Aus Mut wird Wut

Die Debatte über mehr Frauen in Führung läuft und läuft – doch ihre Wirkung bleibt gering. Selbst Ansätze wie mehr Homeoffice sorgen nicht für Wandel, sondern festigen die alten Strukturen. Es ist an der Zeit, den Ton zu ändern: Die Zeichen stehen darauf, den Ärger über den Status quo zu nutzen, und den Gegnern des Wandels etwas entgegenzusetzen – kreativ, aufklärerisch und mit klarer Kante. Von André Boße

Frauen müssen mutiger werden – dann klappt es früher oder später auch mit dem Aufstieg in die Führungspositionen. Sehr häufig wurde dieses Credo in diversen Interviews zum Thema genannt. Mutig zu sein, das klingt ja auch nach einem guten Plan. Aber funktioniert er?

Wo führen Frauen?

Bei steigender Unternehmensgröße nimmt der durchschnittliche Anteil von Frauen in Spitzenpositionen kontinuierlich ab und steigt dann bei den Großunternehmen wieder an, so das Ergebnis der Crifbürgel-Studie. Während in kleinen Firmen mit bis zu zehn Mitarbeitern mehr als jede vierte Führungskraft eine Frau ist (26,1 Prozent), sinkt die Chefinnenquote bei 101-bis- 500-Mitarbeiter-Unternehmen auf 12,1 Prozent. Bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern steigt die Frauenquote wieder an (13,4 Prozent), und bei Großunternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitern liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei 16,8 Prozent.

Wie sieht es in den Branchen aus?

Der Informationsdienstleister Crifbürgel hat auch untersucht, in welchen Branchen Frauen häufiger oder weniger häufig Führungspositionen einnehmen. Bei dieser Analyse liefert das Gesundheitswesen mit einer Frauenquote von 38,0 Prozent den höchsten Wert. Aber auch im Handel (26,9 Prozent) und im Verlagswesen (24,0 Prozent) nehmen Frauen überdurchschnittlich häufig Führungspositionen ein. Wenige Frauen in Führungspositionen sind indes im Maschinenbau (9,3 Prozent), im Baugewerbe (9,7 Prozent), in der Energieversorgung (11,2 Prozent) sowie der Schifffahrt (11,9 Prozent) vertreten. Vollständige Studie: www.crifbuergel.de Aktuelles – Studien – 15.11.2018: Führungspositionen in Deutschland

Hier ein paar Fakten, die eher mutlos als mutig machen. Der Informationsdienstleister Crifbürgel hat Anfang 2019 die Ergebnisse einer groß angelegten Studie über Führungskräfte in Unternehmen veröffentlicht. Die Statistiker haben dafür rund 3,15 Millionen Positionen von Führungskräften aus knapp 1,3 Millionen Unternehmen in Deutschland betrachtet und hinsichtlich Alter, Geschlecht und Regionen analysiert. Bei den Führungspositionen handelt es sich um Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglieder und -vorsitzende sowie um Vorstandsmitglieder und -vorsitzende.

Debatte intensiv, Folgen minimal

Das Ergebnis ist ernüchternd. Zwar werde die Debatte um Frauen in Führungspositionen in Deutschland seit Jahren geführt, „zuletzt immer intensiver“, wie die Autoren der Studie feststellen. „In der Folge ist dagegen relativ wenig passiert. Die Zahl der Frauen an der Spitze nimmt kaum zu.“ So liegt der Anteil an Frauen in Führungspositionen in den untersuchten Betrieben derzeit bei 22,6 Prozent – und damit nur um 0,1 Prozentpunkte höher als vor 24 Monaten. Da helfe es auch wenig, wenn die Politik eingreift und Forderungen stellt: „Obwohl die Politik seit Jahren eine höhere Frauenquote in deutschen Aufsichtsräten fordert, beträgt der Frauenanteil aktuell 17,1 Prozent“, heißt es in der Studie.

