Für viele Mitarbeiter bei Stern Stewart & Co. ist die Mitarbeit in Afrika-Projekten ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Sie erlaubt den Beratern, soziales mit unternehmerischem Engagement zu verbinden. Und sie bietet den berühmten Blick über den Tellerrand vom täglichen Umfeld der professionellen Unternehmen und hochentwickelten Märkten hinein in eine andere Welt. Damit tragen die Projekte wesentlich zur Weiterentwicklung der Persönlichkeiten bei, was für die Tätigkeit als Unternehmensberater von großem Wert ist. Von Fabian von Feilitzsch, Manager bei Stern Stewart
Lange ringe ich mit mir, wie ich Malaria, politische und religionsbedingte Stabilität, absehbare Magenbeschwerden sowie die anderen Unwägbarkeiten eines vierwöchigen Aufenthaltes in Westafrika für mich einordnen soll. Doch nach einem Jahr Austausch mit Desiré, Leopold und vielen anderen Partnern in Burkina Faso ist die Neugierde auf Land und Leute so sehr gewachsen, dass irgendwann klar ist: Nicht fahren ist keine Option. Zudem warten die gemeinsam erstellten Business-Pläne für den Neubau eines Imkerzentrums darauf, vor Ort realisiert zu werden. Also fliege ich Anfang März über Paris nach Ouagadougou, Hauptstadt von Burkina Faso.
Man muss den Human Development Index von hinten lesen, um Burkina Faso schnell zu finden. In einem der ärmsten Länder weltweit lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung von einem Dollar pro Tag. Drei Dollar sind auf den Baustellen, die ich besuchen werde, ein guter Tageslohn, auch wir zahlen das unseren Bauarbeitern. Fast alles davon geht für Essen und – leider oft – für Bier und Telefonkarten drauf. Über sechs Kinder je Frau heißt, dass ich kaum eine Frau zwischen 20 und 40 sehe, die kein Kind auf dem Rücken gebunden hat. Dennoch sehe ich die Frauen überall als das Rückgrat der Familie. Mir wird gar erzählt, eines der großen Hoffnungen für Westafrika sei die Bildung der fleißigen Frauen, die historisch gegen die Männer in Schule und Ausbildung zurückstehen müssen. Die etwa 800 Schülerinnen in unserem Gymnasium sowie die ca. 500 Frauen, die pro Jahr unsere Alphabetisierungskurse besuchen, sind also ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch gibt es auch mehr als genug fleißige Männer – was uns zu den Imkern bringt.
Fast alle Menschen im ländlichen Burkina sind Subsistenzwirtschaftler, die meisten davon Imker. Die traditionellen Imker arbeiten mit Feuer, was das Bienenvolk vertreibt und den Honig verrußt. Die Grundidee des Projektes vor etwa zehn Jahren war, dass die modernen, schonenden Imkermethoden Ertrag und Qualität erhöhen und damit das Leben für viele Menschen verbessern könnten. Und tatsächlich ist es eine Erfolgsgeschichte: Seit Jahren sind wir mit „Wend Puiré“ der größte Honigproduzent Westafrikas mit etwa 60 Tonnen Produktion im Jahr, 40 festangestellten Mitarbeitern und über 3000 angeschlossenen Imkern. Das Modell ist simpel: Die Bauern werden ausgebildet und kaufen eine moderne Imker-Grundausrüstung. Wend Puiré garantiert einen Abnahmepreis, holt den Honig ab, verpackt und vermarket ihn. Wird Überschuss erzielt, wird in weitere Arbeitsplätze und Produktionsanlagen investiert.
Für die vierwöchige Reise haben wir uns einige Themen vorgenommen: Nachdem wir in den letzten Jahren gemeinsam eine Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Bilanz aufgebaut haben, geht es jetzt um operative Themen: Produktsortiment, Vergütungssystem, Optimierung der Fuhrparknutzung. Vor allem aber planen wir den Neubau eines Zentrums im fruchtbaren Süden des Landes, wo neben der Honigproduktion auch Früchte wachsen sowie Bienenkrankheiten erforscht werden sollen.
