und die Menschlichkeit bedrohen. Heyne 2024. 22 Euro

Das Leben neu überdenken

Cover-Planet_AquaZu lange haben Menschen eine dem Wesen ihrer Existenz widersprechende Zivilisation und Infrastruktur aufgebaut, warnt der weltweit führende Ökonom und Vordenker Jeremy Rifkin. Denn jetzt rebelliert die Hydrosphäre des Planeten, während sie nach einem neuen Gleichgewicht sucht. Rifkin fordert die Leser auf, ihren Platz im Universum ganz neu zu definieren. Auf Basis von Forschungsergebnissen geht er auf eine Reise in die Zukunft, auf der wir jeden Aspekt unseres Lebens überdenken müssen: wie wir mit der Natur umgehen, die Gesellschaft steuern, das Wirtschaftsleben konzipieren und uns in Zeit und Raum bewegen. Sein Appell: Wir müssen lernen, wie wir uns an die natürlichen Wasserkreisläufe anpassen können. Jeremy Rifkin: Planet Aqua. Unser Zuhause im Universum neu denken. Campus 2024. 32 Euro

Scheiter heiter

Cover NullprozentDie Schlagworte Selbstoptimierung und Achtsamkeit sind in aller Munde. „Die 0%-Methode. Mit maximalem Aufwand zu keinerlei Erfolg“ ist der Ratgeber für alle, die es leid sind, ständig nach mehr Erfolg zu streben. Astrid Scheib und Robin Däutel, die führenden Expert*innen für Fehlschläge, präsentieren eine radikal neue Perspektive auf das Leben, die frei ist von lästigen Ansprüchen und Ambitionen. Ihr humorvolles Buch bietet eine detaillierte Anleitung, wie man konsequent jede Form von Fortschritt vermeidet und sich von der Leichtigkeit des Scheiterns einnehmen lässt. Robin Däutel, Astrid Scheib. Die 0% Methode. Mit maximalem Aufwand zu keinerlei Erfolg. Yes Publishing 2024. 15 Euro

Tierisch glücklich in der modernen Welt

Cover-die-magie-der-gemeinschaftUnser Gehirn tickt noch wie in der Steinzeit – wir handeln mehrheitlich wie Tiere: unbewusst und irrational. Doch die Welt, in der wir leben, ist komplex, modern und digital. Wie können wir auf die modernen Lebensanforderungen mit KI & Co. reagieren? Karsten Brensing, Biologe und Verhaltensforscher, plädiert dafür, dass wir das Tier in uns respektieren. Nur so wurden wir ertüchtigt für die technologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und für ein glückliches Leben. Karsten Brensing: Die Magie der Gemeinschaft. Was uns mit Tieren und künstlichen Intelligenzen verbindet. Ein Handbuch zum tierischen Glücklichsein in einer komplexen Welt. Piper 2024. 24 Euro

Wege in eine klimagerechte Zukunft

Cover-Unlearn_co2Das fossile System bröckelt. Ein Klima ohne Krise ist in Reichweite. Nun müssen wir endlich unsere Abhängigkeit von CO2 verlernen, in allen Bereichen unseres Lebens. Das Treibhausgas steckt nicht nur in Gasheizungen und den Tanks unserer Autos. Es hat sich fest in unseren Vorstellungen von einem guten Leben eingenistet und bestimmt unseren Alltag: was wir morgens anziehen, warum wir arbeiten und wie wir abends essen. Die gute Nachricht: Die Lösungen für ein Zusammenleben ohne Ausbeutung von Mensch und Planet liegen längst auf dem Tisch, darunter: kürzere Arbeitszeiten, Klagen gegen fossile Konzerne, Empowerment von Frauen. Im Buch „Unlearn CO2“ präsentieren Autor*innen aus Wissenschaft und Praxis, Journalismus und Aktivismus vielfältige Lösungen, mit denen wir das fossile System überwinden können, und zeigen Wege in eine klimagerechte Zukunft. Claudia Kemfert, Julien Gupta, Manuel Kronenberg (Hrsg.): Unlearn CO2. Zeit für ein Klima ohne Krise. Ullstein 2024. 22,99 Euro

telegramm – Nachhaltig Neues

0

Gelatine für Biofasern

Foto: AdobeStock/Chistoprudnaya
Foto: AdobeStock/Chistoprudnaya

US-Forscher haben an der University of Colorado in Boulder ein Verfahren entwickelt, mit dem aus Gelatine kostengünstig Biofasern hergestellt werden können. Die Gelatine wird zu langen, dünnen Fasern gedehnt, die eingefärbt und imprägniert werden. Der Bau des Maschinen – prototypen hat die Forscher:innen nur rund 560 Dollar gekostet. Der Clou: Braucht man die Kleidungsstücke nicht mehr, kann man sie auflösen und die Gelatine recyceln, um daraus neue Fasern herzustellen. Gelatine findet sich in Schlachtresten und Fischabfällen. Ihre Verwendung könnte helfen, Anbaufläche und Wasser für Baumwolle einzusparen.

Grill fürs Fahrrad

Foto: AdobeStock/lanastace
Foto: AdobeStock/lanastace

Einen Grill zu transportieren, ist oft nicht so einfach. Aus Bequemlichkeit werden für die Grillparty unterwegs oft Einweggrills verwendet, die anschließend weggeworfen werden. Die Industriedesignerin Carolin Kunert wollte dies ändern und hat einen mobilen Grill erfunden, der an der Lenkstange von Fahrrädern befestigt werden kann. Der langlebige und recycelbare Grill wird in der EU produziert und ist praktisch frei von Kunststoff – ebenso wie der gesamte Produktionszyklus von der Herstellung über die Verpackung bis zum Versand.

Meeresfrüchte für Veganer

Foto: AdobeStock/mixcolours
Foto: AdobeStock/mixcolours

Fisch und Meeresfrüchte, die sich anfühlen und schmecken wie das Original – aber vegan sind: Das ist die Geschäftsidee des Lebensmittel- und Biotechnologen Dr. Anton Pluschke. Bisher hat sein Unternehmen Ordinary Seafood mit Sitz im Potsdam Science Park veganen Lachs und Thunfisch im Angebot, demnächst sollen vegane Shrimps hinzukommen. Geplant ist, dass die Produkte demnächst genau wie echter Fisch reich an Makro- und Mikronährstoffen sein sollen. Ordinary Seafood möchte den Druck auf das Meeres-Ökosystem verringern und will bis 2030 das weltweit führende Unternehmen für alternative Fischereiprodukte werden.

Frittenfett für Schallplatten

Foto: AdobeStock/Maxchered
Foto: AdobeStock/Maxchered

Der Reggae-Musiker Patrice hat aktuell sein neuntes Album mit dem Titel „9“ veröffentlicht. Als einer der ersten Künstler weltweit produziert er dafür seine Schallplatten auf Bio-Vinyl. Die Bio- Schallplatten werden aus recyceltem Speiseöl, also ehemaligem Frittenfett gepresst. Die neuen Bio-Schallplatten klingen laut dem Künstler genauso gut wie herkömmliche Platten aus Erdöl und riechen völlig neutral. Auch sonst ist dem Musiker Nachhaltigkeit wichtig: Auf seinen Touren verwenden Patrice und sein Team kein Einwegplastik mehr, ihr reduziertes Equipment transportieren sie mit kleinen Elektroautos und Anhängern statt mit großen Tourbussen.