Interessant ist ein Blick auf geografische Unterschiede: Die ostdeutschen Bundesländer nehmen eine Vorreiterrolle ein. Brandenburg liegt mit einer Frauenquote in Führungspositionen von 28,3 Prozent bundesweit an der Spitze, aber auch in Sachsen (27,1 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (26,8 Prozent) liegt die Frauenquote in Spitzenpositionen deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Auf den letzten drei Plätzen: NRW (20,7 Prozent), Bayern (19,6 Prozent) und Baden-Württemberg (18,8 Prozent).

Homeoffice: Frauen in Doppelbelastung

Und noch eine Studie, die eher mutlos macht: Für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans- Böckler-Stiftung hat Dr. Yvonne Lott, Expertin für Gender und Arbeitszeit, auf Grundlage einer Studie einen Report verfasst, in dem sie der Frage nachgeht, wie sich verstärkte Homeoffice- Zeiten auf das Arbeitsverhalten von Männern und Frauen auswirken. Prinzipiell sei Homeoffice eine Chance, Frauen zu fördern – schließlich sei es ein zentraler Lösungsansatz für das Problem, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. „Selbstbestimmte Arbeitszeiten und Homeoffice können Beschäftigten mehr Autonomie und somit die Möglichkeit geben, ihre Erwerbsarbeit an ihr Familienleben anzupassen“, schreibt Dr. Yvonne Lott. Doch wie nutzen Frauen und Männer diese Autonomie? Die Studie zeigt, dass die Freiheit nicht zur Entlastung führt. Im Gegenteil: „Während die Väter sehr viel mehr Zeit in den Job stecken, machen Mütter etwas mehr Überstunden, vor allem nehmen sie sich aber deutlich mehr Zeit für die Kinderbetreuung.“ Kurz: Die Männer arbeiten mehr. Die Frauen auch – und belasten sich zusätzlich noch mit den familiären Pflichten.

Homeoffice fördert Faulheit? Von wegen!

Die WSI-Studie widerlegt das Argument, flexible oder sogar frei gestaltbare Arbeitszeiten im Homeoffice sorgten dafür, dass die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter sinkt. Das Gegenteil ist der Fall: Männer und Frauen arbeiten mehr, bei den Frauen kommt dazu, dass die Zeit für die Familie ebenfalls steigt. Zusätzliche Erholungszeit, also etwa für mehr Schlaf, individuell gestaltete Freizeit oder Sport, haben Beschäftigte mit Kindern im Haushalt durch flexible Arbeitszeiten generell nicht. Studienautorin Dr. Yvonne Lott sagt: „Einen Freizeitgewinn mit flexiblen Arbeitsarrangements gibt es weder für Mütter noch für Väter.“ Vollständige Studie: www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_47_2019.pdf

„Mütter, die im Homeoffice arbeiten, kommen in der Woche auf drei Stunden mehr Betreuungszeit für die Kinder als Mütter, die nicht von zu Hause arbeiten können; zugleich machen sie eine zusätzliche Überstunde im Job“, schreibt die Expertin in ihrem Report. Bei Vätern sehe es anders aus: „Sie machen im Homeoffice mehr Überstunden – wöchentlich zwei mehr als Väter ohne Heimarbeit –, nehmen sich aber nicht mehr Zeit für die Kinder.“ Das Fazit von Dr. Yvonne Lott: „Damit hilft flexibles Arbeiten zwar bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, es kann zugleich aber auch die klassische Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern festigen oder sogar verstärken.“ Grundsätzlich führten flexible Modelle bei beiden Geschlechtern im Schnitt zu längeren Arbeitszeiten im Job. „Bei Männern ist dieser Effekt aber deutlicher ausgeprägt als bei Frauen. Wobei Letztere gleichzeitig mehr Zeit für die Kinder aufwenden und so häufig doppelt belastet sind.“

