Kinder bedeuten für viele Frauen noch immer den Karriereknick – und das, obwohl Frauen heute besser denn je ausgebildet sind und eine hohe Arbeitsbeteiligung herrscht. Welche Vereinbarkeitsfaktoren entscheidend sind, und wie Frauen ihre Karriere familienfreundlich gestalten und Gleichstellung in der Familie und im Beruf einfordern können, erklärt Luisa Hanke vom Vereinbarkeits LAB in ihrem Gastartikel.
Zur Person
Luisa Hanke ist Karrierecoach, Unternehmensberaterin und Gründerin des Vereinbarkeits LABs – einem Netzwerk für familienfreundliche Karrieren. Und sie ist Mutter, alleinerziehende Mutter. Sie weiß, welche Herausforderungen es mit sich bringt, Kind und Karriere miteinander zu vereinbaren. Nach über zehn Jahren Erfahrung in der Leitung internationaler Projekte zum Thema Chancengerechtigkeit sowie der Beratung diverser Organisationen und Unternehmen zum Thema Vereinbarkeit ist es ihr ein Herzensanliegen, den Wandel für Kind und Karriere zu fördern.
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Die „motherhood lifetime penalty“ macht die Lücke im Einkommen zwischen Müttern und kinderlosen Frauen deutlich: Mutter zu sein kostet Frauen ein Vermögen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Sommer 2020 zeigt, dass die Familiengründung die Karrieren von Männern nicht beeinflusst – aber für Frauen spielt sie eine gravierende Rolle, und zwar in Bezug auf Arbeitszeiten, Karrieregestaltung und Finanzen. Die Zahlen dazu sind erschreckend: Mütter mit einem Kind verdienen im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 40 Prozent weniger als Frauen ohne Kinder. Bei Müttern mit drei oder mehr Kindern sind es sogar fast 70 Prozent. Mutter zu sein kostet Frauen im Durchschnitt 920.000 Euro eines durchschnittlichen Lebensgehalts, wie die Studie zeigt, wenn wir nicht die richtigen Vereinbarkeitsmaßnahmen ergreifen.
Bei der Elternzeit fängt es an
Die Karrierechancen von Frauen hängen sehr stark davon ab, wie gleichberechtigt sie ihr Familienleben gestalten. Sobald es nämlich mit der Familiengründung losgeht, sind viele nicht mehr so emanzipiert, wie sie es eigentlich sein wollen. 85 Prozent der Paare fallen unmittelbar nach der Geburt des ersten Kindes in alte Rollenmuster zurück. Denn in neuen, herausfordernden Situationen, und dazu zählt die Familiengründung definitiv, greifen wir auf uns bekannte Vorbilder, Rollenbilder und Verhaltensweisen zurück. In Ländern wo Vereinbarkeit und familienfreundliche Karrieren für Frauen und Männer der Status quo sind, beispielsweise in Schweden, nehmen Väter eine obligatorische Elternzeit von mindestens vier Monaten. Hier in Deutschland nimmt lediglich ein Drittel aller Väter überhaupt Elternzeit, und das im Schnitt nur 2 Monate. Dabei bildet die Elternzeit von Vätern die Grundlage für ein gleichberechtigtes Familienleben und für eine faire Verteilung der Aufgaben – sofern sie nicht auf einer mehrwöchigen gemeinsamen Reise, sondern im heimischen Alltag mit der vollen Verantwortung für die Care- und Hausarbeit verbracht wird. Denn so können auch Mütter Karriere machen und Väter wertvolle Zeit mit der Familie verbringen und wichtige Fürsorgearbeit leisten.
