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Sowohl-als-auch statt Entweder-oder

Dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen sollen, dass Berufseinsteigerinnen die gleichen Chancen haben wie ihre männlichen Kollegen – das sind laut einer Studie für mehr als jedes zweite Unternehmen wichtige Ziele. Doch was tun Arbeitgeber, um diese Ziele zu erreichen? Von André Boße

Die Unternehmen versuchen es, keine Frage. Alle zwei Jahre veröffentlicht die Unternehmensberatung McKinsey den Report „Women Matter“, eine Art Status quo zu Frauen in Führungspositionen auf europäischer Ebene. Die Autoren der Studie befragten 235 Top-Unternehmen Europas zu ihren Einstellungen gegenüber geschlechtlicher Chancengleichheit, und die Entwicklung ist unübersehbar: Mehr als die Hälfte der Unternehmen führen das Thema „Gender Diversity“ unter ihren zehn wichtigsten strategischen Zielen – das sind doppelt so viele wie noch zwei Jahre zuvor. 63 Prozent der Unternehmen bieten 20 oder mehr Programme, um Frauen zu fördern. Der Haken an der Sache: Es kommt weniger dabei um, als man denken könnte. Nur acht Prozent der Unternehmen konnten darlegen, dass Frauen mehr als 25 Prozent der Top-Management-Positionen besetzen. Der Durchschnitt des Frauenanteils in den obersten Etagen liegt beiden für die Studie befragten Unternehmen bei 13 Prozent.

Der McKinsey-Report gibt einen Einblick, warum sich die Unternehmen in Europa und Deutschland trotz des Engagements so schwer damit tun, die Chancengleichheit auch umzusetzen: Viele Arbeitgeber betrachten es nach eigener Aussage als große Herausfor derung, die Programme mit Leben zu füllen. Der Chef gibt zwar die Richtung vor, ausgeführt werden die Programme jedoch an anderer Stelle, zumeist im mittleren Management. Die Studie zeigt: Je tiefer man im Management nach unten geht, desto geringer wird die Motivation, sich dem Thema mit Engagement zu widmen und Änderungen zu erwirken.

Megatrend: Female Shift

Es ist ein Megatrend, und er ist unaufhaltsam: Traditionelle Geschlechterrollen werden aufgelöst. Im Berufs- und Privatleben von Frauen und Männern finden Umbrüche statt, die zu einem Wandel der Gesellschaft führen. Beide Geschlechter wollen sich beruflich verwirklichen – und beide wollen der Familie mehr Zeit einräumen. Mehr zu diesem und anderen Megatrends:
www.zukunftsinstitut.de/megatrends

Wirtschaft braucht die Frauen
Es gibt also abseits guter Absichten noch einiges zu tun in den Unternehmen. Das weiß auch Dr. Thomas Birtel, Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Strabag. Derzeit sind rund 13 Prozent der Beschäftigten im Konzern weiblich, im Management liegt der Frauenanteil bei acht Prozent. „Die Baubranche gilt nach wie vor als Männerdomäne“, erklärt Birtel. „Mit ihren oft nicht planbaren Arbeitszeiten ist sie wenig familienfreundlich. Dies verlangt den Menschen einiges an Flexibilität ab, die viele Frauen, die eben erst eine Familie gegründet haben, dem Unternehmen nicht nur nicht bieten können, sondern für eine gewisse Zeit auch gar nicht bieten wollen.“ Der Strabag-Chef hat Verständnis für diese Haltung – und doch will er die Situation im Konzern verbessern: Der Frauenanteil im Management soll sich mittelfristig an den Gesamtanteil im Unternehmen angleichen. „Frauen zu fördern sowie ihre Fähigkeiten – gerade in den technischen Bereichen – mehr wertzuschätzen, ist nicht nur eine Sache der Fairness, sondern auch aus ökonomischer Sicht geboten“, nennt Thomas Birtel als Grund, warum er als Vorstandsvorsitzender dem Thema Frauen in Führungspositionen eine so hohe Priorität verleiht. Die Baubranche weise einen Mangel an qualifiziertem Personal auf, und Frauen stellten einen großen Teil der erwerbstätigen Bevölkerung dar. „Zudem“, so Birtel, „geht Vielfalt im Führungsteam tendenziell mit besseren wirtschaftlichen Ergebnissen einher.“

