Vision von der persönlichen Pille

Die Möglichkeiten der Industrie 4.0 schenken der Pharma-Branche neue Visionen in der Produktion. So soll es schon bald möglich sein, effizient individuelle Medikamente herzustellen. Für Naturwissenschaftler entstehen damit ganz neue Möglichkeiten. Nötig ist es jedoch, zusammen mit IT-Experten und Ingenieuren schlagkräftige Teams zu bilden. Von André Boße

Jeder Patient ist anders. Jedes gesundheitliche Problem hat eine eigene Geschichte, jeder Körper reagiert unterschiedlich auf ein Präparat. Es wäre daher ein Traum der pharmazeutischen Forschung, wenn jedes Medikament individuell hergestellt werden könnte, jeweils genau abgepasst auf die persönlichen Bedürfnisse eines Patienten. Noch ist das Zukunftsmusik. Die handelsüblichen Tabletten, die man in der Apotheke gegen Rezept erhält oder kauft, sind für jeden gleich. Passgenau auf den Patienten zugeschnittene Präparate sind heute die Ausnahme – und dementsprechend teuer, was damit zu tun hat, dass es umständlich ist, sie zu produzieren. Doch das soll sich ändern. Die Vision: Forscher entwickeln für Patienten individuelle Medikamente und beauftragen die Produktion, diese schnell und effizient herzustellen. Um das hinzubekommen, setzt die Pharma- Industrie verstärkt auf technische Innovationen, die sich unter dem Begriff Industrie 4.0 zusammenfassen lassen.

Im Fokus stehen dabei intelligente Fabriken, in denen die Produktion deutlich flexibler, effizienter und interaktiver Abläuft. Das funktioniert mithilfe sogenannter cyber-physischer Systeme: Elektronische und mechanische Teile werden mit Sensoren sowie IT-Komponenten aufgerüstet, die dann dafür sorgen, dass alle diese Produktionswerkzeuge miteinander über ein „Internet der Dinge“ kommunizieren. Kurz: In der Produktion weiß dann ein Teil, was das andere tut. Und mehr noch: Es kann Befehle ausführen und Parameter verändern. Und das zu jedem Zeitpunkt sowie einzeln bei jedem Medikament. Pharma 4.0 – das ist der Weg zum effizient hergestellten personalisierten Präparat. „Für unsere Branche besitzt Industrie 4.0 daher ein hohes Potenzial“, sagt Steve Hydzik, globaler Head of Manufacturing IT, Architecture & New Technology beim internationalen Pharma-Konzern Merck. „Durch die Digitalisierung werden Produktion und Lieferkette von Anfang bis Ende transparent. Dadurch können wir zu jeder Zeit Entscheidungen analysieren und optimieren. Es wird damit eben auch möglich sein, jedes Produkt anhand des Bedürfnisses eines Kunden zu verändern, um es individuell zu optimieren.“

RFID-Technik gibt die Infos
Funktionieren wird das zum Beispiel mit der RFID-Technik, die man vor allem bei Chipkarten oder aus Bibliotheken kennt: Elektromagnetische Wellen informieren die Produktionsgeräte über die individuelle Zusammensetzung eines Präparats; die Maschinen konfigurieren sich automatisch anhand der erhaltenden Daten, stimmen sich über das „Internet der Dinge“ gegenseitig ab und übernehmen sogar die Qualitätskontrolle. „Es wird dann möglich sein, eine große Menge an personalisierten Pharmaprodukten, die genau den Bedürfnissen des Kunden entsprechen, herzustellen – und zwar mit hoher Geschwindigkeit und Effizienz“, stellt Steve Hydzik von Merck in Aussicht. Das Szenario beim Besuch eines Arztes ist dann nicht mehr, dass dieser dem Patienten ein Medikament verschreibt. Vielmehr kann der Arzt das Präparat – in Kooperation mit dem Patienten und mit Blick auf dessen Daten – individuell zusammensetzen.

Industrie 4.0: kurze Revolutionsgeschichte

Die Zahl 4 steht für die vierte industrielle Revolution, die durch die Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen in einem „Internet der Dinge“ gekennzeichnet ist. Für die erste industrielle Revolution sorgten Ende des 18. Jahrhunderts die ersten mechanischen Produktionsanlagen. Die Einführung der Elektrizität stand für die zweite industrielle Revolution, der Einzug von Elektronik und IT sorgten für die Automatisierung der dritten industriellen Revolution.

Reale und virtuelle Prozesse
Noch ist die Pharma 4.0 ein Szenario der Zukunft. Ein Verfahren, das bereits heute bei ausgewählten pharmazeutischen Produktionen zum Einsatz kommt, nennt sich Process Analytical Technology (PAT) und nimmt bereits einige der Ideen von Industrie 4.0 auf. „Dieser Ansatz wird von der Perspektive der Zulassung aus gedacht“, erklärt Dr. Reinhard Baumfalk von Sartorius, einem der führenden Anbieter von Labor- und Bioprozesstechnologie mit Sitz in Göttingen. Ziel ist es, den Produktionsprozess genauer zu verstehen und bereits während des Prozesses zu interagieren. „Dies gelingt mit einem Modellprozess, um den tatsächlichen Produktionsprozess virtuell und online zu steuern“, so Baumfalk. „Es gibt also eine Wechselwirkung zwischen realem und virtuellem Produktionsprozess – was ja auch ein zentraler Ansatz der Industrie 4.0 ist.“ Damit geht die Pharma- Industrie schon heute einen Schritt weiter als bei den herkömmlichen Strategien: Hier war die Produktion eine Art „Black Box“, bei der man erst nach Ablauf überprüfen konnte, ob das Produkt tatsächlich die Qualitäts- und Zulassungsstandards erfüllt. Stimmte etwas nicht, musste die Produktion zwangsläufig verworfen werden, was Zeit und Geld kostete. „Diese neuen Ansätze helfen, das zu verhindern, weil wir online und in Echtzeit Parameter verändern können “, sagt Baumfalk.

Es steht außer Frage, dass die neuen Möglichkeiten die pharmazeutische Produktion entscheidend verändern werden – und zwar gerade auch für die Naturwissenschaftler, die zusammen mit IT-Experten und Ingenieuren neue Teams bilden. „Wenn wir die Grundsätze der Industrie 4.0 mit den neuen Technologien zum Umgang mit großen Mengen an Daten kombinieren, erhalten Naturwissenschaftler weitergehende und schnellere Einblicke in die pharmazeutischen Prozesse“, sagt Steve Hydzik von Merck. „Wir stehen daher vor einem Zeitalter, in dem Naturwissenschaften und Technik gemeinsam etwas früher Unmögliches möglich machen können.“ Dabei werden seiner Meinung nach zwei Kompetenzen für Naturwissenschaftler besonders wichtig: zukunftsorientierte Analyseverfahren (häufig wird der englische Begriff Advanced Analytics benutzt) sowie Data Science. „Mithilfe der Advanced Analytics wird dafür gesorgt, dass Informationen zur richtigen Zeit und im richtigen Kontext an die richtigen Leute gelangen.“ Hier arbeiten IT-Experten und Naturwissenschaftler sehr eng zusammen: Die einen sorgen für den richtigen Datenfluss, die anderen für die Auswertung. Noch enger gehen beide Disziplinen bei der Data Science zusammen. Hydzik: „In einer bislang nicht möglichen Geschwindigkeit werden Naturwissenschaftler aus Daten neues Wissen generieren.“

Auch bei Sartorius ist mit Blick auf die Produktionsverfahren der Zukunft die Balance aus Ingenieurwissen und dem Know-how der Naturwissenschaftler entscheidend. „Wer sich für die neuen Produktionsprozesse der Pharmaindustrie interessiert, sollte zum Beispiel Kompetenzen in der Sensorik mitbringen, die ihn in die Lage versetzen, die wirklich entscheidenden Parameter zu messen“, sagt Dr. Reinhard Baumfalk. Um die gesammelten Informationen in Relation zu setzen und zu bewerten, sei Know-how im Datenmanagement wichtig.

Rahmenbedingungen schaffen
Eine Besonderheit der Pharmabranche: Veränderungen in der Produktion setzen sich in der Regel langsamer durch als in anderen Branchen. Während besonders die Autoindustrie bereits heute visionäre Bilder der Industrie 4.0 an die Wand wirft, sind viele Experten aus der Pharmabranche deutlich vorsichtiger. „Mit Blick auf die Industrie 4.0 sind stark regulierte Branchen, zu denen natürlich vor allem die pharmazeutische Industrie zählt, naturbedingt etwas langsamer, weil zunächst erst einmal Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit neue Ansätze anwendbar sind“, begründet Dr. Reinhard Baumfalk von Sartorius. Über die Ansätze der Process Analytical Technology (PAT) zum Beispiel werde in der Branche schon lange diskutiert; bis sie erstmals Anwendung gefunden hat, seien mehrere Jahre vergangen.

