Wenn Gregor Pillen, Geschäftsführer von IBM Deutschland, über die Teamkultur des Unternehmens spricht, wählt er Vokabeln, die man sonst aus der Pop- und Rockmusik kennt. Er spricht von Grooves und Jams. Was das zu bedeuten hat und warum für Absolventen die Balance aus Revolutionsgeist und Respekt vor Erfahrung wichtig ist, erzählt er im Interview mit André Boße.
Zur Person Gregor Pillen
Gregor Pillen, geboren 1963 im Schwarzwald, schloss 1990 sein Studium der Wirtschaftsmathematik an der Universität Karlsruhe ab. Danach arbeitete er in diversen Unternehmensberatungen, unter anderem zwölf Jahre lang und zuletzt als Partner von Pricewaterhouse- Coopers Consulting. Im Rahmen der Übernahme dieses Unternehmens durch IBM kam Pillen 2002 in den Konzern.
Bei IBM leitete er zunächst die Financial Management Practise in der Beratungseinheit des Unternehmens. Von 2007 bis 2010 war er verantwortlich für die Erschließung und die Entwicklung wichtiger Wachstumsmärkte und baute die Beratungssparte in Zentralund Osteuropa, im Mittleren Osten und Afrika auf. Sein Dienstsitz in dieser Zeit war Dubai. 2010 kehrte er nach Deutschland zurück, seit November 2010 ist er Geschäftsführer von IBM Deutschland. In dieser Rolle verantwortet er mit IBM Global Business Service die Beratungssparte des Konzerns. Gregor Pillen ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Herr Pillen, Märkte und Kunden wandeln sich heute so schnell wie nie zuvor. Was geben Sie mit Blick auf diese Dynamik Absolventen der Wirtschaftswissenschaften auf den Weg, die jetzt ihre Karriere beginnen?
Wer heute einsteigt, tut das in einer sehr spannenden und interessanten Zeit. Auf der einen Seite spielen weiterhin berufliche Erfahrungen eine große Rolle. Auf der anderen Seite wandeln sich die Märkte sowie das berufliche Umfeld. Unsere aktuelle CEO-Studie hat da interessante Ergebnisse zu Tage gebracht: Für mehr als 80 Prozent der deutschen CEOs steht die Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter an erster Stelle, gefolgt von Kollaboration-Skills und der Bereitschaft, möglichst flexibel in wechselnden Teams zu arbeiten. Gesucht also werden Menschen, denen Veränderungen Spaß machen, die neugierig und meinungsfreudig sind und sich gerne in Netzwerken bewegen.
Wie können in dieser Hinsicht Einsteiger punkten?
Zum Beispiel durch ihr sehr natürliches Verhältnis zum vernetzten Leben und zu neuen Medien. Ich mache zudem die Beobachtung, dass das Zusammentreffen von Erfahrung und neuen Ansätzen, also zum Beispiel von senioren Forschern und jungen Querdenkern, sehr häufig zu wirklich bahnbrechenden Innovationen und großen Sprüngen führt.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Zwei Entdeckungen unseres Züricher Forschungszentrums IBM Research sind mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden – und beide Male ging der Preis eben nicht an eine Einzelperson, sondern an Teams, in denen erfahrene Kollegen und Einsteiger kooperiert haben.
Das war in den Achtzigerjahren.
Ja, und was damals schon erlebbar war, funktioniert heute noch verstärkt. Einsteiger, die im Jahr 2012 ins Unternehmen kommen, tragen etwas ganz Besonderes in das Unternehmen hinein. Etwas, das in keinem Lehrbuch steht und das wir Älteren nicht selber erlebt haben: Die junge Generation weiß, wie die Vernetzung und wie soziale Medien das Leben der Menschen verändern. Dieses Wissen ist ungeheuer wertvoll – und zwar vor allem dann, wenn es mit den Strukturen und Mustern der erfahrenen Kollegen verschmilzt.
Wie sollte eine Nachwuchskraft ihren Einstieg konkret gestalten? Sollte sie als hoffnungsvoller Querdenker direkt in die Vollen gehen?
Entscheidend ist die Balance. Die eine Seite ist das überzeugte Vorpreschen und die klare Kommunikation einer neuen Idee, die man für richtig hält und die man dem, was schon immer war, entgegenstellt. Die andere Seite wird von der Fähigkeit bestimmt, den Drang, die Dinge auf den Kopf zu stellen, für einen Moment im Hintergrund zu halten und stattdessen erst einmal in Ruhe zuzuhören. Diese beiden Seiten in Balance zu halten, ist für den Nachwuchs eine gute Strategie für den Einstieg.
Beobachten Sie generell, dass Nachwuchskräfte Karriere für sich anders definieren als es noch vor zehn Jahren der Fall war?