Gelingen soll eine Erhöhung des Frauenanteils im Management zunächst einmal durch erhöhte Aufmerksamkeit. „Wir werden künftig ein besonderes Augenmerk darauf haben, dass Frauen nicht nur theoretisch die gleichen Chancen besitzen, sondern diese Chancen auch praktisch wahrnehmen können“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Baukonzerns. Ein entscheidender Hebel sei hier die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Birtel: „Das Verfolgen einer Karriere belastet nachweislich die anderen Lebensbereiche: die Beziehung, die Familie. Nicht jeder Mensch ist bereit, das Familienleben der Karriere unterzuordnen. Unsere Aufgabe ist es zu verhindern, dass überhaupt eine Entweder-oder-Entscheidung nötig ist.“

Führen will gelernt sein
Wer als junge Frau die Entscheidung trifft, Karriere zu machen und dies mit der Familienplanung zu vereinbaren, hat den ersten Schritt getan. Nicht mehr, nicht weniger. Die Erfahrungen von Frauen, die in Unternehmen Karriere gemacht haben, zeigen: Viele weitere Hindernisse folgen, denn Führen will gelernt sein. Das gilt zwar für Frauen und Männer gleichermaßen. Jedoch können Männer beim Thema Führung auf tradierte Strukturen und klar definierte Erwartungshaltungen zurückgreifen. Zudem sind rein rechnerisch die meisten Vorgesetzten männlich – wohl ein Vorteil, da der Weg nach oben, so die Expertenmeinung, weiterhin nach dem sogenannten Ähnlichkeitsprinzip erfolgt: Bessere Chancen habe jemand, mit dem sich ein Vorgesetzter identifizieren kann, mit dem er etwas teilt. Die Helmholtz-Gemeinschaft, ein Verband von 18 unabhängigen deutschen Forschungszentren, versucht, mit dem Programm „In Führung gehen“ diesen und andere Nachteile für weiblichen Führungsnachwuchs auszugleichen. Das Ziel der Maßnahme: motivierte junge Frauen auf anspruchsvollere Positionen vorzubereiten und miteinander zu vernetzen. „Im Rahmen einer einjährigen Laufzeit wird den Teilnehmerinnen eine Kombination aus Mentoring und Trainingsworkshops angeboten“, berichtet Birgit Gaiser, Referentin des Programms. Behandelt werden Themen wie Kommunikation, Selbstpräsentation oder Konfliktmanagement. Der Netzwerkgedanke wird durch ein Alumni-Konzept gestärkt: Wer als junge Frau vom Mentorinnenprogramm profitiert hat, soll später selber Mentorin werden, um wiederum die neue Generation weiblicher Nachwuchskräfte zu fördern.

Netzwerk Femtec: Frauen und Technik

Im Bereich der Technik sind Frauennetzwerke besonders wichtig, denn die Führungspositionen in technischen Unternehmen sind häufig noch immer fest in Männerhand. Die Folge: Einsteigerinnen fehlt es an weiblichen Vorbildern. Das 2001 gegründete Netzwerk Femtec möchte Abhilfe schaffen: Mit dem Wissen, dass weibliche Talente für Forschung und Wirtschaft unverzichtbar sind, bildet Femtec ein intensives Netzwerk zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen, von dem vor allem ambitionierte und talentierte Einsteigerinnen profitieren sollen.
www.femtec.de

