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Das letzte Wort hat: Volkmar Koch

Geschäftsführer der Heart@Work GmbH und Autor des Buchs „Holistic Company“ Volkmar Koch vertritt die Ansicht, das Liebe im Kontext der digitalen Transformation der nächste Schritt zu einer ganzheitlichen Unternehmensführung ist, mit ihr die nächste disruptive Welle kommen wird. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Volkmar Koch ist Diplom-Kaufmann und Diplom-Informatiker (FH). Er ist seit über 20 Jahren als Führungskraft und Unternehmensberater tätig. Unter anderem war er Finanz- und Personalvorstand eines mittelständischen Unternehmens, Führungskraft in einem globalen Konzern und Partner einer internationalen Unternehmensberatung, spezialisiert auf die Themen der digitalen Transformation. Er ist Geschäftsführer des von ihm mitgegründeten Unternehmen Heart@Work.
https://heart-at-work.com

Herr Koch, besucht man Ihre Unternehmenswebsite, wird man direkt mit der Frage konfrontiert: „Wie gelingt die digitale Transformation?“ Ich unterstelle nun mal, die ersten Assoziationen der meisten Menschen sind dabei technologischer Art. Doch darum geht es bei Ihnen nicht, oder?
Doch, natürlich auch. Wer die aktuellen technologischen Möglichkeiten nicht verstanden hat, wird auf dem Weg der digitalen Transformation nicht weit kommen. Aber das allein reicht nicht. Mittlerweile hat die technologische Veränderung einen Umfang und eine Geschwindigkeit erreicht, dem viele Unternehmen und Menschen nicht mehr gewachsen sind – vor allem nicht mit den Vorstellungen und Management-Konzepten des 20. Jahrhunderts.

Die Digitalisierung gelingt nur dann, wenn wir sie als einen umfassenden Paradigmenwandel verstehen. Sie erfordert, dass wir ein neues Weltbild unserem Handeln zugrunde legen, das auch der Technologie entspricht, auf der Digitalisierung aufgebaut ist: nämlich ein quantenphysikalisches, voller universeller Verbindungen und Wechselbeziehungen, statt eines mechanistischen, voll von objektbezogener Getrenntheit. Und gleichzeitig eine Rückbesinnung auf das, was uns als Menschen von Maschinen unterscheidet – vor allem die Fähigkeit zu fühlen, körperlich zu erleben, empathisch, bewusst, kreativ und, wenn sie sich dem öffnen können, beseelt zu sein. Das Erlernen und Verarbeiten von Wissen sowie algorithmisches Denken können Maschinen besser als wir, und das werden sie uns bald weitgehend abgenommen haben.

Die zentrale These Ihres Buchs „Holistic Company“ ist, dass die Liebe auch und gerade im wirtschaftlichen Kontext die wesentliche Grundlage für eine produktive Überwindung von Getrenntheit darstellt. Achtsamkeit, Respekt etc. schön und gut, aber geht „Liebe“ da nicht etwas weit?
Ich bin mir vollkommen klar darüber, dass „Liebe“ im Kontext von Unternehmen ein Fremdwort ist und zunächst für viele esoterisch klingt. Das hat aber viel mit unserem mangelnden Verständnis von Liebe zu tun. Versteht man die Liebe umfassend und entsprechend ihres wahren Wesens, wie auch Pierre Teilhard de Chardin, der sie als die einzige Kraft beschreibt, die „die Dinge eins machen kann, ohne sie zu zerstören“, kommt man der Sache schon näher: Nur der Liebe gelingt das Paradox, Einheit zu schaffen, Getrenntheit zu überwinden, ohne Individualität zu nehmen. Und genau darauf kommt es meiner Ansicht nach im 21. Jahrhundert an – die hochgradig vernetzte, verbundene und globale Einheit dennoch freier Individuen und Unternehmen. Achtsamkeit ist hierfür eine wesentliche Grundlage, aber nur der umfassenden Liebe gelingt es, Respekt und Wertschätzung allen Menschen und nicht nur einer ausgewählten Gruppe von Menschen gegenüber zu erbringen.

Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Die Digitalisierung, die uns zunehmend im äußeren verbindet, birgt ohne eine gleichermaßen wachsende innere Verbindung – als wesentlicher Aspekt der Liebe – die große Gefahr, uns immer weiter von uns selbst und voneinander als Menschen zu entfremden. Denken Sie nur an die Gruppen von Teenagern oder Managern, die in Grüppchen stehend, jeder für sich mit ihrem Handy beschäftigt sind. Oder an die Realitätsflucht von Menschen, die zunehmend ihre Zeit in Chats, beim Internet-Shopping und in virtuellen Welten von Online-Spielen verbringen. Diese immer größere Ablenkung im Außen, befeuert durch neue digitale Medien und uns manipulierende Big Data-basierte Algorithmen, trennt uns zunehmend von uns selbst, unserem inneren und körperlichen Erleben und echten zwischenmenschlichen Beziehungen. Zu wirklicher Freiheit und Erfüllung sowie zu einem angemessenen und bewussten Umgang mit den neuen technologischen Möglichkeiten können wir durch eine Reise zu uns selbst und unser Inneres finden.

Nehmen wir mal Amazon als Beispiel, ein Konzern, der immer wieder für seinen exzellenten Kundenbezug als Best Practice herangezogen wird, Mitarbeiter andererseits aber eher zu vernachlässigen scheint: Ist Ihre Idee der Holistic Company, in der der Mensch als Kunde, Mitarbeiter, Investor und Dritter gleichgewichtig an erster Stelle des Handelns steht, mit einem solchen System wettbewerbsfähig?
Ich war schon immer der Meinung, dass andere Unternehmen viel von Amazon in Bezug auf Kundenorientierung sowie der Digitalisierung von Geschäftsmodellen lernen können. Neu hingegen ist meine ganz grundlegende Einsicht, dass Disruption ganz grundlegend immer dort ansetzen kann und wird, wo aus einseitigen Motiven gehandelt wird, wie bei einer zu einseitigen Fokussierung auf die Gewinnmaximierung. Ein solches Handeln findet offensichtlich nicht zu ganzheitlichen und nachhaltigen Lösungen – und wo etwas noch nicht „ganz“ ist, kann und wird es über kurz oder lang besser und erfolgreicher gemacht werden. Und an genau dieser Stelle besteht die Möglichkeit oder auch Gefahr der Disruption durch Andere, wenn man dies nicht selbst erkennt.

Oft wird dies von Unternehmen zu spät erkannt und erst dann offensichtlich, wenn äußere Veränderungen stattfinden – beispielsweise durch Technologiesprünge und/oder einen kollektiven Einstellungs- und Bewusstseinswandel. Genau ein solcher Wertewandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung ist derzeit gerade in den jüngeren Generationen zu verzeichnen – und dieser kann angesichts der ebenfalls zunehmenden Transparenz und sozialen Vernetzung durch die Digitalisierung auch großen etablierten Playern im Sinne der Disruption gefährlich werden. Insofern: Kurzfristig mag es für Unternehmen attraktiv scheinen, mehr Gewinn auf Kosten anderer oder auch „kostenloser“ natürlicher Ressourcen zu machen. Aber langfristig wird eine Holistic Company, die aus dem Prinzip der Ganzheit und zum Nutzen aller agiert und so Sinn und Gewinn nachhaltig miteinander verbindet, nach meiner Überzeugung erfolgreicher und wettbewerbsfähiger sein – auch wirtschaftlich.

Immer häufiger werden Entscheidungen anhand von Datenauswertungen getroffen, mit KI entscheidet Technik sogar eigenständig. Wie lässt sich diese Tendenz mit ihrer auf den Menschen konzentrierten Überzeugung vereinbaren?
Die Technik ist ein Segen. Aber nur, wenn wir die Herren der Technik sind und sie zu unserem Wohl und Nutzen einsetzen. Die Technik ermöglicht uns heute einen Wohlstand und Möglichkeiten, von denen wir noch vor 100 Jahren nicht geträumt gewagt hätten. Werden wir aber zu Sklaven der Technik, verlieren wir uns selbst, werden zu willenlosen und manipulierbaren Konsumenten, funktionieren unfrei und erfüllen die Erwartungen anderer. Der Historiker Yuval Noah Harari hat warnend darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit Zivilisationen oft dann verschwanden, wenn deren technologischer Wandel schneller war, als deren Bewusstseinswandel. In dem Maße also, wie sich unsere technologischen Möglichkeiten angesichts von neuen Technologien wie Big Data und KI erweitern, sind wir als Menschen aufgefordert, uns weiter zu entwickeln und mit diesen immer bewusster und verantwortungsvoller umzugehen.

