StartBerufsleben„Technologie darf für mich nie Selbstzweck sein, man sollte sie immer in...

„Technologie darf für mich nie Selbstzweck sein, man sollte sie immer in den Dienst übergeordneter Ziele stellen.“

Alexander Leschinsky ist Geschäftsführer von G&L Geißendörfer & Leschinsky. Er hat Informatik, Musikwissenschaft, Phonetik und Elektrotechnik studiert und gleich nach dem Studium gemeinsam mit Hans W. Geißendörfer, dem Vater der Kultserie Lindenstraße, G&L gegründet. Das Unternehmen hat als erstes in Deutschland TV-Programm im Internet gestreamt, heute entwickelt und betreibt es Lösungen zur Aufbereitung und Auslieferung von Medieninhalten – zum Beispiel überträgt G&L die Spiele der Fußballweltmeisterschaften live im Internet. Die Fragen stellte Kerstin Neurohr

Herr Leschinsky, Sie haben 1999 damit begonnen, das Radio- und Fernsehprogramm ins Internet zu bringen. Wie kam es dazu?
Ich hatte zwischen 1991 und 1996 in Köln die etwas exotische Kombination aus Systematischer Musikwissenschaft, Phonetik und Informatik auf Magister studiert und nebenher noch einige Semester Elektrotechnik an der Fernuni Hagen. Einer unserer Dozenten in Psychoakustik war der damalige Chefingenieur des WDR, Dr. Leo Danilenko, über den ich dann an ein Praktikum in der Abteilung Kommunikationstechnik des Senders kam, kurz nach dem Launch der ersten Internetauftritte. Anschließend bin ich parallel zum Abschluss meines Studiums bei der GFF Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion, die damals vor allem die ARD-Fernsehserie „Lindenstraße“ produzierte, als IT-Allrounder eingestiegen. Ich war zwischen AVID-Schnittsystemen, DATEV-Steuersoftware, Excel-Tabellen und Mailservern für alles zuständig, was irgendwie auch nur entfernt mit IT zu tun hatte.

Als ich eines Tages unter dem Schreibtisch einer Aufnahmeleiterin zwischen Hundehaaren Druckerkabel zog, gab das meinem Entschluss, etwas Neues zu machen, den letzten Schub. Herr Geißendörfer hat mir dann die Freiheit gelassen, zunächst auf mich allein gestellt eine Abteilung aufzubauen, die sich alleine auf die Übertragung von Radio und Fernsehen im Internet konzentriert – wobei das 1999 wegen der geringen Bandbreiten zunächst überwiegend Audioinhalte waren. Danach ging alles sehr schnell, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Direkt nach dem Studium waren Sie also IT-Leiter der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion GmbH und haben eine eigene Abteilung aufgebaut. Was für ein Schritt! Wäre so etwas auch heute noch möglich?
Sicherlich gab es damals außerhalb reiner Informatik-Studiengänge nicht diese Breite, in der man sich heute im IT-Umfeld in Ausbildung und Studium auf die Berufswelt vorbereiten kann. Praktisch alle „IT-Leiter“ in den 90er Jahren waren mehr oder weniger Quereinsteiger. Heute gibt es praktisch zu jedem Bereich der IT Spezialangebote. Ich sehe aber, dass der Seiteneinstieg auch heute noch möglich ist. Firmen stellen ja nicht überwiegend nach Kenntnissen an, sondern nach Potential. Auch, wenn wir nicht andauernd Evolutionssprünge in der IT haben, hat das konkrete Wissen zu Technologien und Werkzeugen keine lange Halbwertszeit. Mit ausreichendem Engagement und der Bereitschaft, sich kontinuierlich fortzubilden, kann man auch heute noch exotische Berufswechsel wagen.

