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Interview mit Dr. Ricarda Brandts

Mit Blick auf die Verfassung ist NRW in Frauenhand. Regiert wird das bevölkerungsreichste Bundesland von Hannelore Kraft, Präsidentin des Landtags ist Carina Gödecke – und dem Verfassungsgerichtshof steht mit Ricarda Brandts seit 2013 erstmals eine Frau vor. Im Interview erzählt die promovierte Juristin von der Besonderheit dieser Aufgabe und rät Einsteigerinnen, nicht unbedingt den kürzesten Weg ans Ziel zu wählen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Ricarda Brandts, geboren am 26.08.1955 in Erkelenz, studierte Rechtswissenschaften in Bielefeld und Bochum. Nach Abschluss des Zweiten Staatsexamens 1984 war sie für vier Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Bochum tätig. 1988 wurde sie an das Sozialgericht Dortmund zugewiesen. Eine weitere Station als Richterin war das Landessozialgericht NRW in Essen, bevor Ricarda Brandts 1995 für zwei Jahre im NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales tätig war. Danach wurde sie 1997 Präsidentin des Sozialgerichts Dortmund, 2000 Vizepräsidentin des Landessozialgerichts NRW, 2008 Richterin am Bundessozialgericht in Kassel und 2010 Präsidentin des Landessozialgerichts NRW. Nach drei Jahren in dieser Position wurde Ricarda Brandts im Frühjahr 2013 als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Münster berufen.

Frau Dr. Brandts, seit Ihrer Ernennung stehen in Nordrhein-Westfalen nun drei Frauen an der Spitze der drei Verfassungsorgane in NRW. Was zeigt diese Bestandsaufnahme?
Solange dies nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird, müssen wir weiter an der Gleichstellung von Frauen im Berufsleben arbeiten. Zumeist fehlt es nicht an hoch qualifizierten Frauen, sondern an Arbeitsplätzen, an denen der Einsatz für den Beruf mit den Anforderungen an eine Familie zu vereinbaren ist. Für den Arbeitsmarkt insgesamt gilt: Frauen werden nur dann die gleichen Chancen wie Männer haben, wenn der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ verwirklicht wird.

Es wird in diesen Tagen viel über die Unterschiede im Führungsstil von Männern und Frauen gesprochen. Was denken Sie mit Blick auf die Gerichte: Führen Frauen anders als Männer? Und führen Sie persönlich anders?
Eine Führungskraft in den Gerichtsbarkeiten hat dieselben Anforderungen zu erfüllen – egal ob weiblich oder männlich. Eine gute Zusammenarbeit mit der Richterschaft und den übrigen Gerichtsangehörigen im Interesse eines hochwertigen Rechtsschutzes ist nur mit sozialer Kompetenz möglich – verbunden mit der Fähigkeit und dem Willen, andere mit Argumenten zu überzeugen und Entscheidungen transparent zu fällen. Ob ich meine Führungsrolle anders als meine männlichen Kollegen wahrnehme, mögen andere beurteilen.

Im Vergleich zur Ministerpräsidentin und zum NRW-Landesparlament: Was sollte das Verfassungsgericht des Landes leisten – und was gehört nicht zu seinen Aufgaben?
Der Verfassungsgerichtshof wird erst dann als Hüter der Verfassung aktiv, wenn er angerufen wird. Er muss also die Gestaltungsspielräume von Parlament und Regierung respektieren und auch in hochpolitischen Angelegenheiten rein verfassungsrechtlich argumentieren. Dies schließt eine Zurückhaltung seiner Mitglieder in Bezug auf außergerichtliche Kommentare zu politischen Debatten ein.

Die Justiz ist in diesen Tagen – gerade bei großen Verfahren wie jüngst dem Prozess gegen Uli Hoeneß – sehr im Fokus der Öffentlichkeit. Tut ihr das gut, weil mehr über die Arbeit der Gerichte öffentlich wird?
Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse an der Transparenz von gerichtlichen Verfahren und Entscheidungen. Zu einer aufgeschlossenen Gerichtsbarkeit gehört auch das beständige Bemühen, das eigene Tun verständlich zu machen und so das Vertrauen in die Justiz zu stärken. Natürlich besteht auch die Gefahr, dass Gerichtsverfahren instrumentalisiert werden – etwa für eine besonders reißerische Vermarktung einer Persönlichkeit. Hier sind wir Richterinnen und Richter gefordert, einer unsachlichen Berichterstattung so weit wie möglich entgegenzuwirken und die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten zu schützen.

