Ob vom klassischen Handel ins Internet oder umgekehrt: Wenn Händler einen neuen Kanal eröffnen, kommt es darauf an, ein durchdachtes Konzept zu haben. Gefragt sind hier besonders Einsteiger, weil sie als Digital Natives wissen, was junge Kunden vom Onlineshopping erwarten. Von André Boße
Neulich in einem großen Elektronikfachgeschäft: Ein junges Paar interessiert sich für Fotokameras. Sie nimmt Modelle in die Hand, knipst zur Probe, lässt sich beraten. Er streicht in einem fort über sein Mobiltelefon, blickt ab und zu triumphierend auf. Das Spiel dauert eine gute halbe Stunde, dann verlassen die beiden das Geschäft. Ohne neue Kamera. Frage an den Verkäufer, was nun passieren wird? „Alles ist möglich“, sagt er. Vielleicht bestellen sie ihre favorisierte Kamera bei einem reinen Internethändler, wo das Produkt ein paar Euro günstiger zu haben ist. Vielleicht hat der Verkäufer die beiden aber auch überzeugt, und das Paar bestellt die Kamera im eigenen Onlineshop des Elektronikfachgeschäfts – so können sie ihren Stadtbummel fortsetzen, ohne die Kamera mitschleppen zu müssen. „Auf jeden Fall“, glaubt der Verkäufer, „sind die beiden auf allen Verkaufskanälen zu Hause.“
Damit liegt dieses Paar voll im Trend: Immer mehr Kunden verknüpfen diverse Einkaufsmöglichkeiten, um überall und zu jeder Zeit so zu shoppen, wie sie es sich wünschen – mal samstags in der Stadt, mal nach Feierabend vom Sofa aus. Studien zeigen, dass auf der einen Seite in Deutschland der Onlinehandel weiter wächst. Im Jahr 2007 hatte E-Commerce einen Anteil von drei Prozent am gesamten Handelsumsatz, im Jahr 2012 bereits 7,7 Prozent – Tendenz steigend, wie der aktuelle Branchenreport des Instituts für Handelsforschung zeigt.
Verknüpfung der Channels
Auf der anderen Seite belegen Untersuchungen, dass das Onlinegeschäft das stationäre Einkaufserlebnis nicht einfach ersetzt. Im Gegenteil: Es findet eine Verknüpfung der Kanäle statt. Das E-Commerce-Center Köln (ECC) hat in einer neuen Studie das Cross- Channel-Verhalten der Konsumenten untersucht und festgestellt, dass die Kunden vor einem Drittel aller stationärer Käufe mit ihrem PC, Laptop oder Smartphone Informationen in Onlineshops einholen. Wer also ein Geschäft betritt, hat in vielen Fällen schon einen virtuellen Bummel durchs Internet hinter sich. Häufig, so die Studie, „liefert der Onlineshop den Impuls dazu, den Kauf bei dem Anbieter in einem stationären Geschäft zu tätigen“. Umgekehrt ist es genauso: Im Laden schauen sich Kunden an, was es gibt – um dann online das favorisierte Produkt zu bestellen.
Studien wie diese zeigen, was Handelsexperten schon seit einigen Jahren sagen: Händler, die ihre Waren auf diversen Kanälen anbieten, eröffnen sich Chancen. Die Angst, dass ein Onlineshop das Filialgeschäft kannibalisieren könnte, ist unbegründet, wie der Handelsexperte Ulf-Marten Schmieder sagt: „Alle Studien zeigen, dass Multichannel bei den Umsätzen immer ein Plus bringt.“ Damit aus höheren Umsätzen auch genügend große Gewinne werden, benötigen die Unternehmen jedoch eine gute Strategie. Und hier gibt es in vielen Fällen noch Einiges zu tun. Lange, so Schmieder, riet man klassischen Händlern, so schnell wie möglich ins Internet zu gehen, um den Anschluss nicht zu verpassen. „Heute zeigt sich, dass es deutlich sinnvoller ist, wohlüberlegt und kundenorientiert in den Multichannel- Handel hineinzuwachsen“, sagt der Geschäftsführer der Marketing- und Strategieberatung Conomic GmbH, einer Ausgründung aus dem Lehrstuhl Marketing & Handel der Uni Halle- Wittenberg. Wer die Kanäle mit durchdachtem Konzept bespiele, spare viele unnötige Kosten und vermeide Pleiten.
