Vor zwei Jahren gründeten die Juristin Lena Spak und die Key Account- und Produktmanagerin Annie Doerfle das EdTech-Start-up Scobees. Die Geschäftsidee: Für Schulen ein Tool zu entwickeln, mit dem Kinder Spaß am digitalen Lernen haben. Ohne Geräte- und Netzwerkstress – und ohne Voreinstellungen, die Kindern eine Lernrichtung vorgeben. In der Pandemie ist digitales Lernen gefragt wie nie. Im Interview erzählt Lena Spak, warum es an den Schulen dennoch Vorbehalte gab, wie EdTech Gendergerechtigkeit fördern kann und warum sie es wichtig findet, als weibliche Gründerin nicht zu sehr auf männlichen Rat zu hören. Die Fragen stellte André Boße.
Frau Spak, 2019 haben Sie zusammen mit Annie Doerfle Scobees gegründet, ein Start-up für EdTech, also digitale Lernangebote. Haben Sie in der Gründungsphase den Eindruck gehabt, mit Ihrer Idee offene Türen einzurennen?
Wer in Deutschland ein Start-up im Bildungsbereich gründet, rennt zunächst einmal nirgends offene Türen ein. Wer zusätzlich wie wir auch noch einen vollkommen neuen Ansatz fährt, hat es sogar doppelt schwer.
Warum ist das so?
Die Schulen sind skeptisch, weil ein Start-up etwas Kommerzielles ist. Investoren sind skeptisch, weil sie den Markt „Schule” als eher undankbar einstufen. Die Politik ist skeptisch, weil die sowas lieber selbst auf die Beine stellen würde. Es waren auf jeden Fall harte erste Jahre. Aber wir hatten dann das Glück, zur rechten Zeit inspirierende Schulen zu finden, die genau das gesucht haben, was wir anbieten. Wir wussten also: Es wird lang und schwer, weil es so neu ist. Dank unserer Partner*innen und Mentor* innen wussten wir aber auch, dass unsere Idee Potential besitzt. Ab einem bestimmten Punkt wurden es mehr und mehr Schulen. Mittlerweile sind Schulen und auch Investor*innen und Politik begeistert.
Ich denke, Frauen neigen dazu, sich und ihre Idee schnell in Frage zu stellen. Männer sind da oft selbstbewusster. Und das sollten Frauen auch sein.
Ein Tipp von Ihnen an junge Frauen, die gründen wollen: Worauf kommt es in der ersten Phase an, welche Fehler sollten Gründerinnen vermeiden?
Ich denke, Frauen neigen dazu, sich und ihre Idee schnell in Frage zu stellen. Männer sind da oft selbstbewusster. Und das sollten Frauen auch sein. Wenn man ein Female Product baut, also eines von Frauen, das sich zwar auch an Männer richtet, aber auf die Bedürfnisse von Frauen fokussiert ist, dann sollte man nicht zu viel auf die Meinung von männlichen Betrachtern geben – weil sich Männer unter Umständen weniger gut mit den von den Gründerinnen aufgeworfenen Problemen identifizieren können. Wichtig ist, was die potenziellen Nutzer*innen sagen. Ich sehe es als Chance, dass man es zulässt „female“ zu sein. 50 Prozent der Bevölkerung sind weiblich, aber die meisten digitalen Produkte werden von Männern entwickelt. Da gibt es für Frauen definitiv noch Märkte zu erobern!
Zumal, wenn man sich, wie Sie, an Schulen und insbesondere Grundschulen wendet.
Genau, in der Grundschule sind fast 90 Prozent der Lehrkräfte Frauen. Und hier fällt es besonders auf, dass diese Frauen den „female look“ unseres digitalen Produkts schätzen. Das Wichtigste aber ist, dass man sich auf einen langen, langen Weg gefasst macht, mit vielen Höhen und Tiefen. Das gilt allerdings für alle Gründer*innen.
Zu den Gründerinnen
Lena Spak ist Juristin und hat zu Beginn ihrer Karriere als Anwältin mit Schwerpunkt Medienrecht gearbeitet. 2013 wechselte sie zum WDR, wo sie als Distribution Managerin tätig war. Bei Scobees ist sie für den Bereich Unternehmen und Strategie zuständig. Annie Doerfle war von 2007 bis 2017 als Produktmanagerin und Key-Account-Managerin für die B2B-Filmwirtschafts-Plattform Reelport tätig, bei Scobees übernimmt sie die Bereiche Vertrieb und Netzwerkarbeit. Ein erstes Konzept für eine EdTech-Plattform entwickelten Lena Spak und Annie Doerfle während ihrer Elternzeit; auf die Idee, sich auf dem Schulmarkt zu versuchen, kamen die Gründerinnen, nachdem sie von Lehrkräften darauf angesprochen wurden.
Kann das Prinzip EdTech in der Bildung etwas für die Gender-Gerechtigkeit tun?
