Henrike von Platen Finanzexpertin, Wirtschaftsinformatikerin, Hochschulrätin und Kämpferin für Lohngerechtigkeit Zur Person Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt. Die Finanzexpertin war von 2010 bis 2016 Präsidentin der Business and Professional Women Germany, gründete einen Fraueninvestmentclub, ist Hochschulrätin an der Hochschule München und engagiert sich im Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V. sowie bei FidAR, der Initiative für Frauen in die Aufsichtsräte. Ihr Ziel: Lohngerechtigkeit für alle. Die Fragen stellte Christoph Berger
Frau von Platen, zu Beginn eine Frage zur Definition: Was heißt für Sie Lohngerechtigkeit?
Lohngerechtigkeit heißt erst einmal nichts anderes als gerechte Bezahlung für alle Menschen. Das Entscheidende daran ist: Wenn alle gerecht bezahlt werden, werden auch alle die gleichen Chancen und die gleichen Bedingungen haben. Geld ist die wichtigste Stellschraube auf dem Weg zur Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Aus Unternehmenssicht gehört eine faire Entgeltstrategie zur Organisationsentwicklung, in Zeiten von Fachkräftemangel und Digitalisierung mehr denn je. Wer fair führt, wirtschaftet klüger und nachhaltiger.
Sie unterstützen Unternehmen und Organisationen mit dem von Ihnen gegründeten Fair Pay Innovation Lab bei der praktischen Umsetzung von Lohngerechtigkeit. Mal naiv nachgefragt: Welche Unterstützung benötigen Unternehmen diesbezüglich – entweder sie wollen Lohngerechtigkeit oder eben keine?
Ja, das könnte man denken. Aber das Erstaunliche ist: Viele Unternehmen gehen davon aus, fair zu bezahlen – ohne ihre Entgeltstrukturen jemals überprüft zu haben. Sie sind dann oft sehr überrascht, wenn sie die Zahlen Schwarz auf Weiß sehen. Die gefühlte Lohngerechtigkeit entspricht selten der tatsächlichen. Andere Unternehmen wissen um den Missstand, aber nicht, wie sie ihn beseitigen können. Und noch andere ignorieren das Thema ganz. Wir brauchen daher im allerersten Schritt mehr Transparenz. Großbritannien geht da mit gutem Beispiel voran. Dort müssen Unternehmen ab einer bestimmten Größe seit dem Frühjahr 2018 ihre Daten zum unternehmensinternen Gender Pay Gap im Internet veröffentlichen und regelmäßig überprüfen. Natürlich hat sich manches bewahrheitet, was längst alle ahnten, aber es gab auch einige Überraschungen. Vor allem aber hat der Transparenzzwang einiges in Bewegung gebracht: Zeitgleich mit den Zahlen haben viele Unternehmen auch direkt eine Gleichstellungsstrategie präsentiert.
Warum ist eine Strategie bei der Einführung von Lohngerechtigkeit sinnvoll und auf was kommt es dabei an?
Zuallererst ist es natürlich wichtig, die Zahlen zu kennen und zu analysieren, um zu wissen, ob und wo Handlungsbedarf besteht. Ungleiche Bezahlung hat komplexe Ursachen, und Lohngerechtigkeit ist die Folge einer Vielzahl von Transparenz- und Gleichstellungsmaßnahmen. Wer in einem hierarchischen Unternehmen plötzlich sämtliche Gehälter offenlegt, hat noch lange keine Transparenzkultur, sondern wird aller Wahrscheinlichkeit auf großen Widerstand und Unmut stoßen.
Transparenz und Fair Pay lassen sich nicht per Knopfdruck bewerkstelligen. In aller Regel ist das ein umfassender Change-Prozess, der der Steuerung bedarf. Zum einen braucht es dafür Kriterien, die für alle gleich und nachvollziehbar sind. Zum anderen braucht es eine klischeefreie Zone, in der wir frei von Stereotypen und unbewussten Vorurteilen Entscheidungen fällen: Bei Stellenbesetzungen, Einstiegsgehältern oder Gehaltserhöhungen beeinflusst uns noch viel zu oft der Unconscious Bias. Hier braucht es Schulungen der Personalabteilungen und Führungskräfte.
Im Juli 2017 trat das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen in Kraft. Wie beurteilen Sie das Gesetz?
Wie gesagt: Transparenz ist der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zur Lohngerechtigkeit. Das Gesetz geht also genau in die richtige Richtung. Und je mehr Beschäftigte den Auskunftsanspruch wahrnehmen, desto mehr Unternehmen müssen sich mit ihren Entgeltstrukturen auseinandersetzen. Nicht nur am Beispiel Großbritannien sehen wir, wie viel es bewirken kann, wenn der unternehmensinterne Gender Pay Gap transparent gemacht werden muss. Island geht noch einen Schritt weiter: Für jeden Tag, den Unternehmen ihre Entgeltstrukturen nicht überprüfen, zahlen sie Strafe. Wo die Politik einen klaren Kurs vorgibt, ist die Entwicklung schneller, keine Frage. Da können wir uns von unseren europäischen Nachbarn eine ganze Menge abgucken.
Gibt es Vorteile, die Unternehmen aus der Einführung von Lohngerechtigkeit ziehen können?