Exzellente Chancen
Für Einsteiger ergeben sich damit exzellente Karrierechancen – und zwar gleich in zwei Richtungen. Da sind zunächst einmal die klassischen stationären Händler, die den Schritt ins Internet wagen. „Diese Unternehmen verfügen über sehr viel Wissen über den Handel “, sagt Schmieder. Was jedoch häufig fehlt, sei Know-how in den Bereichen Kommunikation und Vernetzung. „Die junge Generation bringt genau dieses Wissen mit. Schließlich sind die sozialen Medien ein wichtiger Teil ihrer Lebenswelt.“ Bei der Entwicklung einer Multichannel- Strategie kann der Nachwuchs dabei helfen, die beiden Kanäle optimal miteinander zu verknüpfen. Denn da sind sich die Experten einig: Kanäle, die nebeneinanderher verlaufen, verfehlen ihre Wirkung.
Die zweite Richtung läuft entgegengesetzt und ist für Einsteiger genauso interessant und chancenreich: Immer mehr reine Onlinehändler entdecken die Vorteile stationärer Shops. Manchmal nur punktuell mit Flagship-Stores an besonders wichtigen Orten. Teilweise auch begrenzt durch sogenannte Pop-up-Stores, die zum Beispiel dann eröffnet werden, wenn ein wichtiges neues Produkt auf den Markt kommt. „Internethändler entdecken den stationären Handel für sich, weil sie sich davon wichtiges Wissen über ihre Kunden erhoffen“, begründet Ulf-Marten Schmieder diese Wege zurück in die Fußgängerzonen und Einkaufszentren. Zwar verfügten die Unternehmen über prall gefüllte Datenbanken mit allerhand Informationen. „Doch Handel hat immer auch etwas damit zu tun, das Lebensgefühl und die Lebenswelt der Kunden einzuschätzen.“ Die gute alte Tante Emma wusste in ihrem Laden nicht nur, wie ihre Kunden hießen und was für Vorlieben sie hatten: „Sie kannte auch Mimik, Gesten und das situative, familiäre Umfeld – und genau das möchten Onlinespezialisten in ihren neu eröffneten Stores auch herausfinden“, so Schmieder. Doch einen stationären Shop erfolgreich zu führen, ist ein anderes Geschäft, als einen Onlineshop zu organisieren. „Oft fehlt es an nötigem Wissen über Sortimente sowie an Tricks und Methoden, um die Kunden vom Kauf zu überzeugen.“ Damit bieten sich auch hier Chancen für Einsteiger: Wer jung ist und über gutes Handels-Know-how verfügt, ist bei Onlinespezialisten mit Multichannel- Strategie in Richtung stationärem Handel besonders gefragt.
Shopping und Psychologie
Dass Kunden immer auch einen psychologischen Faktor mit in den Konsum bringen, belegt die Studie „Das Cross-Channel-Verhalten der Konsumten“ des E-Commerce-Center Köln (ECC). Die Untersuchung zeigt, dass Kunden eher dem Kanal, über den sie ein Produkt kaufen möchten, die Treue halten als dem Anbieter. Ist ein gewünschtes Produkt in einem stationären Geschäft nicht erhältlich, im Onlineshop des gleichen Anbieters jedoch sehr wohl, erwerben 53,5 Prozent der Kunden es jedoch eher im stationären Geschäft eines anderen Anbieters. Das gilt laut Studie in gleichem Maße auch für Onlineshopper – auch sie würden eher auf einen anderen Onlineanbieter ausweichen.