Immer noch sind 72,6 Prozent der Mütter in Teilzeit tätig, aber und nur 6,9 Prozent der Väter. Ein riesiges Ungleichgewicht in der bezahlten Erwerbsarbeitszeit und somit auch in der Aufteilung von Haus- und Carearbeit entsteht. Und wer mehr Zeit für unbezahlte Arbeit aufbringt, steckt langfristig in der Karriere zurück. Nicht nur die Verantwortung für Aufgaben, auch die mentale Last, an alles denken zu müssen, braucht wertvolle Ressourcen – und diese stehen dann nicht mehr im Berufsleben zur Verfügung. Daher ist es wichtig, sich möglichst früh bewusst zu machen, welche Aufgaben in der Familien- und Hausarbeit anfallen, und diese akribisch aufzuteilen: Ich empfehle, aufzuschreiben, wie häufig einzelne Aufgaben erledigt werden und wie lange sie dauern. Dazu kann auch ein fiktiver Stundenlohn vergeben werden. So lässt sich schwarz auf weiß festhalten, welche finanzielle Leistung hinter der Care- und Hausarbeit steckt.
Die Studie
„Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Was es sie kostet, Mutter zu sein“ wurde 2020 von Bertelsmann veröffentlicht und kann kostenlos heruntergeladen werden.
Familiäre Kompetenzen nutzen
Wer familienfreundliche Karriere will, muss berufliches Selbstbewusstsein entwickeln und sich erfolgreich positionieren. Mütter tun sich noch viel zu oft schwer damit, ihre Kompetenzen, Stärken und Qualifikationen selbstbewusst nach außen zu tragen. Hinzu kommen Vorurteile und Diskriminierung von Elternschaft auf dem Arbeitsmarkt. Ich rate Eltern dazu, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welchen Wert sie als Arbeitskraft mitbringen. Familiäre und soziale Kompetenzen tragen einen immensen Wert in die Arbeitswelt, es sind wesentliche Karrierebausteine und in einigen Unternehmen werden sie schon ganz bewusst als Grundlage für Führungstätigkeiten vorausgesetzt – darüber sind Eltern sich meist gar nicht bewusst. Es ist hilfreich, sich wertschätzendes Feedback von (ehemaligen) Kolleg*innen, Dozent*innen, Mentor*innen oder Freund*innen zu holen und die Erkenntnisse in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber einfließen zu lassen. Und ein Jobtagebuch hilft, sich die eigenen Leistungen bewusst zu machen und zu dokumentieren – eine perfekte Grundlage für Entwicklungsgespräche und Gehaltsverhandlungen oder für den Schritt auf das nächste Karrierelevel.
Netzwerken ist das A und O
Um die eigene Karriere auch nach der Familiengründung nachhaltig zu gestalten und weiterzuentwickeln ist es wichtig, sich ein starkes Netzwerk aufzubauen. Von einzelnen Seilschaften und Entscheidungsträger*innen abhängig zu sein, ist riskant. Immerhin bekommen 25 Prozent der Frauen nach der Elternzeit ihre alte Position nicht zurück. Daher sollten Mütter auf ein gutes, familienfreundliches Netzwerk bauen und unbedingt den verdeckten Stellenmarkt und ihre Netzwerke nutzen. Nur ein Drittel aller Jobs wird ausgeschrieben, aber 95 Prozent aller Bewerbenden schauen ausschließlich nach Stellenanzeigen. Viel effektiver ist es, über den verdeckten Stellenmarkt an wertvolle neue Kontakte zu kommen und Jobangebote zu erhalten, die man entsprechend der eigenen familiären Bedarfe und beruflichen Ziele mitgestalten kann. Netzwerke wie LinkedIn sind sehr gut geeignet, um sich erfolgreich zu positionieren, sich branchenübergreifend mit spannenden Menschen zu vernetzen und um zielgerichtet Informationen zu familienfreundlichen Unternehmen und Jobs zu finden.
Buchtipp:
Es geht nur gemeinsam!
Mit ihrer Streitschrift zeigt Soziologin Jutta Allmendinger, wo wir in Sachen Gleichberechtigung stehen – und was passieren muss, damit es endlich vorwärts geht statt weiter rückwärts. Denn durch Corona wurde eine Retraditionalisierung angestoßen, die für Frauen nachteilig ist. Allmendinger gibt einen klaren Fahrplan zu verschiedenen Zielen wie der Angleichung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern oder einem höheren Anteil von Frauen in Führungspositionen. Wissenschaftlich basiert, dabei leicht lesbar – ein Augenöffner und eine wunderbare Argumentationshilfe. Jutta Allmendinger: Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen. Ullstein 2021. 12,00 Euro