Betrachtet man die momentanen gesellschaftlichen Entwicklungen, stellt sich die Frage: Ist die Menschheit für einen solch menschlichen und nachhaltigen Ansatz überhaupt bereit?
Ja – ich glaube schon. Wenn man unter anderem auf das gerade stattfindende Wiederaufleben von Nationalismen schaut, könnte man meinen, dass dies nicht so ist. Andererseits beobachte ich in den letzten wenigen Jahren auch eine unglaubliche Zunahme von Menschen, die sich mit Themen der Nachhaltigkeit sowie der Achtsamkeit und Bewusstseinsentwicklung privat und auch im beruflichen Kontext auseinandersetzen. Viele, auch DAX Unternehmen in Deutschland, haben das Thema der „Mindfulness“ auf die ein oder andere Weise für sich entdeckt – bis vor wenigen Jahren noch undenkbar. Google ist wahrscheinlich eines der fortschrittlichsten Unternehmen im Thema der Digitalisierung und gleichzeitig auch der Achtsamkeit. Ich halte diese gleichzeitige Entwicklung – wie schon soeben ausgeführt – keineswegs für eine zufällige Koinzidenz. Die Zeit ist reif für einen grundlegenden inneren Paradigmenwechsel aufgrund des unübersehbaren äußeren Paradigmenwechsels – insbesondere durch die Digitalisierung und den technologischen Wandel.

Buchtipp

Volkmar Koch: Holistic Company. Europaverlag 2019, 28 Euro Jetzt kaufen bei Amazon

Und verfolgt man die Berichterstattung, so kann man den Eindruck bekommen, dass die Unternehmen regelrecht Getriebene sind, auf den digitalen Zug aufzuspringen und in Technik zu investieren. Was sagen Sie Kunden, die mit einem solchen Druck zu Ihnen kommen?
Ich erlebe häufig, dass das „Digitalisieren“ zu einer Art Selbstzweck geworden ist und die Frage nach dem wirtschaftlichen und inhaltlichen „Warum?“ vor lauter Sorge, den Anschluss zu verpassen, zunehmend aus den Augen gerät. Ich glaube, dass es notwendig ist, sich als Entscheider mit dem Thema der Digitalisierung umfassend und in der Tiefe auseinanderzusetzen, aber ohne aktionistisch zu handeln und blind sogenannte „Best Practices“ von anderen Unternehmen zu übernehmen. Ich empfehle daher Kunden, sich dem Thema der Digitalisierung zunächst aus möglichst vielen Perspektiven zu nähern, um es umfassend und in seiner vollen Tragweite für sich zu verstehen und erst dann grundlegende und gezielte Veränderung vorzunehmen – auch in Bezug auf die eigenen Einstellungen und Überzeugungen.

Und auf was kommt es in dieser sich rasant verändernden und komplexen Welt auf Seiten der Berater an?
In den disruptiven Zeiten der Digitalisierung und angesichts einer komplex-dynamischen Umwelt sind weder aufwändige Analysen der Vergangenheit, noch eine umfangreiche Vorausplanung der Zukunft wirklich hilfreich – die Veränderungen sind einfach zu schnell. Die Stärkung von Resilienz sowie der Handlungs- und Veränderungsfähigkeit von Kunden im Hier & Jetzt sind daher zunehmend wichtiger, als die Ausarbeitung detailreicher Konzept- und Strategiepapiere. Hierfür sind gerade im Hinblick auf Präsenz, Zuhören, Kreativität, Intuition, Empathie, Bewusstheit und sich wirklich auf Kunden als Menschen einzulassen, umfassendere Kompetenzen von Beratern gefragt, als noch in der Vergangenheit – ohne natürlich, dass die Fähigkeit zur Strukturierung von Problemlösungsprozessen und zur Analyse obsolet würden. Eine wesentliche Grundlage hierfür ist – Achtung! – die Fähigkeit zur (Selbst-)Liebe, die meiner Ansicht nach auch eine entscheidende Eigenschaft dafür ist, eine wirklich authentische und erfolgreiche Führungskraft in einer „Holistic Company“ zu sein.

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