Kommunikative Maßnahmen
Ein solches Unternehmen ist myToys. Der Händler für Spielzeug und andere Produkte für Kinder startete 1999 als reiner Onlineshop. Heute bietet das Unternehmen seine Waren auch in 13 Filialen an, zudem erscheint einmal im Jahr ein gedruckter Katalog. „Wir haben sicherlich einen eher ungewöhnlichen Weg gewählt“, sagt Gründer und Geschäftsführer Oliver Lederle. „Normalerweise gehen stationäre Händler ins Internet und nicht umgekehrt. Wir haben uns jedoch den Anspruch gesetzt, unseren Kunden ganzheitliche Lösungen anzubieten, weshalb wir ihnen auch da begegnen möchten, wo sie sich aufhalten. Wir möchten in allen Lebensbereichen mit unserer Marke präsent sein. Das schafft man am besten als Multichannel- Anbieter – und nicht als Anbieter in nur einem Kanal.“ Seine Kanäle verknüpft der Spielzeughändler mit Sitz in Berlin durch eine Reihe von kommunikativen Maßnahmen, die auf die Zielgruppe Eltern abgestimmt sind: Es gibt einen Ratgeberbereich, in dem Experten erklären, worauf man beim Kauf eines Kinderwagens achten sollte; in Familienzeitschriften treten Mitarbeiter des Unternehmens als Autoren auf; in den sozialen Medien organisiert der Händler Diskussionen zu speziellen Themen. Damit grenzt er sich von Konkurrenten ab. „Die Kunden vertrauen uns – und dieses Vertrauen kommt sicherlich auch daher, dass wir nicht parallel auch Autolacke oder Golfschläger verkaufen,“ so Lederle. Der myToys-Chef ist überzeugt davon, dass die Multichannel-Strategie aufgeht. Erste Belege dafür findet er, wenn irgendwo ein neuer Store eröffnet. „Immer dann gewinnen wir gleichzeitig auch neue Onlinekunden aus dieser Region hinzu.“ Das Gleiche gilt auch umgekehrt: „Ein zufriedener Onlinekunde freut sich auch darüber, Mitnahmeartikel im Ladengeschäft kaufen zu können, wenn es eine Filiale in seiner Nähe gibt.“
Von positiven Multichannel-Folgen berichtet auch Stefan Herzog, Sprecher der Geschäftsführung des Sportfachhändlers SportScheck. „Bei uns beeinflusst jeder Verkaufskanal den anderen positiv. Wir ergänzen den stationären Handel sowie unser Online- und Kataloggeschäft mit Events sowie Coachingangeboten.“ Das Unternehmen sprengt damit das Angebot des klassischen Handels und sieht sich vielmehr als „Lebensbegleiter des Kunden“, wie Herzog sagt.
Kundenkarten und Club Apps
Dabei nutzt SportScheck auch die Technik: Kundenkarten gibt es auch als „Club Apps“, auf Wunsch werden Kunden per Smartphone auf Filialen in ihrer Nähe aufmerksam gemacht – passgenaue Angebote inklusive. Um hier den richtigen Ton zu finden und die Multichannel-Kunden überall pass- Multichannel-Dienstleistungen Händlern bietet sich eine breite Palette an Multichannel-Services, die den Kunden im Idealfall stärker an das Unternehmen binden. Dazu zählen zum Beispiel: >> Onlineabfrage, ob ein Produkt im Laden verfügbar ist, inklusive Onlinereservierung >> Onlinewarenkorb zusammenstellen, den man dann später im Laden abholt („Click & Collect-Services“) >> Fachberatung im Geschäft online vorbuchen >> Onlinecode zur späteren Bestellung im Onlineshop eines individuell ausgesuchten Produktes nach Beratung im Laden >> Zugriff auf das erweiterte Onlinesortiment im Laden („Longtail“-Strategien) genau abzuholen, benötigen die Händler Mitarbeiter mit neuen Fähigkeiten. „Es gibt heute viele gute ausgebildete Einzelhändler mit Wissen in ihrem Fachgebiet, also dem stationären oder dem Onlinehandel. Die Herausforderung besteht darin, das Wissen aus den Vertriebskanälen Stationär, Online und Katalog zu verknüpfen“, sagt Herzog. Bewerber müssten erstens generell verstehen, wie der Handel funktioniert, und zweitens Hintergrundwissen im Bereich E-Commerce mitbringen – „wobei man dabei kein Programmierfreak sein muss“. Als Einsteiger lerne man dann, wie man diverse Kanäle bespielt, Kundendaten synchronisiert und Kundenströme erfasst.
Das Geheimnis des Handels von morgen ist es also, das klassische Knowhow mit den vielen Möglichkeiten der neuen Technik zu verknüpfen. Dabei sind der Fantasie fast keine Grenzen gesetzt – besonders nicht für Einsteiger, die als Digital Natives im Bereich der Innovationen ein echtes Feld neuer Herausforderungen finden.
Multichannel-Dienstleistungen
Händlern bietet sich eine breite Palette an Multichannel-Services, die den Kunden im Idealfall stärker an das Unternehmen binden. Dazu zählen zum Beispiel:
- Onlineabfrage, ob ein Produkt im Laden verfügbar ist, inklusive Onlinereservierung
- Onlinewarenkorb zusammenstellen, den man dann später im Laden abholt („Click & Collect-Services“)
- Fachberatung im Geschäft online vorbuchen
- Onlinecode zur späteren Bestellung im Onlineshop eines individuell ausgesuchten Produktes nach Beratung im Laden
- Zugriff auf das erweiterte Onlinesortiment im Laden („Longtail“-Strategien)