 

Das letzte Wort hat: Gianna Mewes, Gründerin von Merijaan

0

Gianna Mewes hat an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen mit den Vertiefungen Maschinenbau und Virtual Reality studiert. Als Werkstudentin beschäftigte sie sich mit den Themen Kreislaufwirtschaft und Plastikrecycling. Nach dem Masterabschluss machte sie sich mit ihrer Firma Merijaan selbstständig. Die Firma setzt sich für eine Welt ohne neues Plastik ein: Zum einen betreibt Merijaan Umweltbildung, zum anderen wird bestehendes Plastik für neue Produkte recycelt. Die Fragen stellte Sabine Olschner

Wie kamen Sie auf die Idee zu Ihrem Unternehmen?
Ich habe ein Auslandssemester in Indien verbracht, wo ich sehr viel Plastikmüll und Armut gesehen habe. Schon damals habe ich mich gefragt, ob es nicht irgendeine Lösung gibt, mit der man beides bekämpfen kann. So kam die erste Idee für eine Kreislaufwirtschaft auf. In einem weiteren Auslandssemester in Kolumbien wollte ich mit Kommilitonen aus Plastikmüll Tabletts für die Uni-Mensa produzieren. Wir sind sehr tief in das Projekt eingestiegen, haben es dann aber zeitlich nicht ganz geschafft, es final umzusetzen.

Wie ging es weiter?
Nach dem Studium haben wir in Sri Lanka ein Pilotprojekt gestartet: An einem Kitesurf- Strand haben wir den Einheimischen Plastikmüll abgekauft, den sie an den Stränden und in den Dörfern gesammelt haben, und haben daraus Surfzubehör gemacht. Wegen der Pandemie mussten wir leider frühzeitig zurück nach Deutschland fliegen. Hier habe ich mich dann entschlossen, das Business umzustrukturieren und die Firma Merijaan in Berlin zu gründen.

Was genau macht Merijaan?
Wir geben Bildungsworkshops deutschlandweit, zum Beispiel in Schulen und in Unternehmen. Die jüngsten Teilnehmer, die wir hatten, waren Kinder einer Vorschulklasse. Die Dreijährigen konnten das Wort „Flasche“ noch gar nicht richtig aussprechen. (sie lacht) Es geht in den Veranstaltungen immer um Plastikrecycling und Plastikvermeidung. Wir wollen ein Bewusstsein schaffen, damit weniger Plastikmüll in der Umwelt landet. Für die Workshops produzieren wir in unserer Werkstatt im Spritzgussverfahren Produkte aus recyceltem Plastik. Das Material dafür erhalten wir aus einem Berliner Labor, in dem viel Verpackungsmaterial anfällt. Wir haben auch einen Online-Shop, in dem wir, wie damals in Sri Lanka, Surfzubehör verkaufen. Aber unser Fokus liegt derzeit klar auf den Workshops.

Welche Ziele haben Sie mit Ihrem Unternehmen?
Unsere Vision ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen und einen kleinen Samen zu säen für einen bewussten Umgang mit Plastik. Ich bin gar nicht per se gegen Plastik, das ist ein wundervolles Material. Aber wir verwenden es einfach falsch und an vielen Stellen, an denen es nicht verwendet werden sollte. Und wir entsorgen es eben auch falsch. Deswegen finden wir es so wichtig, darüber aufzuklären, wie man es besser machen kann.

www.merijaan.de

Sehen Sie, dass sich durch Ihre Workshops schon etwas verändert hat?
Das ist eine spannende Frage, denn es ist bei Workshops natürlich schwer, Erfolge zu messen. Deshalb entwickeln wir gerade ein Bewertungssystem, und es läuft ein Studienprojekt, um zu messen, ob sich das Verhalten der Menschen nach unseren Workshops geändert hat. Darüber hinaus erhalten wir sehr viel Rückmeldung, zum Beispiel: „Ich wusste gar nicht, dass es unterschiedliche Plastikarten gibt. Jedes Mal, wenn ich jetzt im Supermarkt stehe, schaue ich erst einmal, ob die Verpackung recycelt werden kann oder ob sie verbrannt wird.“

Was ist Ihr Tipp für Leute, die sich ebenfalls mit einem Social Start-up selbstständig machen möchten?
Einfach anfangen und nicht so viel planen. Wenn man in die Szene hineinkommt, merkt man schnell, dass es viel Unterstützung gibt, etwa in Form von Förderprogrammen. Und man sollte offen sein für Veränderungen: Die Idee, die man am Anfang im Kopf hat, ist meist gar nicht die Idee, die man am Ende umsetzt.

E-Paper karriereführer ärzte 2024.2025 – Medizinisches Teamplay: Künstliche Intelligenz und ihre Grenzen

0


Ausgabe als PDF im Magazin-Layout downloaden

Medizinisches Teamplay

Sind generative KI-Systeme die besseren Mediziner*innen? Eine neue Studie zeigt: Was die Diagnose und Therapievorschläge angeht, nehmen es die neuesten Modelle mit den besten Fachleuten auf. Was aber nicht heißt, dass der Mensch abgehängt ist. Die kurze Historie der KI-Forschung zeigt: Ein neues Level wird dann erreicht, wenn Mensch und Maschine kooperieren. Das gilt auch für die Medizin – wobei hier zwei Menschen involviert sind: Ärzt*in und Patient*in. Ein Essay von André Boße

Man sollte vorsichtig sein, wenn es in der Headline eines Artikels heißt, bei dieser oder jener speziellen Tätigkeit sei die Technik dem Menschen ab jetzt hoffnungslos überlegen. Denn was den Menschen auszeichnet, ist die Eigenschaft, kein Fachidiot zu sein. Sondern die Fähigkeit zu besitzen, sein Wissen immer wieder anzupassen und flexibel anzuwenden. Ein Beispiel: 2019 ging die Nachricht durch die Medien, eine Künstliche Intelligenz habe erstmals den Weltmeister im Brettspiel Go besiegt. Das war eine Besonderheit, da Go deutlich komplexer als Schach ist und man lange der Auffassung war, ein Spiel mit so vielen Handlungsoptionen sei für eine Künstliche Intelligenz nicht durchschaubar. Der Tenor der Berichterstattung von damals: Dies ist ein Paradigmenwechsel, der zeigt, dass die KI bei taktischen Denkspielen den Menschen abhängt.

Mensch schlägt zurück

2023 erschein eine weitere Meldung zu diesem Thema, verbreitet in deutlich weniger Medien, was schade ist, denn der Nachrichtenwert ist mindestens genauso hoch: Dem US-Amerikaner Kevin Pellrine war es gelungen, 14 von 15 Go-Partien gegen die beste KI für dieses Spiel mit dem Namen KataGo zu gewinnen, so berichtete es zum Beispiel die Computerwoche. Seine Strategie: Er stellte der KI eine Falle, in dem er eine Reihe von Scheinangriffen initiierte, sodass KataGo ab einem bestimmten Punkt nicht mehr wusste, was der menschliche Spieler wirklich vorhat.

