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„Gegen Schubladendenken verstoßen “

Die gläserne Decke – ein Phänomen von gestern? Nein, sagt Anke Domscheit-Berg. Die 44-jährige hat als Microsoft-Managerin gearbeitet, heute ist sie als Karriereberaterin tätig. Im Interview erklärt sie, wie sie als Coach Einsteigerinnen auf den Aufprall vorbereitet, den sie für unvermeidlich hält. Von André Boße

Zur Person

Anke Domscheit-Berg, Foto: fotografa Berlin
Anke Domscheit-Berg, Foto: fotografa Berlin

Anke Domscheit-Berg, geboren 1968 in Premnitz, studierte zunächst Textilkunst im sächsischen Schneeberg, danach BWL im hessischen Bad Homburg. Nach dem Abschluss arbeitete sie als Unternehmensberaterin bei McKinsey und Accenture, von 2008 bis 2011 war sie Managerin in einer Spitzenposition bei Microsoft Deutschland. Danach machte sie sich selbstständig: Sie berät mit ihrer Firma fempower.me sowohl ambitionierte Frauen als auch Unternehmen, die ihren Frauenanteil im Management erhöhen wollen. Die 44-Jährige hat einen zwölfjährigen Sohn.
www.fempower.me
www.twitter.com/fempowerme

Frau Domscheit-Berg, wenn Sie mit Frauen sprechen, die kurz vor dem entscheidenden Schritt ins Top-Management stehen: Welche Themen sind diesen Frauen besonders wichtig?
Viele Frauen haben die Befürchtung, dass nach dem Einstieg ins Top- Management die Kollegen nur darauf warten, dass der erste Fehler passiert – um dann über sie herzufallen. Und da man weiß, dass Fehler immer passieren können, kenne ich tatsächlich Frauen, die aus Angst vor Fehlern darauf verzichtet haben, den nächsten Schritt zu tun. Sie empfanden es als zu große Bedrohung, permanent auf einer Bühne im Scheinwerferlicht zu stehen – und zwar vor einem männlichen Publikum, das womöglich nur darauf wartet, dass man stolpert.

Ergeht es denn Männern auf dem Weg nach oben anders?
Ja, denn erstens sind sie in der Mehrheit, und eine größere Gruppe ist immer auch ein Schutz. Zweitens sind Männer häufig dahin sozialisiert worden, Fehler zu machen, Kritik daran auszuhalten und sich trotzdem zu beweisen. Sie haben solche Situationen viel häufiger erlebt als Mädchen. Das schult. Drittens stehen Männer nie als Mann im Fokus, sondern als Herr Schulz oder Herr Müller. Bei Frauen ist das anders. Da wird schnell geurteilt: „Sehen Sie, wir haben es mit einer Frau versucht – und es ging schief.“

Sie führen regelmäßig Karriere-Workshops mit Frauen durch, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Sind diese weiblichen Führungskräfte von morgen auf diese Probleme vorbereitet?
Nicht immer. Einige Frauen gehen recht blauäugig an ihre Karriere heran – häufig viel blauäugiger als die Frauen, die vor zehn oder zwanzig Jahren gestartet sind. Ich habe deshalb ein Modul etabliert, das sich „Die gläserne Decke und ihre Bausteine“ nennt. Dabei geht es zunächst einmal darum, den jungen Frauen zu vermitteln, dass die gläserne Decke weiterhin ein Problem dieser Zeit ist – und keines, das sich vor zwanzig Jahren erledigt hat. Es ist wichtig, dass die jungen Frauen auf dieses Problem vorbereitet sind. Es macht nämlich einen Unterschied, ob ich auf eine Wand treffe, die ich weit vorher gesehen habe, oder ob ich vollkommen unvorbereitet gegen sie knalle.

Was sind die Inhalte dieser Bausteine?
Ich lege zum Beispiel Zahlen vor, die belegen, wie dick die gläserne Decke in unterschiedlichen Branchen, Positionen oder beim Einkommen ist. Aber auch Fakten dazu, wie wichtig ein gutes Netzwerkverhalten für den Aufstieg ist und wie unterschiedlich Kommunikation wirken kann. Diese Dinge lassen sich gut trainieren: aufrecht und sicher stehen, den Leuten in die Augen schauen, den Konjunktiv in den meisten Fällen beerdigen. Es gibt aber auch Gegebenheiten, die man als junge Frau nicht schnell verändern kann. Zum Beispiel stereotype Zuschreibungen, wie die Maßstäbe, nach denen gutes Führungsverhalten beurteilt wird. Ich kenne keine Top-Managerin, die nicht irgendwann eine der zwei folgenden Etiketten verpasst bekam. Entweder: „Du bist zu still. Keiner bekommt mit, was du weißt und tust. Du musst dich mehr zeigen.“ Oder: „Du bist profilierungssüchtig, dominant und nur an deiner Karriere interessiert.“ Es scheint, als gebe es nichts dazwischen.

Warum ist das so?
Für eine Studie haben Männer und Frauen die Eigenschaften aufgeschrieben, die sie erstens einer Frau, zweitens einem Mann und drittens einer guten Führungskraft zuordnen. Das Ergebnis: Die Merkmale eines Mannes und einer Führungskraft sind beinahe identisch. Die Eigenschaften, die man einer Frau zuschrieb, standen denen einer Führungskraft dagegen diametral gegenüber. Eine Frau in einer Führungsposition kann also gar nicht anders, als gegen ein Stereotyp zu verstoßen: Bleibt sie dem Etikett Frau treu, zeigt sie nicht die Eigenschaften einer Top- Managerin. Erfüllt sie die Erwartungen an eine Führungskraft, wirkt sie nicht mehr feminin, man kann sie weniger leiden.

Was bedeutet das konkret für Berufseinsteigerinnen?
Angenommen, eine junge Frau geht zu ihrem Chef und fragt offensiv: „Was kann ich machen, damit ich künftig eine eigene Abteilung übernehmen kann?“ Für männliche Kollegen ist dieses Vorgehen vollkommen in Ordnung. Handelt jedoch eine Frau so, verstößt sie gegen das Stereotyp, wie eine Frau sein sollte. Mit der Folge, dass der männliche Chef denkt: „Die ist aber unsympathisch und irgendwie karrieregeil.“ Natürlich gibt es auch Chefs, die anders sind. Aber diese Stereotype sind verbreitet. Auch bei Kollegen.

Wie sollte man reagieren?
Entscheidend ist, dass die Frau die möglichen Blicke und Kommentare nicht persönlich nimmt. Dass sie nicht nachts wach liegt und sich Strategien überlegt, wie sie am nächsten Tag wieder sanfter und zurückhaltender wirken kann. Das ist nämlich die Karrierebremse schlechthin. Wer weiter nach oben möchte, muss damit leben, regelmäßig gegen das Schubladendenken zu verstoßen. Das kann anstrengend sein, wird aber einfacher, wenn man sich von Beginn an darüber bewusst ist, dass es diese Stereotype auch heute noch gibt – und dass man persönlich eigentlich gar nicht gemeint ist.

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