Zähne knirschen statt Wut rauslassen

Immer wieder haben Frauen flexible Arbeitszeiten gefordert, um damit ihre Optionen zu verbessern und Karrierechancen zu erhöhen. Und nun zeigt sich, dass dieses Instrument bei Frauen zu einer Doppelbelastung führt, während Männer es nutzen, um noch mehr zu arbeiten. Nein, Mut macht das nicht. Es ist eher so, dass solche Studien Wut erzeugen. Wobei hier schon das nächste Problem wartet: In einer Studie hat die amerikanische Sozialforscherin Jessica Salerno herausgefunden, dass bei Gerichtsverhandlungen wütende männliche Anwälte ihre Effektivität steigern, während diese bei wütenden weiblichen Anwälten sinkt. Der Grund: Dem Gender-Stereotyp nach sind Männer wütend, wenn die äußeren Umstände sie zur Weißglut bringen – und Frauen dann, wenn das innere Gleichgewicht nicht stimmt.

Das ist natürlich Unfug, genau wie das Klischee, nach dem Männer mehr Wut in sich tragen als Frauen. Die Wut ist da. Nur leben Frauen sie nicht so häufig aus, sondern nehmen das, was sie erleben, zähneknirschend hin. Und das lässt sich belegen: Bruxismus nennen Zahnmediziner das unbewusste aufeinanderpressen der Zähne im Schlaf, wodurch sich Abschleifspuren ergeben, die den Schutz der Zähne verringern. Gegen diese Folgen helfen Kieferschienen, und die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) hat in einer Studie festgestellt, dass doppelt so viele Frauen diese Schienen erhalten. Als Grund vermutet SBK-Expertin Kathrin Pflügel, dass psychische Belastungen oder emotionale Herausforderungen zu diesem kontinuierlichen Anstieg führen: „Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass Patienten immer häufiger Stresssituationen ausgesetzt sind, die sie im Schlaf verarbeiten.“

Was hilft: Inspiration und Aufklärung

Was also tun, raus mit der Wut? Zumindest besser, als den Ärger in sich reinzufressen. Ideal wird es, wenn Frauen ihren Ärger über das nur zögerliche Vorankommen und ihren Unmut über Gegenwind aus der Männerriege in kreative oder aufklärerische Projekte ummünzen. Kreativ ist zum Beispiel die Plattform „Sisters of Europe“, ins Leben gerufen von den zwei Autorinnen Prune Antoine und Elina Makri. Die Französin und die Griechin beginnen ihr Projekt mit Porträts von 17 Frauen, die andere Frauen inspirieren sollen. Die in dieser Reihe vorgestellten „Sisters of Europe“ sind in der Regel keine Prominente, sondern Heldinnen des Alltags, denen es gelungen ist, trotz widriger Umstände und im gesellschaftlichen Gegenwind Haltung zu zeigen und den Unterschied zu machen.

Fortgesetzt wird das Projekt dann mit Diskussionsveranstaltungen in europäischen Großstädten, in denen jeweils die Themen angegangen werden, die vor Ort eine große Bedeutung haben. So gab es bereits eine Debatte in Berlin, wo es um das Thema „Gender-Pay-Gap“ ging, also die ungerechte Bezahlung von Frauen und Männern, die gleiche Arbeit leisten. Unterstützt wurde das Projekt dort von den Initiatorinnen des Portals „Was verdient die Frau?“, das Themen wie den Pay-Gap oder Sexismus am Arbeitsplatz behandelt und unterstützt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Stichwort Sexismus: Wann fängt dieser an, wie weit geht er – und wo liegt der Unterschied zur Misogynie, also der Geringschätzigkeit von Männern gegenüber Frauen? Die Philosophin Kate Manne hat mit „Down Girl“ ein Buch geschrieben, das die Logik der Misogynie erklärt und diesen Begriff vom Sexismus differenziert. Mannes These: Je stärker die Vorherrschaft des Patriarchats in Frage gestellt und angegriffen wird, desto vehementer wehren sich diejenigen Männer, die von diesem profitieren. Dabei haben sie eine Logik entwickelt, die Kate Manne wie folgt beschreibt: Männer teilen die Frauen ein, in die aus ihrer Sicht „schlechten“ Frauen, die die männliche Vorherrschaft angreifen, sowie in die „guten“, die den Männern die aus ihrer Sicht natürlich zustehende Anerkennung und Fürsorge zukommen lassen. „Die ‚guten’ Frauen werden geduldet, wohingegen die ‚schlechten’ kontrolliert, unterworfen und zum Schweigen gebracht werden müssen. Das ist die Struktur der Misogynie.“

Die patriarchalen Strukturen basieren nicht auf einer natürlichen oder rationalen Logik.