Nächster Schritt: Quanten-Computing

Quanten sind Teilchen, die unsere Vorstellungskraft sprengen. Weil sie nicht nur einen Zustand besitzen, sondern zeitgleich alle möglichen Zustande. Anders als ein digitales Bit, das entweder 0 oder 1 sein kann, kann ein QuBit sowohl 0 als auch 1 als auch alle Zustände dazwischen sein. Eine Eigenschaft, die einen auf QuBits basierenden Quantencomputer zu einer Maschine mit gigantischer Rechenleistung macht. Solche Computer gibt es bereits. Sie sind riesig, überaus sensibel und kaum zu bezahlen. Weshalb sie auch in Zukunft eher keine Personal Computer sein werden, sondern als Zentralrechner eingesetzt werden, um in bestimmten Bereichen überaus komplexe Probleme zu knacken. Hier kommt auch die Medizin ins Spiel: Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim kooperiert mit Google, um insbesondere bei der Simulation von Molekülen voranzukommen – einer grundlegenden Technik für die Entwicklung von Medikamenten. Laut des Pharma-Unternehmens besitzen Quantencomputer das Potenzial, viel größere Moleküle als derzeit möglich genau zu simulieren und zu vergleichen. „Dadurch“, so heißt es im News- Bereich des Konzerns, „ergeben sich neue Möglichkeiten für pharmazeutische Innovationen und Therapien für ein breites Spektrum an Krankheiten.“

Ein Experte vermutete, die KI sei mit dieser Taktik deshalb nicht klargekommen, weil ein so erratisches Spiel in den Trainingsdaten nicht vorgekommen sei. Wobei, so viel hat Pellrine verraten, er sich als menschlicher Spieler auch selbst von einer Künstlichen Intelligenz helfen ließ: Eine Company hatte ihm ein KI-System zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe er im Vorfeld vermutliche Schwächen von KataGo identifizierte. Das Beispiel belegt, was auch viele KI-Expert*innen bestätigen: KI ist ein Teamspiel. Das beste Ergebnis lässt sich dann erzielen, wenn der Mensch mit der Maschine kooperiert.

Generative KI der bessere Augenarzt?

Im April 2024 meldeten verschiedene wissenschaftliche und medizinische Nachrichtenportale folgende Schlagzeile: „Stu die: GPT-4 übertrifft viele Ärzte bei der Beurteilung von Augenproblemen“, so hieß es beim Online-Dienst Heise. Wieder so eine Schlagzeile – und auch hier lohnt es sich, genau hinzuschauen. Erstellt wurde die Studie von Forscher*innen der Universit.t Cambridge, die .Überschrift über der Zusammenfassung der Studienergebnisse, zu finden auf der Homepage der Uni, liest sich sogar noch deutlicher, als die Headline beim Online- Dienst Heise: „Künstliche Intelligenz übertrifft Ärzte bei der genauen Beurteilung von Augenproblemen.“ Die KI steht hier für GPT-4, ein so genanntes „Large Language“-Modell (LLM), entwickelt von den KI-Spezialisten OpenAI.

Es handelt sich um ein generatives KI-System, sprich um eines, das eigene Inhalte erstellt, vornehmlich Texte, Sprache und Bilder. In der Medizin sorgte GPT-4 schon kurz nach dem Launch für Schlagzeilen: Eine Research-Gruppe des Softwareunternehmens Mircosoft (dessen KI-Dienst Pilot auf GPT-4 basiert) untersuchte das Modell auf sein medizinisches Fachwissen. Das Ergebnis veröffentlichte Microsoft im Research-Portal des Konzerns und verweist dabei auf den USMLE (United States Medical Licensing Examination), die dreistufige Prüfung, die man in den USA bestehen muss, um als .Ärztin oder Arzt tätig sein zu dürfen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass GPT-4, ohne spezielle Prompts, die Punktzahl für das Bestehen des USMLE um mehr als 20 Punkte übertrifft und sowohl frühere Allzweckmodelle (GPT-3.5) als auch Modelle, die speziell auf medizinisches Wissen abgestimmt sind, übertrifft.“ Heißt: GPT-4 besteht diese Prüfungen, ohne sich vorbereiten zu müssen. Ein Traum für jede Medizinerin, jeden Mediziner, der einmal fürs Physikum lernen musste.

Theorie hin oder her, auf die Praxis kommt es an. Die Forscher* innen wollten daher mit ihrer Untersuchung herausfinden, wie es um die medizinische Diagnosefähigkeit von GPT-4 aussieht. Das Studienmodell: Einer Gruppe von Ärzt*innen sowie der generativen KI wurden 87 Patientenszenarien mit jeweils einem spezifischen Augenproblem vorgelegt. Der Test umfasste, so heißt es im Studien-Design, Fragen zu einer Vielzahl von Problemen, darunter extreme Lichtempfindlichkeit, verminderte Sehkraft, Läsionen, juckende oder schmerzende Augen. Ein wichtiger Aspekt: Diese Problemstellungen entnahmen die Forscher*innen laut eigener Aussage einem medizinischen Lehrbuch, das für die Prüfung angehender Augenärzte verwendet wird, dessen Inhalte aber nicht im Internet frei zugänglich sind. Daher sei es, heißt es in der Zusammenfassung der Studie, „unwahrscheinlich, dass sein Inhalt in die Trainingsdatensätze des GPT-4 aufgenommen wurde“. Schließlich wird die generative KI fast ausschließlich mit digital verfügbaren Daten gefüttert. So ist davon auszugehen, dass GPT-4 nicht „gemogelt“ hat, in dem es sich im Vorfeld die Tests draufgeschafft hat.

In der menschlichen Gruppe befand sich die Bandbreite an Erfahrung und Spezialistentum, also sowohl nicht-spezialisierte Assistenzärzt*innen als auch Augenärzt*innen in der Ausbildung sowie ausgewiesene Fachexpert*innen. Alle hatten die Aufgabe, anhand der vorgelegen Problematik eine Diagnose zu stellen sowie eine Behandlung zu empfehlen. Das Ergebnis laut Studienzusammenfassung: GPT-4 habe in dem Test deutlich besser abgeschnitten als nicht spezialisierte sowie .ähnlich stark abgeschnitten wie Augenärzt*innen in der Ausbildung und Fachärzt*innen. Lediglich die leistungsstärksten Speazlist*innen hätten ein besseres Resultat erzielt als die generative KI.

It takes two

Wenn GPT-4 also nur von den Besten geschlagen werden kann – heißt das nun, das Ärzt*innen in diesem (und dann auch in anderen Feldern) nicht mehr benötigt werden? Vorsicht! Denken wir zurück an die Geschichte mit dem Go-Duell zwischen Mensch und KI. Auch da dachte man, der humanoide Spieler sei in Zukunft chancenlos. Das war er aber ab dem Moment nicht mehr, als er eine Kooperation mit der KI einging – und damit das spielerische Level des Teams erhöhte. Sprich: „It takes two“ – um wirklich stark zu sein, macht man es zu zweit. Ähnliche Schlüsse ziehen auch die Forscher*innen von der „School of Clinical Medicine“ der Universit.t Cambridge.

Generative KI wird nicht den Mensch ersetzen, sondern sie besitzt das Potenzial, die Gesundheitsversorgung als Teil des klinischen Arbeitsablaufs zu verbessern.