Ja, absolut. Wir müssen uns als Unternehmen deutlich stärker bemühen, für den Nachwuchs attraktiv zu sein, indem wir eine Vielfalt an Angeboten bereithalten, die mehr bietet als gute Gehälter, Titel und ein hohes Aufstiegstempo. Einsteiger möchten heute schneller im Unternehmen rotieren, um schnell möglichst viele Perspektiven zu erleben. Sie möchten die Wachstumsmärkte kennenlernen, wichtige Zusatzausbildungen, aber auch Sabbaticals in Anspruch nehmen. Man darf jetzt nicht so weit gehen und die junge Generation für Altruisten halten. Aber der Wert, nach dem sie strebt, geht weit über das Gehalt hinaus. Es ist eine neue Art von Gier. Eine Gier nach Erfahrungen, Netzwerken und Informationen. Nennen wir es daher ruhig eine Neugier.
Wie funktioniert Beratung bei IBM heute? Stehen mittlerweile digitale Präsentationen im Fokus, oder sind die direkten Kundenkontakte und klassischen Präsentationen weiterhin wichtig?
Die klassische Präsentation ist und bleibt wichtig, wobei sie natürlich heute durch digitale Elemente wie Flash-Animationen belebt werden muss. Beamer und Powerpoint reichen da nicht mehr aus. Wir bringen aber auch eine Digitalisierung in unser Consultinggeschäft, weil wir feststellen, dass das klassische Modell an Bedeutung verliert. Früher hat das so funktioniert: Ein Kunde ruft nach Beratung, worauf dann Heerscharen junger und intelligenter Leute anrücken, die im großen Stil Erhebungen machen, nachts an einem Konzept feilen und am Ende die eine große Antwort als Lösungsstrategie präsentieren. Diese Zeiten sind vorbei. Es gibt heute neue Methoden, die dem Wandel unserer Mitarbeiter, aber auch der Mitarbeiter des Kunden, gerecht werden.
Was für Methoden sind das?
Zum Beispiel sogenannte Jams, in denen wir als Berater nicht mehr als diejenigen auftreten, die alles besser wissen. Ziel ist es stattdessen, das Potenzial zu wecken, das innerhalb der Belegschaft des Kunden schlummert. Der Berater ist nicht mehr der Umsetzer einer längst beschlossenen Vorstandsidee. Er wird zum Möglichmacher, indem er Kommunikation und Netzwerke anbietet, die richtigen Fragen stellt und Impulse setzt. Durch diese Methoden entstehen Innovationen und Änderungsprozesse, die sich später viel besser umsetzen lassen, da sie erst durch das intellektuelle Kapital des Kunden ermöglicht wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Veränderung fruchtet, steigt ungemein, wenn es mir gelingt, die eigenen Mitarbeiter zu den Protagonisten des Wandels zu machen.
Der Jam ist ja ein Begriff aus der Rockmusik und beschreibt eine freie Session. Funktionieren Ihre Jams tatsächlich auf diese Art?
Durchaus. Und man kann noch einen Begriff aus der Musik verwenden, nämlich den Groove: Entscheidend ist, dass man im Team zusammen groovt. Dass man ohne Ressentiments unterwegs ist, um dann zu erleben, wie gemeinsam Ideen entstehen und alle davon profitieren. Wir üben das übrigens in unseren Teams mit Simulationsspielen – mit dem Lernziel, dass die Teilnehmer erkennen, dass die Produktivität weit über die Summe der einzelnen Talente hinausgeht, wenn man einen gemeinsamen Groove findet.
Zum Unternehmen
Mit einem Umsatz von rund 106,9 Milliarden Dollar im Jahr 2011 gehört IBM zu den weltweit größten Unternehmen im Bereich Informationstechnologie. Der Konzern beschäftigt mehr als 400.000 Mitarbeiter und ist in mehr als 170 Ländern aktiv. Das Portfolio reicht von Supercomputern über Software und Beratungsleistungen bis zur Finanzierung. In Deutschland war das Unternehmen, das 1911 in den USA gegründet wurde, zunächst mit dem Tochterunternehmen Dehomag vertreten; 1949 entstand dann IBM Deutschland. Der deutsche Stammsitz ist seit 2009 in Ehningen bei Böblingen. Strukturell gliedert sich IBM in Deutschland in die Kompetenzfelder „Research & Development“, „Sales & Consulting“, „Solutions & Services“ sowie „Management & Support“.
Das IBM-Forschungs- und Entwicklungszentrum in Böblingen ist eines der größten Technologiezentren der IBM weltweit. Heute forschen und entwickeln im globalen Verbund mit den anderen weltweit 60 Entwicklungs- und Forschungszentren der IBM in Deutschland rund 2000 Mitarbeiter an mehr als 60 strategischen Projekten.