Wer als Naturwissenschaftler Freude daran hat, die Idee von Pharma 4.0 mitzugestalten, benötigt daher etwas mehr Geduld als der visionäre Kollege in einer anderen Branche. Die Unternehmen erwarten dennoch vom Nachwuchs, dass er schon heute die Kompetenzen von morgen mitbringt. „In der Produktion, aber auch in Forschung und Entwicklung, bewegt sich durch die neuen technischen Möglichkeiten derzeit viel. Es gehört in den naturwissenschaftlichen Disziplinen dazu, dass man sich mit den Chancen der Digitalisierung auseinandersetzt und schaut, wie man dieses Wissen in die Unternehmen einbringen kann“, sagt Mathias Finkele, Personalleiter bei Pfizer Deutschland. Im Zuge dieser Veränderungen gestalten viele pharmazeutische Unternehmen zudem ihre Arbeitsstrukturen neu. „Wir beobachten bereits heute, dass Forschung und Entwicklung bei uns anders organisiert wird“, so Finkele. So kooperiere Pfizer häufig mit externen Partnern, was bei den Naturwissenschaftlern auf beiden Seiten eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, unternehmerisches Handeln, Eigeninitiative sowie die Bereitschaft erfordere, Wissen zu teilen.

Die neue Technik verändert also nicht nur die Art, wie produziert, sondern auch, wie geforscht und entwickelt wird. Damit ist Pharma 4.0 weit mehr als nur ein ingenieur- und IT-getriebenes Thema. Es bestimmt in großem Maße die Arbeit der Naturwissenschaftler und schenkt ihnen eine sehr faszinierende Perspektive: Die Produktion als „Black Box“, das war einmal. In naher Zukunft ist sie für Naturwissenschaftler ein Prozess mit Einblick – sowie der Möglichkeit zum Eingriff.

Fit für die Industrie 4.0

Die vielfältigen Möglichkeiten ändern auch die Art und Weise, wie die Menschen in der Produktion arbeiten. Das gilt besonders in der Pharma-Industrie, wo die Themen Qualitätsprüfung und Zulassung hohe Ansprüche an die Produktion stellen. Derzeit arbeiten Experten an Fort- und Weiterbildungskonzepten, um Fachkräfte aller Bereiche fit für die Industrie 4.0 zu machen. Noch ist das Thema jung, etablierte Bildungswege für Naturwissenschaftler gibt es noch nicht. Den neuesten Stand und viele weiterführende Infos zum Thema bietet das im April 2015 gestartete Portal „Plattform Industrie 4.0“.
www.plattform-i40.de

Andere glücklich machen

Dong-Seon Chang vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik gewann mit seinem Vortrag über Wahrnehmungen von Menschen und deren Handlungen beim FameLab- Wettbewerb in Deutschland den ersten Preis. Von Christiane Martin

Chang, seinen Zuhörern zu erklären, woran er forscht. Und er schafft es mit Bravour. Nach seinem Kurzvortrag beim FameLab, einem internationalen Wettbewerb für Wissenschaftskommunikation, gewinnt er in Deutschland den ersten Preis der Jury und des Publikums. Der 35-jährige Neurowissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik beschreibt äußerst unterhaltsam und verständlich, was uns Menschen ganz grundlegend von Tieren unterscheidet, nämlich zum einen die Fähigkeit, Dinge durch die Augen anderer wahrzunehmen.

Lob als Belohnung
„Wie unsere Mitmenschen die Welt sehen, verändert unsere eigene Wahrnehmung und somit auch die Welt, so wie wir sie sehen. Ein spannender Vorgang, den ich versuche im menschlichen Gehirn zu untersuchen, zum Beispiel mit einer Methodologie, die man neuronale Adaptation nennt“, erklärt Dong-Seon Chang. Zum anderen sieht Chang die Menschen aber auch als etwas Besonderes, weil sie die Fähigkeit haben, sozial und im Miteinander glücklich zu sein. „Soziale Interaktion mit anderen Menschen aktiviert die Belohnungszentren im Gehirn. In anderen Worten: Ich bin glücklich, wenn ich andere glücklich mache – und das scheint mir mit meinem Vortrag gelungen zu sein. Der Publikumspreis hat mich deshalb ganz besonders gefreut“, sagt Chang und zeigt ein strahlendes Lächeln. FameLab macht ihm augenscheinlich Spaß.

Junge Wissenschaftstalente wie Dong- Seon Chang bekommen hier ein Forum in der Öffentlichkeit und können ein breites Publikum für wissenschaftliche Themen begeistern. Die Regeln sind einfach: In drei Minuten präsentieren die Teilnehmer aus den Bereichen der Natur- und Technikwissenschaften ihr Forschungsthema wissenschaftlich korrekt, leicht verständlich und mitreißend. Bewertet werden die Präsentationen von einer hochkarätig besetzten Jury nach den Kriterien Inhalt, Verständlichkeit und Ausstrahlung. Der Sieger des nationalen Finales „FameLab Germany“ nimmt am „FameLab International“ in Cheltenham teil und tritt gegen die Finalistinnen und Finalisten der anderen Länder an.

Einzug ins Finale
Für Dong-Seon Chang war es im Juni 2015 so weit. Er reiste als Deutschlandsieger nach England und zog hier sogar ins Finale ein. Die besten Kandidaten aus den 27 teilnehmenden Ländern traten dabei gegeneinander an. Vertreten waren Australien, Zypern, die Schweiz, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Deutschland und Kroatien. „Eine wunderbare Erfahrung“, resümiert Dong-Seon Chang.

Linktipp

Hier finden sich alle Informationen rund um den FameLab-Wettbewerb
www.famelab.org

Arbeitsrechtlerin und Burnout-Expertin

Die Arbeitsrechtlerin Iris Riffelt ist spezialisiert auf das Thema Burnout und hat dazu ein Buch aus arbeitsrechtlicher Perspektive verfasst.

In meiner täglichen Praxis als Anwältin erlebe ich, wie Burnout und die Fragen dazu zunehmen und welche Informationen die Betroffenen dringend benötigen. Sie befinden sich in einer für sie völlig aussichtslosen Situation. Die Erschöpften benötigen in erster Linie Verständnis und jemanden, der ihnen eine Lösung und einen Weg aus der Krise aufzeigt. Ich zeige ihnen, wie sie sich geordnet aus dem Berufsleben zurückziehen können, welche arbeitsrechtlichen Fragen dabei im Hinblick auf Versicherungen, Krankenkassen und Finanzen geklärt werden müssen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Weg aus dem Burnout heraus und der berufliche Wiedereinstieg: Kündigt der Arbeitnehmer selbst das Arbeitsverhältnis oder verbleibt er, zunächst krank, dort? Verbleiben die Arbeitnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis, kommt auf sie die Problematik des Betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements (BEM) zu. Dazu können während der Erkrankung Gespräche mit dem Arbeitgeber stattfinden. Es muss genau überlegt werden, ob das ratsam für den Betroffenen ist – und hierfür ist allein der Gesundheitszustand des Betroffenen ausschlaggebend – oder ob diese Gespräche abgelehnt werden.

Aber es geht nicht nur um die erkrankten Arbeitnehmer, sondern auch um den Arbeitgeber. Hin und wieder führe ich in Firmen oder für Betriebsräte Schulungen durch, um die Problematiken im Hinblick auf die Erkrankung und die Auswirkungen auf das Arbeitsleben zu erörtern. Um in dieser kleinen Nische im Arbeitsrecht tätig zu sein, sind Geduld erforderlich, Mitmenschlichkeit und Kenntnisse im Arbeits- und Sozialrecht sowie über das Krankheitsbild Burnout. Ebenso benötigt man Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Betroffenen bei der Vermittlung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auch Kenntnis über psychologische Gesprächsführung ist von großer Hilfe.

Nicht jedes Burnout-Mandat endet in einer Kündigung, und nicht jeder Burnout- Betroffene hat eine Rechtschutzversicherung, die die Kosten übernimmt. Man muss als Rechtsanwalt in dieser Sparte unbedingt seine Grenzen wahren können. Erfolgreich sind solche Mandate verlaufen, wenn der Betroffene sinnvoll aus dem Arbeitsverhältnis möglichst noch mit Abfindung herausgeholt wird oder aber in den Berufsalltag zurückfindet. Dies ist auch regelmäßig mit einer persönlichen Freude verbunden.

Lesetipp

Iris Riffelt: Zwischenstopp Burnout.Iris Riffelt: Zwischenstopp Burnout.

Praktische Hilfe für den geordneten Aus- und Wiedereinstieg: Rechte, Finanzen, Versicherungen.