In der Studienzusammenfassung sagen sie eben nicht, dass die generative KI den Menschen ersetzen wird, sondern, dass sie „das Potenzial besitzt, die Gesundheitsversorgung als Teil des klinischen Arbeitsablaufs zu verbessern“. Und dass „Large Language“- Modelle wie GPT-4, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen, nützlich sein können, um „augenbezogene Ratschl.ge, Diagnosen und Managementvorschl.ge in gut kontrollierten Kontexten zu geben, wie zum Beispiel bei der frühen Einstufung von Patienten oder dann, wenn der Zugang zu medizinischem Fachpersonal begrenzt ist.“

KI im Kampf gegen Krebs

2023 startete eine Kooperation zwischen dem Softwarekonzern Microsoft und Paige, einem Spezialisten für medizinische KI-Services. Ziel des Joint Ventures ist es, das weltweit größte bildbasierte KI-Modell zur Erkennung von Krebs zu entwickeln. Die Forscher hofften, dass das Modell helfen wird, mit Personalknappheit und wachsenden Fallzahlen klarzukommen, heißt es in der Pressemitteilung von Microsoft. Das KI-Modell werde mit einer gigantischen Datenmenge trainiert, die Milliarden von Bildern umfasst, heißt es weiter. Es könne häufige, aber auch seltene Krebsarten erkennen, die besonders schwer zu diagnostizieren sind. Entwickelt wird das Modell speziell für die Pathologie, wo es darum geht, der Entstehung und den vielen Entwicklungen von Krankheiten auf die Spur zu kommen.

Dr. Arun Thirunavukarasu, Hauptautor der Studie, benennt in der Zusammenfassung der Studie folgendes konkretes Szenario aus dem Bereich der Augenerkrankungen: „Wir können KI realistisch bei der Einteilung von Patienten mit Augenproblemen einsetzen, um zu entscheiden, welche Falle Notfalle sind, die sofort von einem Spezialisten behandelt werden müssen, welche von einem Hausarzt behandelt werden k.nnen oder welche keine Behandlung benötigen.“ Eine generative KI, die hier zuverlässig die Fälle einteilt, hilft dabei, das gesamte System zu entlasten, weil jeder, der .ärztliche Hilfe benötigt, dorthin verwiesen wird, wo ihm passgenau geholfen werden kann. „Bei weiterer Entwicklung könnten „Large Language“ Modelle auch Hausärzte beraten“, wird Dr. Arun Thirunavukarasu zitiert. Das ist überall dort wichtig, wo Menschen für eine fachärztliche Behandlung lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. In Großbritannien ist dies der Fall, und in Deutschland in vielen Fachbereichen ebenfalls. Hier könnten Hausärzt*innen plus KI den Job in bestimmten Fällen übernehmen.

Wo generative KI wirklich unterstützt

Die Limbach-Gruppe, ein Verbund unabhängiger Labore in Deutschland, hat in einem Meinungsbeitrag auf der Homepage des Unternehmens weitere Szenarien für die Kooperation zwischen Mensch und generativer KI in der Medizin skizziert. So hätten GPT-Modelle das Potenzial, die Patientendokumentation erheblich zu verbessern, „weil sie die Fähigkeit besitzen, umfangreiche Datenmengen effizient zu verarbeiten und in präzise medizinische Dokumente umzuwandeln“. Auch bringe die KI Ärzt*innen in die Lage, „sich nahtlos über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren, ohne umfassende Literaturrecherchen durchführen zu müssen“. Zudem könnten die Modelle als „Brücke zwischen Arzt und Patient fungieren“, zum Beispiel, indem „Large Language“-Modell „komplexe medizinische Informationen in verständlicher Sprache bereitstellen und so die Patientenaufklärung verbessern“ oder sogar „die Analyse und Interpretation von Daten weiter zu verfeinern“, wie es in dem Beitrag heißt. Eine Perspektive lautet: „Mit einer fortschreitenden Entwicklung könnten LLMs in der Lage sein, genetische Sequenzen zu analysieren, personalisierte Behandlungsansätze vorzuschlagen und so die Präzisionsmedizin auf eine neue Stufe zu heben.“

Zukunftsmusik? Nicht nur. Was bereits passiert, zeigt das Med-PaLM-Projekt von Google. Dabei handelt es sich laut Eigenbeschreibung des Konzerns um ein „Large Language“- Modell, das entwickelt wurde, um qualitativ hochwertige Antworten auf medizinische Fragen zu liefern, und das damit auf die Gesundheitsbranche abgestimmt ist. Auch dieses Modell geht als generative KI über die Mustererkennung hinaus und erstellt eigene Inhalte. Das „Large Language“- Modell wird bereits von Kliniken oder digitalen Health-Care-Anbietern getestet, geplant ist, Med-PaLM im Gesundheits- und Life-Sciences-Bereich der Google Cloud zu implementieren. Kurz: Med-PaLM ist die Gegenwart.

Die ethischen Überlegungen im Zusammenhang mit der Anwendung von KI in der Medizin sind von großer Bedeutung. Dazu zählen Fragen des Datenschutzes, der Patientenautonomie, aber auch der Rolle von KI in der Arzt-Patienten-Beziehung.

Ein Thema drängt sich auf: Ethik

An dieser Stelle ist es wichtig, über eine Herausforderung zu sprechen, die beim Thema generativer KI generell, insbesondere aber bei einem so sensiblen Bereich wie der Medizin zwingend ins Spiel kommt: die Ethik. „Die ethischen Überlegungen im Zusammenhang mit der Anwendung von KI in der Medizin sind von großer Bedeutung“, heißt es im Meinungsbeitrag der Labor-Spezialist*innen von der Limbach-Gruppe. Dazu zählten Fragen des Datenschutzes, der Patientenautonomie, aber auch der Rolle von KI in der Arzt-Patienten-Beziehung. Beantwortet werden muss vor allem die Frage: Wenn KI und Medizin kooperieren – wie wird dann die kommunikative Schnittstelle zur Patientin oder zum Patienten organisiert?

Transparenz und Aufklärung über den Einsatz und die Grenzen der generativen KI-Technologien sind entscheidend, „um das Vertrauen der Patienten zu gewinnen und die Integrit.t der medizinischen Praxis zu wahren“, heißt es im Meinungsbeitrag der Limbach-Gruppe. Was bedeutet: Es ist schon okay, wenn ein Mensch eine generative KI nutzt, um eine andere generative KI bei einem komplexen Spiel für Go zu täuschen und letztlich zu schlagen. Im hochsensiblen Bereich der Medizin kommt es aber darauf an, an jeder Stelle mit offenen Karten zu spielen. Zumal es auch weiterhin so bleiben wird, dass bei der medizinischen Versorgung zwei Menschen im Mittelpunkt stehen: Patient*in und Ärzt*in. Beide haben die Chance, durch eine gemeinsame Kooperation mit der generativen KI die Medizin auf ein neues Level zu heben. Wer dabei besiegt werden soll, ist auch klar: die Erkrankung.

Cover KI-Revolution in der Medizin

Buchtipp: Chancen und Grenzen der generativen KI in der Medizin

Das von Peter Lee, Carey Goldberg, Isaac Kohane und Sébastien Bubeck verfasste Buch „Die KI-Revolution in der Medizin – GPT-4 und darüber hinaus“ entwickelte sich in den USA schnell zu einem Bestseller. Nun liegt das Standardwerk auch in deutscher Übersetzung vor. Die Autoren beschreiben den Einfluss der generativen KI in der Medizin, von der Forschung bis zur Diagnose. Dabei beschreiben sie, wie im ärztlichen Alltag über diese Zukunftstechnologie debattiert wird – was zu witzigen oder aberwitzigen Szenen führt. Bei aller Begeisterung für das Thema: Auch die Grenzen der generativen KI werden aufgezeigt. Peter Lee, Carey Goldberg, Isaac Kohane und Sébastien Bubeck: Die KI-Revolution in der Medizin – GPT-4 und darüber hinaus. Pearson 2023. ISBN: 978-3868944532. 29,95 Euro.

