Prof. Dr. Yasmin Mei-Yee Weiß ist als BWL-Professorin, mehrfache Aufsichtsrätin und Start-up-Gründerin eine gefragte Expertin für die Zukunftsthemen New Work, Future Skills und digitale Bildung. Im Interview begründet sie, auf welche Kompetenzen es in einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt ankommt. Ihre These: Je stärker der Digitalisierungsgrad, desto mehr kommt es darauf an, Mensch zu sein. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Yasmin Mei-Yee Weiß, Jahrgang 1978, ist Professorin, Expertin für die Themen „Future Skills“, „Future of Work“ sowie für Digitale Bildung. Zu diesen Themen ist sie auch als Publizistin und Keynote Speakerin aktiv. Sie ist Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und Gründerin des Start-Ups Yoloa. Tätig ist sie auch als Politikberaterin. 2014 wurde sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Innovationssteuerkreis der Bundesregierung und von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den Außenwirtschaftsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums berufen. Laut Wirtschaftsmagazin „Strive“ zählt sie zu den Top 10 der weiblichen Business Influencer im Bereich Digitalisierung.
Frau Prof. Weiß, Sie sprechen von Tätigkeiten, die „dull, dumb & dangerous“ sind, verstärkt von Maschinen und Robotern übernommen werden können. Was wäre ein Beispiel für die Kategorie „dangerous“?
Sprengkörper in Kriegsgebieten zu entschärfen oder zu sprengen, ist eine äußerst gefährliche Tätigkeit, also „dangerous“. Daher gibt es Anti-Minen-Roboter, die diese Aufgaben für menschliche Spezialisten übernehmen können.
Und was wäre ein prägnantes Beispiel von Tätigkeiten der Kategorien „dull“ und „dumb“?
Am Amtsgericht in Frankfurt wird zukünftig eine KI die Richter dabei assistieren, Urteile zu Fluggastrechten zu fällen. Hier gibt es zwischen 10.000 und 15.000 Fälle pro Jahr mit riesigen Datenmengen, die ausgewertet werden müssen. Die Software ist darauf spezialisiert, Bordkarten, Flugzeiten, Wetterdaten und vorangegangene Entscheidungen des Amtsgerichts zu analysieren und die Richter wirkungsvoll bei der Urteilsvorbereitung zu unterstützen. Das Urteil selbst wird aber weiterhin von Richtern gefällt werden.
Wen betrachten Sie als entscheidende Gestalter*innen der neuen Arbeitswelt?
Jeder kann die schöne neue Arbeitswelt mitgestalten, dazu muss man nicht Führungskraft sein. Wir stehen gerade an einem neuen Scheideweg, wie „New Work“ nach der Pandemie aussehen wird: Für welche Aufgaben kommen wir zukünftig noch ins Büro? Welche Aufgaben können wir örtlich flexibel an einem anderen Ort erledigen? Was ist hierbei eine gute Mischung? Ich persönlich glaube, dass Wissensarbeiter durchaus zu weiten Teilen örtlich flexibel und virtuell zusammenarbeiten können, dass jedoch für den kreativen Austausch, für die Entwicklung neuer Strategien sowie den Vertrauensaufbau und die Stärkung persönlicher Netzwerke das physische Zusammentreffen erforderlich ist. Hier allerdings scheiden sich in vielen Unternehmen die Geister, wie darüber gedacht wird.
Wie kann es gelingen, die Änderungsdynamik zu nutzen?
Bei jeder Veränderung gilt: Erfolg ist das beste Argument. Wenn jemand sich dafür einsetzen möchte, dass man auch 75 Prozent der Zeit remote arbeiten und dabei einen sehr guten Job machen kann, der sollte exzellente Leistung abliefern.
Grundsätzlich gilt: Je technologisierter die Welt um uns herum, desto menschlicher müssen wir selbst werden.
Was bedeutet das für die Führung im digitalen Zeitalter?
Ich glaube, Führungskräfte müssen ein extrem gutes Gespür bei der Auswahl von Mitarbeitern an den Tag legen, denn die Bedeutung des Faktors Mensch sinkt im Zuge der Digitalisierung nicht – sie steigt. Dann gilt es, diesen Menschen zu vertrauen, Aufgaben zu delegieren, gut zuzuhören, anders lautende Meinungen zuzulassen, ein Team mit diversen Fähigkeiten und Sichtweisen zu orchestrieren und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Gerade bei virtueller Zusammenarbeit steigt auch die Bedeutung von digitaler Empathie: Wie schaffe ich es als Führungskraft, Fingerspitzengefühl für meine Mitarbeiter, Kollegen, Partner, Kunden und Lieferanten zu entwickeln, wenn wir uns weniger physisch sehen? Wie also schaffe ich es, remote Vertrauen aufzubauen, tragfähige Beziehungen zu entwickeln und Wertschätzung zu vermitteln? Es klingt wie ein Paradoxon, aber in Zeiten, in denen Speed zum Erfolgsfaktor wird, müssen sich Führungskräfte noch mehr Zeit für gute Führung nehmen. Grundsätzlich gilt: Je technologisierter die Welt um uns herum, desto menschlicher müssen wir selbst werden.
Auf welche weiteren Skills wird es für den Nachwuchs in digital geprägten Positionen besonders ankommen?