Wiley-VCH, Weinheim 2012. ISBN 978-3527506620. 16,90 Euro

karriereführer wirtschaftswissenschaften 2.2015 – Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung

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Cover karriereführer wirtschaftswissenschaften 2.2015

Zahlen, bitte! Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung

Wertvoll. Unternehmen sind dann erfolgreich, wenn die Zahlen stimmen. Diese zu prüfen – das ist die Aufgabe von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Für Unternehmen sind sie unersetzliche Instanzen und Berater. Wer sein Fach beherrscht, darf auf eine große Karriere hoffen. Unser Top-Thema zeigt die Wege in den Job und die vielen Facetten eines anspruchsvollen beruflichen Alltags.

Einstieg in die Zahlenwelt

Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater, Bilanzbuchhalter oder Steuerfachwirt: Die Vielfalt der prüfenden und beratenden Aufgaben für Unternehmen ist beachtlich. Wie wird man was, wo findet man Tätigkeiten, welche Alternativen bieten sich? Hier gibt es die Antworten. Von André Boße

Wo sind Wirtschaftsprüfer überhaupt tätig?
In Deutschland sind alle mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften verpflichtet, sich jährlich einer gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtprüfung zu unterziehen. Zudem sind Unternehmen einer gewissen Größe sowie Unternehmen bestimmter Wirtschaftszweige wie zum Beispiel Banken und Versicherungen oder auch Betriebe der öffentlichen Hand verpflichtet, jährlich ihre Abschlüsse prüfen zu lassen. Diese Aufgaben werden von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften übernommen. Es gibt aber auch Unternehmen, die sich ohne Prüfungspflicht freiwillig prüfen lassen. Sie tun das unter anderem, weil ein von Wirtschaftsprüfern testierter Jahresabschluss ihnen Sicherheit gibt sowie Vorteile beim Umgang mit Kreditinstituten und anderen Unternehmen verschafft.

Der deutsche Markt
Unter den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gibt es große und mittelständische. In der Regel beauftragen die großen kapitalmarktorientierten Unternehmen auch die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Die Branche spricht von den „Big 4“ als den vier mit Abstand größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Laut 2014er-Liste des Marktanalysten Lünendonk liegt beim Umsatz in Deutschland PwC auf Platz eins, dahinter KPMG, EY (früher Ernst & Young) sowie Deloitte. Für den Nachwuchs sind aber längst nicht nur diese Großen interessant: „In der stark vom Mittelstand geprägten deutschen Wirtschaft sind mittelständische und kleine Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ebenso gefragt“, sagt Gerhard Ziegler, Präsident der Wirtschaftsprüferkammer (WPK).

Wie wird man Wirtschaftsprüfer?
Wirtschaftsprüfer zu sein ist nicht nur ein Beruf, sondern auch ein öffentliches Amt. Mit der Tätigkeit erfüllen Wirtschaftsprüfer einen öffentlichen Auftrag: Sie sorgen mit dafür, dass die deutsche Wirtschaft zuverlässig funktioniert und auf gesunden Beinen steht. Um als Wirtschaftsprüfer tätig sein zu dürfen, muss man daher ein Staatsexamen ablegen. Eine gute Grundlage für den Beruf ist ein wirtschaftswissenschaftliches Studium. Lauf WPK haben heute rund 85 Prozent aller praktizierenden Wirtschaftsprüfer ein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert. Als Studienschwerpunkte empfehlen Experten besonders die Fächer Wirtschaftsprüfung, Betriebliche Steuerlehre sowie Steuerrecht. Der Karrierestart gelingt aber auch immer mehr Seiteneinsteigern:
„Auch Mathematiker, Naturwissenschaftler und Juristen haben sehr gute Chancen, Karriere als Wirtschaftsprüfer zu machen“, stellt Jörg Hossenfelder vom Branchenexperten Lünendonk fest. Um für die Prüfung zugelassen zu werden, muss der Bewerber in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bereits genügend praktische Erfahrungen gesammelt haben. Voraussetzung ist zum Beispiel eine mindestens zwei Jahre lange Assistenz-Tätigkeit bei Prüfungen.

Masterstudiengang zum Wirtschaftsprüfer
Wer sich schon früh auf den Beruf des Wirtschaftsprüfers festlegt, für den bieten spezialisierte Masterstudiengänge für den Beruf des Wirtschaftsprüfers einige Vorteile. „Das Studium bereitet umfassend auf die Übernahme einer Führungsposition und gezielt auf das Wirtschaftsprüferexamen vor“, sagt Prof. Dr. Edgar Löw, Programmdirektor für den Studiengang „Master in Auditing“ an der Frankfurt School of Finance & Management. „Zudem haben Absolventen, die das Examen zum Wirtschaftsprüfer anstreben, nur noch vier anstelle von sieben schriftlichen Prüfungen abzulegen, da ihre während des Studiums in den Gebieten Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht erbrachten Leistungen auf das Examen angerechnet werden.“ Die Frankfurt School Of Finance & Management bietet das Studium zusammen mit der Hochschule Mainz an, Partner sind die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, sodass der Studiengang direkt an die Praxis angebunden ist. Ziel ist es, die kommenden Absolventen in die Lage zu versetzen, praxisbezogene und interdisziplinäre Probleme zu lösen – und zwar stets mit Blick auf gewissenhaftes und eigenverantwortliches Handeln. Löw: „Für angehende Wirtschaftsprüfer ist eine kritische Grundhaltung unverzichtbar.“ Eine Besonderheit dieser Masterstudiengänge ist, dass sich Interessierte durch die Spezialisierung schon früher bei ihrer Berufswahl festlegen. „Natürlich bedeutet die Wahl des spezifischen Studiengangs nicht, dass man zwingend als Wirtschaftsprüfer tätig sein muss. Aber sie legt diesen Schluss nahe“, sagt WPK-Präsident Gerhard Ziegler. In jedem Fall lohne es sich, frühzeitig ein Praktikum zu absolvieren, um bei der Wahl des Masterstudiums die Weichen auch tatsächlich richtig zu stellen.

Alternative eins: Steuerberater
Für Unternehmen sind Steuerberater nicht nur in Steuerfragen tätig. Häufig übernehmen sie zudem – frei oder fest angestellt – die Erstellung von Jahresabschlüssen oder Aufgaben in der Buchhaltung. Jedoch darf ein Steuerberater ohne zusätzlichen Abschluss als Wirtschaftsprüfer nicht die Jahresabschlüsse von Unternehmen prüfen. „Viele Berufsangehörige sind sowohl Wirtschaftsprüfer als auch Steuerberater“, sagt Gerhard Ziegler. In der Regel nehmen diese Personen zunächst an der Prüfung als Steuerberater teil, was den Vorteil hat, dass das Examen zum Wirtschaftsprüfer dann um den steuerrechtlichen Teil verkürzt werden kann. „Kandidaten, die als erstes das Wirtschaftsprüferexamen absolvieren, legen in der Regel das Steuerberaterexamen nicht mehr ab“, so Ziegler. „Wirtschaftsprüfer besitzen auch die Befugnis, in steuerlichen Angelegenheiten zu beraten.“ Wer sich schwer zwischen den beiden Berufsbildern entscheiden kann, sollte Praktika in einer Prüfungsgesellschaft und in einer Steuerberatung absolvieren, rät Jörg Hossenfelder vom Branchenbeobachter Lünendonk. „So erhalten Anwärter bereits ein sehr gutes Bild von der Arbeit in der jeweiligen Branche.“ Wer dann in den Beruf einsteigt, sollte seine Wahl bereits getroffen haben, rät der Experte. Seine Einschätzung: „In der Regel wird bei den Big 4 schneller eine Spezialisierung angestrebt. Viele mittelgroße Wirtschaftsprüfungsgesellschaften fördern dagegen die Generalisten.“

Alternative zwei: Steuerfachwirte und Bilanzbuchhalter
Steuerfachwirte unterstützt den Steuerberater in seiner Tätigkeit. „Sie sind dabei sehr wichtige Mitarbeiter, da sie im großen Umfang an der Buchhaltung, am Jahresabschluss sowie an der Steuererklärung der Mandanten beteiligt sind“, sagt Jörg Hossenfelder. Je komplexer die Steuerberatung ist, desto größer und weitreichender ist der Tätigkeitsbereich des Steuerfachwirts. Zudem kann er nach einer siebenjährigen Tätigkeit ebenfalls am Steuerberaterexamen teilnehmen. Die Weiterbildung zum Steuerfachwirt nehmen häufig Steuerfachangestellte in Angriff, aber auch ausgebildete Bank-, Industrie- sowie Groß- und Außenhandelskaufleute sind zugelassen. Ein Vollzeitlehrgang dauert zwei Monate. Als Teilzeit- oder Fernlehrgang müssen zwölf bis 18 Monate eingeplant werden. Bilanzbuchhalter sind, was die Ausbildung betrifft, mit Steuerfachwirten gleichgestellt. Sie finden gute Karrierechancen in Unternehmen, wobei sich das Klischee vom unscheinbaren Sachbearbeiter längst erledigt hat: Die Prozesse in den Unternehmen sind heute so komplex, dass Spezialisten im Rechnungswesen als Experten und Berater häufig sehr eng mit der Unternehmensleitung zusammenarbeiten.