Eintauchen

0

Chemiker bekommt Preis für Krebsforschung

Der hessische Chemiker Johannes Karges hat den Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreis 2024 erhalten. Die Forschung des 31-Jährigen, der aus Fulda stammt, könnte die Nebenwirkungen von Chemotherapien gegen Krebs drastisch verringern und ihre Wirksamkeit deutlich erhöhen. Der Hauptpreis geht an den US-Immunologen Dennis L. Kasper von der Harvard Medical School. Der 81-Jährige hat die Kommunikation entschlüsselt, die zwischen den menschlichen Darmbakterien und dem Immunsystem stattfindet. Der Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis wird seit 1952 traditionell an Ehrlichs Geburtstag, dem 14. März, vergeben. Ausgezeichnet werden herausragende Leistungen in der biomedizinischen Forschung. Der Hauptpreis ist mit 120.000 Euro dotiert. Der mit 60.000 Euro dotierte Nachwuchspreis wird seit 2006 vergeben, das Preisgeld muss forschungsbezogen verwendet werden.

Lachen und Gesundheit

Mit einer Metastudie konnten Forscherinnen am Universitätsklinikum Jena die Binsenweisheit, dass Lachen gesund ist, wissenschaftlich bestätigen. Die veröffentlichte Auswertung von 45 randomisiert-kontrollierten Studien, die die Wirkung von Lachtherapien in verschiedenen Patientengruppen testeten, ergab positive Effekte sowohl für physiologische Parameter als auch für die körperliche und seelische Gesundheit. Vor einer allgemeinen Empfehlung von Lachtherapien sehen die Autorinnen jedoch weiteren Forschungsbedarf zu den Anwendungsgebieten und Wirkmechanismen sowie zu Nebenwirkungen, die bislang kaum dokumentiert wurden.

Selbstorganisation im Krankenhaus

Meine Station! – das ist ein einzigartiges Pilotprojekt im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau. Hier gibt es die erste Station in einem deutschen Krankenhaus, die nach dem Zusammenarbeitsmodell der Selbstorganisation funktioniert. Zum Hintergrund erklären die Verantwortlichen: „Seit Jahren prägen zunehmende Unterbesetzung, Überlastung und aufwendige Dokumentation den Stationsalltag in deutschen Kliniken. Frustration und Unzufriedenheit führen zu hohen Krankenständen, Personalfluktuation und häufig sogar zum kompletten Berufsausstieg.“ Deshalb wurde eine chirurgische Station gänzlich neu strukturiert und organisiert. Der Fokus lag dabei auf der interdisziplinären Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe, synergetischen Tagesabläufen und dem Abbau von Hierarchien hin zu Strukturen, die auf die Bedürfnisse der Belegschaft ausgelegt sind. Besonders ist daran auch, dass diese Strukturen von den Mitarbeitenden selbst entwickelt und kontinuierlich angepasst werden und nicht von oben herab oder sogar von extern diktiert werden.

Von Christiane Martin

Der analoge Realist Prof. Dr. Joachim Bauer im Interview

Wie verändern Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Wirklichkeit – und warum droht sogar ein „Realitätsverlust“? Der Arzt und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Joachim Bauer verweist im Interview darauf, dass echte Begegnungen und analoge Präsenz durch nichts zu ersetzen sind. Schon gar nicht durch digitale Welten, die Versprechen geben, die sie nicht einhalten. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Joachim Bauer war nach seinem Medizinstudium, parallel zu seiner klinischen Ausbildung, viele Jahre in der Forschung tätig. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Psychiatrie und in beiden Fächern habilitiert. Bauer ist Autor viel beachteter Sachbücher. Joachim Bauer war lange Jahre an der Universität Freiburg tätig. Er lebt, forscht und arbeitet jetzt in Berlin.

Herr Prof. Bauer, wie lässt sich die Sogwirkung, die von digitalen Geräten und insbesondere den Smartphones ausgehen, neurowissenschaftlich erklären?
Die Motivationssysteme des menschlichen Gehirns sind gierig auf soziale Beachtung und Anerkennung, entsprechend steuern sie unser Verhalten. Smartphones sind, selbst wenn sie keinen Ton von sich geben, eine Art Versprechen: Dass sich Leute melden, die etwas von mir wollen. Das Smartphone verspricht: Du bist wichtig und wirst gesehen. Die dadurch erzeugte Ablenkung ist derart stark, dass Testpersonen sich die Inhalte von gelesenen kurzen Texten nicht mehr so gut merken konnten, wenn während des Lesens ein Smartphone auf dem Tisch lag.

Wann wird diese Sogwirkung zu einem Risiko?
Sie gefährdet die Qualität unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Ständig kann man beobachten, wie kleine Kinder versuchen, in Kontakt zu ihrer begleitenden erwachsenen Bezugsperson zu kommen, diese aber nicht vom Handy wegkommt und dem Kind damit signalisiert: Es gibt Wichtigeres als dich. Kinder können sich nicht wehren. Wenn wir ein solches Verhalten – man nennt das in der Forschung übrigens „Phubbing“ – anderen Erwachsenen zumuten, dann zeigen Studien, dass sich die entsprechenden Beziehungen verschlechtern. Das betrifft Paarbeziehungen genauso wie Beziehungen zu Kollegen.

Besteht auch ein medizinisches Risiko?
Ja, wenn die Sogwirkung des Smartphones in Suchtverhalten umschlägt. In Deutschland sind zwei Millionen Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren täglich stundenlang in Sozialen Medien unterwegs, hunderttausende junge Leute in dieser Altersgruppe gamen tagtäglich bis in die Nacht. Intensivnutzerinnen von Sozialen Medien erhöhen ihr Risiko für Angst und Depression, Intensivnutzer von Videospielen vernachlässigen ihr analoges Leben und bewegen sich zu wenig.

Wie definieren Sie die analoge Realität und was unterscheidet sie von einer digitalen Realität?
„Analoge Realität“ ist die lebendige Welt, in der Menschen sich von Angesicht zu Angesicht begegnen, miteinander arbeiten, spielen oder etwas unternehmen. Wo wir uns in die Augen schauen können und die feinen Nuancen der menschlichen Körpersprache wahrnehmen können. Wo wir uns durch unmittelbare Wahrnehmung in andere empathisch einfühlen oder auch Konflikte austragen und bereinigen können. Das alles geht theoretisch auch online, also auch in den digitalen Kommunikationskanälen der Sozialen Medien oder beim gemeinsamen Videospielen, wo sich die Spieler gegenseitig in den Bildschirm einblenden können. Dabei geht aber immens viel der feinen Wahrnehmung verloren, die uns analoge Kontakte möglich machen. Online-Kontakte sind, ohne dass wir das sofort merken, auf die Dauer anstrengend. Neuere Studien beschreiben bei Berufstätigen, die „remote“ arbeiten oder viel online kommunizieren müssen, eine sogenannte „Videoconference Fatigue“.

Worauf es für die Gesundheit ankommt, ist das, was man in der psychologischen Forschung ‚sichere Bindungen‘ nennt, also verlässliche Beziehungen. Nur wer davon zumindest einige wenige hat, schützt seine Gesundheit.

