Professor Dr. Dr. Holger Zaborowski ist Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar sowie Inhaber des dortigen Lehrstuhls für Geschichte der Philosophie und philosophische Ethik. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen der Philosophie der Neuzeit und der Phänomenologie, Ethik, Religionsphilosophie und Politischen Philosophie. Zaborowski erhielt mehrere Auszeichnungen und ist Mitglied zahlreicher akademischer Gremien und Institutionen. Die Fragen stellte Christoph Berger
Herr Zaborowski, zu den Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz: Sind wir derzeit in einer Phase, in der wir als Menschen noch über unsere Zukunft entscheiden können oder gibt die Technik die Zukunft bereits vor?
Die gegenwärtige Situation ist in der Tat voller Herausforderungen. Doch halte ich sowohl die Option eines fatalistischen Pessimismus als auch eines oft naiven Optimismus mit Blick auf die Zukunft für schlecht begründbar. Es mag notwendig sein, zunächst einmal realistisch zu bleiben: Wir können auch weiterhin über unsere Zukunft entscheiden. Doch könnte es sein, dass aufgrund des Ausmaßes und der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts die Spielräume immer enger werden.
Sie sagen, dass die Folgen der traditionellen Technik oft überschaubar und nicht selten auch reversibel sind. Bei der Digitalisierung sei das anders, ethische Fragen seien im Vorfeld des Einsatzes zu klären. Welche ethischen Fragen müssen wir uns dabei vor allem stellen?
Die wichtigsten Fragen beziehen sich auf ein gutes und menschliches Leben. Was verstehen wir darunter? Dient die Digitalisierung dem Menschen oder soll der Mensch ihr dienen? Können die aus der Digitalisierung resultierenden Entwicklungen im Vorfeld ihres Einsatzes überhaupt abgesehen werden? Niemand kann in die Zukunft schauen. Doch muss man in der Haltung einer überlegten Vorsicht nach möglichen Folgen und Nebenfolgen technischer Neuerungen fragen – und manchmal auch aus Verantwortung heraus etwas nicht tun, so verführerisch es auch erscheinen mag.
Die Geschwindigkeit haben Sie bereits angesprochen: Hat die Bewertung und Beantwortung von Fragestellungen bei dem derzeit vorgegebenen Tempo noch die Möglichkeit mitzuhalten?
So schwierig es für die ethische Reflexion sein mag, der technischen Entwicklung zu folgen, so notwendig und unverzichtbar ist dies. Vielleicht ergibt sich in der jetzigen Situation ein neuer kategorischer Imperativ: Wir sollen immer so handeln, dass wir auch weiterhin über unsere Zukunft entscheiden können.
Weitere Informationen unter:
www.pthv.de/theologie-dozenten/prof-dr-dr-zaborowski
Welche Forderung richten Sie vorrangig an die Entwickler digitaler Technologien?
Die Grundfragen des Menschseins nicht aus dem Blick zu verlieren. Diese sind erstaunlich konstant. Sie haben mit der Sehnsucht des Menschen nach Glück, nach einem gelingenden Leben zu tun. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Politik das Gespräch mit Menschen suchen und ihre konkreten Lebenssituationen berücksichtigen. Dann können neue Technologien auch viel Gutes mit sich bringen.
Und welche Rolle können Geisteswissenschaftler innerhalb der digitalen Transformation einnehmen?
Die Rolle, die sie bei jeder Transformation einnehmen können: Sie können erstens zu beschreiben versuchen, was eigentlich passiert. Das ist nicht immer leicht. Wir stehen ja mitten in diesen Prozessen. Doch zugleich ist es auch notwendig. Denn wenn man nicht versteht, was passiert, kann man zweitens auch nicht kritisch dazu Stellung nehmen. Und nur auf dieser Grundlage können Geisteswissenschaftler drittens an jenes erinnern, was im Laufe des Fortschritts vergessen oder verdrängt zu werden droht, und viertens mögliche Handlungsalternativen aufzeigen.