Gute Chancen für Inhouse-Karrieren
Wer sich eher für eine Karriere in einem Konzern und großen Unternehmen interessiert als für eine Tätigkeit in einer der Wirtschaftsprüfungs- oder Steuerberatergesellschaften hat ebenfalls gute Aussichten. „Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sind für Großunternehmen und Konzerne besonders attraktive Mitarbeiter, da sie examiniertes Fachwissen mitbringen, wodurch eine hohe Qualität der internen Arbeit sichergestellt wird“, sagt Jörg Hossenfelder. Vor allem Inhouse- Mitarbeiter mit viel Projekterfahrung bringen eine breite Expertise in die Unternehmen ein, zum Beispiel bei wichtigen Themen wie Risikomanagement oder Mergers & Acquisitions. In Deutschland, so Jörg Hossenfelder, finden sich besonders viele Wirtschaftsprüfer unter den Finanzchefs der Unternehmen, also den CFOs und kaufmännischen Geschäftsführern. „Aber auch Karrieren als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens oder in den Grundsatzabteilungen wie Rechnungslegung oder Reporting sind möglich.“

Immer nur Zahlen, oder was?
Klar, ganz ohne eine Affinität zu Zahlen geht es nicht. Aber vor allem die Wirtschaftsprüfer arbeiten für die Unternehmen heute vielseitig. Im Berufsalltag tauchen regelmäßig Fragen auf, die umfangreiche Spezialkenntnisse in verschiedenen Gebieten erfordern. IT-Kenntnisse sind wichtig, um digitale Buchhaltungssysteme zu beurteilen, auch in den Bereichen der Steuergesetzgebung und Compliance ist Knowhow gefragt. „Auf der anderen Seite verfügt der Wirtschaftsprüfer durch die Jahresabschlussprüfungen über exzellente Kenntnisse der internen Organisationsabläufe und Unternehmensstrukturen“, sagt WPK-Präsident Gerhard Ziegler. „Er kennt branchentypische Risiken – und er weiß, welche Geschäftsmodelle funktionieren und welche nicht.“ Das sind natürlich perfekte Voraussetzungen, um die vielfältigen Aufgaben zu meistern.

Linktipps

Weg zum Wirtschaftsprüfer
Die Wirtschaftsprüferkammer hat für spezielle Studiengänge eine Liste der anbietenden Unis und Fachhochschulen zusammengestellt.
www.wpk.de/nachwuchs/examen/hochschulen

Lehrgänge zur Vorbereitung auf das Examen zum Wirtschaftsprüfer:
www.wpk.de/nachwuchs/examen/anbieter-von-vorbereitungslehrgaengen

Weg zum Steuerberater
Informationen zur Ausbildung als Steuerberater
www.die-steuerausbilder.de/beruf-steuerberater/ausbildung

Weg zum Steuerfachwirt/Bilanzbuchhalter
Lehrgänge, die auf die Prüfung zum Steuerfachwirt vorbereiten:
www.beruf-steuerberater.de/steuerfachwirt-lehrgaenge-anbieter

Lehrgänge zum Bilanzbuchhalter:
www.bilanzbuchhalter-weiterbildung.de/berufsbild-bilanzbuchhalter

Praxis-Erfahrungen sammeln
Die im Sommer 2015 freigeschaltete Praktikumsbörse der Wirtschaftsprüferkammer vermittelt Praktikumsplätze bei den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.
www.wpk.de/nachwuchs/praktikumsboerse

Interview mit Michael Heinz, BASF-Vorstand

Michael Heinz ist seit 31 Jahren für die BASF tätig. Seit 2011 sitzt er im Vorstand des Chemiekonzerns. Im Interview mit André Boße erklärt er, wie es für ihn im Unternehmen nach oben ging, und warum er sich von der jüngeren Generation etwas mehr Verbindlichkeit wünscht.

Zur Person

Michael Heinz wurde 1964 in Mannheim geboren. Von 1984 bis 1987 absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und Wirtschaftsassistenten an der FH Ludwigshafen. Im Jahr 2000 schloss er ein MBA-Studium an der Duke University, North Carolina, USA ab. Bei der BASF ist er seit 1984 tätig, dabei absolvierte er internationale Stationen in den USA, Mexiko, Ecuador und der Schweiz. Seit 2011 sitzt er im Vorstand des Konzerns und ist dort unter anderem für das Segment Performance Products zuständig.

Herr Heinz, viele Nachwuchskräfte träumen davon, es bis in den Vorstand eines Konzerns zu schaffen. Was genau ein Vorstand eigentlich macht, davon haben aber die wenigsten eine genaue Vorstellung. Wie sieht Ihr Jobprofil aus?
Ganz einfach gesagt: Als Vorstand muss man eine Vielzahl von Entscheidungen so treffen, dass das Unternehmen langfristig erfolgreich ist. Dafür muss man alle verfügbaren Informationen sammeln, bewerten und abwägen. Wir im Vorstand verstehen diese Aufgabe als Teamarbeit. Wer also meint, er könne ein Unternehmen dieser Größe im Alleingang steuern, befindet sich auf dem Holzweg.

Und der typische Arbeitsalltag?
Ist wahrscheinlich weniger spektakulär, als mancher Berufseinsteiger glaubt: E-Mails schreiben, Dokumente lesen, telefonieren und viele Besprechungen. Dafür ist meine Aufgabe inhaltlich sehr abwechslungsreich und umfasst verschiedenste Themen. Regelmäßig bin ich im In- und Ausland unterwegs, um Mitarbeiter und vor allem Kunden zu treffen. Denn persönlich Kontakt zu Kunden zu halten, ist Teil der Aufgabe.

Bei Chemie-Konzernen ist oft nicht ganz einfach zu erkennen, welche Bereiche es gibt. Sie sind für das Segment der „Performance Products“ verantwortlich. Können Sie Ihren Vorstandsbereich genauer erläutern?
BASF hat ein breites Portfolio, das von Chemikalien und Kunststoffen über Veredelungsprodukte und Pflanzenschutzmittel bis hin zu Öl und Gas reicht. Ich verantworte den Bereich der Veredelungsprodukte. Wir nennen sie Performance Products, weil sie viele Produkte des alltäglichen Lebens verbessern, beispielsweise die Stabilität oder Farbe. Zu den Performance Products gehören Inhaltsstoffe für Pharmazeutika, Körperpflege und Kosmetik sowie für Hygieneartikel und Waschmittel, aber auch Vitamine, Farbpigmente, Kraftstoffzusätze oder auch Papierchemikalien. Weil sie in so vielen Endprodukten enthalten sind, kommen die meisten Menschen mehrmals am Tag mit unseren Erzeugnissen in Berührung, ohne sie direkt wahrzunehmen.

Sie sind seit Mitte der 1980er-Jahre bei BASF an Bord. Was haben Sie damals unter Karriere verstanden?
Ich bin jedenfalls nicht mit dem Ziel angetreten, Vorstand zu werden. Aber sicherlich hatte ich von Anfang an den sportlichen Ehrgeiz, meine Aufgaben zu 125 Prozent zu erledigen. Das sollte man jedoch nicht gleichsetzen mit 25 Prozent mehr Arbeitszeit, sondern mit der Begeisterung für das, was man tut. Das hat dazu geführt, dass man mir immer wieder neue Aufgaben anvertraut hat. Ich war in Südamerika, später dann für Pflanzenschutz zuständig, danach habe ich die Integration akquirierter Unternehmen geleitet. Ich habe mich dabei immer voll auf die aktuelle Aufgabe konzentriert und weniger darüber nachgedacht, welcher Karriereschritt als nächstes folgen könnte. Im Übrigen: Ich denke, dass jeder genau dann in einem Unternehmen Karriere gemacht hat, wenn er das erreicht hat, was er gerne erreichen möchte. Das sollte man weniger an Hierarchien und Positionen, sondern an der inhaltlichen Arbeit festmachen.