Warum eigentlich ist unser Denken und ist unser Körper so sehr auf physische und soziale Begegnungen „gepolt“?
Freundlichkeit, menschliche Nähe und soziale Unterstützung beruhigen das Stresssystem, senken den Blutdruck und stärken die Immunabwehr. Fehlende soziale Verbundenheit oder Einsamkeit führen zu Veränderungen der Genaktivität von immunologisch relevanten Genen und begünstigen chronische schleichende Entzündungsprozesse. Die Folgen sind ein erhöhtes Risiko für den Herz-Kreislauf und eine verkürzte Lebensdauer. Oberflächliche Kontakte, wie sie in den Sozialen Medien oder Chats stattfinden, haben keinen „Nährwert“, hier ist man heute Freund und morgen Feind. Worauf es für die Gesundheit ankommt, ist das, was man in der psychologischen Forschung „sichere Bindungen“ nennt, also verlässliche Beziehungen. Nur wer davon zumindest einige wenige hat, schützt seine Gesundheit.

Studien zeigen, dass das Versprechen von Eingebundenheit in digitalen Welten nicht eingehalten wird. Aber ist das in der analogen Welt nicht genauso?
Muss der Mensch dort nicht auch damit leben lernen, mit Ausgrenzung klarzukommen? Die Frage ist berechtigt. Ausgrenzung macht auch in der analogen Welt krank. Die analoge Welt, die physische Begegnung zwischen Menschen ist jedoch die entscheidende Ressource, aus der wir das schöpfen können, was wir brauchen: Echte Freundschaften und Bindungen. Die digitale Welt kann helfen, solche Bindungen anzubahnen – denken Sie an Partnerbörsen. Wer dann aber dort bleibt und keinen Fuß auf den Boden einer analogen Beziehung bekommt, bleibt im Grunde einsam und wird am Ende krank, ich habe solche Fälle in meiner Praxis gesehen.

Wir sprachen vom Sog digitaler Angebote. Werden Anwendungen mit generativer Künstlicher Intelligenz diese Sogwirkung noch erhöhen?
Maschinen mit Künstlicher Intelligenz können dem Menschen in vielen Bereichen als Assistenten dienen, das taten sie schon bevor Chat-GPT auf den Markt kam, ohne dass dies damals an die große Glocke gehängt wurde. Das betrifft auch die Medizin, wo uns KI helfen kann, große Datenmengen nach Mustern zu durchsuchen und bisher unerkannte Zusammenhänge aufzudecken. Bereits jetzt erfolgreich eingesetzt wird KI zum Beispiel in der Röntgendiagnostik oder bei der Befundung von krebsverdächtigen Auffälligkeiten der Haut. Eine Sogwirkung – um zu Ihrer Frage zu kommen – kann von sprechenden KIs, also von Chatbots ausgehen, die nicht nur banale Unterhaltungen, sondern auch Arzt- oder Psychotherapie- Gespräche führen können. Diese KIs sind so gut, dass Nutzer heute nicht mehr unterscheiden können, ob sie es mit einem Menschen oder mit einer KI zu tun haben.

Sehen Sie da eher die Vor- oder Nachteile?
Ich sehe zwei Seiten: Einerseits können sie Menschen in Akutsituationen eine vielleicht hilfreiche oder überbrückende Auskunft geben. Andererseits sind viele dieser Angebote nicht ausreichend qualitätsgesichert. Wo keine persönliche Untersuchung des Patienten stattgefunden hat, können medizinische Auskünfte irreführend, zumindest nur vorläufig sein. Ein weiteres Problem: Wer trägt die Verantwortung, wenn KIs Diagnosen stellen und Therapien vorschlagen? Und schließlich bleibt das Thema Abhängigkeit. Bereits jetzt gibt es viele Nutzer, die mit einem Chatbot eine Dauerbeziehung eingegangen sind, als Ersatz für eine echte zwischenmenschliche Beziehung.

Digitale Produkte sind nichts Schlechtes, sie können uns assistieren. Damit wir sie – und nicht sie uns – beherrschen, müssen wir Regulierungen installieren, die sicherstellen, dass der Mensch die Kontrolle behält.

Wie kann es gelingen, in digitalen Welten in Social Media oder im Gaming die Kontrolle zu behalten?
Welche Skills benötigt die Gesellschaft dafür – und welche Skills müssen wir jungen Menschen vermitteln? Wir müssen die von Konzernen und Teilen der Medien betriebene Einschüchterung beenden, deren Ziel es ist, dass wir Menschen uns gegenüber den digitalen Systemen, insbesondere gegenüber KI minderwertig fühlen sollen. Digitale Produkte sind nichts Schlechtes, sie können uns assistieren. Damit wir sie – und nicht sie uns – beherrschen, müssen wir Regulierungen installieren, die sicherstellen, dass der Mensch die Kontrolle behält. Wir Menschen müssen wieder an uns glauben. Wir sind verletzliche, sterbliche Wesen, aber nur wir sind wirklich lebendig, nur wir können wirklich fühlen und lieben. Maschinen mit KI können nur simulieren, sie hätten Gefühle, sie haben sie aber nicht.

Bei welchem digitalen Spiel sind Sie schon einmal schwach geworden?
Bedingt durch meine Vorträge fahre ich oft Zug und sehe Menschen jeden Alters – überwiegend männlichen Geschlechts – alle Arten von Games spielen. Bei der Recherche für mein Buch „Realitätsverlust“ habe ich außerdem stundenlang neben Gamern gesessen und zugeschaut. Ob Sie es glauben oder nicht: Keines der Spiele hat mich gereizt. Stattdessen habe ich mich gewundert und mich gefragt, wie enttäuscht man vom realen Leben sein muss, um stundenlang auf einen Bildschirm zu starren oder auf einem Controller herumzuhacken, während draußen die Sonne scheint.

Cover Realitaetsverlust

„Realitätsverlust“

In seinem für den NDR-Sachbuchpreis nominierten Buch „Realitätsverlust: Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen“ beschreibt Joachim Bauer, warum reale Begegnungen, zwischenmenschliche Resonanz und analoge Präsenz für die Entwicklung des menschlichen Selbst, für unsere Gesundheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbar sind. So wird sein Buch zu einem Plädoyer für ein „neues Zeitalter der Aufklärung, für ein Aufbegehren gegen digitale Unmündigkeit“. Joachim Bauer: Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen. Heyne 2023. 22 Euro.

telegramm – Neues aus der Welt der Künstlichen Intelligenz

0

USA und China führend bei KI-Studien

Foto: AdobeStock/Archer7
Foto: AdobeStock/Archer7

Laut „Ärzteblatt“ führen bei Studien zum Einsatz von KI in der Klinik die USA und China mit weitem Abstand gegenüber anderen Ländern. Dies gehe aus einer Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift „Lancet digital Health“ hervor. Generell gäbe es ein wachsendes Interesse an KI in allen klinischen Fachbereichen und an allen Standorten. Die USA und China seien mit jeweils rund 30 Prozent aller erfassten Studien aber führend. Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag dabei auf Deep-Learning-Systemen für die medizinische Bildgebung, insbesondere in der Gastroenterologie und Radiologie.

