Als Mitglied der Geschäftsführung des Marktforschungsinstitutes rheingold ist Sebastian Buggert ein Experte für Konsum- und Verbraucherforschung. Im Interview erklärt der Kölner, warum Shopping eine Reise ist, wie sich Vertrauen zwischen Kunde und Händler aufbaut und warum Einsteiger in die Branche Leadership-Skills benötigen – um den Kunden durch die Shopping-Welt zu führen. Das Interview führte André Boße.
Zur Person
Sebastian Buggert ist Experte im Bereich der internationalen Markt- und Kulturpsychologie und für Konsum- und Verbraucherforschung. Im Anschluss an seine schulische Laufbahn absolvierte er eine Bankausbildung und fand dann seinen Weg zur Psychologie. Er studierte an der Universität Köln Psychologie mit dem Schwerpunkt Psychologische Morphologie, Film- und Medienpsychologie. Am Institut für Wirkungsforschung an der Uni Köln absolvierte er eine Ausbildung in Analytischer Intensivberatung. Sebastian Buggert ist seit dem Jahr 2000 beim Kölner Marktforschungsinstitut rheingold, dort ist er Mitglied der Geschäftsführung und Leiter Medienforschung.
Herr Buggert, der Online-Handel wächst weiter, im Gegenzug eröffnen Internet-Anbieter wie Amazon oder Zalando Shops in den Innenstädten. Was steckt dahinter?
Die Online-Anbieter erweitern damit ihr Leistungspaket mit dem Ziel, den Kunden noch früher auf seiner Shopping- Journey abzuholen. Der Online- Handel hat erkannt, dass persönliche Beratung nach wie vor ein wichtiger Bindungsfaktor ist und Shops in der City in der Lage sind, als Inspirationsquelle zu fungieren.
Sie sprechen von Shopping-Journey. Inwieweit ist das Einkaufen tatsächlich mit einer Reise vergleichbar?
Shopping ist ja nicht nur die Beschaffung von Waren oder Produkten. Es ist auch ein soziales Erlebnis und eine Möglichkeit mit Selbstinszenierungen zu experimentieren – zum Beispiel im Modebereich. Hinzu kommt, dass man im Alltag meistens auf Dinge reagiert, während man beim Einkaufen, als Kunde, eine aktive Rolle einnehmen kann: Ich bestimme, ob ich kaufe. Und weil ich es bin, der die Wahl hat, möchte ich hofiert werden.
Der Kunde als König – dieses Bild gilt also auch weiterhin.
Auf jeden Fall. Der Kunde möchte das Gefühl haben, frei zu entscheiden, ob er klickt oder nicht. Oder ob er mit einem Produkt zur Kasse geht oder nicht. Er genießt also seine Machtposition – und das ist ein Grund, warum die Menschen seit jeher so gerne einkaufen. Allzu oft ist man im Leben nicht König, beim Einkaufen kann man es sein.
Der Kunde möchte das Gefühl haben, frei zu entscheiden, ob er klickt oder nicht. Oder ob er mit einem Produkt zur Kasse geht oder nicht. Er genießt also seine Machtposition.
Stärken die digitalen Einkaufshilfen diese Position?
Ja, denn sie geben dem Kunden weitere Machtinstrumente in die Hand. Zum Beispiel kann er mithilfe des Smartphones den Markt durchleuchten und die verschiedenen Preise vergleichen. Diese Markttransparenz fördert die Machtposition des Kunden. Hinzu kommt, dass seine Stellung nicht mehr ortsgebunden ist: Früher musste ich ins Kaufhaus gehen, um mich ausnahmsweise wie ein König zu fühlen. Heute kann ich mich permanent wie ein König fühlen, weil ich das Handy immer parat habe und mich die Anbieter im Prinzip pausenlos und dauerhaft umgarnen. Wer mich online nicht hofiert, wird einfach weggeklickt.
Schon heute besitzt das Smartphone eine große Bedeutung beim Shopping. Welche Dienste und Funktionen sind in Zukunft weiterhin vorstellbar?
Die Anbieter werden weiterhin versuchen, die komplette Shopping-Reise über Online- und mobile Angebote abzudecken. Das funktioniert zum Beispiel über Online-Kataloge oder Portale, die hochwertige Fotostrecken, Hintergrundstorys und ein personalisiertes Empfehlungsmanagement bieten. Der Shop ist dann nur noch ein Teil dieses umfassenden Angebots. Der Fashion-Handel informiert über Modetrends oder bietet Hintergrundberichte zu Designerkollektionen. Der Lebensmittelhandel inspiriert und empfiehlt Rezepte, die direkt mit Einkaufslisten vernetzt sind. Der Handel versucht also, die Kunden umfassender zu begleiten und früher „abzuholen“.