In den vergangenen 25 Jahren haben Sie das Streamingangebot verschiedener Fernsehsender kontinuierlich begleitet und mit ausgebaut. Was waren dabei die größten Herausforderungen und Meilensteine?
Wir waren nie an der Konzeption der Inhalte oder der Strukturierung der Mediatheken beteiligt. Unsere Aufgabe beschränkte sich auf eine technische Basisdienstleistung, die praktisch unsichtbar für den Verbraucher im Hintergrund geschieht. In den ersten Jahren war die größte Herausforderung, eine annehmbare Verfügbarkeit und Qualität zu gewährleisten. Die Übertragung von Live-Streams war immer schon aufwändiger als Video on-demand. Vor allem die großen internationalen Fußballturniere alle zwei Jahre stellten immer wieder neue Rekorde auf. Und weil beim Sport der Spaß ganz schnell aufhören kann, habe ich während der Übertragungen viele Jahre nur Dashboards, Diagramme, Metriken und Logs beobachtet. Mittlerweile sind die meisten technischen Fragen aber sehr gut beherrschbar. Der Fokus liegt heute auch wegen des gestiegenen Marktanteils der Streaming- Nutzung und den damit erhöhten Datenverkehrskosten verstärkt auf der Wirtschaftlichkeit der Angebote.

Technologie darf für mich nie Selbstzweck sein, man sollte sie immer in den Dienst übergeordneter Ziele stellen.

Und wie haben Sie es geschafft, mit den schnellen digitalen Entwicklungen Schritt zu halten?
Im Wesentlichen muss ich das auf pure Neugierde und technische Leidenschaft zurückführen. Technologie darf für mich nie Selbstzweck sein, man sollte sie immer in den Dienst übergeordneter Ziele stellen. Aber es hat für mich auch nach 25 Jahren immer noch denselben Reiz, etwas Neues auszuprobieren, zu versuchen, Funktionen mit Mehrwert zu schaffen, die Qualität zu steigern oder etwas radikal günstiger zu realisieren.

Worauf kommt es an, wenn man heute in die Branche einsteigen will?
Man sollte zumindest eine gewisse technische Basis haben, entweder im Broadcast-Bereich oder im IT-Sektor. Entscheidend ist dann die Bereitschaft, sich immer wieder neu in technische Themen einzuarbeiten, Spezifikationen zu lesen und selbst nachzuvollziehen, Dinge auszuprobieren und bis zur Betriebsbereitschaft zu optimieren. Neugierde, Beharrlichkeit und Zuverlässigkeit sind dabei natürlich auch Voraussetzung.

2022 haben Sie die Charta der Vielfalt unterzeichnet. Welche Rolle spielt Diversity in Ihrem Unternehmen?
Für uns spielen Unterschiede hinsichtlich geographischer oder sozialer Herkunft, religiöser Ausrichtung, sexueller Orientierung, körperlicher Beeinträchtigung oder Alter keine Rolle. Für uns steht im Vordergrund, wie gut jemand auf einen Job passt und was für ein Potential wir sehen. Die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt war für uns dann die äußerlich sichtbare Dokumentation dieser Haltung.

Und für Sie persönlich – welche digitale Entwicklung, welches digitale Tool, welche digitale Errungenschaft ist für Sie unverzichtbar?
Aktuell sind das sicherlich die Large Language Models wie ChatGPT, die mir gerade bei der Einarbeitung in neue Themen enorm Zeit sparen. Ansonsten bin ich nach vielem Ausprobieren aber immer wieder zu den Basics zurückgekommen: einfache Texteditoren, Markdown, Unix-Kommandozeile, gelegentlich Programmierung in Python oder Golang. Und ohne mein Apple-Ökosystem wäre ich aufgeschmissen…

Das könnte dich auch interessieren

KI-Affinität wird zum entscheidenden Skill

Die generative KI erreicht die Breite. Expert*innen sprechen vom „iPhone-Moment“: Immer mehr Menschen und...

Digitalisierungsexpertin Prof. Dr. Svenja Falk im Interview

Die Digitalisierungsexpertin Prof. Dr. Svenja Falk analysiert mit ihrem Team bei Accenture Research, das...

Kuratiert

Digitalisierung kann 43 bis 80 Mio. Tonnen CO2 zum Klimaziel 2030 beitragen Eine Studie des...







Anzeige
BWI