Sie sind 1988 als Richterin auf Probe dem Sozialgericht Dortmund zugewiesen worden. Das war damals Ihr erster großer Karriereschritt. Wissen Sie noch, wie Sie diesen ersten Meter auf Ihrer beruflichen Laufbahn empfunden haben?
Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Verhandlungstermine als Vorsitzende einer Rentenkammer. Ich war mir der Tragweite meiner Entscheidungen für das Leben der Betroffenen sehr bewusst und in jedem Einzelfall zunächst unsicher, ob die Beweislage ausreichend und meine Entscheidung richtig war. Mit zunehmender Erfahrung ist diese Unsicherheit der Gewissheit gewichen, dass ein Richter seine eigene Amtsführung stets auch selbstkritisch begleiten sollte.

Welche weiteren Kenntnisse haben Sie als junge Juristin gewonnen, die für Ihren Karriereweg bis heute wichtig sind?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Bereitschaft, über den Tellerrand der eigenen Tätigkeit zu schauen, wichtig ist. Zudem sollte man die Chancen ergreifen, die sich ergeben – und zwar auch dann, wenn der Zeitpunkt aus persönlicher Sicht vermeintlich nicht der günstigste ist.

Welche Rolle haben Mentoren und Förderer auf Ihrem Karriereweg gespielt?
Ich hatte das Glück, Vorgesetzte zu haben, die mich gefördert, gefordert und mir manchmal mehr zugetraut haben als ich mir selbst. Ohne mein Vertrauen in deren Einschätzung hätte ich als junge Richterin weder die Aufgabe der Pressesprecherin bei dem Sozialgericht Dortmund noch ein Dezernat in der Gerichtsverwaltung des Landessozialgerichts NRW übernommen. Denn ich wollte vor allem Richterin sein, Aufgaben in der Verwaltung hatte ich nicht im Visier. Im Nachhinein kann ich sagen: Ich bin dankbar, dass ich gut beraten wurde. Ich habe die Übernahme einer neuen Aufgabe oder eines neues Amtes nie bereut.

Keine Karriere ohne überraschende Wendepunkte. Welche Wendung in Ihrer Laufbahn kam für Sie besonders überraschend?
Die Sozialgerichtsbarkeit ist meine berufliche Heimat, und ich habe diese Arbeit immer als herausfordernd und erfüllend empfunden, so dass ich nie mit dem Gedanken gespielt habe, sie aufzugeben. Für mich überraschend war, dass sich die Chance bieten würde, Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts NRW zu werden. Dank der Unterstützung der neuen Kollegen habe ich mich gut einarbeiten können, so dass die erste Zeit zwar eine besondere, aber keine allzu schwere Herausforderung gewesen ist.

Zum Abschluss ein Rat an junge Juristinnen, die nun nach dem Studium am Beginn ihrer Karriere stehen: Welchen Fehler, der noch immer häufig von ambitionierten Frauen begangen wird, sollten sie unbedingt vermeiden?
Es wird oft der gerade und damit kurze Weg zu einem bestimmten Berufsziel gepriesen. Ich rate jedoch, sich umzuschauen, offen zu bleiben für verschiedene Möglichkeiten und sich nicht zu früh festzulegen. Denn erst, wenn man auch Alternativen im Blick hatte, gewinnt man die Sicherheit, tatsächlich den richtigen Weg gewählt zu haben.

Zum Verfassungsgerichtshof NRW

Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen setzt sich aus sieben Richterinnen und Richtern zusammen. Er hat die Rolle des Hüters der Landesverfassung und entscheidet unter anderem über den Ausschluss von Vereinigungen und Personen von der Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen, über Beschwerden im Wahlprüfungsverfahren bei Landtagswahlen oder über Anklagen gegen den Ministerpräsidenten oder gegen Minister der NRW-Landesregierung. Zu den Aufgaben des Verfassungsgerichtshofs gehört es auch, Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten über Gesetzesentwürfe zu treffen oder die Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen anzuhören, wenn diese eine Verfassungsbeschwerde einreichen, weil sie sich in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt fühlen.

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