Wer Kate Mannes Buch liest, ist anschließend in der Lage, das, was tagtäglich in der Politik und Wirtschaft, aber auch in den kleinen und großen Unternehmen passiert, genauer zu durchleuchten und zu hinterfragen. Klar wird dabei vor allem eines: Die patriarchalen Strukturen basieren nicht auf einer natürlichen oder rationalen Logik. Sie sind nichts anderes als ein ungerechter Status quo. Wer sie verteidigt, hat entweder nichts verstanden oder will nur seine Pfründe retten. Es spricht wenig dagegen, diesen Männern nicht nur mutig, sondern auch mit einer gewissen Wut im Bauch gegenüberzutreten. So, wie es die Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez in den USA tut: Die 29 Jahre alte Kongressabgeordnete der Demokraten scheut sich nicht, offensiv Stellung zu beziehen. „Sie ist besonders effektiv darin, die frauenfeindlichen und lächerlichen Versuche, sie zu diskreditieren, offen zu benennen. Sie zeigt, dass man mit einer klaren Haltung und einem genauen Gespür für den Gegner sehr weit kommen kann“, sagt Kate Manne über Ocasio-Cortez in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung.

KI: Männer leichter ersetzbar als Frauen

Haltung und ein gutes Gespür für den Gegner: Diese Methoden sind es, die zum Erfolg führen. Und sowieso: Die Zukunft spricht für die Frauen. Der Informatiker Jürgen Schmidhuber, Direktor des schweizerischen Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz IDSIA und eines KI-Labs an der TU München, erforscht die Auswirkungen von Methoden mit Künstlicher Intelligenz auf die Arbeit. Immer wieder wird die Gefahr heraufbeschworen, die Maschinen seien eines Tages in der Lage, immer größere Anteile der menschlichen Arbeit zu übernehmen. Schmidtbauers These: Die Frauen dürfen sich entspannen, weil ihre Arbeit wesentlich schwerer durch Künstliche Intelligenz zu ersetzen sei. In einem Interview für den Deutschlandfunk erklärt der Informatiker seine Prognose: „Das liegt daran, weil die meisten Männer eigentlich nur eine Sache wirklich gut können – sie haben oft Tunnelbegabungen. Die Frauen hingegen können ganz viele verschiedene Sachen – und sie können auch vieles gleichzeitig tun.“ So seien Computer seit vielen Jahren in der Lage, den besten menschlichen Schachspieler zu besiegen. Doch können diese Rechner wirklich nur das: Schachspielen. Bei der Kombination, diverse Dinge parallel zu tun, scheitern sie. Multitasking ist ihre Sache nicht. Und wie man immer wieder hört, geht es da einigen Verteidigern des Patriachats nicht anders.

Buchtipp:

cover-die-logistik-der-misogynieMit „Down Girl – Die Logik der Misogynie“ hat die Philosophin Kate Manne eine kluge und vieldiskutierte Analyse vorgelegt, mit der sie zeigt, wie Misogynie in der Politik und im öffentlichen Leben verankert ist. Die Autorin ist Assistant Professor of Philosophy an der Cornell University, außerdem schreibt sie unter anderem für die New York Times und The Huffington Post. Das Magazin Times Higher Education und die Washington Post wählten „Down Girl“ zu einem der besten Bücher des Jahres 2017. Nun ist das Werk in deutscher Sprache erschienen. Kate Manne: Down Girl – Die Logik der Misogynie. Suhrkamp 2019. 32 Euro.Jetzt kaufen bei Amazon

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