Was genau bringt es dem Händler, wenn er den Kunden auf seiner gesamten Shopping-Reise begleitet?
Er nimmt im Idealfall eine andere Rolle ein, ist eben nicht mehr nur Händler, sondern Partner. Und von dieser neuen Rolle profitiert er, weil die Bindung langfristig ist. Dafür ist es wichtig, dass sich zwischen Kunde und Händler ein Vertrauensverhältnis aufbaut, denn als Kunde lasse ich mich nur dann von jemandem führen, wenn ich ihm auch vertrauen kann.
Wie und wann entsteht dieses Vertrauen?
Wenn ich als Kunde merke, dass ich verstanden werde. Dass klar ist, welche Wünsche und Bedürfnisse ich habe, was mir wichtig ist und was zu mir passt. Ist alles dies gegeben, wird Vertrauen generiert.
Wobei dieses Vertrauen ja dann nur auf Basis von Daten entstehen kann, die ich als Konsument selbst abgebe.
Ja, aber das Verhältnis der Kunden zu ihren Daten ist ambivalent. Klar, es gibt dieses Unbehagen bei der Frage, was mit meinen Daten passiert und was in Zukunft mit meinen Daten passieren wird. Erkenne ich als Kunde jedoch einen klaren Vorteil oder Nutzen, bin ich schnell bereit, meine Daten zu teilen. Wobei dieser Nutzen eben nicht nur ökonomischer Natur ist: Ich gebe meine Daten auch dann gerne ab, wenn ich mich danach individuell besser beraten bzw. begleitet fühle.
Was bedeutet das konkret?
Viele Menschen geben in einem persönlichen Beratungsgespräch mehr von sich preis, als sie eigentlich bereit sind. Ein guter Händler nutzt das, indem er Wünsche und Bedürfnisse erkennt, auf die man als Kunde vielleicht noch gar nicht gekommen ist. Man wird also positiv überrascht. Und noch gibt es keinen Algorithmus, der das so gut hinbekommt wie ein guter Verkäufer, der seine Kunden einschätzen kann. Wobei es nicht reicht, sich auf diesem Skill auszuruhen: Um als stationärer Händler mit den Online-Anbietern konkurrieren zu können, sollte man die digitalen Ergänzungen nutzen, um die Individualität des Einkaufserlebnisses zu steigern.
An welche Ergänzungen denken Sie konkret?
Zum Beispiel an digital unterstützte Loyalty-Programme, die Gamification- Aspekte bieten – die also auf spielerische Art die Treue eines Kunden anerkennen.
Jenseits der technischen Möglichkeiten ist es aber weiterhin wichtig, ein Verständnis für den Kunden und seine Bedürfnisse mitzubringen. Die Kompetenz heißt Empathie.
Worauf kommt es denn im Handel an, wenn ich als Einsteiger meine Karriere beginne: Auf IT-Kenntnisse, um immer neue digitale Tools zu entwickeln? Oder aufs Verkaufs-Know-how?
Auf beides. Die digitalen Neuerungen sind wichtig, keine Frage. Jenseits der technischen Möglichkeiten ist es aber weiterhin wichtig, ein Verständnis für den Kunden und seine Bedürfnisse mitzubringen. Die Kompetenz heißt Empathie: Es muss mir gelingen, mich in den Kunden hineinzufühlen, um zu erfahren, was er will, was er sich wünschen könnte – und wie ich ihn führen kann.
Sprich: Gefragt sind Leadership-Skills für die Führung von Kunden.
Genau, wo und wie hole ich ihn ab – und welche Bedeutung kann meine Marke als Händler jenseits des Produkts erreichen. Denn ich will ja nicht nur, dass der Kunde einmal bei mir kauft. Sondern, dass der Kunde möglichst tief in meine Shopping-Welt eintaucht.
rheingold Institut
Das rheingold Institut zählt zu den renommiertesten Adressen der qualitativ- psychologischen Wirkungsforschung und ist eines der letzten unabhängigen Marktforschungsinstitute in Deutschland. Das Institut hat sich mit seinen rund 50 festen Mitarbeitern und 120 freien Auftragnehmern auf tiefenpsychologische Kultur-, Markt- und Medienforschung spezialisiert. Dabei analysieren die Wissenschaftler auf der Basis der Psychologischen Morphologie, die an der Universität Köln entwickelt wurde, auch die unbewussten seelischen Einflussfaktoren und Sinnzusammenhänge, die das Handeln eines jeden Menschen mitbestimmen. Jahr für Jahr liegen bei rheingold über 5000 Frauen und Männer „auf der Couch“. www.rheingold-marktforschung.de