Sagen wir einmal so: Die Gesetze brauchen wir eigentlich nur, weil noch nicht alle Unternehmen verstanden haben, wie wichtig gerechte Bezahlung für ihren wirtschaftlichen Erfolg ist. Viele setzen schon seit Jahren auf Transparenz und Lohngerechtigkeit. Und zwar nicht, weil sie die Welt verbessern wollen – das vielleicht auch, aber in erster Linie, weil sie wirtschaftlich erfolgreich sein wollen. Und die Ergebnisse geben ihnen Recht. Und zwar unabhängig von der Unternehmensgröße: Best Practice Beispiele gibt es vom globalen Konzern bis zum hippen Start-up mit einer hundertköpfigen Belegschaft.
Der Fachkräftemangel und die Digitalisierung sind die besten Komplizinnen für Lohngerechtigkeit, die man sich denken kann. Wer um die besten Kräfte kämpft, kann es sich schlicht nicht mehr leisten, das Thema zu ignorieren. Und die Digitalisierung schafft ganz neue technische Möglichkeiten der Arbeitsorganisation. Diverse Teams erzielen erwiesenermaßen bessere Ergebnisse. Wer die besten Köpfe binden und auch langfristig halten will, braucht faire Strukturen und eine passende Unternehmenskultur. Das wirkt sich auf die Mitarbeiterzufriedenheit ebenso aus wie auf das Arbeitgeberimage oder die Attraktivität für Stakeholder und Investorinnen. Lohngerechtigkeit ist ein Wirtschaftsfaktor.
Sie bieten neben Ihrer Beratung auch Workshops für Studierende an Universitäten an. Welche Themen liegen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dabei besonders am Herzen?
Unsere Workshops für Berufseinsteigende haben den Titel „Reich, schön und glücklich“ – es geht also ganz klar um Erfolg und Geld. Der Zulauf ist enorm. Die Unsicherheit beim Berufseinstieg ist groß, gerade in Sachen Geld und Gehalt. Da das Thema Geld gerade hierzulande ein so großes Tabu ist, wissen viele nicht, wie sie den Wert der eigenen Arbeit und ihr Einstiegsgehalt realistisch einschätzen können. Und die allermeisten haben keine Vorstellung davon, welchen Einfluss es auf ihren späteren Berufslebensverlauf und vor allem auch auf ihr Privatleben hat, wenn sie diese Fragen nicht frühzeitig für sich beantworten. Wir wollen dafür sensibilisieren, wie wichtig es ist, von Anfang an die richtigen Weichen zu stellen. Die „typische Erwerbsbiografie“ von Frauen und Männern ist kein Schicksal – das wollen wir möglichst vielen Berufseinsteigenden vermitteln. Wir freuen uns daher über jede Workshop-Anfrage.
Was können vor allem Absolventinnen tun, die vor ihrem Berufseinstieg stehen, um eine gleichwertige Bezahlung zu erlangen?
Das allerwichtigste: Über Geld reden! So oft wie möglich und bei jeder Gelegenheit. Üben lässt sich das in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis. Eventuell ergibt sich auch Gelegenheit, bei potentiellen Kollegen und Kolleginnen einfach mal konkret nachzufragen: Was verdienst du eigentlich?
Und dann ermutigen wir die Studierenden sich zuallererst über die eigenen Wünsche und Ziele klarzuwerden: Was möchte ich erreichen? Was ist mir wichtig? Wie viel Geld brauche ich? Bei einer Bewerbung ist es extrem wichtig, sich vorab über die Höhe der Gehälter im Unternehmen zu informieren und herauszufinden, welche sonstigen Gehaltsbestandteile es gibt. Das lässt sich vor dem Vorstellungsgespräch auf Plattformen wie Glassdoor, kununu oder Lohnspiegel recherchieren. Meist finden sich hier auch schon wertvolle Informationen über die Unternehmenskultur. So kann man sich in Sachen Gleichstellung und Vereinbarkeit gezielt informieren, wie es beim potentiellen Arbeitgeber aussieht: Gibt es Führungskräfte in Teilzeit? Gehen Väter länger als zwei Monate in Elternzeit? Wird im Home Office gearbeitet? All das sind Indikatoren für einen fairen Umgang miteinander. Und der spiegelt sich wiederum in der Bezahlung wider.
Das Ziel ist ein Austausch auf Augenhöhe. Das heißt im Zweifel auch festzustellen, dass ein Unternehmen nicht zu mir passt.
Ihre Prognose: Wie lange wird es in Deutschland noch dauern, bis Lohngerechtigkeit erreicht ist?
Ein paar Jahre wird es trotz Digitalisierung und Fachkräftemangel wohl noch dauern. Ich bin aber nach wie vor überzeugt, dass Lohngerechtigkeit über Nacht möglich wäre – wenn alle sie wollten. Ich persönlich peile Lohngerechtigkeit für 2020 an und plane daher eine Fair Future Party für den 31. Dezember 2019. Sie sind herzlich eingeladen! (Anm. d. Red: www.fairfuture.party)
Kamen Sie schon einmal persönlich in einem Job in die Situation, für Lohngerechtigkeit kämpfen zu müssen?
Ich war als Unternehmerin immer in der komfortablen Situation, die Regeln selbst zu machen – und habe von Anfang an für faire Strukturen gesorgt. Natürlich setzen wir im Fair Pay Innovation Lab um, was wir anderen ans Herz legen: Flexible Arbeitszeiten, Home Office, 32-Stunden-Vollzeit et cetera. Außerdem machen wir die FPI-Gehälter transparent (http://www.fpi-lab.org/fpi-gehaltsrechner/). Zugegeben, wir sind ein kleines Team, das macht manches einfacher. Doch warum sollte im Großen nicht funktionieren, was im Kleinen machbar ist? Irgendwer muss ja schließlich den Anfang machen!