Weltraumfahrstuhl

Einmal den Mond bereisen, und das nicht als Astronaut mit jahrelanger Ausbildung, sondern einfach als Besucher. Davon träumt die Menschheit schon lange. Und dann natürlich keine unbezahlbar teure Anreise, sondern einfach in den Fahrstuhl steigen, auf den Knopf „Raumbahnhof“ drücken und zwei Tage später ist man da. Dort warten schon betankte Raumschiffe, und los geht es zu den Planeten. Vielleicht wird das ja doch irgendwann einmal Realität, fragt sich Michael Boden von der Deutschen Raumfahrtgesellschaft in seinem Bericht.

Der Weltraumfahrstuhl ist eine schon relativ alte Idee aus dem späten 19. Jahrhundert, die um das Jahr 2000 wieder aufgegriffen wurde. Raketen sind sehr teuer und zudem energetisch ineffizient. Es sind immer noch keine wiederverwendbaren Raketen in Aussicht, welche die Transportkosten ins All dramatisch senken könnten. Der Space Shuttle war zwar wiederverwendbar, hat aber zumindest ökonomisch die in ihn gesetzten Hoffnungen bei Weitem nicht erfüllt. Wie schön wäre es, wenn man auf das Rückstoßprinzip ganz verzichten könnte. Es gibt da diese Märchengeschichte von einer Bohnenstange, die bis in den Himmel wächst, und an der man hochklettern kann. Das wäre die Lösung.

Der Weltraumfahrstuhl würde jedoch nicht von unten nach oben gebaut, wie man vielleicht denken könnte, sondern umgekehrt. Dafür bräuchte man eine sehr große Raumstation im geostationären Orbit (GEO) in 36.000 Kilometern Höhe. Stationär heißt dieser Orbit, weil sich ein Objekt dort genau so schnell bewegt, dass es in 24 Stunden die Erde umkreist, demnach immer über demselben Ort am Äquator steht, und dies ist der entscheidende Punkt.

Diese Raumstation fungiert als Fabrik, in der entweder aus angelieferten Rohstoffen ein langes Seil beziehungsweise Kabel oder Band hergestellt wird oder in der angelieferte Teilstücke verschweißt werden können. Die Anlieferung müsste dabei mit Raketen von der Erde aus erfolgen. Hierbei ist mit Kosten um mindestens 10.000 Dollar pro Kilogramm Fracht zu rechnen. Personal müsste ebenfalls nach oben gebracht werden, und zwei- oder dreimal im Jahr wieder auf die Erde zurück. Das „Einfangen“ und Heranbugsieren eines kleinen kohlenstoffhaltigen Asteroiden von 50 Metern Durchmesser würde das Verfahren entscheidend vereinfachen. Denn einerseits gibt es sehr viele dieser Objekte, man fasst sie in der Klasse der Arjuna-Asteroiden zusammen. Andererseits haben sie den Vorteil, dass sie nur eine ganz geringe Bahnneigung gegenüber der Erdbahn aufweisen und eine erfreulich geringe Geschwindigkeitsdifferenz gegenüber der Erde besitzen. Somit müssen sie nur um einige Hundert oder sogar nur um einige Zehn Meter pro Sekunde abgebremst oder beschleunigt werden.

Man kann so ein Exemplar von etwa 100.000 Tonnen Masse in den geostationären Orbit „bugsieren“, wo seine verschiedenen Rohstoffe, wie Metalle oder Kohlenstoff, vor Ort für den Fahrstuhl verarbeitet werden können und somit nicht kostenintensiv hochgeschafft werden müssen.

Nach der klassischen Raketengrundgleichung von Hermann Oberth und Ziolkowski – v = w x ln ma/mb – werden nur 2000 Tonnen Treibstoff benötigt, um Hunderttausend Tonnen Masse um 300 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen. Diese Menge mit Raketen hochzubefördern, ist sicher ein riesiger Aufwand, aber es sind eben nur zwei Prozent von der Gesamtmasse des Fahrstuhles.

Weltraumfahrstuhl, Skizze: Michael Boden

Was nun die in Betracht kommenden Materialien für einen Weltraumfahrstuhl betrifft, ist Folgendes zu sagen: Stahl scheidet als Material für das Seil aus, er würde einfach reißen wie ein Spinnenfaden. Kevlar ist besser, aber nicht gut genug. Kristalline Graphitfasern kommen schon eher in Betracht. Der unbedingte Favorit aber sind die winzig kleinen Carbon Nanotubes. Diese weisen exorbitante mechanische, thermische und elektromagnetische Eigenschaften auf, sogar Supraleitfähigkeit bei tiefen Temperaturen. Es gibt sie auch schon seit einigen Jahren, aber noch ist es nicht gelungen, Röhrenbündel von mehr als 20 Zentimetern Länge herzustellen. Man bräuchte jedoch sagenhafte 144.000 Kilometer. Denn 36.000 Kilometer genügen noch nicht. Das „Seil“ würde herunterfallen und die Station mit in die Tiefe ziehen, je länger es wird und je mehr es sich der Erdoberfläche nähert. Es muss also ein Gleichgewicht her, die sogenannte Oberlänge. Sie muss bei dieser Entfernung 108.000 Kilometer lang sein, damit sie die sich nach außen hin ständig vergrößernde Fliehkraft, die Schwerkraft, genau kompensieren kann.

