Christine Thürmer, 55 Jahre, hat Karriere als Managerin gemacht – bis sie ihr Herz ans Langstreckenwandern verlor. Vor fünfzehn Jahren tauschte sie endgültig die Businessklamotten gegen Wanderschuhe und Outdoor-Jacke. Bis heute hat sie 60.000 Kilometer zu Fuß, 30.000 Kilometer mit dem Fahrrad und 6500 Kilometer mit dem Boot zurückgelegt – und sie wandert immer weiter! Die Fragen stellte Kerstin Neurohr
Frau Thürmer, 2007 haben Sie Ihren Job an den Nagel gehängt. Wie kam`s – hat die Büroarbeit sie gelangweilt?
Von wegen! Ich habe meine Arbeit geliebt! Ich war nach dem Studium in die Unternehmenssanierung gerutscht, in einem Konzern, in dem ich als Studentin angefangen hatte. Von dort aus habe ich Blitzkarriere gemacht. Erst war ich im Controlling, dann kaufmännische Leitern, schließlich Alleingeschäftsführerin. Ich habe richtig rangeklotzt, war erfolgreich und habe sehr gut verdient. Das hat alles gut gepasst so.
Und trotzdem wollten Sie irgendwann lieber wandern gehen als weiter Unternehmen zu sanieren?
Alleine wäre ich diesen Schritt vermutlich nicht gegangen, zum Glück hatte ich einen Impuls von außen – ich bin zweimal gekündigt worden. Das war damals richtig hart, aber im Nachhinein gesehen das Beste, was mir passiert ist. Ich war erfolgsverwöhnt, hatte ein großes Büro, einen schicken Dienstwagen, Geschäftsessen in teuren Restaurants und all das. Und ich hätte sicherlich auch einen Anschlussjob gefunden. Aber aus meinem privaten Umfeld gab es auch einen Anstoß zur Veränderung: Ein Freund von mir ist damals schwer krank geworden, war lange im Pflegeheim, wo ich ihn oft besucht habe, und dann ist er gestorben. Da habe ich gemerkt: Die wichtigste Ressource ist nicht Geld, sondern Lebenszeit. Und die ist endlich, also sollten wir sie gut nutzen.
Buchtipp
Christine Thürmer: Auf 25 Wegen um die Welt. Malik 2023. 18,00 Euro
Dann sind sie also wandern gegangen – wie haben Sie angefangen?
Das war lustig – ich war ja total unerfahren, unfit, übergewichtig. Aber generalstabsmäßig vorbereitet, und das war mein entscheidender Vorteil! Als ich auf den Pacific Crest Trail gestartet bin, der entlang der Westküste der USA führt, sind gerade auch zwei coole, durchtrainierte Surferdudes losgegangen. Wow, habe ich gedacht – und dann gesehen, wie die beiden nach zwei Wochen abgebrochen habe, während ich die Strecke geschafft habe. 4277 Kilometer! Für solche weiten Strecken ist der Kopf wichtiger als die Füße. Fit wird man unterwegs von ganz alleine. Ich konnte von den Kompetenzen profitieren, die ich als Managerin erworben hatte. Langstreckenwandern funktioniert nämlich wie ein Businessplan, es geht um Termine, Kosten, Logistik, einen sauber geplanten Ablauf.
Mittlerweile sind Sie über 60.000 Kilometer gewandert. Wird es nie langweilig?
(lacht) Nein nein, dafür sorge ich sehr gut! Ich habe mir immer meine Herausforderungen gesucht. Als ich das Angebot bekommen habe, ein Buch zu schreiben, habe ich eine Challenge daraus gemacht: Ich wollte einen Bestseller schreiben. Und ja, das hat geklappt! Die Vorträge waren meine nächste Herausforderung. Da habe ich in kleinen Buchhandlungen mit Lesungen angefangen, heute stehe ich manchmal vor über tausend Menschen – und das finde ich großartig! Sechs bis acht Monate im Jahr bin ich in der Welt unterwegs, schlafe in meinem winzigen Zelt, sehe jeden Tag etwas Neues. Den Rest des Jahres verbringe ich in meiner Berliner Wohnung, ein Plattenbau in Marzahn – da genieße ich den besonderen Luxus einer warmen Dusche, einer Matratze und einer Küche, schreibe Bücher und Vorträge und bereite mich auf das nächste Abenteuer vor. Denn das kommt bestimmt!