KI-Krankenhaus „Agent Hospital“

Foto: AdobeStock/Iconjam
Foto: AdobeStock/Iconjam

Mehreren Medienberichten zufolge soll noch im Jahr 2024 in China das erste rein KI-geführte Krankenhaus eröffnen. „Echte Patienten werden dort jedoch (noch) nicht behandelt. Vielmehr kann man es sich als eine Art Trainingsprogramm für KI-Ärzte vorstellen. Also eine virtuelle Welt, in der virtuelle Patienten von KI-generierten Ärzten behandelt werden“, schreibt das Online- Nachrichtenportal „heute.at“. Dies bedeute, dass ein KI-Patient seinem KI-Arzt theoretisch ein Problem beschreiben und dieser mit einer Diagnose reagieren könnte. Forscher der Tsinghua- Universität in Peking (China) haben das virtuelle „Agent Hospital“ geschaffen, in dem alle Ärzte, Krankenschwestern und Patienten von intelligenten Agenten gesteuert werden, die auf der Grundlage von großen Sprachmodellen (LLMs) autonom interagieren können.

Ethikrat: KI darf Menschen nicht ersetzen

Foto: AdobeStock/Pedro
Foto: AdobeStock/Pedro

Bereits 2023 hat der Deutsche Ethikrat sich für strikte Begrenzungen bei der Verwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) ausgesprochen. In einer Stellungnahme des interdisziplinären Gremiums heißt es, Softwaresysteme verfügten nicht über Vernunft, würden nicht selbst handeln und könnten daher keine Verantwortung übernehmen. Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, sagte, KI dürfe den Menschen nicht ersetzen. Künstliche Intelligenz müsse menschliche Entfaltung erweitern und dürfe sie nicht vermindern. Beispielsweise könne im Medizinbereich KI-Einsatz sinnvoll sein, etwa um Versorgungsengpässe aufgrund von Personalmangel zu lindern und präzisere Diagnosen zu erstellen. Bei der Entwicklung und Nutzung von KI-Produkten müsse ein ärztlicher Kompetenzverlust vermieden werden. Der Deutsche Ethikrat ist ein unabhängiges Gremium in Deutschland, das sich mit ethischen Fragen und Herausforderungen im Bereich der Naturwissenschaften, Medizin und Gesundheitsversorgung beschäftigt. Die 26 Mitglieder werden von der Präsidentin des Deutschen Bundestages ernannt. Der Bundestag oder die Bundesregierung können den Ethikrat beauftragen, zu bestimmten Themen zu beraten.

Medizin, die schmeckt! Buch-, Link- und Veranstaltungstipps

0

„Die Rundum-gesund-Formel“

Cover Rundum Gesund FormelRundum gesund zu sein, heißt ganzheitlich gesund sein, und dazu tragen Seele, Nerven und Immunsystem gemeinsam bei. Gefühle und Überzeugungen wirken auf unser Immunsystem, und umgekehrt beeinflusst das Immunsystem Gedanken und Verhalten. Ob Seele, Nerven oder Abwehrkräfte: Wenn nur eines aus dem Gleichgewicht gerät, hat das Folgen für die beiden anderen. Doch wir können viel tun, um dieses Netzwerk gezielt zu stabilisieren. Christina Berndt zeigt in ihrem neuen Buch, welche Strategien unsere Selbstheilungskräfte und Resilienz steigern und wie wir so unsere Gesundheit ganzheitlich fördern können. Christina Berndt: Die Rundum-Gesund-Formel. Das Zusammenspiel von Psyche, Nerven und Immunsystem gezielt stärken. dtv 2024. 18 Euro.

Podcast: The Curbsiders

Foto: AdobeStock/Fotomek
Foto: AdobeStock/Fotomek

„The Curbsiders Internal Medicine“ ist ein Podcast für alle Themen rund um die Innere Medizin. Produziert wird er von drei amerikanischen Internisten. Ihr Ziel ist es, keine langweiligen Vorlesungen zu halten, sondern all die Fragen aus der Praxis zu beantworten, die sie sich selbst während ihrer Weiterbildung als Internisten gestellt haben. In einem lockeren Dialog wird das jeweilige Thema im Detail besprochen. Thematisch ist von Anaphylaxie bis hin zu Tuberkulose alles dabei.

Arbeit ist nicht alles!?

Cover Generation AnspruchDas Buch „Generation Anspruch“ von David Gutensohn provoziert, klart und befriedet. Der Autor ist ZEIT-Journalist, Anfang 30 und Teil der Generation Y. Seine Erfahrungen kombiniert er zu einem weitsichtigen Blick auf unsere Arbeitswelt und den Generationenkonflikt, der sich in ihr auftut. Er findet: Der Anspruch seiner Generation, die Bedeutung von Arbeit radikal hinterfragen zu dürfen, ist gerechtfertigt. Es sei nicht absurd zu fordern, dass Arbeit Menschen glücklich machen muss. Arbeit, die krank macht, gehöre abgeschafft. Und für Bullshit-Jobs, die eine Maschine erledigen kann, solle kein Mensch schuften müssen. Das ist für ihn die Zukunft der Arbeit! David Gutensohn: Generation Anspruch. Arbeit ist nicht alles – und das ist auch gut so. Oekom 2024. 22 Euro.

Healthy Habits

Cover Healthy HabitsDie aktuelle Standardernährung ist einer der größten Risikofaktoren für unsere Gesundheit. Dabei wissen wir, dass schnelle Fertigprodukte, hochverarbeitete Lebensmittel, Süßigkeiten und Softdrinks uns nicht guttun. Gegen alle Vorsitze greifen wir dennoch viel zu oft zu diesen Produkten, da sie ständig und einfach verfügbar sind. Wie es uns gelingt, bessere Essgewohnheiten zu entwickeln und warum uns Diäten dabei nicht helfen, erklärt Dr. Fionna Zöllner in ihrem neuen Buch Healthy Habits. Dafür verbindet die Psychologin den aktuellen Forschungsstand zum Thema Gewohnheiten mit gesunder Ernährung. Dr. Fionna Zöllner: Healthy Habits. Wie kleine Veränderungen Ihre Ernährung für immer verbessern. ZS Verlag 2024. 19,99 Euro.

Digitale Wissenschaftskommunikation

Ein Blog zu Wissenschaft, Wissenschaftskommunikation und weiteren zeitgenössischen Sachverhalten mit Texten über Naturwissenschaften, Medizin, Soziologie, Philosophie und anderes findet sich unter: www.wissenswerkstatt.net

„New Work in der Medizin“

cover New Work MedizinPersonalmangel, Kostenexplosion und kritische Arbeitsbedingungen. Wann haben Sie das letzte Mal etwas Positives aus unserem scheinbar nicht reformierbaren Gesundheitssystem gehört? Die Autorinnen Vera Starker, Mona Frommelt und David Ruben Thies legen einen radikalen Gegenentwurf vor und entwickeln ein Zukunftsbild, in dem die Medizin wieder ihrem Sinn folgen kann: der Heilung und Pflege von Menschen. Das erste Sachbuch zum Thema New Work in der Medizin richtet sich an alle, die an einer Erneuerung des Gesundheitswesens interessiert sind. Vom medizinischen Personal bis hin zu Vorstand und Management sowie den Personalbereichen. Und nicht zuletzt, natürlich an Patienten. Erstmals wird ein konkretes New Work Modell für Healthcare vorgestellt, das Verantwortlichen Ansatzpunkte bietet, um eine Umgebung zu schaffen, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Gesundheitspersonals fördert. Vera Starker, Mona Frommelt, David Ruben Thies: New Work in der Medizin. Rossberg 2022. 28 Euro.

