Langsam, aber stetig: Frauen rücken verstärkt in Führungspositionen vor. Die Forschung zeigt, wie gut das Unternehmen tut. Kulturell. Aber auch finanziell. Doch der Fortschritt wird gefährdet von einem gesellschaftspolitischen Trend, der Gender-Vielfalt für unnötig hält und die „maskuline Energie“ feiert. Eine Bestandsaufnahme. Ein Essay von André Boße
Es geht voran. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung EY kam Anfang des Jahres zu dem Ergebnis, dass in den Vorständen der deutschen Top-Konzerne so viele Frauen wie noch nie tätig waren. „136 Frauen sitzen in den leitenden Gremien der 160 DAX-, MDAX- und SDAX-Konzerne – 14 mehr als vor einem Jahr“, heißt es in einer Pressemitteilung auf der EY-Homepage. Beinahe jeder fünfte Vorstandsposten in diesen Unternehmen ist also weiblich besetzt. Von echter Gleichheit ist man damit noch weit entfernt, dennoch sind die Fortschritte erkennbar. Was auch folgende Zahl der Analyse belegt: „35 Prozent der neu bestellten Vorstände im Jahr 2024 waren Frauen.“
Ev Bangemann, die bei EY Deutschland den für das Thema Frauen in Führungspositionen verantwortlichen Bereich Climate Change & Sustainability Services leitet, sagt zu dem Ergebnis laut Pressemeldung: „Sehr viele Konzerne haben begriffen, dass Vielfalt in ihren Chefetagen ein wichtiger Aspekt ihres wirtschaftlichen Erfolges ist.“ Allerdings sei dies noch längst nicht überall der Fall. So bleibe der Anteil der Vorstände mit nur einer einzigen Frau im Gremium hoch. „Das wirft Fragen auf, wie ernst die Unternehmen das Thema Diversität in Führungspositionen nehmen“, wird Bangemann zitiert. Zudem sei zu beobachten, dass für Frauen der Weg in die Führungsebene steinig bleibe – „egal ob mittleres Management oder Führungsspitze von Unternehmen“. Was dazu führe, dass Frauen erwiesenermaßen länger bräuchten, um in Top-Funktionen zu kommen. Und dann dort auch kürzer verweilen. Und doch: Beim Thema Frauen in Führungspositionen ist ein Fortschritt erkennbar.
Foto: AdobeStock/agv
Kollaboration und Kooperation: der feine Unterschied
Wer kooperiert, der kollaboriert nicht zwangsläufig auch. Bei beiden Begriffen geht es um die Gemeinschaft. Doch werden bei einer Kooperation die Aufgaben zumeist untereinander aufgeteilt. So werden Silo-Grenzen beibehalten, also Abteilungen oder Teams, die isoliert voneinander arbeiten, tun dies weiterhin. Erst später werden die Resultate zusammengeführt. Die Kollaboration geht einen Schritt weiter: Hier wird gemeinsam an einer Lösung gearbeitet. In vielfältig besetzten Teams über Silo-Grenzen hinweg.
Achtung, Rückschrittgefahr!
Viele Jahre lang lautete die Frage an dieser Stelle: Warum so langsam? Gültigkeit besitzt diese Frage noch immer. Aber eine andere schleicht sich heran. Eine, die bei vielen, die für den Fortschritt und die Gleichberechtigung kämpfen, große Sorgenfalten verursacht: Wie lange noch? Besonders die Nachrichten aus den USA irritieren. „Donald Trump 2.0 – Rollback für Frauenrechte“, meldete das Online-Angebot der Tagesschau in einer Meldung Mitte November, kurz nach den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten. Schon bald folgten die ersten Maßnahmen der Trump-Administration, die Kultur veränderte sich. Diversity, der strategische Oberbegriff, zu dem auch Gender-Gerechtigkeit zählt, wandelte sich innerhalb weniger Wochen bei vielen amerikanischen Unternehmen von einem Müssen-wir-machen- zu einem Streich-Thema.
Anfang Februar 2025 zählte das Handelsblatt die Unternehmen auf, die ihre Gleichstellungsinitiativen ersatzlos gekappt haben: Ford und Toyota, McDonald’s und Harley Davidson, Walmart und der US-Bereich von Aldi. Und nicht nur US-Konzerne machen einen Schritt zurück, sondern auch Unternehmen in Europa. So haben mit Novartis und Roche zwei Schweizer Pharmakonzerne ihre Diversity-Regeln in den USA geändert. Parallel dazu forderte Meta-Chef Mark Zuckerberg im Podcast „The Joe Rogan Experience“ für seinen Konzern mehr „maskuline Energie“: Die Unternehmenskultur habe das Ziel verfolgt, sich von dieser zu entfernen, Zuckerberg spricht von „kultureller Neutralisierung“ – und davon, dass es gut sei, wenn Meta als Konzern die „Aggression ein wenig mehr feiere“. Eine Aussage, die man als bewussten Affront gegen den empathischen Führungsstil lesen kann, der mit Frauen in Verbindung gebracht wird.