Die rote Zentralstation ist in der oben stehenden Grafik nicht zufällig wie ein Auflager gezeichnet, so soll die physikalische Ähnlichkeit mit einer Wippe verdeutlicht werden. An diesem Punkt, in der geostationären Umlaufbahn, befindet sich der Schwerpunkt des Seiles. Wenn die Oberlänge versehentlich ein paar Kilometer zu lang geraten würde, wäre dies derselbe Effekt, als ob auf einem Arm der Wippe ein schwereres Kind säße als auf dem anderen Arm. Das Abschlussgewicht am oberen beziehungsweise äußeren Ende des Seiles dient der Straffung des Endstückes mittels Zentrifugalkraft.

Filmtipp

Dr. Markus Landgraf ist Weltraumforscher und Missionsplaner bei der Europäischen Weltraumagentur ESA in Darmstadt, Deutschland. Bei der TEDx-Konferenz RheinMain 2013 erklärt er den Weltraumfahrstuhl.
Auf Youtube zu sehen unter: An Elevator to Space: Markus Landgraf at TEDxRheinMain:

Das Problem mit der unzureichenden Reißfestigkeit der konventionellen Materialien kann man entschärfen, wenn mit einem gleitenden Querschnitt gearbeitet wird, was bedeutet, dass der Querschnitt des Seiles oder Bandes an der Zentralstation am Größten ist und nach unten und oben hin kontinuierlich abnimmt. In einem Kilometer Höhe hat das Seil nämlich nur die Frachtgondeln zu tragen, das Eigengewicht zählt praktisch nicht. Am Schwerpunkt aber haben sich die Gewichtskräfte aussummiert, die aus etwa 100.000 Tonnen Strukturmasse entstehen. Mit solch einer Masse muss man schon rechnen, wenn man einen Weltraumfahrstuhl haben möchte, der um die 50.000 Tonnen pro Jahr hinaufzieht. Die Fracht würde beispielsweise aus Treibstoff, Lebensmitteln, Bauteilen von Satelliten und Raumschiffen, Wasser, und vor allem aus Material für den Bau eines zweiten, dritten oder vierten Lifts bestehen. Oder eben auch aus Personen, die in speziellen Kabinen hinauftransportiert würden.

Diese Frachtgondeln und Wohnkabinen können sich, je nach Energieeinsatz, mit einigen Hundert Stundenkilometern an der Struktur heraufziehen, was eine Fahrtzeit von zwei bis drei Tagen bedeutet. Dafür würden Klettermaschinen benötigt, die ihre elektrische Energie dem supraleitenden Band entnehmen. Die Stromkosten betrügen theoretisch nur 90 Cent für ein Kilogramm Nutzlast in den geostationären Orbit. Das klingt zunächst unglaubwürdig, aber es ergibt sich aus der Tatsache, dass die kinetische und potenzielle Energie eines Kilogramms Masse, welches von der Erdoberfläche in den geostationären Orbit befördert wird, um 60 Millionen Joule erhöht wird. 60 Millionen Joule, das sind 60 Millionen Wattsekunden, also 60.000 Kilowattsekunden. Geteilt durch 3600 ergeben sich 16,7 Kilowattstunden. Und eine Kilowattstunde Strom kann schon heute durchaus zu fünf Cent erzeugt werden, das ergibt dann diese 90 Cent. Das ist der Gegenwert eines Cheeseburgers, nicht mehr. Von einem ganz ausgereiften System und bei voller Auslastung erhofft man sich Frachtkosten von unter 100 Dollar pro Kilogramm.

Es ist bisher nicht erwähnt worden, dass der Aufzug zweckmäßigerweise mit zwei „Förderbändern“ betrieben wird, damit die Frachtgondeln problemlos nach unten zurückgebracht werden können. Wenn man dann den Zustand erreicht hat, dass in einem Jahr Hunderttausend Tonnen Material und einige Tausend Menschen zu Raumschiffwerften, Konstruktionsanlagen, Raumstationen, Solarkraftwerken und Treibstoffdepots im geostationären Orbit geschafft werden können, und dies zu Kosten von nur 20 oder 30 Milliarden Dollar im Jahr, also für weit weniger als ein Promille des Weltbruttosozialprodukts, dann liegt das Sonnensystem uns zu Füßen.

Dann, und nur dann, können die altbekannten Raumfahrtvisionen von Marsflügen, großen Mondstationen, Asteroidenbergbau, Habitaten mit Zehntausenden Bewohnern, riesigen Solarkraftwerken, bemannten Flügen an den Rand des Sonnensystems und so weiter wahr werden. Solche Raumlifte können übrigens auch auf dem Mars und sogar auf dem Mond gebaut werden. Unendliche Weiten …

Events

Zum fünften Mal trafen sich Interessierte, Forscher und Wissenschaftler aus aller Welt zur Space Elevator Conference. Veranstaltet wird sie vom International Space Elevator Consortium (ISEC). Dieses Jahr fand sie vom 23.-25.8.2013 im Museum of Flight in Seattle, Washington, USA, statt.
Mehr Infos unter: www.isec.org/sec

Die Space Elevator Challenge fand das letztes Mal 2010 in Tokio, Japan, statt. Hier traten Studententeams gegeneinander an, um ihre selbstkonstruierten Lifts vorzustellen. Im Jahr davor traten im NASA Dryden Flight Reseach Center in Edwards, Kalifornien, USA, drei Teams gegeneinander an. Gewinner gab es jedoch nicht, denn bisher existiert der Weltraumlift nur auf dem Papier.
www.spaceelevatorgames.org

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