„Das Lied der Zelle“

Cover das Lied der ZelleAls im späten 16. Jahrhundert der englische Universalgelehrte Robert Hooke und der holländische Tuchhändler Antonie van Leeuwenhoek durch ihre handgefertigten Mikroskope blickten, sahen sie etwas, was der Biologie und der Medizin ein radikal neues Konzept hinzufügte und beide Wissenschaften für immer veränderte: Komplexe lebende Organismen bestehen aus winzigen, in sich geschlossenen und sich selbst regulierenden Einheiten. Unsere Organe, unsere Physiologie, unser Selbst – Herz, Blut, Gehirn – sind aus diesen kleinen Teilen aufgebaut: den Zellen. Siddhartha Mukherjee erzählt vom enormen Potenzial unseres vertieften Verständnisses der Zellphysiologie und -pathologie. Es hat eine Revolution in Biologie und Medizin ausgelöst, transformative Medikamente hervorgebracht und Menschen verändert. Siddhartha Mukherjee: Das Lied der Zelle. Ullstein 2023. 32,99 Euro.

Trends für die Zukunft der Medizin

Die digitale Megatrendstudie des Zukunftsinstituts beschreibt zehn Gesundheitstrends, die in den nächsten Jahren prägend für Branchen und Märkte sein werden. Sie bieten Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen und darüber hinaus – in Politik, Verwaltung und verschiedenen Industrien – Information und Orientierung. www.zukunftsinstitut.de

„Outlive“

Cover OutliveIn diesem Handbuch für ein langes und gutes Leben schildert Dr. Peter Attia die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, um innovative Ernährungsmaßnahmen und Techniken zur Bewegungs- und Schlafoptimierung anschaulich zu vermitteln – und er gibt Tipps für eine ausgeglichene emotionale und geistige Gesundheit. Denn trotz all ihrer Erfolge ist es der Schulmedizin bislang nicht gelungen, die zentralen Krankheiten des Alterns zu bekämpfen, an denen die meisten Menschen sterben: Herzkrankheiten, Krebs, Alzheimer und Typ-2-Diabetes. Dr. Attia fordert mit seinem Buch, dieses veraltete Konzept durch eine personalisierte, proaktive Strategie für ein langes Leben zu ersetzen. Wir alle müssen jetzt handeln und aktiv werden – und nicht warten. Peter Attia: „Outlive. Wie wir länger und besser leben können, als wir denken.“ Ullstein 2024. 24,99 Euro.

Das letzte Wort hat: Dr. med. Franziska Rubin, Ärztin, TV-Moderatorin und Buchautorin

0

Franziska Rubin studierte Medizin in Köln, absolvierte diverse Moderatorencoachings und nahm Schauspiel- und Gesangsunterricht. Heute ist sie bekannt aus Funk und Fernsehen und durch ihre vielen Bücher, die sie zu medizinischen Themen veröffentlicht hat. Ihr jüngstes Werk heißt „Magic Midlife. Wie die zweite Halbzeit zur besten Ihres Lebens wird“. Sie ist Verfechterin einer integrativen Medizin. Die Fragen stellte Christiane Martin.

Wo liegen für Sie die Grenzen der Schulmedizin?
Unsere Hochschulmedizin hat gerade für akute Krisensituationen und schwere Erkrankungen segensreiche Antworten. Manchmal ist es aber so, als ob man mit Kanonen auf Spatzen schießt. Und unsere Art zu heilen bleibt immer eine Reparatur- Medizin. Wir als Ärzte geben oder tun etwas, um etwas wieder hinzubiegen, dass der Patient oft selbst verursacht hat. Wir nehmen ihn damit auch ein Stück aus der Verantwortung.

Und was begeistert sie an der integrativen Medizin?
Die bessere Medizin ist für mich die Mischung aus Hochschulmedizin (oder konventioneller Medizin) und komplementären Verfahren, allen voran unsere europäische Naturheilkunde. Die wenigsten wissen, wie viel gute Studien, evidenzbasiert, teilweise doppelblind, es mittlerweile zur Naturheilkunde und auch anderen komplementären Verfahren gibt. Damit stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit eigentlich nicht mehr. Die Kunst besteht meines Erachtens darin, zu wissen, wann ich welches Verfahren anwende. Der Vorteil vieler naturheilkundlicher Verfahren ist, dass sie den Körper anregen, sich selbst zu heilen und dass sie den Patienten Mechanismen/Wissen an die Hand geben, sich anders zu verhalten und damit zur eigenen Besserung und Gesundheit beizutragen.

Was tun Sie persönlich, um sich fit zu halten?
Für mich trifft das Sprichwort zu: Steter Tropfen höhlt den Stein. In meinem Studium habe ich mich noch weitestgehend von Apfelsaft und Lakritze ernährt. Danach durfte ich in meiner Sendung „Hauptsache gesund“ jede Woche Professoren und Expertinnen aus den unterschiedlichen Bereichen begrüßen und habe viel von ihnen gelernt. Wie man sich krank machen kann, aber auch gesund erhält. Ohne dass ich es wirklich gemerkt habe, habe ich nach und nach unglaublich viel in meinem Leben verändert. Und ich kann sagen, es geht mir damit blendend.

Cover Magic MidlifeDr. med. Franzsika Rubin: Magic Midlife. Knaur 2024. 20 Euro.

www.franziska-rubin.de

Welche Gesundheitstipps können Sie für den Alltag geben?
In den Alltag gehören für mich alle fünf Säulen der Naturheilkunde: Also, zum Beispiel kann man jeden Tag mit einem Müsli mit unglaublich viel Ballaststoffen viel für seinen Darm tun, plus einem Apfel gegen zu hohes Cholesterin, ein paar Granatapfel-Kernen für die Gefäße oder mit einem Rote-Bete-Saft oder Hibiskus-Tee statt Kaffee beginnen, wenn man hohen Blutdruck hat. Für mich gehören die kalten Güsse (zumindest von Armen. Beinen und Gesicht) nach der warmen Dusche zum Alltag, weil dies nachweislich das Immunsystem pusht. Ich bin nur selten krank. Der tägliche Spaziergang mit dem Hund sowie ein kurzer Power-Nap sorgen dafür, dass ich in der Ruhe bleibe, auch an stressigen Tagen. Und manchmal greife ich in die Schatzkiste der Pflanzenheilkunde, Baldrian zum Schlafen, Salbei gegen Schwitzen oder Ashwaganda, um bessere Nerven zu haben.

Was können Sie speziell jungen Ärztinnen und Ärzten mit auf den Weg geben, die am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn stehen?
Ich glaube, es lohnt sich, sich für Naturheilkunde und komplementäre Verfahren zu öffnen, weil man als Arzt dann einfach mehr Handwerkszeug zur Verfügung hat. Außerdem sind naturheilkundlich interessierte Patienten motivierter mitzuarbeiten. Und ganz wichtig: Körper, Geist und Psyche hängen zusammen und alles beeinflusst einander. Es ist gut, daran zu denken. Weil selten ein Teil auf Dauer heilt, wenn man die andern nicht beachtet

E-Paper karriereführer recht 2.2024 – Mit Legal-Tech-Know-how Zukunft gestalten.

0


Ausgabe als PDF im Magazin-Layout downloaden

E-Paper karriereführer wirtschaftswissenschaften 2.2024 – Generative KI: Auf das Zusammenspiel von Mensch und Maschine kommt es an

0


Ausgabe als PDF im Magazin-Layout downloaden