Immer mehr Absolventen entscheiden sich für eine Karriere in der Medizintechnik – eine rasant wachsende Branche mit Zukunft, die qualifizierten Nachwuchskräften zahlreiche Perspektiven bietet. Von Christina Hermann
Erik Albrecht-Laatsch stammt aus Göttingen und hat in Ulm Medizintechnik mit Schwerpunkt Mechatronik studiert. Nach seinem Diplom kehrte er in die Region zurück und fing bei dem Medizintechnik-Unternehmen Ottobock als Ingenieur im Bereich Forschung und Entwicklung an. Heute leitet er dort eine Abteilung mit 15 Mitarbeitern, die elektronische Baugruppen zum Beispiel für den Einsatz in Prothesen entwickeln.
Hier stehen Erik Albrecht-Laatsch und seinen Kollegen modernste Messgeräte und Software-Umgebungen zur Verfügung. Fort- und Weiterbildungen sind seitens des Unternehmens ausdrücklich erwünscht, und auch die gute Vernetzung mit Forschungspartnern wie der Technischen Universität Berlin eröffnet neue Perspektiven. Zudem bleibt Raum für kreatives, experimentelles Arbeiten – die Basis für die Entwicklung innovativer Produkte, die die Mobilität und Unabhängigkeit von Menschen verbessern.
An seiner Arbeit schätzt Erik Albrecht- Laatsch das kollegiale Miteinander und die gute Atmosphäre: „Wir sind ein gemischtes Team und profitieren von den individuellen Stärken jedes Einzelnen. Als Ingenieur reizt es mich, technische Herausforderungen zu meistern“, ergänzt der 35-Jährige und erklärt, was in seinem Beruf besonders wichtig ist: „Beharrlichkeit und der Wille, selbst bei schwierigen Aufgabenstellungen eine optimale Lösung zu finden.“
Weltweit beschäftigt das Unternehmen derzeit 285 Ingenieure unterschiedlicher Fachrichtungen, darunter Maschinenbau, Feinwerktechnik, Adaptronik, Mess- und Regelungstechnik. Größtenteils werden sie wie Erik Albrecht- Laatsch in der Forschung und Entwicklung, aber auch in anderen Unternehmensbereichen wie etwa Produktion, Produktmanagement, Logistik, Vertrieb und Einkauf eingesetzt.
„Künftig brauchen wir mehr Ingenieure, da die Technologien und Produkte komplexer und hierfür Spezialisten mit fundierter Ausbildung benötigt werden“, sagt Dr. Michael Hasenpusch, Geschäftsführer für Forschung und Entwicklung. Die wesentlichen Trends in der Medizintechnik bringt er mit „kleiner, leichter und preiswerter“ auf den Punkt. So würden Produktfunktionalitäten mehr und mehr durch Elektronik und Mechatronik bestimmt, gepaart mit Miniaturisierung und ansprechendem Design. Der Integrationsgrad werde weiter wachsen, ebenso der Einsatz von intelligenten Materialien wie zum Beispiel Elektronik in Textilien. Ferner rechnet Michael Hasenpusch mit einer weiteren Akademisierung ehemals handwerklicher Berufe, sodass auch hier Ingenieure entsprechende Stellen besetzen können.
Jedes Jahr investiert Ottobock mehr als 30 Millionen Euro in die Entwicklung neuer Technologien. Neben Arm- und Beinprothesen, die verlorene Gliedmaßen beispielsweise nach einer Amputation ersetzen, umfasst das Produktportfolio auch manuell und elektrisch angetriebene Rollstühle sowie Orthesen und Neuroimplantate. Orthesen wirken entlastend und unterstützend und sichern nach einer Verletzung oder Operation die Funktion der betroffenen Körperregion. Neuroimplantate sind eine moderne Therapieoption für Schlaganfall-Patienten mit Fußheberschwäche und können das Gangbild und damit den Bewegungsradius der Betroffenen sichtbar verbessern.
Das Unternehmen unterhält im Rahmen seiner wissenschaftlichen Netzwerke eine Vielzahl nationaler wie internationaler Forschungskooperationen mit verschiedenen Fachhochschulen, Universitäten, Kliniken sowie Einrichtungen wie dem Fraunhofer Institut. Ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines speziellen Ganganalysesystems hat es im Konsortium mit der TU Berlin und der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover auf den Weg gebracht. Ziel ist es, eine in die Prothese integrierte Messtechnik zu entwickeln, die Bewegungsdaten nicht nur unter Laborbedingungen, sondern in alltäglichen Situationen sowie bei der Versorgung der Patienten im Sanitätshaus messen kann.
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung wurde das Projekt beim „Innovationswettbewerb zur Förderung der Medizintechnik 2010“ ausgezeichnet. Um die Qualität der Patientenversorgung durch die Verbindung handwerklicher Fertigkeiten und wissenschaftlicher Inhalte zu verbessern, hat Ottobock den Studiengang Orthobionik initiiert, der kürzlich im „Zentrum für Healthcare Technology“ der Privaten Hochschule Göttingen (PFH) gestartet ist.
Für die Zukunft der Branche und des Unternehmens sieht Michael Hasenpusch zahlreiche Chancen durch innovative Produktentwicklungen: „Gerade die Neurostimulation ist ein spannendes Geschäftsfeld mit enormem Potenzial, denn die demografische Entwicklung hat für die Medizintechnik weitreichende Folgen.“ Mit der Lebenserwartung steigt die Zahl altersbedingter Erkrankungen wie Diabetes und Osteoporose, und auch Schlaganfälle werden weiterhin drastisch zunehmen. Bei rund einem Drittel der Betroffenen bleiben gesundheitliche Schäden zurück.
„Diesen Menschen durch medizintechnische Innovationen zu mehr Lebensqualität zu verhelfen, gehört für uns zu den größten Herausforderungen der kommenden Jahre.“ Auch in den anderen Geschäftsbereichen wie der Prothetik seien angesichts immer komplexerer Produkte und Technologien gut ausgebildete Fachkräfte gefragt: „Unsere Forschung an der gedankengesteuerten Armprothese mit Fühlfunktion ist ein erster Vorgeschmack auf die Zukunft.“
Link- und Literaturtipps
Interessenvertretung der Unternehmen der Medizintechnologie: Bundesverband Medizintechnologie (BVMed): www.bvmed.de
Förderung der Medizintechnik durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): www.gesundheitsforschung-bmbf.de
Literatur
Erich Wintermantel/Suk-Woo Ha:
Medizintechnik, Life Science Engineering: Interdisziplinarität, Biokompatibilität, Technologien, Implantate, Diagnostik, Werkstoffe, Business.
5. Auflage. Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3540939351. 149,95 Euro