Mit mir fliegt Tobias – ein Kollege, der sein Acht-Wochen-Praktikum in Beratungsprojekten mit vier Wochen Burkina abschließt. Wir beide bemühen unser Schulfranzösisch und kommen schon nach einigen Tagen und viele verdutzten Gesichtern halbwegs zurecht. Die eigentliche Herausforderung ist, die westliche Brille abzulegen und die Probleme unserer Organisation überhaupt zu verstehen: Warum kaufen fast alle Kunden auf Kredit und nur Kleinstmengen? Weil die Supermarktbesitzer dort die „Könige“ sind und die Einkaufsbedingungen diktieren. Warum ist ein Wächter der erste Angestellte auf der neuen Baustelle? Weil in einer Gegend ohne Zäune, elektrisches Licht und viel Armut Diebstahl ein großes Problem darstellt. Warum muss der Bau für Wochen unterbrochen werden, sobald es regnet? Weil sämtliche Arbeiter nach Hause gehen, um Getreide für den Jahresvorrat anzubauen. Wir brauchen viele Stunden bei nächtlichen Treffen mit Bier und gebratenem Hühnchen, um uns in die Welt einzudenken. Es hat wenig mit BWL zu tun und viel mit Abstraktionsvermögen und Kreativität, um gute Ideen für die Weiterentwicklung des Unternehmens zu entwickeln. Aber wir haben völlige Freiheit bei unternehmerischen Entscheidungen rund um Strategie und Budget – das gilt für alle Afrika-Projekte, die meine Stern-Stewart- Kollegen in Burkina Faso und Ghana vorantreiben.
Wir besuchen in den Wochen viele Orte in Burkina, sprechen mit Stammesfürsten, Bürgermeistern, Regionalgrößen und Ministern auf Dorfplätzen auf dem Land, in unserer Schule in Ouahigouya oder in staatlichen Prachtbauten. Fast täglich sehe ich mich in der Situation, im Namen unserer Non-Profit-Organisation (The Stern Stewart Institute) ein paar salbende Worte des Dankes, der Intention unseres Tuns in Burkina, der Werbung für eine Mitarbeit bei Wend Puiré oder Ähnliches zu platzieren, was von Mal zu Mal auch flüssiger gelingt. Wir begleiten die Honigernte und warten vor allem immer wieder stundenlang auf Gesprächspartner, auf den Bus, auf Strom, auf Internet- oder Handyverbindung. In Mangodara, wo unser neues Zentrum entsteht, gibt es weder Strom noch fließend Wasser, und das betriebsame Leben im Ort geht nach Sonnenuntergang einfach in der Dunkelheit weiter. Der normale Arbeitsmodus funktioniert nicht, und wir ersetzen ihn durch Gelassenheit. Ohnehin braucht es für die Zusammenarbeit vor allem Vertrauen und intensive Kommunikation – mehr als Rocket-Science-Konzepte und Excel-Modelle.
Zum Abschied wird uns zu Ehren ein großes Fest mit Musik, Tänzern und allen 40 Mitarbeitern veranstaltet. Nach einer Stunde haben sich zudem etwa 100 sensationshungrige Kinder eingefunden. Wir üben afrikanische Tänze und werden zum Abschied zu Ehrenimkern ernannt. Wir sind fast beschämt von so viel Aufmerksamkeit – gleichzeitig vertieft es die Gewissheit, dass das Projekt von einem „mal was anderes“ längst zu einer Herzensangelegenheit geworden ist.
Stern Stewart Institute
Seit 2007 ist das Stern Stewart Institute als unabhängige Non-Profit-Organisation in Afrika aktiv. Alle Projekte verfolgen zwei Ziele: Eigenverantwortung und Unternehmertum zu fördern. Die Aktivitätsfelder sind dabei vielfältig: Die Teilnehmer bauten Schulen, installierten eine Micro-Financebank, riefen eine Alphabetisierungsinitiative ins Leben und halfen mit, durch Imkerei die Lebensgrundlage für viele Menschen in Burkina Faso zu sichern.