Startfrauen in führungspositionenDie CEO-Mom Alicia Lindner im Interview

Die CEO-Mom Alicia Lindner im Interview

Alicia Lindner hat drei Kinder – und ist Co-CEO des Naturkosmetikherstellers Börlind, gegründet von ihrer Großmutter. Zwei Vollzeitjobs – was automatisch zu einer gewissen Zerrissenheit führt, wie die Unternehmerin im Interview zugibt. Sie erzählt, wie es ihr gelingt, mit dieser Zerrissenheit umzugehen, argumentiert, warum sie kein Vorbild sein mag, und macht klar, was sie von Working Moms hält. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Nach einem Bachelor- und einem Master-Studium sowie ersten praktischen Berufserfahrungen bei einer führenden Markenstrategie-Beratung ist Alicia Lindner 2014 ins Familienunternehmen Börlind eingestiegen. Seit 2017 verantwortet sie als geschäftsführende Gesellschafterin den nationalen und internationalen Vertrieb. Auch die Finanzbuchhaltung und das Controlling zählen zu ihrem Wirkungsbereich. Die Unternehmensführung teilt sie sich mit ihrem Bruder Nicolas. Alicia Linder ist Mutter von zwei Töchtern und einem Sohn. Das „Handelsblatt“ wählte sie auf die Liste „Top 50 Female Entrepreneur“, das Magazin „Capital“ nahm sie ins Manager*innen-Ranking „Top 40 under 40“ auf. Die Nominierung zum German Diversity Award 2022 unterstreicht Alicia Lindners Diversitätsengagement. Die Auszeichnung zu den „Top 100 Women for Diversity“ durch die Beyond Gender Agenda bestätigt dies nochmals im Februar 2023. Ganz aktuell zählt das Wirtschaftsmagazin Markt und Mittelstand in seiner Ausgabe März 2023 Alicia Lindner zu den „100 wichtigsten Frauen im Mittelstand“.

Frau Lindner, Ihre Großmutter Annemarie Lindner gründete 1959 gemeinsam mit ihrem Mann Walter sowie ihrem damaligen Geschäftspartner Hermann Börner die Börlind GmbH mit ihrer Marke „Annemarie Börlind Natur-Hautpflege“. Welcher Leitsatz Ihrer Großmutter bedeutet Ihnen bis heute etwas?
Meine Großmutter hat mir gesagt, wie wichtig es ist, den Kundinnen und Kunden nahe zu sein und selbst „am Regal“ zu verkaufen. Das beherzige ich, indem ich selbst draußen unterwegs bin. Ab einem bestimmten Karrierelevel ist man versucht, die Welt und den unternehmerischen Erfolg in Zahlen und Tabellen zu erklären. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Kundinnen und Kunden sagen einem deutlich klarer, warum etwas läuft – und vor allem: warum nicht.

Das von Ihrem Bruder und Ihnen geleitete Unternehmen hat zuletzt 60 Millionen Euro umgesetzt, das Ziel sind dreistellige Millionenumsätze. Hand aufs Herz, sind diese vielen Millionen für Sie irgendwie greifbar?
Klar. Wenn man die vielen Millionen Euro in Cremetöpfchen umrechnet, dann wird’s klarer. (lacht)

Abseits der Umsätze: Welches übergeordnete Ziel verfolgen Sie als Unternehmerin?
Ich finde, dass arbeitenden Müttern in der Arbeitswelt oft unrecht getan wird. Berufstätige Mütter haben Superkräfte, von denen alle profitieren, die Familien, die Unternehmen, die Gesellschaft. Working Moms zu fördern ist daher mein Ziel als Unternehmerin.

Wie gelingt es Ihnen, im Unternehmen eine Art von Mentorin und vielleicht sogar Vorbild zu sein, wie Ihre Großmutter es für Sie war?
Ich versuche, kein Vorbild zu sein.

Warum nicht?
Ich glaube, Vorbilder werden schnell verklärt und idealisiert. Ich will ein Mensch mit Fehlern und Schwächen bleiben dürfen.

Gibt es im Unternehmen konkrete Maßnahmen, die Sie mit Blick auf die Karrierewege von Frauen eingeführt haben und bei denen Sie dachten: „Seltsam eigentlich, dass da vorher noch niemand draufgekommen ist?“
Ich bin in einem sehr emanzipierten und frauenfreundlichen Umfeld aufgewachsen. Für mich ist es selbstverständlich, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer besitzen. Das scheint aber auch weiterhin für viele nicht so selbstverständlich zu sein. Das zu verändern, daran arbeite ich, zum Beispiel viel bei LinkedIn, wo ich mit meinen Beiträgen versuche, den Wandel zu beschleunigen.

