Seit zehn Jahren ist die Ingenieurin Yvonne Groth als Geschäftsführerin technischer Unternehmen tätig. Seit 2022 ist sie CEO von Dornier Construction & Service, einem Teil der Dornier Group, in dem Dienstleistungen rund um die Montage, Instandhaltung und Betriebsführung von Energieanlagen gebündelt werden. 2024 wurde sie mit dem Engineer Woman Award ausgezeichnet. Weitere Frauen in ähnlichen Positionen? Beinahe Fehlanzeige. Wie es ihr damit geht und wie sich das ändern kann, erzählt sie im Interview. Ihr Rat an junge Frauen: Traut euch was zu! Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Yvonne Groth (Jahrgang 1979) studierte Landeskultur und Umweltschutz an der Universität Rostock, schloss das Studium als Diplom-Ingenieurin ab. Im Jahr 2006 stieg sie als Projektingenieurin bei der IBS Gruppe ein, wo sie ab 2015 die Geschäftsleitung übernahm. Seit 2022 ist sie Gesch.ftsführerin von Dornier Construction und Service, einem Bereich der Dornier Group, der Service rund um die Montage, Instandhaltung und Betriebsführung von Energieanlagen anbietet. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit engagiert sich die zweifache Mutter seit vielen Jahren für die Förderung von Frauen. Sie ist Mentorin im Programm „Aufstieg in Unternehmen – Mentoring für Frauen in der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern“ sowie Gründerin des „Welcome Centers Mecklenburgische Seenplatte“, einer Anlaufstelle für Zuzüglerinnen, Rückkehrerinnen und Unternehmen, mit dem Ziel, weibliche Fachkräfte zu gewinnen und zu binden. 2024 wurde Yvonne Groth mit dem Engineer Woman Award ausgezeichnet.
Frau Groth, Sie sind eine große Verfechterin des Networkings. Warum ist es in Ihren Augen von zentraler Bedeutung für Frauen auf dem Weg in Führungspositionen?
Netzwerke sind generell wichtig, ich würde das nicht nur auf Frauen beziehen. In Netzwerken baut man Vertrauen zu Personen und zu potenziellen Geschäftspartnern auf. In Netzwerken hat man darüber hinaus die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen, aus Erfahrungen zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Speziell für Frauen erachte ich Netzwerke als wichtig, weil sie ihre Sichtbarkeit fördern, was gerade in technischen Branchen, in denen noch immer wenig Frauen unterwegs sind, von großer Bedeutung ist. Ich mache es zum Beispiel konkret so, dass ich – wenn ich eine Anfrage oder Einladung bekomme, die ich selbst nicht wahrnehmen kann – eine andere Frau vorschlage, die diesen Termin wahrnehmen kann. Einfach, um die Chance auf Präsenz nicht verfallen zu lassen.
Es gibt zwei Schulen von Netzwerkerinnen: In der eine plädiert man für reine Frauennetzwerke, in der anderen dafür, dass sich Frauen in gemischten, häufig von Männern dominierten Netzwerken stärker zeigen. Welcher Schule gehören Sie an?
Der zweiteren, ganz klar. Ich mag diese Trennung der Netzwerke nicht, denn in den Unternehmen muss man ja auch zusammenarbeiten. Ich war erst vor kurzem auf einer Fach-Veranstaltung, bei der sich die wenigen Frauen vernetzen sollten. Und was passierte: Wir wurden separiert. Da habe ich gefragt: „Und nun?“ Gerade in den MINT-Bereichen ist eine Trennung der Geschlechter nicht sinnvoll. Es gibt hier noch immer wenig Frauen in Führungspositionen. Nehmen Sie meinen Bereich, also die technische Ingenieurdienstleistung rund um Energieanlagen: Ich kenne keine andere Frau in der technischen Geschäftsführung. Ich bin allein unter Männern. Man findet Frauen in kaufmännischen Bereichen, im Personal. Aber im technischen Bereich nur sehr selten. Was sollte es bringen, auf exklusive Frauennetzwerke in unserer Branche zu setzen?
Bei Ihrer ersten beruflichen Station waren Sie zuerst Projektingenieurin und sind nach neun Jahren zur Geschäftsführerin aufgestiegen. Was haben Sie in diesen neun Jahren gut gemacht?
Es gehört schon ein bisschen was dazu, um von einer Expertin zu einer Führungskraft zu werden. Mein Vorteil war: Ich war immer breit aufgestellt. Ich habe Expertise in vielen Bereichen, sei es in der Abfallwirtschaft, in der Energietechnik, in der Arbeitssicherheit, im Qualitätsmanagement. Ich bringe viel Wissen mit, und ich behaupte, ich kann sehr gut organisieren. Das ist eine wichtige Führungsaufgabe: Man muss das große Ganze sehen, Prioritäten setzen können, um den richtigen Weg einzuschlagen. Und dann braucht man eine gute Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl.
Sie haben als Frau auf dem Weg nach oben Mentoring genossen, heute sind Sie selbst überzeugte Mentorin. Was macht gutes Mentoring für Frauen aus?
Ich bin Vorstandsvorsitzende der Regionalen Wirtschaftsinitiative in Mecklenburg- Vorpommern (RWI). Seit vielen Jahren führt die RWI das Projekt „Aufstieg in Unternehmen“ durch. Dieses Mentoring-Programm ist branchenübergreifend. Und genau das finde ich sehr gut: Wenn Personen aus unterschiedlichen Bereichen zueinander finden und sich austauschen können. Was zudem beim Mentoring wichtig ist: Es muss auf Augenhöhe stattfinden. Man braucht eine vertrauensvolle Basis, um miteinander reden zu können. Nur dann wird die Mentee über ihre Herausforderungen sprechen – und auch als Mentor kann man dann Hilfestellungen geben oder Sichtweisen anders darstellen. Damit die Mentee sieht: Es gibt auch andere Wege und Perspektiven.