Hoch im Kurs: Fürsorge als Führungsstil
Fortschritt auf der einen, Backlash auf der anderen Seite. Wie geht das zusammen?
Fortschritt auf der einen, Backlash auf der anderen Seite. Wie geht das zusammen? Gar nicht, wenn man sich anschaut, wonach die Mitarbeitenden von ihren Führungskräften verlangen und wie Unternehmen performen. Ein Forschungsteam der Hochschule Niederrhein identifizierte 2024 im Rahmen der Studie „Future Leadership – Führungskompetenzen für die neue Arbeitswelt“ eine Reihe von Skills, „die für eine erfolgreiche Bewältigung der zukünftigen Führungsherausforderungen erforderlich erscheinen“, wie der leitende Professor Dr. Alexander Cisik in der Zusammenfassung der Ergebnisse schreibt. Basis der repräsentativen Umfrage war der Status quo: Wie zufrieden sind die Mitarbeitenden mit ihren Führungskräften? Das Zeugnis, laut Studie: ausbaufähig.
Die Mehrheit der Mitarbeitenden ist mit ihrer Führung „nicht wirklich zufrieden“, heißt es in der Zusammenfassung. 43 Prozent der Befragten sehen ihre Erwartungen an die Führungskraft erfüllt oder sogar übertroffen. 27 Prozent sind zwar unzufrieden, möchten der Führungskraft aber helfen, gemeinsam besser zu werden. Bei neun Prozent werden die Erwartungen an die Führung definitiv nicht erfüllt. 21 Prozent der Beschäftigten gaben an, sich die Führungssituation „schön zu reden“ oder hätten „ihre Ansprüche an die Führung reduziert“. Diese Antwortkategorie ist für Unternehmen besonders bedenklich, weil Menschen, die ihre Führungskraft auf diese Art beurteilen, in der Regel bereits innerlich gekündigt haben.
Auf die Frage der Studie, welche Führungsqualit.ten den Beschäftigten wichtig wäre, antworteten die meisten soziale Kompetenz: „Sie wünschen sich menschliche, selbstbewusste und fürsorgliche Führungskräfte“, bringt es der Studienleiter Alexander Cisik im Summary der Studie auf den Punkt. Weniger bedeutsam hingegen seien digitale Kompetenzen: „So wichtig und präsent die digitale Transformation in den Unternehmen auch sein mag, sämtliche diesbezüglichen Verhaltensweisen bilden das Schlusslicht der Bedürfnisrangreihe.“ Auch unternehmerisch-visionäre Kompetenzen seien als deutlich weniger wichtig eingestuft worden. „Menschen wollen menschlich geführt werden“, wird Alexander Cisik zitiert. Jedoch stehe dieser laut Untersuchung wichtigste Skill „Fürsorge“ im Ranking der erlebten Kompetenzen an letzter Stelle.
Der Rückbau von Gender-Gerechtigkeits-Themen zum Vorteil männlich konnotierter Führungsmerkmale entspricht nicht dem, was die Beschäftigten wollen.
Cisiks Fazit: „Angesichts zunehmend an Relevanz gewinnender weicher Werte im Arbeitsumfeld, überrascht es nicht, dass vor allem persönliche Attribute wie Menschlichkeit und Fürsorge von den Beschäftigten in Deutschland deutlich höher gewichtet werden als unternehmerische Kompetenzen. Soziale Kompetenz wird immer wichtiger – neue Leader braucht das Land!“ Wenn weiche Werte wichtig sind, gewinnen logischerweise „Soft Skills“ an Bedeutung. Diese sind das Gegenteil von dem, was Zuckerberg mit seiner „maskulinen Energie“ und der Forderung, Aggression zu „feiern“, meint. Weshalb der Rückbau von Gender-Gerechtigkeits-Themen zum Vorteil männlich konnotierter Führungsmerkmale nicht dem entspricht, was die Beschäftigten in der modernen Arbeitswelt von ihren Führungskräften wollen.