Ich denke, dass die Mehrheit der Menschen begriffen hat, dass IT-Kompetenz und mindestens ein Grundlagenwissen in den neuen Schlüsseltechnologien wie KI oder Blockchain inzwischen zur Allgemeinbildung gehört und branchenübergreifend in verschiedenen Berufsfeldern relevant wird. Was oftmals von vielen unterschätzt wird, ist die Bedeutung von zeitbeständigen Metakompetenzen, die unheimlich wichtig sind, um erfolgreich in einer zunehmend digital-vernetzten und volatilen Zukunft agieren zu können. Gemeint sind Lernfähigkeit, Problemlösungskompetenz, Ambiguitätstoleranz oder Resilienz. Einen zusätzlichen Bedeutungsschub werden auch Sozialkompetenzen wie Empathie, Kommunikationsgeschick und Teamfähigkeit erfahren, denn diese unterscheiden uns von den immer intelligenter werdenden Maschinen. Letztlich gilt es, genau das zu stärken, was wir als Menschen einbringen können, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen.
Letztlich gilt es, genau das zu stärken, was wir als Menschen einbringen können, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen.
Sie sind aktuell in Elternzeit. Wie gelingt es Ihnen in dieser sehr besonderen Zeit, den „Nestbau“ als Mutter mit den Ansprüchen, die Sie an Ihre Jobs und an Ihre Wissensaneignung haben, in Einklang zu bringen?
Ehrlich gesagt: Das ist nicht einfach und nicht nur ein organisatorischer, sondern auch ein emotionaler Spagat. Du kannst, wie ich, Aufsichtsrätin, Professorin, Start-up Gründerin sein, das ist alles gut und schön, doch der wichtigste Job steht nicht auf den Visitenkarten, und er bedeutet für mich: Mutter von zwei wunderbaren kleinen Kindern zu sein. Mir hilft es, dass ich viel zeitliche und örtliche Autonomie habe, um meinen Job zu erledigen und die finanziellen Mittel, um mir viel Unterstützung im Haushalt von extern zu holen. Und: Ich liebe es, zu lernen. Das fühlt sich nicht wie Arbeit an, sondern wie ein Privileg, und ich baue es, so häufig es geht, in meinen Alltag ein. Ich höre zum Beispiel beim Sport oder beim Reisen viele Technologie-Podcasts und stelle mir auf Blinkist täglich Bücherlisten zusammen, die ich mir in Audio-Zusammenfassungen anhöre, wenn ich zum Beispiel unterwegs zu einem Termin bin.
Ich möchte auf einen Ansatz zurückgreifen, den Sie in Ihren Vorträgen oft nennen: Was würden Sie Ihrem 25 Jahre alten Ich raten, mit den Erfahrungen, die Sie seitdem gesammelt haben?
Ich würde rückblickend vieles genauso machen, aber auch einiges anders. Ich hatte immer große Träume und Flausen im Kopf und würde meinem 25-jährigen Ich raten, jeden Tag ernsthaft an diesen Träumen zu arbeiten und gleichzeitig in Summe gelassener zu sein und daran zu glauben, meinen eigenen Weg gehen zu können – auch wenn viele Stimmen von außen sagen, das gehe nicht. Die Zukunft wird immer weniger linear verlaufen und unsere Werdegänge werden es auch nicht sein, sondern von viel mehr Individualität, Brüchen, Pausen und Neuanfängen geprägt sein. Und das ist völlig in Ordnung. Ich glaube zudem auch fest daran, dass man auch lachend ernsthaft sein kann und dass vieles dadurch auch besser gelingt. Das gelingt mir mit zunehmendem Alter immer besser.
Wenn Ihre Kinder eines Tages sagen werden: „Ich gehe zur Arbeit“ – was werden sie damit meinen, wie wird sich „Arbeit“ im Jahr 2050 definieren?
Arbeiten ist immer mehr das, was wir tun, nicht wohin wir gehen. Ich habe mir vorgenommen, meine eigenen Kinder nicht nur in der digitalen Bildung persönlich zu unterstützen, sondern auch dabei, sich selbst zu entdecken. Und damit meine ich ihre persönlichen Stärken, ihre Interessen, Werte und ihren Purpose. Und dann sollen sie selbst entscheiden, was „gute Arbeit“ für sie bedeutet.
Buchtipp
„Weltbeste Bildung: Wie wir unsere digitale Zukunft sichern“ Mitte September erscheint im Campus- Verlag das neue Buch von Yasmin Weiß, in dem sie sich der Frage widmet, wie es gelingen kann, in einer immer stärker digitalisierten Welt alle Menschen mitzunehmen und für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft fit zu machen. Dabei macht sie deutlich, warum dafür lebenslanges Lernen notwendig ist und wie sich dieses organisieren lässt. Den Schwerpunkt setzt sie dabei auf die digitale Bildung sowie auf die Stärkung jener Eigenschaften, die den Menschen nachhaltig von immer intelligenter werdenden Maschinen unterscheiden. Als Autorin liegt es ihr fern, allein die Politik in die Pflicht zu nehmen – vielmehr sieht sie die Verantwortung bei jedem Einzelnen sowie bei den Unternehmen. Yasmin Weiß: Weltbeste Bildung: Wie wir unsere digitale Zukunft sichern. Campus-Verlag September 2022, 28 Euro (ab September 2022)