Am Bau kommt die Digitalisierung voran. Schritt für Schritt. Die Branche hat die Digitalisierungspotenziale erkannt und steht vor der riesigen Herausforderung, auf dem Weg in die Welt des Bauens 4.0 alle Akteure mitzunehmen. Von Christoph Berger
Die Bauwirtschaft zählt zu einer der Schlüsselindustrien Deutschlands. Allerdings wird ihr immer wieder mangelnde Produktivität im Vergleich zu anderen Branchen zugeschrieben. Wofür es natürlich Ursachen gibt. So ist zum Beispiel jedes Bauwerk ein Unikat oder bei Tiefbauprojekten kommt es immer wieder zu unvorhersehbaren Ereignissen, die nur schwer planbar sind und Standardprozesse damit unmöglich machen. Trotzdem könnte die Branche im Hinblick auf die Digitalisierung weiter sein, gibt es doch viele Prozesse, die digital abgebildet werden könnten. So kommt eine im Dezember 2021 veröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens PwC zu dem Ergebnis, dass der Digitalisierungsschub, den viele Branchenkenner erwartet hätten, bislang ausgeblieben sei. Zwar seien sich die Befragten einig, dass die Digitalisierung viele Chancen biete, allerdings habe sich die Diskrepanz zwischen den Potenzialen und den Fähigkeiten im Vergleich zum Vorjahr nur bei zwei von sieben digitalen Lösungen verkleinert. Häufig fehle es den Unternehmen an der dafür nötigen Expertise und der unternehmensinternen Akzeptanz. Knapp die Hälfte der Befragten, 47 Prozent, attestiert dem eigenen Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad.
Mit Blick auf die administrativen Prozesse wie Finanzen oder HR und die Projektprozesse – beispielsweise zur Planung und Kalkulation – sehen sogar rund sechs von zehn Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad. Anders sieht es im Bereich digitaler Lösungen wie Cloud-Technologien aus: Hier sehen zwar 81 Prozent laut den Studienergebnissen hohes Potenzial, aber nur 44 Prozent bescheinigen sich einen hohen Digitalisierungsgrad. Wenn von Digitalisierungsgraden am Bau die Rede ist, kommt man an BIM nicht vorbei. BIM steht für Building Information Modeling und beschreibt eine Methode, in der sämtliche Bauwerksdaten digital modelliert, miteinander kombiniert und gemeinsam erfasst werden. Und dies über den gesamten Lebenszyklus des jeweiligen Bauprojekts. So entsteht ein digitaler Zwilling, der bis zu sieben Dimensionen abbilden kann: Zu dem dreidimensionalen Gebäudemodell können die Faktoren Zeit, Kosten, Nachhaltigkeit und Verwaltung, gemeint ist hier das Betreiben von Gebäuden beziehungsweise das Facility Management, hinzugefügt werden.
Eine Branche im Change
Diese Zusammenfassung eines Projekts in einem digitalen Modell fordert die Bau- und Immobilienbranche nicht nur technisch heraus, sondern auch kulturell, stellt sie doch eine ganz neue Form der Zusammenarbeit der bisher äußerst fragmentierten und meist getrennt voneinander arbeitenden Akteure dar. Inga Stein-Barthelmes, Geschäftsführerin der planen-bauen 4.0 – Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH, erklärt zu BIM: „Es ist definitiv eine bessere Zusammenarbeit. Das Planen und Bauen funktioniert reibungsloser. Deswegen wird Zeit und natürlich auch Geld gespart.“ Und sie betont bezüglich des Change in der Branche, dass der Faktor Mensch umdenken müsse: „Das tun die jungen Menschen aber bereits. Ihnen geht es um die Sache und nicht um die goldene Ananas, also den „Ruhm“ der eigenen Disziplin.“
Klar brauchen wir alle, die rund um das Thema Bau studieren. Aber zudem auch die Absolventinnen und Absolventen aus ganz anderen Fachrichtungen. Es muss umgedacht werden.