Für mich ist es selbstverständlich, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer besitzen. Das scheint aber auch weiterhin für viele nicht so zu sein. Das zu verändern, daran arbeite ich.

Sie leiten das Unternehmen zusammen mit Ihrem Bruder – was sind die großen Vorteile dieses Co-CEO-Modells, und wo liegen die Herausforderungen des Prinzips?
Der größte Vorteil ist: Wir sind nie allein! Wir tragen die vielen Verantwortungen immer zusammen. Wobei wir natürlich auch die großen Freuden miteinander teilen. Eine Herausforderung ist sicherlich das Konfliktpotenzial, das sich ergibt, wenn zwei Menschen als gleichberechtigte CEOs ein Unternehmen leiten. Bei uns funktioniert das aber vor allem deshalb gut, weil wir uns beide gegenseitig zu schätzen wissen.

Alicia Lindner, Foto: Sven Cichowicz
Alicia Lindner, Foto: Sven Cichowicz

In Ihrem Unternehmen arbeiten Menschen verschiedener Generationen. Häufig wird versucht, diese Altersgruppen durch Generationen-Begriffe auseinanderzudividieren. Daher die Frage: Was eint die Menschen, die für Börlind tätig sind?
Ich halte nichts von diesem Generationen- Bashing. Da werden viele Unterschiede erst herbeigeredet. Wir möchten einen Job haben, in dem wir als Menschen gesehen werden. Wir möchten, dass wir bei unserer Arbeit für das wertgeschätzt werden, was wir tun. Dafür, unabhängig von der Generation, der man angehört, eine Kultur zu schaffen, das ist mir wichtig.

Sie haben einmal gesagt, Mutter zu sein und Karriere zu machen – das gehe nicht ohne Zweifel. Wie gehen Sie mit diesen Zweifeln um?
Stimmt, es gibt diese ewige Zerrissenheit zwischen diesen beiden Rollen. Es bringt auch nichts, das zu ignorieren. Ich versuche mir daher zu jeder Zeit klarzumachen, dass diese Zerrissenheit nun einmal Fakt ist, wenn man zwei Vollzeit-Jobs ausübt. Wobei diese Zerrissenheit bei mir auf keinen Fall dazu führt, dass ich in einem meiner Jobs ein Motivationsproblem hätte. Das Gegenteil ist der Fall, was manchmal zu dem Gefühl führt, dass ich zeitweise beiden Vollzeitjobs nicht ganz gerecht werde.

Ich finde, dass arbeitenden Müttern in der Arbeitswelt oft unrecht getan wird. Berufstätige Mütter haben Superkräfte, von denen alle profitieren, die Familien, die Unternehmen, die Gesellschaft.

Wie lösen Sie dieses Gefühl auf?
Über eine Erwartungsklärung in beiden Bereichen. Klingt unsexy, hilft aber total.

Welche Sache, die Sie schon länger gestört hat, haben Sie zuletzt in Eigeninitiative geändert?
Ich ärgere mich oft über die lokale Politik. Also will ich mich bei der nächsten Wahl in den Gemeinderat wählen lassen.

Was hindert Menschen eigentlich daran, Dinge zu ändern, die sie abbremsen?
Das Individuum denkt oft, dass es selbst das einzige ist, das sich an einem bestimmten Problem stört. Und dass die anderen bestimmt mehr wissen – und das Problem deshalb nicht ansprechen oder verändern. Wir Menschen sind aber Herdentiere. Wenn wir das verstehen, werden uns unendliche Möglichkeiten für Verbesserungen im Kleinen und Großen plötzlich klar. Dann muss man diese nur noch umsetzen.

Zum Unternehmen

Als deutscher Naturkosmetikhersteller aus dem Schwarzwald ist Börlind zu einer globalen Marke geworden. Die Produkte des Unternehmens werden in über 40 Ländern weltweit angeboten. Neben dem europäischen Hauptmarkt sind Asien und Nordamerika wichtige Märkte in Übersee. Gegründet wurde die Firma Börlind GmbH 1959 von Annemarie Lindner gemeinsam mit ihrem Mann Walter sowie ihrem damaligen Geschäftspartner Hermann Börner. Der Name des Unternehmens setzt sich aus den Familiennamen Börner und Lindner zusammen. Für ihre Lebensleistung wurde Annemarie Lindner, die das Unternehmen bis 1985 leitete, mit dem Natural Legacy Award, dem „Oscar“ der amerikanischen Naturwarenbranche, ausgezeichnet. Nachdem ab 1985 ihr Sohn Michael Lindner die Geschäfte führte, übernahm 2020 mit Alicia und Nicolas Linder die dritte Generation die Geschäftsführung.

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