Auf jeden Fall! Viele EdTech-Produkte geben den Lernenden mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten. So ist ein elementarer Bestandteil von Scobees, dass Lernende ihren Lernweg selbst mitbestimmen und Schwerpunkte setzen. Damit gibt es niemanden, der Material oder Schwerpunkte vorab „filtert“, Lernende können völlig gender-neutral lernen. Denn Software ist im Prinzip geschlechtsneutral. Sie orientiert sich an dem Nutzerverhalten. So ist das auch bei uns. Die Lernenden entscheiden selbst, was sie interessiert, wo und wie sie Schwerpunkte setzen. Es gibt also niemanden, der nach bestimmten Vorurteilen steuern könnte, wer was lernen sollte.
Die Soziologin Jutta Allmendinger spricht von einer „entsetzlichen Retradionalisierung“, weil im Zuge der Pandemie Frauen wieder zurück in die Rolle der Kinderbetreuerinnen und Home-Schooling-Beauftragten gedrängt werden, während viele Männer beruflich weiter „Business as usual“ machen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Ja, im Grunde schon. Die Pandemie hat wirklich gerade Familien vor eine besondere Herausforderung gestellt. Wir können beide sagen, dass Homeoffice mit Kindern zu Hause für Eltern und Kinder gleichermaßen nervenaufreibend ist. In den meisten Familien arbeiten die Mütter sowieso schon in Teilzeit, und die Kinder sind es daher gewohnt, Mami anzusprechen. Das tun sie im Homeoffice natürlich auch. Was soll Frau tun, wenn beide arbeiten und das Kind sich nun mal entscheidet, bei der Mutter nachzufragen? Nach einigen Wochen Homeoffice und Lockdown entscheidet man sich pragmatisch – und das heißt oft, dass die Mutter zurückschraubt. Ich glaube, Entscheidungen mit Familie sind oft pragmatisch und müssen sofort gefällt werden. Welche Konsequenz das Ganze hat, erkennen Familien – und gerade Mütter – dann häufig erst später.
Inwieweit können digitale Lern-Plattformen dabei helfen, junge Mädchen früh auf kommende Führungsaufgaben vorzubereiten?
Die Kompetenz und der Wille, Führungsaufgaben zu übernehmen, werden derzeit generell nicht stark gefördert, weder bei Mädchen noch bei Jungen. Digitale Methoden bringen Methoden wie zum Beispiel das Projektlernen sowie das Lernen in Gruppen stärker zum Einsatz. Das gibt sowohl jungen Mädchen aber auch Jungen die Gelegenheit, schon sehr früh Führungsrollen einzunehmen – und sich somit auf entsprechende Führungsaufgaben vorzubereiten.
Vielfalt ist immer gut. Sowohl in Sachen Kompetenzen als auch hinsichtlich Geschlechtervielfalt.
Sie haben vor der Gründung Erfahrungen in anderen Branchen gesammelt. Haben Sie dabei erlebt, dass sich Vielfalt in den Teams und vor allem in der Führung positiv auswirkt?
Vielfalt ist immer gut. Sowohl in Sachen Kompetenzen als auch hinsichtlich Geschlechtervielfalt. Es werden dadurch weniger Dinge übersehen, weil sehr viele verschiedene Bedürfnisse und Blickwinkel Berücksichtigung finden. Schließlich besitzt jedes Individuum einen ganz eigenen Schwerpunkt. Ich glaube, dass aus diesem Grund Führung immer dann besonders gut ist, wenn Hierarchien flach sind und auf diese Art besonders viel Vielfalt in die Führungsebene gelangt.
Wie gelingt es Ihnen, im Unternehmen eine vielfältige Führungskultur zu entwickeln?
Wir wissen, dass wir viele Dinge nicht wissen. Daher holen wir uns immer gerne Rat ein. Das können ausgewiesene Expert*innen sein, aber eben auch das gesamte Team. In der Praxis sieht das dann so aus, dass meine Co-Gründerin und ich Impulse und Zielrichtungen setzen, die wir uns als Unternehmen vorgenommen haben. Wie das ausgestaltet wird, überlassen wir gern dem Team.
Bitte vervollständigen Sie zum Abschluss folgenden Satz: Frauen in Führung werden zu einer Selbstverständlichkeit, wenn…
… Geschlechtergleichheit in Schulen gelebt wird, Kinderbetreuung ab dem gewünschten Zeitpunkt, zum Beispiel ab sechs Monaten, gesichert ist, sich das Lohnniveau für Frauen und Männer nicht mehr unterscheidet und flexible Arbeitszeiten in deutschen Unternehmen nicht mehr verhandelt werden müssen.
Zum Unternehmen
Scobees mit Sitz in Köln versteht sich als EdTech-Angebot, das Kindern selbstbestimmt und kollaborativ individuelles Lernen in offenen Lernformaten ermöglichen soll. Angeboten wird die Plattform für Grund- und weiterführende Schulen, für außerschulische Lernorte, für die Schul- und Förderentwicklung sowie für Eltern. Kernelement ist die Vernetzung dieser Ebenen: Schulen, Eltern und Akteur*innen an außerschulischen Lernorten haben Einblick in die Inhalte und Fortschritte. Ein Merkmal von Scobees ist die Teilhabe der Kinder: Dynamische Lernprozesse mit passenden und frei wählbaren Lernmaterialien sowie individuellen Feedbacks fördern die Chancengleichheit und verhindern, das Kinder von außen auf bestimmte Lerninhalte festgelegt werden.