Doch wie weit ist die BIM-Einführung in den bauausführenden Unternehmen nach ihrer Einschätzung vorangeschritten? Sie sagt: „Wir merken Fortschritte. Vor allem auch bei den größeren bauausführenden Unternehmen. Die können in der Regel BIM. Allerdings kein open BIM. Deswegen ist es wichtig alle mitzunehmen. Und es müssen Standards für alle geschaffen werden, damit auch der Mittelstand und kleine Unternehmen mitgenommen werden. Es muss ja nicht immer jeder alles können. Das sollte man im Auge behalten.“ Große Fortschritte und gleichzeitig noch deutliches Ausbaupotenzial, so lässt sich die Situation wohl beschreiben. Dass aber schon viel passiert sei, wird auch von Planradar, einer plattform- und geräteunabhängigen sowie zudem webbasierten SaaS-Lösung (Software as a Service) für Dokumentation und Kommunikation in Bau- und Immobilienprojekten anerkannt. Das Unternehmen schreibt im Rahmen eines Länderverglichs, „dass BIM im europäischen Bauwesen noch nicht sein volles Potenzial erreicht hat. Während Großbritannien aktuell bei der Entwicklung und Implementation von BIM führend ist, sind es vor allem andere große Länder wie Deutschland, die bei der Adaption und der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen in den letzten Jahren große Sprünge verzeichnet haben“.
Interdisziplinarität ist gefragt
Für diesen Change werden natürlich Bauingenieurinnen und Bauingenieure gesucht, die einerseits das fachliche und technische Know-how mitbringen, das für den Bau Grundvoraussetzung ist. Doch nicht nur die. Inga Stein-Barthelmes ergänzt: „Klar brauchen wir alle, die rund um das Thema Bau studieren. Aber zudem auch die Absolventinnen und Absolventen aus ganz anderen Fachrichtungen. Es muss umgedacht werden. Man kann auch von anderen Bereichen profitieren und Effizienzgewinne erzielen. Gemischte Teams sind das A und O.“ Wie interdisziplinär die Herausforderungen angegangen werden, ist zum Beispiel im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekt „intelligent Empowerment of Construction Industry“ (iECO) erkennbar. In dessen Zentrum steht die Schaffung eines Datenraums auf Basis von Gaia-X. „Gaia-X ist ein Projekt von Europa für Europa und darüber hinaus. Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus Europa und der ganzen Welt arbeiten Hand in Hand zusammen, um eine vernetzte und sichere Dateninfrastruktur zu schaffen“, heißt es dazu auf der Website des BMWK.
Auch im Rahmen von iECO arbeiten insgesamt elf Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft unter Konsortialführung der RIB Information Technologies AG unter anderem daran, den erwähnten Datenraum dafür zu nutzen, um einen Digitalen Zwilling des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu schaffen. Zum anderen soll dieser Datenraum dafür genutzt werden, um Advanced Smart Services zu entwickeln, mit denen sich der Bauprozess quer über die Wertschöpfungskette weiter optimieren lässt. Mit diesen Services sollen beispielsweise Prüf- und Genehmigungsverfahren digital vorbereitet, Terminpläne mit KI (teil)automatisiert erstellt, optimiert und angepasst werden, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Zudem könnten Baustellen unter Einsatz entsprechender Services in Echtzeit überwacht und dadurch nicht nur Störungen frühzeitig identifiziert und antizipiert, sondern auch die Arbeitssicherheit erhöht, Projektfortschritte inkl. (Teil-)Abnahmen und Mängelidentifikation bzw. -behebung transparent und effizient in Smart Contracts dokumentiert werden. Oder die während Planung und Bau eines Bauwerks entstandenen Daten für seinen späteren Betreiber festgehalten werden. Gelingt das, rückt das anvisierte Projektziel näher: Die Bauwirtschaft will die 30 Prozentpunkte, die sie hinter anderen Industrien zurückliegt, durch die Schaffung dieser Wertschöpfungspotenziale schließen. Dass dafür verschiedenste Fachdisziplinen notwendig sind, erschließt sich aufgrund der Breite der Herausforderungen.
Podcast-Tipp
In Folge 39 beschäftigt sich der Podcast „Technik aufs Ohr“ mit BIM:
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