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„Dauerbetrieb macht krank“

Der Mediziner Dr. Gunter Frank berät Unternehmen zum Gesundheitsmanagement. Seine These: Wer nur auf den Kopf hört, leistet nicht nur weniger – sondern schadet auch seiner Gesundheit. Von André Boße

Dr. med. Gunter Frank, 49 Jahre, führt eine allgemeinärztliche Praxis in Heidelberg und ist Fachbereichsleiter an der St. Galler Business School. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Gesundheitsberatung für Unternehmen. Zu diesem Thema hat Frank eine Reihe von Büchern geschrieben, zum Beispiel zusammen mit der Psychologin Dr. Maja Storch zur „Mañana-Kompetenz“. Dr. Gunter Frank ist verheiratet und hat zwei Töchter.
www.gunterfrank.de

Herr Dr. Frank, wann wird die Karriereplanung zu einem gesundheitlichen Problem?
Zum Beispiel dann, wenn ich denke, dass alle Weichen der Karriereplanung schon in den ersten Jahren gestellt werden müssen. Also genau in der Zeit, in der es auch darum geht, eine Familie zu gründen und ein Haus zu bauen. Es spricht nichts dagegen, dass man seine Karriere erst mit 40 startet. Oder neu startet. Das ist aus demografischer Sicht sehr sinnvoll, doch in der Praxis sieht das leider noch anders aus. Wer zum Beispiel als Unternehmensberater nicht mit 30 Vollgas gibt, landet auf dem Abstellgleis.

Ist denn Vollgas ohne Rücksicht auf Verluste bei den Arbeitgebern überhaupt noch angesagt?
Ich stelle fest, dass viele Unternehmen darüber diskutieren, wie sie gerade Einsteiger dazu bringen können, auch mal abzuschalten. Das führt dann zu Maßnahmen wie bei VW, wo eine halbe Stunde nach Arbeitsende keine E-Mails mehr vom Konzernserver auf die Smartphones der Mitarbeiter weitergeleitet werden.

Sind solche Maßnahmen aus medizinischer Sicht sinnvoll?
Wer auf beruflichem Dauerbetrieb läuft, schadet nicht nur seiner Gesundheit, sondern schöpft auch sein eigenes Potenzial als Mitarbeiter nicht aus. Ein kurzer Ausflug in die Anatomie: Mit dem vegetativen Nervensystem verfügt jeder Körper über eine Art Betriebssystem, das – ganz ähnlich wie Windows – unbewusst im Hintergrund läuft und alle aktiven und bewussten Programme ermöglicht. Das System kennt zwei Aggregatzustände: erstens Kampf und Flucht, zweitens Regeneration, Kreativität, Erotik und Muße. Für das Erste ist der Nervenstrang mit der Bezeichnung Sympathikus zuständig, für das Zweite der Parasympathikus.

Sie reden vom Unterschied zwischen Kopf und Bauch, Hirn und Herz.
Genau. Nun ist es so, dass wir Menschen stark von unserem Unterbewusstsein beeinflusst werden. Von Emotionen, Erinnerungen und Wertungen. Wir sind eben nicht die vernunftgesteuerten Organismen, die wir manchmal vielleicht gerne wären. Daher ist es wichtig, dass wir nicht den Zugang zu unserem emotionalen Wertesystem verlieren. Denn dort ist unser Kompass. Er zeigt uns an, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden, indem er das, was unser Kopf vorhat, mit unseren Emotionen und Erfahrungen abgleicht.

Können wir diesen Abgleich jederzeit vornehmen?
Nein, wir benötigen dafür Ruhe. Oder medizinisch gesagt: Der Parasympathikus muss aktiv sein. Früher gab es viele gesellschaftliche Rituale, die uns diese Ruhe ermöglicht haben. Die Vesperpause und der Feierabend, an dem man komplett von der beruflichen Kommunikation abgekoppelt war. Dort fanden wir Momente, um in uns hineinzuhorchen und zu überprüfen, ob das, was wir vorhaben, tatsächlich zu uns passt. Ob wir noch authentisch leben.

Authentische Persönlichkeiten sind extrem gefragt.
Genau, aber man kann Authentizität nicht über den Verstand herstellen. Ich kann mir nicht selber den Befehl erteilen, authentisch zu handeln. Ich kann nur versuchen, den Zustand herzustellen, in dem sich mein Verstand dann unbewusst mit meinen Emotionen austauschen kann.

Wie wirkt sich Authentizität auf meinen Körper aus?
Man fühlt sich zufriedener, man schläft besser. Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus der Messung der Herzratenvariabilität. Idealtypisch schlägt das Herz regelmäßig im Sinusrhythmus. Man vermutet aber heute, dass kleinste Mikrounterschiede im Herzrhythmus gut sind, weil sich in diesen minimalen Momenten der Einfluss des Parasympathikus auf das Herz zeigt.

Ein zu regelmäßiger Herzschlag ist also ein Zeichen dafür, dass man seine Gefühlswelt vernachlässigt?
Genauer: dass man den Zugang zu seinen Emotionen versperrt. Es gibt derzeit in der Medizin eine Diskussion darüber, ob ein zu regelmäßiger Herzschlag ein wesentlich aussagekräftigerer gesundheitlicher Risikofaktor ist als hoher Blutdruck oder ein hoher Cholesterinspiegel.

Leistungsbereite Menschen könnten glauben, dass der Parasympathikus sie von der Leistungsorientierung ablenkt.
Dabei ist das Gegenteil der Fall: Habe ich Zugang zu meinem emotionalen Zentrum, passieren viele Dinge ganz von alleine. Plötzlich ergibt sich ein Gedankenblitz. Ein sicheres Gefühl für eine Entscheidung. Diese Qualität von Kreativität oder Selbstsicherheit kann die Ratio nicht erzeugen. Unternehmen, die bei ihren Mitarbeitern Gefühle möglichst ausschalten wollen, schöpfen das Potenzial ihrer Leute bei Weitem nicht aus.

Zum Abschluss: Was raten Sie als Mediziner Einsteigern, wie sie ihre Karriere angehen sollten?
Ich halte es für nicht verkehrt, sich als junger Mensch zunächst einmal in die Karriere hineinzustürzen. Quasi an seinem Arbeitsplatz zu leben. Wichtig ist nur, früh genug zu erkennen, wann die Grenze erreicht ist. Und dann sollte man auch handeln. Das Gute dabei ist: Wer jung ist, der hat viel Zeit. Ich kenne die Geschichte eines High Potentials, einer Investmentbankerin, die rekrutiert wurde, gut verdiente – aber nach einem halben Jahr abbrach, weil sie die Tätigkeit mit ihrem Wertesystem nicht in Einklang bringen konnte. Natürlich ist die Karriere dieser jungen Frau damit nicht vorbei. Sie wird jedoch anders verlaufen als gedacht. Und sehr wahrscheinlich gesünder.

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