Sie sind von Haus aus Ökonom und Kaufmann. Wie hat sich Ihr Chemie- Know-how im Laufe der Jahre entwickelt? Müssen Sie ein so guter Chemiker wie Manager sein?
Wir haben so viele exzellente Chemiker, dass ich guten Gewissens sagen kann, dass es im Unternehmen viele Menschen gibt, die weit mehr über Chemie wissen als ich. Heute machen Vielseitigkeit und ein gutes Team den Unterschied. Es geht nicht mehr primär um chemische Prozesse, sondern auch um Verfahrenstechnik, Energiemanagement, Logistik und nicht zuletzt darum, Erfindungen in Innovationen umzuwandeln. Das geht nur mit einem ganzheitlichen Ansatz sowie mit neuen Geschäftsmodellen. Um damit erfolgreich zu sein, müssen wir immer stärker interdisziplinär arbeiten. Auch hier zählt für mich wieder die Zusammenarbeit im Team, denn niemand kann in allen Disziplinen gleichzeitig auf Ballhöhe sein.

Der Konzern ist groß und von Vielfalt geprägt. Wie wichtig ist diese Diversity für einen international agierenden Konzern?
Vielfalt ist für uns schon deshalb wichtig, damit wir auf die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Kunden und Märkte eingehen können. Ein hohes Maß an Vielfalt von fachlichen und kulturellen Kompetenzen unserer Mitarbeiter ist deshalb einer der wichtigen Schlüssel für unternehmerischen Erfolg.

Die Chemie-Branche steckt wie viele andere der großen deutschen Branchen in einem Umbruch. Vor welchen besonderen unternehmerischen Herausforderungen stehen Sie?
Wir stehen weltweit in einem sehr harten Wettbewerb. Trotzdem ist die Chemie eine der wenigen Branchen, in denen Deutschland Weltmarktführer ist. Damit das so bleibt, müssen wir darauf achten, dass die Rahmenbedingungen für unsere Industrie nicht permanent schlechter werden. Ein Punkt sind hier die hohen Energiekosten, insbesondere in Deutschland. Eine weitere Herausforderung ist die oft technologie- und innovationsskeptische Grundhaltung großer Teile der Bevölkerung in diesem Land. Wir müssen aufpassen, dass wir uns in Europa nicht bei Zukunftstechnologien Chancen verbauen. Beispiele sind hier die Nanotechnologie oder auch die Biotechnologie.

Welche Eigenschaften von Nachwuchskräften sind heute besonders wichtig?
Eine fundierte Ausbildung und Leistungsbereitschaft sind sicherlich die Basis. Zusätzliche Schlüsselqualifikationen sind meiner Ansicht nach Kreativität, Offenheit, Kommunikationsfähigkeit, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, sowie die Flexibilität, international und interdisziplinär eingesetzt zu werden. Nur wer sich während seines Berufslebens aus seiner Komfortzone herausbewegt und Veränderungen offen gegenübersteht, ist für die Zukunft gewappnet.

Wie erleben Sie die junge Generation, die derzeit bei Ihnen im Konzern einsteigt? Wo sehen Sie besondere Stärken, wo Defizite?
Die heutigen Jobeinsteiger haben häufig gute Fremdsprachenkenntnisse, sind selbstbewusst und stehen mit beiden Beinen im Leben. Zu den Schwächen der jüngeren Generation gehört sicherlich ein gewisses Maß an Ungeduld. Anders gesagt: Die großen Wahlmöglichkeiten bei vielen Aspekten des Berufslebens gehen oft zu Lasten einer langfristigen Verbindlichkeit für das Unternehmen, für das man tätig ist.

Zum Unternehmen

Die BASF (Badische Anilin- und Sodafabrik) wurde vor 150 Jahren in Mannheim gegründet. Heute hat das Unternehmen weltweit 350 Standorte in 80 Ländern und beschäftigt rund 113.000 Mitarbeiter. Nach wie vor ist das Stammwerk in Ludwigshafen der wichtigste Standort für Produktion und Forschung, wo Menschen aus mehr als 90 verschiedenen Nationen tätig sind. Das Portfolio des Konzerns reicht von Chemikalien, Kunststoffen, Veredlungsprodukten und Pflanzenschutzmitteln bis hin zu Öl und Gas.

Jung und erfolgreich bei: Heuking

Als ich, noch als Studentin, eine juristische Karrieremesse betrat, um Einblicke in die Kanzleiwelt zu erhaschen, wusste ich noch nicht, dass sich an diesem Tage mein weiterer Berufsweg abzeichnen würde. Von Dr. Bianca Walther

Name: Dr. Bianca Walther
Position: Anwältin
Stadt: Düsseldorf
Alter: 29 Jahre
Studium: Rechtswissenschaften in Düsseldorf
Referendariat: Düsseldorf und Barcelona
Abschlussjahr Promotion: 2012
Engagements: AG-Leiterin am Landgericht Düsseldorf; Freundeskreis TrebeCafé Düsseldorf e.V.

Im Vorfeld hatte ich auch mit Heuking Kühn Lüer Wojtek einen Gesprächstermin vereinbart. Ich traf am Messestand der Kanzlei eine junge Anwältin, sie plauderte locker und sprach offen über ihre Tätigkeit im Handels- und Gesellschaftsrecht im Düsseldorfer Büro der Kanzlei. Was mir besonders gefiel: Sie war ebenfalls für den erbrechtlichen Bereich zuständig. Ich selbst promovierte zu dieser Zeit zum internationalen Erbscheinsverfahren. Nicht überraschend war, dass ich nach dem Gespräch dachte: „Das passt.“ Auch die Kanzlei schien das damals so empfunden zu haben, denn die sympathische Anwältin rief wenige Tage später an, um mir eine Nebentätigkeit anzubieten. Ich sagte sofort zu.

Seitdem arbeite ich im Dezernat von Dr. Andreas Urban in Düsseldorf – zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin, dann als Referendarin und seit Dezember 2014 als Anwältin. Zu meinen Tätigkeitsschwerpunkten gehören das Handels- und Gesellschaftsrecht sowie das Erbrecht. Daneben bearbeite ich aber auch viele Fälle im international-privatrechtlichen Bereich sowie im Familienrecht, im allgemeinen Schuldrecht und Prozessrecht. Die bunte Mischung bereitet mir viel Freude und resultiert daraus, dass wir nicht nur große Firmen, sondern oft auch vermögende Privatpersonen beraten. Sicherlich einer unserer berühmtesten Fälle derzeit ist die Auseinandersetzung zwischen den Erben eines Sohnes des Gründers einer großen Discounter-Kette und dem Kunstberater Helge Achenbach. Wegen dieser Vielzahl an abzudeckenden Bereichen ist es nicht ungewöhnlich, dass wir uns in Gerichtssälen wiederfinden. In meiner kurzen Zeit als Anwältin habe ich bereits mehrfach alleine Termine wahrnehmen dürfen. Sogar bei einer mehrtätigen Schiedsverhandlung war ich mit an Bord.

Um mit den zahlreichen Rechtsgebieten sicher umgehen zu können, empfiehlt es sich, den Überblick über alle Zivilrechtsbereiche schon im Studium nicht aus den Augen zu verlieren. Ich habe mich im Studium zwar auf das Internationale Privatrecht konzentriert, mich jedoch nie darauf versteift. Da wir zudem viel vor Gericht gehen, sind ein überzeugendes Auftreten und sprachliches Geschick hilfreich. Rhetorikseminare haben mir hier sehr geholfen.

Ich habe nie bereut, auf meinen Bauch gehört zu haben, als ich die junge Anwältin traf – die mittlerweile eine sehr gute Freundin ist. Gute Kanzleien mit hervorragendem Ruf gibt es viele. Aber um in einem Team erfolgreich zu arbeiten, muss es einfach passen.

heartleaders – Das Business-Netzwerk für Menschen mit Herz und Haltung

Von: heartleaders – Das Business-Netzwerk für Menschen mit Herz und Haltung
Gesendet: Donnerstag, 6. August 2015, 16:21
Dringlichkeit: hoch
An: Studenten, die ihre Zukunft mitgestalten wollen
Betreff: In welcher Welt willst DU arbeiten?

Hallo liebe Karrierestarter,

wir, die heartleaders, haben die Vision einer Unternehmenskultur, die geprägt ist von Anerkennung, Respekt und Wertschätzung. Nicht anstelle von guter Bezahlung, Karrierechancen und Erfolg, sondern ergänzend dazu. Denn wir sind überzeugt, dass Mitarbeiter nur in einem wertschätzenden Arbeitsumfeld dauerhaft leistungsstark und erfolgreich sein können. Und dass dies in Unternehmen die Basis für nachhaltigen ökonomischen Erfolg ist. Daher haben wir, ein buntes Team aus „alten Berufshasen“ und Einsteigern, das Business-Netzwerk heartleaders gegründet. Wir vernetzen Menschen, die alle eins verbindet: Herz und Haltung und der Wunsch, in der deutschen Unternehmenskultur etwas zu bewegen.