Kollaboration führt zu Erfolg
Aber stehen Frauen in Führungspositionen wirklich für diese gewünschten Kompetenzen? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit vielen Jahren die US-Forscherin Heidi K. Gardner von der Harvard University. Bei ihren Untersuchungen hat sie festgestellt, dass weibliche Führungskräfte rund doppelt so viel Zeit mit kollaborativen Bemühungen verbringen, die nicht in ihre formelle Stellenbeschreibung fallen. Und genau diese Kollaboration sei es, die heute zum Erfolgsmodell für Unternehmen werde. „Smart Collaboration“ hat Heidi K. Gardner ihr Buch zu diesem Thema benannt. Ihre Kernthese darin formuliert sie auf ihrer Homepage: „Wenn Spezialisten über Grenzen hinweg an Smart Collaboration beteiligt sind, erzielen Unternehmen höhere Margen, erzeugen sie eine stärkere Kundenbindung, leisten sie innovativere Arbeit und gewinnen und binden sie die besten Talente.“
Diese Unternehmen erzielen damit offensichtlich einen Wettbewerbsvorteil. Das Problem sei nur: Die Kosten, notwendigen Bemühungen und Änderungsprozesse eines solchen kollaborativen Ansatzes seien sofort erkennbar. Der Ertrag dagegen erst später. Auch das ist ein Grund, warum aktuell Backlashes beim Thema Frauen in Führungspositionen erkennbar sind: Programme zurückzufahren spart auf den ersten Blick unmittelbar Geld und Kapazitäten. Die negativen Auswirkungen dieses Rückbaus werden erst später ersichtlich. Geben wird es sie wohl. Und sie werden besonders wehtun.
Dabei sein ist nicht alles
Wenn Frauen im Top-Management sowie im Vorstand tätig sind, komme es, so Heidi K. Gardner, sehr darauf an, dass sie dort auch tatsächlich „inkludiert“ werden. Sprich, dass sie „gehört, geschätzt und wirklich einbezogen werden“, schreibt sie in einem Beitrag für die Harvard Business Review, den sie zusammen mit Randall S. Peterson verfasst hat, Professor an der London Business School. Ist diese Inklusion gelungen, zeigen sich in den gendergerecht besetzten Gremien die Vorteile. Einer von ihnen:
Unternehmensvorstände seien in Entscheidungsprozessen „stärker auf Zusammenarbeit ausgerichtet“. Besteht das Gremium dagegen nur aus Männern, werde „wettbewerbsorientierter“ kommuniziert, verliefen Abstimmungen routinemäßig, ohne „unterschiedliche Standpunkte umfassend zu diskutieren“. Das führe zu einem Problem, wie Gardner und Peterson schreiben: „So werden häufig zugrunde liegende Meinungsverschiedenheiten verschleiert. Was dazu führe, dass diese Vorstände zu selbstsicher in ihren Entscheidungen wurden.“ Es reicht halt nicht aus, Entscheidungen deshalb selbstbewusst zu kommunizieren, weil es im Vorstand selbst dagegen keinen Widerstand gab. Entscheidend ist der Moment, wenn die Entscheidungen auf die Realität treffen. Und dann rächt es sich, wenn im Entscheidungsprozess bestimmte Perspektiven ignoriert wurden oder die Lösung eines Problems nicht vom Ende her gedacht wurde.
Was niemand braucht: Abnick-Gremien
Im Gegensatz dazu neigten Vorstände mit engagierteren Frauen dazu, „sich die Zeit zu nehmen, um bei Meinungsverschiedenheiten ein gemeinsames Verständnis des Problems zu erreichen“. Was zu einheitlicheren Entscheidungen führe, „bei denen jeder verstand, worum es ging, und keine Stimme übergangen wurde“, heißt es im Beitrag. Was dieser inkludierende Ansatz auf wirtschaftlicher Ebene bringe, zeigen die konkreten Zahlen von Gardner und Peterson: „Insbesondere Unternehmen, deren Vorstände über gut integrierte Frauen verfügen, verzeichnen eine um zehn Prozent höhere Aktienrendite.“ Und auch das Verhältnis zwischen Vorstand und Investoren sei besser: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Aktionäre formell gegen Vorstandsentscheidungen stimmen, ist bei solchen Unternehmen um acht Prozent geringer als bei Unternehmen, die Frauen im Vorstand nicht bewusst inkludierten. Es rechnet sich also, den Status und die Erfahrungen möglichst früh in Frage zu stellen. Was gegen Gremien spricht, die kollektives Abnicken mit Entschlusskraft verwechseln.
Buchtipp: „Smart Collaboration“
Zwar gibt es Heidi K. Gardners Buch „Smart Collaboration: How Professionals and Their Firms Succeed by Breaking Down Silos“ nicht in deutscher Übersetzung, doch lohnt sich die Lektüre des englischen Originals. Die Autorin ist eine ehemalige McKinsey-Beraterin und Professorin an der Harvard Business School, die heute an der Harvard Law School lehrt. Die empirischen Ergebnisse ihrer Studien zeigen, dass sich eine „smarte Zusammenarbeit“ sowohl für Fachleute als auch für ihre Unternehmen auszahlt. Im Buch bietet sie Rezepte, wie es Führungskräften gelingt, die Zusammenarbeit zu fördern und Silos aufzubrechen. Fallstudien zeigen die konkrete Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse. Heidi K. Gardner: Smart Collaboration: How Professionals and Their Firms Succeed by Breaking Down Silos. Harvard Business Review Press 2017. 27,40 Euro.