Engineer Woman Award
Seit 2023 vergibt die Hannover Messe im Rahmen des Karrierekongresses FEMWORX zwei Preise für Frauen in MINT-Berufen. „Mit dem Engineer Woman Award wird eine Expertin geehrt, die durch ihre Innovationskraft, ihr Engagement oder ihre Leistungen im technischen Umfeld heraussticht“, heißt es in der Selbstbeschreibung des Awards. Der Young Engineer Woman Award würdigt Frauen unter 30 Jahren, „die herausragende Arbeit in ihrem Fachgebiet leisten oder sich in besonderem Maße über ihren Arbeitsbereich hinaus engagieren“.
Glauben Sie, dass sich Frauen selbstkritischer sehen, als Männer es tun?
Ja, das ist ein bekanntes Phänomen, das auch durch verschiedene Studien gestützt wird. Frauen neigen eher dazu, ihre Fähigkeiten zu hinterfragen und sich selbstkritischer zu sehen, während Männer oft selbstbewusster auftreten – auch wenn sie objektiv nicht kompetenter sind. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Confidence Gap: Untersuchungen zeigen, dass Frauen dazu tendieren, sich erst dann auf eine Position oder Aufgabe zu bewerben, wenn sie nahezu alle Anforderungen erfüllen, während Männer oft schon mit deutlich weniger Qualifikationen den Schritt wagen. Dies kann teilweise auf gesellschaftliche Prägung, Erziehung und Geschlechterrollen zurückgeführt werden. Frauen lernen häufig von klein auf, bescheidener und perfektionistischer zu sein, während Männern eher vermittelt wird, Risiken einzugehen und sich selbstbewusst darzustellen.
Wir erleben aktuell an vielen Stellen den Versuch, das Rad beim Thema Gender-Gerechtigkeit zurückzudrehen. Nehmen sie das auch wahr?
Schon, ja. Wenn Männer Fehlentscheidungen in Unternehmen getroffen haben, dann waren die Rahmenbedingungen schuld und oftmals folgen keine Personalentscheidungen. Passiert das einer Frau, ist sie schnell weg vom Fenster. Es ist recht offensichtlich, dass sich immer mehr Männer das Recht herausnehmen, beim Thema Gleichberechtigung nicht mehr aufmerksam sein zu müssen. Im März ging dieses Bild von Friedrich Merz‘ Spitzenrunde mit Unionspolitikern nach der Bundestagswahl viral, zu sehen waren sechs Männer. Das Online-Satire-Magazin „Der Postillon“ postete dazu: „Doch, doch, Frauen waren auch dabei: Was meinen Sie, wer den Tisch eingedeckt hat?“ Das ist zwar lustig, aber zeigt die Realität, dass Frauen bei solchen „Männerrunden“ ausgeschlossen werden.
Mir ist bewusst, dass ich eine Vorbildfunktion einnehme. Ich hoffe, dass meine Sichtbarkeit dazu beiträgt, dass andere Frauen ermutigt werden und dass Frauen Chancen in Führungspositionen bekommen.
Wie fühlen Sie sich in der von Männern dominierten Welt Ihrer Branche?
Noch immer fallen Frauen in meiner Branche auf. Letzte Woche war ich auf einer Veranstaltung und unter den 140 Teilnehmenden waren genau fünf Frauen. Das ist eine Quote von weniger als drei Prozent. Mir ist bewusst, dass ich eine Vorbildfunktion einnehme. Ich hoffe, dass meine Sichtbarkeit dazu beiträgt, dass andere Frauen ermutigt werden und dass Frauen Chancen in Führungspositionen bekommen.
Wie motivieren Sie sich, trotzdem immer weiterzumachen?
Ich bin engagiert! Ich finde es einfach sehr wichtig, dass Frauen ein Gesicht in meiner Branche bekommen, dass sie sichtbarer werden, sich nicht verstecken. Was mir sicher auch hilft: Mein trockener Humor.
Wenn man sich den Karriereweg von Frauen genauer anschaut, welche sensiblen Wegmarken gibt es?
Wichtig ist der familiäre Aspekt. Dieser Aspekt ist für Männer deutlich weniger problematisch. Männer werden nie gefragt, wie sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf realisieren. Dabei sind die Männer genauso bei der Familiengründung beteiligt wie die Frauen. Haben Frauen keinen Partner, der unterstützt, wird es für sie doppelt schwer, eine Führungsposition zu kommen. Daher ist es wichtig, dass Frauen diese Unterstützung auch bei ihren Partnern einfordern. Damit klar ist, wenn beide Partner arbeiten, dass in dieser Beziehung beide Seiten ihren Beitrag zu leisten haben. Frauen, die es sich nicht so recht zutrauen, mit ihren Partnern frühzeitig offen über dieses Thema zu reden, sollten diese Unterhaltung als eine Art Vorbereitung auf die Karriere begreifen. Denn in Führungspositionen kommt es ja auch darauf an, auch mal unangenehme Gespräche zu führen.
Was geben Sie jungen Frauen mit, die jetzt kurz vorm Eintritt in die Arbeitswelt stehen, gerade auch in männerdominierten Branchen?
Zu erkennen, welche Stärken sie haben. Nicht nur auf das zu schauen, was sie noch nicht können, sondern auch auf das, was sie bereits mitbringen. Natürlich möchte man immer einhundert Prozent erreichen. Aber es hilft gerade zu Beginn, die Ansprüche an sich selbst ein wenig herunterzuschrauben. Um dann später, in der Führungskräfteentwicklung weiter an sich zu arbeiten.