Was Ihr damit zu tun habt? IHR seid die Zukunft! Es liegt an Euch, diese zu gestalten. Jeder Einzelne, der zu seinen Überzeugungen steht und der mit Freude und Leidenschaft arbeiten möchte, kann etwas bewegen! Bei uns könnt Ihr Eure Ideen und Vorstellungen loswerden. Ihr könnt Unternehmen helfen zu verstehen, was sie für Euch in Zukunft tun können, welche Erwartungen Ihr an sie habt, was Ihr einbringen möchtet. Besucht dazu unsere FutureCamps Career. Dies sind Tagesveranstaltungen im Barcamp-Format, die wir heartleaders in Kooperation mit Hochschulen durchführen und bei denen Studierende und Berufseinsteiger auf Unternehmer und Führungskräfte treffen. Barcamps sind lebendige Sessions, in denen die unterschiedlichen Menschen, Wissensbereiche und Impulse sich gegenseitig inspirieren, alle gemeinsam auf Augenhöhe.

Ist das alles, was wir bieten? Nein, dies ist nur ein Mosaikbaustein all unserer Aktivitäten. Ein weiterer ist der Tag der Wertschätzung, der auf unsere Initiative hin am 3. eines jeden Monats stattfindet. Alles Weitere erfahrt Ihr auf www.am-dritten.de oder auf unserer Facebook-Seite. Vielleicht habt Ihr auch Lust, mitzumachen? Dann werdet doch Mitglied und zeigt damit, wie wichtig Ihr Wertschätzung auch und gerade in der Berufswelt findet. Wir freuen uns auf Euch!

Kraftvolle Grüße
Euer heartleaders-Team
heartleaders: Das Business-Netzwerk für Menschen mit Herz und Haltung
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35039 Marburg
Tel. 06421 40795 77
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„Alleinstellungsmerkmale sind wichtig“

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Ina Steidl ist Teilhaberin und Geschäftsführerin der juristischen Personalberatung Schollmeyer & Steidl. Im Interview bewertet sie die Relevanz der juristischen Zusatzausbildungen und erklärt, warum Karrieren auf Basis von zwei nur ausreichenden Examina möglich, aber schwierig sind. Von André Boße

Zur Person

Ina Steidl, Foto: Ina Steidl
Ina Steidl, Foto: Ina Steidl

Ina Steidl studierte Jura in Berlin, London und St. Andrews. Ihr Referendariat absolvierte sie in Berlin und Los Angeles. Nach dem zweiten Staatsexamen war sie für ein Jahr in einer Berliner Kanzlei als Rechtsanwältin im Bereich Gesellschafts-, Bau- und Zivilprozessrecht tätig. Im Herbst 2000 ging sie zum LL.M.-Studium nach Bristol, Großbritannien. Sie begann eine Tätigkeit als Rechtsanwältin bei Linklaters, arbeitete als Beraterin bei Hays Legal und ist seit 2006 Teilhaberin und Geschäftsführerin der Legal-Recruitment-Agentur Schollmeyer & Steidl.

Frau Steidl, wann sollte man sich als angehender Jurist sinnigerweise Gedanken über eine juristische Zusatzausbildung machen: Möglichst früh? Oder erst nach den Examen?
Das kommt individuell auf den Kandidaten an. Einen Idealzeitpunkt gibt es nicht, jeder muss für sich entscheiden, wann er sich einer Zusatzausbildung widmet. Ich würde aber empfehlen, während des Studiums schon einmal ins Ausland zu gehen, zunächst das erste Examen abzuschließen. Mit Blick auf das zweite Examen ergibt sich gegebenenfalls eine Wartezeit, die sich sinnvoll mit einer ersten Zusatzausbildung überbrücken lässt. Ob man parallel oder später noch eine zweite Zusatzausbildung drauflegen will, hängt dann wiederum von den Karrierevorstellungen und Optionen des Juristen ab.

Die beruflichen Möglichkeiten für Juristen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich ausdifferenziert. Vor allem die Wirtschaft bietet immer mehr Karriereoptionen. Welche Weiterbildungen haben dadurch an Gewicht gewonnen – und welche verloren?
Sicher haben die Masterabschlüsse aus dem englischsprachigen Ausland an Bedeutung gewonnen. Man zeigt damit unter anderem, dass man über gute Sprachkenntnisse verfügt sowie die Fähigkeit besitzt, sich in einer anderen Kultur zurechtzufinden. Die Promotion nimmt dagegen unserer Beobachtung nach an Bedeutung etwas ab.

Gibt es dennoch weiterhin Karrierewege, für die die Promotion zwingend notwendig ist?
Für den Einstieg in einige größere und kleinere deutsche Anwaltskanzleien, die einen hohen Wert auf akademische Exzellenz legen, ist die Promotion weiterhin quasi zwingende Voraussetzung. Die internationalen Großkanzleien hingegen sehen den Dr. jur. zwar weiterhin gern, er ist aber schon lange kein Muss mehr.

Ist ein Fachanwaltstitel eine optimale Zusatzausbildung, um in einem bestimmten Metier erfolgreich zu sein?
Bei der Masse an deutschen Juristen ist es tatsächlich erstrebenswert, sich gewisse Alleinstellungsmerkmale zu verschaffen. Dies kann ein Fachanwaltstitel sein.

Gibt es einen Trend im Bereich der Zusatzausbildungen, den Sie mit Ihrer Erfahrung im Legal Recruitment kritisch betrachten?
Inzwischen bieten auch viele deutsche Universitäten LL.M.-Seminare an. Es macht meines Erachtens für deutsche Juristen wenig Sinn, diese in Deutschland zu belegen. Man sollte dies im Ausland tun, um zugleich Erfahrungen mit einer anderen Sprache und in einem anderen kulturellen Umfeld zu sammeln.

Wenn man mit Partnern und Personalverantwortlichen der großen Kanzleien spricht, heißt es häufig, es komme vor allem auf die praktischen Erfahrungen an. Zugespitzt gefragt: Kommt ein exzellenter Praktiker auch ohne Zusatzausbildung bis nach ganz oben?
Es gibt in der Generation der Juristen 45plus recht viele, die ohne Zusatzausbildung sehr erfolgreich sind – sowohl als Anwalt in der Kanzlei als auch in Unternehmen. Überspitzt darf man feststellen: Selbst mit zwei ausreichenden Examina kann man es weit bringen, wenn man sein Metier und seine Mandanten gut versteht und sich als Berater gut verkaufen kann. Weil generell Zusatzausbildungen an Gewicht gewinnen, werden diese Karrierewege allerdings immer schwieriger.

Rechtschrittmacher

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Die Law Clinic ist eine Kooperation der Bucerius Law School und der Diakonie Hamburg. Ehrenamtlich beraten 18 Hamburger Rechtsanwälte gemeinsam mit etwa 40 Studierenden der Law School Hilfesuchende von verschiedenen Beratungseinrichtungen der Diakonie in Rechtsangelegenheiten. Das Angebot richtet sich an Menschen, die aufgrund ihrer finanziellen und persönlichen Situation nur einen eingeschränkten Zugang zu qualifizierter Rechtsberatung haben und ihre Rechte ohne die Law Clinic nicht wahrnehmen könnten. Aufgezeichnet von Stefan Trees

 

Judith Büschleb, Foto: Judith Büschleb
Judith Büschleb, Foto: Judith Büschleb

Judith Büschleb, 31 Jahre
Jura-Studentin im ersten Staatsexamen an der Bucerius Law SchoolProjekt: Law Clinic
Ort: Hamburg
Web: https://www.law-school.de/services/law-clinic

Wie es dazu kam
Ich habe ehrenamtlich in einer interkulturellen Beratungsstelle der Diakonie in Hamburg gearbeitet. In den Beratungsgesprächen tauchten immer wieder Menschen mit rechtlichen Problemen auf. Mit dem Wissen aus meinem Jura- Studium war mir klar, dass viele bei entsprechender anwaltlicher Beratung und Vertretung ihren Fall hätten gewinnen können. Sie waren offensichtlich im Recht, aber es fehlte an passenden Beratungsangeboten, mit denen sie ihr Recht hätten durchsetzen können. Diese Beobachtung machten auch die Sozialarbeiter der Diakonie.