Netzwerke nicht unterschätzen
Aus den Gesprächen rund um die Workshops kennt Birgit Gaiser die Probleme, vor denen Frauen stehen, die plötzlich führen sollen – noch dazu in einer männerdominierten Welt wie der technischen Forschung. So machten sich viele Frauen eine falsche Vorstellung davon, was jemanden überhaupt für eine Führungsposition qualifiziert. „Der Wert formaler Kriterien wie Abschlüsse, Weiterbildungen und gute Noten wird insbesondere von Frauen häufig überschätzt“, hat die Referentin des Frauenförderprogramms beobachtet. „Betrachtet man individuelle Berufsbiografien wird schnell klar, dass es von zentraler Bedeutung ist, bestimmten Zirkeln anzugehören, wenn man in die Chefetage aufsteigen möchte.“ Der Zugang zu diesen „kumpelhaften“ Netzwerken sei jedoch für Frauen erschwert: „Eine Berufsanfängerin, die sich mit ihrem Vorgesetzten – einem älteren Mann – nach der Arbeit auf ein Bier trifft, macht sich angreifbar.“

Weiterhin beobachtet die Expertin, dass Frauen häufig darauf warten, entdeckt zu werden, anstatt sich klar zu positionieren und deutlich ihre Ansprüche zu formulieren. „Und wenn es Frauen schließlich in eine Führungsposition geschafft haben, stehen sie der gewonnenen Macht mitunter sehr ambivalent gegenüber, weil der Wunsch, von allen geliebt zu werden, nicht mit der professionellen Ausübung einer Leitungsfunktion vereinbar ist.“ Auch setzen Frauen nach Beobachtung von Birgit Gaiser häufig andere Prioritäten als Männer. „Frauen konzentrieren sich auf inhaltliche Arbeit, statt den nächsten Karriereschritt zu planen.“ Männer hinegen seien in Karrierefragen fokussierter. Nun könnte man denken, dass diese inhaltliche Priorität Vorteile bringt, doch Gaiser sieht vor allem ein Problem: „Weil der Fokus fehlt, jonglieren Frauen oftmals mit den unterschiedlichsten Themen und Zielen im Berufs- und Privatleben. Das ist sicher ganzheitlicher als die typisch männliche Herangehensweise. Es kann aber dazu führen, dass sich die Frauen verzetteln und sich plötzlich in Situationen wiederfinden, in die sie niemals kommen wollten.“

Scheitern gehört dazu
Birgit Gaiser kommt mit vielen weiblichen Führungskräften aus den Forschungseinrichtungen der Helmholtz- Gemeinschaft ins Gespräch. Dabei hat sie erkannt, welche Eigenschaften wichtig sind: So müssten Frauen, die sich in Führungsetagen behaupten möchten, einen langen Atem sowie eine hohe Frustrationstoleranz mitbringen. „Weiterhin empfehle ich einen etwas spielerischen Umgang mit Fragen und Entscheidungen im Berufsleben. Wenn eine Strategie nicht aufgeht, sollte man eine andere ausprobieren.“ Sie rät Einsteigerinnen, nicht dem Glauben zu verfallen, dass alles immer klappen müsse. „Man kann nicht immer gewinnen und wird sich auch nicht immer durchsetzen können.“ Ihrer Beobachtung nach tendierten Frauen jedoch dazu, sich von Misserfolgen in größerem Umfang demotivieren zu lassen als ihre männlichen Kollegen und sich, so Gaiser, „ häufiger beleidigt zurückzuziehen, als dies bei Männern der Fall ist“.

Klar, wer handelt kann Fehler machen. Doch sollten Frauen diese Fehler nicht scheuen. Es hilft ein Zitat des Theologen und Widerstandkämpfers Dietrich Bonhoeffer, der sagte: „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“

Buchtipp: Ausnahmekarriere

Sheryl Sandberg hat zwei kleine Kinder. Sie ist aber auch Geschäftsführerin bei Facebook, nachdem sie zuvor schon Top- Managerin bei Google war. Wie geht das zusammen: eine Traumkarriere bei den größten Internet-Unternehmen der Welt in Kombination mit einer Familie mit zwei Kindern? In ihrem Buch „Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg“ erzählt die Managerin über ihre Erfahrungen beim Aufstieg sowie über Herausforderungen und überraschende Hindernisse, die einer Frau auf dem Weg nach oben das Leben schwer machen, und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Dazu bietet das Buch neben vielen persönlichen Erfahrungen Studienergebnisse.

Sheryl Sandberg: Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg.
Econ 2013. ISBN 978-3430201551. 19,99 Euro.

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