Weil mich dieser Umstand so bewegte, habe ich an der Uni davon erzählt und bei vielen Kommilitonen offene Türen eingerannt, die sich mit ihrem Wissen unentgeltlich für andere Menschen einsetzen und damit nicht bis zum Berufseinstieg warten wollten. So ist die Idee zur Law Clinic entstanden: Sie bringt Menschen zusammen, die einerseits Hilfe benötigen, andererseits helfen wollen. Die Ratsuchenden werden von Teams aus einem Fachanwalt und zwei Studierenden beraten – vom ersten Beratungsgespräch bis zur Lösung des Problems. Die Studierenden beraten also nicht nur, sondern vertreten die Mandaten auch gegenüber der gegnerischen Partei und vor Gericht, immer unter intensiver Anleitung und Aufsicht durch den Team-Fachanwalt und natürlich nur soweit dies rechtlich zulässig ist. Die Reaktion der Anwälte, die wir auf ihre Mitarbeit angesprochen haben, war übrigens einhellig: Endlich gibt es eine Organisation, die es ermöglicht, sich pro bono auf anwaltliche Beratung zu konzentrieren, ohne sich um die vielfältigen und oft zeitaufwändigen organisatorischen Belange kümmern zu müssen.

Warum ich das mache
Die Law Clinic ist ein Beitrag für mehr Chancengleichheit. Als ich an der Uni von meinen Erfahrungen aus den Beratungen an der Diakonie erzählte, brannten die Studierenden darauf mitzumachen – wie junge Menschen nun mal sind, wollen wir mit unserem Engagement die Welt ein Stück gerechter machen.

In der Law Clinic engagieren sich zurzeit rund 40 Studierende und 18 Anwälte. Darüber hinaus gibt es ein zehnköpfiges Leitungs- und Organisationsteam, bestehend aus Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Alumni. Und es gibt noch viel mehr, die mitmachen würden. Wer nach seiner erfolgreichen Bewerbung bei der Law Clinic einsteigt, wird geschult und vorbereitet und durch Lehrveranstaltungen, Workshops, Kolloquien und Feedback-Veranstaltungen begleitet. Somit sind wir mittendrin in der Praxis, und es ist alles andere als trocken.

Was es bislang gebracht hat
Im Oktober 2012 haben wir die erste Beratung durchgeführt. Seitdem läuft es genial: Innerhalb eines Dreivierteljahres konnten hundert Menschen professionell beraten werden, die ohne die Law Clinic wahrscheinlich nie einen anwaltlichen Rat erhalten hätten. Von den Studierenden und den Anwälten wurden rund 70 Mandate übernommen, vier Fälle sind gerichtlich anhängig. So hat beispielweise eine Familie unrechtmäßig ein Jahr lang kein Kindergeld erhalten und nun von der Behörde eine Nachzahlung bekommen. Und kurz vor Weihnachten hatten wir eine sechsköpfige Familie, die schon die Räumungsankündigung bekommen hatte. Innerhalb einer Woche hat das Beratungsteam mit dem Vermieter eine einvernehmliche Lösung gefunden. Die Familie wohnt nun immer noch dort.

Wir finden die Kombination der Zusammenarbeit von Sozialarbeitern und Anwälten und der Zuarbeit der Studierenden eine tolle Möglichkeit, sich pro bono einzusetzen. Wir haben den Traum, dass dieses Modell auch an anderen Universitäten eingeführt wird und die Idee der Law Clinic auf lange Sicht in Deutschland einen Unterschied für den Zugang zum Recht machen wird.

jur inspiration: Die Wahrheit [und nichts als die Wahrheit]

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Peter Høeg: Der Susan-Effekt.
Peter Høeg: Der Susan-Effekt.

Wahrheit dank Susan

Die Titelheldin in Peter Høegs neuem Roman hat eine außergewöhnliche Gabe: Jeder, der mit der Experimentalphysikerin spricht, wird absolut aufrichtig. Jetzt soll sie einem hochrangigen Justizbeamten ein geheimes Protokoll beschaffen.
Zum Buch gibt es eine Website mit Trailer, Verhören, Autoreninfos
Peter Høeg: Der Susan-Effekt. Hanser Verlag 2015. ISBN 978-3446249042. 21,90 Euro


Sag die Wahrheit

Drei Menschen behaupten, ein und dieselbe Person zu sein. Zwei lügen, einer sagt die Wahrheit. Zu den Spürnasen im Rateteam gehören unter anderem Smudo und Pierre M. Krause. Seit vielen Jahren erfolgreiche TV-Sendung, seit Mitte September mit neuen Folgen. Montags, 22:00 Uhr, im SWR Fernsehen.
www.swr.de


Ein Riecher für die Wahrheit?

Ob ein Duft die Wahrheit offenbaren kann oder aber bei der Wahrheits findung hilfreich ist? „Truth“ für die Damen und „Truth for men“, beide von Calvin Klein. Ausprobieren?
www.calvinklein.com


Prof. Dr. Jack Nasher M. Sc., Foto: Campus Verlag
Prof. Dr. Jack Nasher M. Sc., Foto: Campus Verlag

Der Wahrheit auf der Spur

Prof. Dr. Jack Nasher M. Sc. (Oxford) studierte Jura in Frankfurt am Main, dazu Philosophie und Psychologie sowie Management an der Universität in Oxford. In der Frühjahrsausgabe des karriereführer recht sprach er mit uns darüber, wie man Lügner durchschaut. In seinen Seminaren vermittelt er auch, wie Sie in Gesprächen der Wahrheit auf die Spur kommen. Seminartermine für Herbst 2015 unter: https://nasher.de/
Sein aktuelles Buch: Entlarvt! Wie Sie in jedem Gespräch an die ganze Wahrheit
kommen. Campus 2015. ISBN 978-3593501260. 19,99 Euro
Zu unserem Interview mit Jack Nasher


Hubertus Meyer-Burckhardt, Foto: Gerald von Foris
Hubertus Meyer-Burckhardt, Foto: Gerald von Foris

Halbe Wahrheiten im Theater

Das junge Glück von Ginny und Greg scheint getrübt, als Greg unter dem Bett seiner Geliebten Pantoffeln findet, die nicht ihm gehören. Die Liebeskomödie des englischen Dramatikers Sir Alan Ayckbourn ist ein international erfolgreicher Klassiker, der frisch im Ernst Deutsch Theater in Hamburg aufgeführt wird. Regie führt Hubertus Meyer-Burckhardt, Filmproduzent, Schriftsteller und Gastgeber der NDR Talk Show. Erstmals seit seinem Studienbeginn an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF), München, arbeitet Meyer-Burckhardt wieder als Theater-Regisseur.

Vor dieser Zeit war er als Regie-Assistent bei Boy Gobert, Hans Hollmann und Klaus Emmerich tätig und inszenierte selbst am Berliner Renaissance-Theater „Spiel’s noch mal, Sam“ von Woody Allen und „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind. Auf dem Weg zu den Proben zur Inszenierung von „Halbe Wahrheiten“ an der Elbe fragten wir ihn schnell …
… Herr Meyer-Burckhardt, Ihr Lieblingszitat über die Wahrheit?
Stammt von Nietzsche: „Der Besitz der Wahrheit ist nicht schrecklich, sondern langweilig wie jeder Besitz.“ Insofern kann eine amüsante Lüge sehr viel unterhaltsamer sein als die Wahrheit.

Welche Attraktivität geht denn von Lügnern aus?
Lügner sind immer attraktiv, vor allen Dingen für die Literatur und den Film. Selten stehen ehrhafte Moralpinsel im Zentrum der Fiktion.

Zu guter Letzt: Woran erkennen Sie, ob jemand nichts als die Wahrheit sagt – oder eben nicht?
Ich möchte meist gar nicht wissen, ob ich gerade einen Schwindler oder einen Wahrhaftigen vor mir habe, denn, und damit schließe ich mit einem Zitat meines Helden Georg Wilhelm Friedrich Hegel: „Die Wahrheit der Absicht ist nur die Tat.“

Halbe Wahrheiten, Ernst Deutsch Theater, Hamburg.
Regie: Hubertus Meyer-Burckhardt.
Ensemble: Peter Bongartz, Tobias van Dieken, Katharina Pütter, Gila von Weitershausen.
Spielzeit: 26.11.2015 (Premiere) bis 9.1.2016.
Info und Tickets: www.ernst-deutsch-theater.de
Zu unseren Interviews mit Hubertus Meyer-Burckhardt


Uwe Böschemeyer: Weil ich es dir nicht sagen konnte.
Uwe Böschemeyer: Weil ich es dir nicht sagen konnte.

Befreiende Wahrheit

Warum belastet uns Unausgeprochenes so schwer? Wo finden wir den Mut, offen und damit angreifbar zu sein? Aus seiner langjährigen Erfahrung als Therapeut erklärt der Bestsellerautor Dr. Uwe Böschemeyer, wo Stillsein guttut und wo man gerade dann, wenn die Worte fehlen, etwas sagen sollte.
Uwe Böschemeyer: Weil ich es dir nicht sagen konnte. Vom Schatten des Schweigens zur befreienden Wahrheit.
Ecowin Verlag 2015, erhältlich ab 5.10.2015. ISBN 978-3711000798. 19,95 Euro


Dan Ariely: Unerklärlich ehrlich. Warum wir weniger lügen, als wir eigentlich könnten.
Dan Ariely: Unerklärlich ehrlich.

Die halbe Wahrheit ist die beste Lüge

Wie wir andere täuschen und uns selbst am meisten, beschreibt Dan Ariely, Verhaltensökonom und Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), auf originelle Weise samt theoretischem Überbau. Seit Sommer 2015 ist sein bekanntes Buch „Die halbe Wahrheit ist die beste Lüge“ als Taschenbuch erhältlich unter dem neuen Titel: Dan Ariely: Unerklärlich ehrlich. Warum wir weniger lügen, als wir eigentlich könnten.
Droemer Verlag 2015. ISBN 978-3426300626. 9,99 Euro

Interview mit Dr. Bertold Ulsamer

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Weil er sich lieber mit Menschen als mit Paragrafen beschäftigte, starte der promovierte Jurist und Diplom-Psychologe Bertold Ulsamer eine Karriere als Therapeut. Doch Themen wie Schuld und Gerechtigkeit beschäftigen ihn auch weiter: Sein neues Buch behandelt die „Acht Gesichter der Schuld“. Interview: André Boße

Zur Person

Dr. Bertold Ulsamer, geboren 1948 in Haßfurt, studierte in Würzburg, Genf und Freiburg von 1969 bis 1978 Jura und Psychologie. Er beendete das Jurastudium mit der Promotion zum Dr. jur. und dem Zweiten Staatsexamen, das Psychologiestudium mit dem Diplom in Klinischer Psychologie. Er gründete 1984 ein Institut für Managementtraining, seit Mitte der 1990er-Jahre ist er hauptsächlich als Psycho- und Familientherapeut tätig. Zudem ist er Autor mehrerer Fachbücher, zuletzt erschien von ihm „Acht Gesichter der Schuld. Ansätze zur Überwindung“ (Scorpio Verlag 2015. ISBN 978-3958030022. 17,99 Euro).

Herr Ulsamer, warum sind Sie als promovierter Jurist Psychologe geworden?
Ich habe in der zweiten Hälfte meines Studiums sowie in meiner Zeit als Referendar gemerkt, dass ich lieber mit Menschen arbeiten möchte als mit Paragrafen. Ich war damals zum Beispiel im Verwaltungsrecht nicht so gut wie im Strafrecht. Ich habe mich dann gefragt, woran das liegt, und gemerkt, dass ich bei verwaltungsrechtlichen Fragen grundsätzlich auf der Seite der Bürger stand. Ich habe menschlich argumentiert, jedoch aus juristischer Sicht nicht sehr überzeugend. Vollblutjuristen müssen besser abstrahieren können. Daher bin ich schließlich lieber ganz in die Psychologie gegangen.

Gibt es Inhalte aus Ihrem Jura-Studium, die Sie für Ihre Arbeit bis heute gut gebrauchen können? Ist etwas hängengeblieben?
Ich glaube, dass ich deshalb strukturierter denke und argumentiere. Ich kann meine Begründungen gut vermitteln, so dass sie nachvollziehbar sind. Scheinbar hat mir das strukturierte Arbeiten während des Jurastudiums also gut getan. (lacht)

Ihr neues Buch behandelt den psychologisch und juristisch sehr komplexen Begriff der Schuld. Welche Arten der Schuld gibt es?
Es gibt viele Formen, in meinem Buch unterscheide ich acht. Da ist zunächst einmal das Schuldgefühl, wenn ein Mensch tief in sich drinnen weiß, dass er einem anderen Leid zugefügt hat. Da geht es auch um die klassische juristische Schuld eines Täters. Eine zweite Form von Schuld entsteht im Kopf eines Menschen, wo eine eigene Instanz das Verhalten verurteilt. Das führt zum schlechten Gewissen. Das kann mit einer juristischen Schuld zusammenhängen, muss es aber nicht, denn das schlechte Gewissen entsteht auch, wenn ich mir vornehme, abends keine Schokolade mehr zu essen, dies aber doch tue. Oder wenn ich zu viel oder zu wenig arbeite. Eine dritte Form von Schuld ist eine Gegenreaktion zur Hilflosigkeit bei schlimmen Ereignissen. Man glaubt, die Geschehnisse in den Griff zu bekommen, wenn man einen Schuldigen findet. Zum Beispiel bei Unglücksfällen, Katastrophen oder auch schrecklichen Verbrechen.

Hat ein Schuldgefühl etwas mit Empathie zu tun?
Man kann es Empathie nennen, ja. Die Forschung hat aber auch die Spiegelneuronen entdeckt, die einen Menschen erfahren lassen, wie es dem anderen gerade geht. Menschen mit Empathie möchten nicht, dass es dem anderen schlecht geht. Also rechtfertigen sie ihr Handeln, suchen nach Ausreden, versuchen, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Oder das Handeln, das den anderen verletzt hat, rational zu erklären. Das passiert in der Erziehung ganz häufig: Eltern entschuldigen ihre Strenge damit, dass sie es ja nur gut fürs Kind meinen. Im beruflichen Alltag erleben wir häufig, dass Menschen behaupten, sie hätten diese oder jene Entscheidung zum Wohle des Unternehmens getroffen. Das stimmt sicherlich. Und trotzdem – gleichzeitig – ist ihr Handeln mit Schuld verbunden. Schuld ist so im menschlichen Leben oft unvermeidbar. Es ist daher schon ein großer Schritt, wenn jemand zugibt: Ja, ich habe den anderen verletzt. Ich schaue ihm tief in die Augen und kann dann erkennen, wie es ihm gerade geht.

Ist es für Juristen eine wichtige Aufgabe, den anderen dazu zu bringen, empathisch zu sein? Seine Schuld zu erkennen?
Nicht für alle Bereiche, aber im Strafvollzug ist das ein großes Thema. Wer mit Inhaftierten spricht und ihnen helfen will, sollte versuchen, bei diesen Menschen das Gefühl zu wecken, zu erkennen, wie es den Menschen geht, denen sie durch ihre Tat Leid zugefügt haben. Es ist wichtig, dass der Verurteilte zu seiner Tat steht.

Gibt es Tricks, diese Empathie bei anderen zu wecken?
Wichtig ist, dass ich selbst Empathie mitbringe. Ich muss zum Beispiel erkennen, wie es dem Täter geht, was er gerade durchmacht. Wenn ich ihn moralisch verurteile, macht er natürlich dicht. Je weniger ich einen Schuldigen angreife, desto mehr Möglichkeiten gebe ich ihm, seine eigene Schuld nachzuvollziehen. Das ist ein Prozess, den man von außen anstoßen kann. Erzwingen kann man ihn nicht.

Kann der Gerichtssaal der Ort sein, an dem Schuld nicht nur festgestellt wird, sondern auch tatsächlich vergeben werden kann?
Nein, das passiert nur in Ausnahmefällen. Vor Gericht geht es um Gerechtigkeit und Bestrafung – nicht um Versöhnung. Daher dreht sich in einem normalen Strafprozess alles um den Angeklagten, also den mutmaßlichen Täter. Um die Opfer kümmert sich das Gericht nur am Rande. Ich halte daher den Täter-Opfer-Ausgleich für ein sinnvolles und wertvolles Instrument, um sich wirklich mit den Themen Schuld und Vergebung zu beschäftigen. Hier wird das Opfer viel stärker einbezogen. Es kommt zu einer Interaktion zwischen Täter und Opfer – und damit zu einer viel intensiveren Auseinandersetzung mit der Schuldfrage.

Aber ein Schuldspruch mit einer knackigen Geld- oder Gefängnisstrafe hilft dem Opfer doch auch, oder?
Vielleicht kurzfristig. Befriedigt wird hier aber nur das Rachegefühl. Das ist eine Genugtuung, ohne Frage. Aber diese Befriedigung geht schnell vorbei, weil das Opfer merkt, dass es persönlich nicht davon profitiert, wenn der andere hart bestraft wird.

Zum Abschluss: Ist es für einen jungen Juristen wichtig, psychologisches Wissen mitzubringen?
Es ist wichtig. Doch die Psychologie ist zweischneidig. Es gibt das theoretische, akademische Wissen, das einem Juristen eher wenig bringt. Die Themen sind einfach zu abstrakt, um sie in den beruflichen Alltag auf den konkreten Menschen zu transferieren. Es gibt allerdings eine Alltagspsychologie, man könnte sie auch mit dem Begriff der Menschenkenntnis beschreiben. Zu wissen, wie ich mit Menschen umgehen sollte und wie ich mich selbst als Mensch erfahre, ist auch für Juristen sehr wichtig. Dafür muss ich aber nicht unbedingt Psychologie studieren. Der Weg führt dahin, wenn ich achtsam gegenüber anderen bin, mich immer wieder austausche und selbst reflektiere.