Als Geschäftsführerin der documenta ist Annette Kulenkampff für die Durchführung der 14. Auflage einer der bedeutendsten Ausstellungsreihen für zeitgenössische Kunst verantwortlich. Kurz vor Beginn des ersten documenta-Teils in Athen ist der Kalender der Kunsthistorikerin dicht gefüllt. Für den karriereführer nahm sie sich Zeit, um über ihren Werdegang zu sprechen. Dabei zeigt sich, dass der Macho-Spruch eines Professors bis heute ein wichtiger Antrieb für sie ist. Das Interview führte André Boße.
Zur Person
Annette Kulenkampff, geboren 1957 in Hannover, studierte zuerst Architektur und arbeitete für die Lufthansa als Stewardess, dann begann sie in Frankfurt das Studium der Kunstgeschich te, das sie 1986 abschloss. Schon als Studentin war sie Teilhaberin einer Galerie, ab 1989 arbei tete sie in leitender Position in der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn. Mitte der 90er-Jahre wechselte sie zum Kunstverlag Hatje Cantz, dessen Geschäftsführerin sie 1997 wurde. 2014 trat sie die Stelle der Geschäftsführerin der documenta in Kassel an. In dieser Position ist sie für die Durchführung der anstehenden documenta14 verantwortlich.
Frau Kulenkampff, das Jahr 2017 ist für Sie ein ganz besonderes Arbeitsjahr. Im April beginnt die documenta14 in Athen, im Juni dann in Kassel. Wie sieht für Sie im Frühjahr 2017 ein normaler Arbeitstag aus?
Es gibt an jedem Morgen den Plan, den Arbeitstag laut der Einträge im Kalender abzuarbeiten und dazu noch Zeit zu finden, diesen oder jenen Vortrag zu Ende zu bringen oder Gespräche zu führen. Das ist aber nur schwer möglich, weil regelmäßig spontane und wichtige Dinge dazwischenkommen, die man im Vorfeld gar nicht einschätzen kann. Das sind häufig akute Entscheidungen, die ich treffen muss, damit es vorangeht. Pläne sind in dieser Phase also eher dafür da, mich morgens ein wenig zu beruhigen. Einhalten kann ich sie meistens nicht.
Genießen Sie diese Art des Arbeitens?
Na ja, es ist nicht sehr angenehm, wenn man geplante Dinge verschieben muss und sich Berge mit noch nicht erledigter Arbeit auftürmen. Andererseits ist es ein gutes Gefühl, wenn man zusammen mit dem Team in der Lage ist, schnelle Entscheidungen zu treffen. Letztlich sind es diese überraschenden Entwicklungen, die meine Arbeit in gewisser Weise auszeichnen.
Besitzen Sie einen guten inneren Kompass, der Ihnen anzeigt, welche Entscheidungen wirklich dringlich sind – und welche nur von einigen als dringlich empfunden werden?
Ich habe im Laufe meiner Karriere genug Erfahrungen gesammelt, um das gut einzuschätzen. Ich arbeite jedoch in einem künstlerischen Umfeld, da werden die Prioritäten manchmal anders gesetzt. Und zwar zu Recht. Für mich bedeutet das: Wenn die Kunst etwas dringend benötigt, dann muss sich die Politik schon mal hinten anstellen. Vernünftiger wäre es vielleicht hier und da, die Prioritäten anders zu setzen. Aber ich besitze nun einmal eine große Leidenschaft für die Kunst, und ich finde es wichtig, diese Leidenschaft auch durch die Priorisierung zu zeigen, denn nur so behalte ich Sinn und Spaß an meiner Arbeit.
Ich würde diesen Job nicht machen, wenn ich reich werden oder große Macht anhäufen wollte. Mir geht es um Kunst – und speziell um die Möglichkeit, zeitgenössische Kunst entstehen und öffentlich werden zu lassen. Das war die Entscheidungsgrundlage für meinen Beruf, und wenn mir das gelingt, dann bin ich zufrieden. Wobei mir hier mein Bauchgefühl die wichtigen Signale gibt. Wie ich überhaupt das Bauchgefühl als wichtigen Kompass bei Karrierefragen betrachte.
Haben Sie direkt Bauchgrummeln, wenn es in Meetings oder bei Entscheidungen statt um Kunst um Finanzen oder andere politische Fragen geht?
Das Schöne ist ja, dass es auch in diesen Runden ab einem bestimmten Punkt immer um die Kunst geht. Kunst ist ein wunderbarer Einstieg in Gespräche, sie schwingt auch dann immer mit, wenn es um Finanzen geht. Es geht ja häufig darum, was ich erreichen möchte, um mit meiner Arbeit die Kunst weiter zu fördern. Daher fühle ich mich auch dann wohl, wenn es nicht konkret um Kunst geht, sondern um die Rahmenbedingungen, die wichtig sind, damit sie entstehen kann.
Verstehen Sie sich selbst als Kunst-Managerin?
Durchaus, ja.
Ist die Leidenschaft, die Sie für die Kunst mitbringen, vergleichbar mit der Passion anderer Managerinnen für Autos oder IT-Produkte?
Das ist vergleichbar, ja, echte Leidenschaften gibt es natürlich nicht nur in der Kunst. Im Vorfeld der Planung eines großen Kunstwerks für die documenta habe ich vor kurzem eine Firma besucht, die sich auf Gerüstbau spezialisiert hat. Ich hatte vorher vom Gerüstbau keine Ahnung, war nach der Werksführung aber unglaublich fasziniert von den technischen Möglichkeiten, die dieses Unternehmen erarbeitet hat. Das Modul an sich ist ganz einfach,
doch die Einsatzmöglichkeiten sind schier grenzenlos. Man kann runde und eckige Konstruktionen erschaffen, Pyramiden und Brücken. Hätte ich die Kunst nicht mehr, wäre diese Art des Gerüstbaus eine interessante Alternative. (lacht)
Könnte es soweit kommen, dass Sie sagen: Genug mit der Kunst?
Nein, die Kunst besitzt für mein Leben eine existenzielle Bedeutung.
Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Kunst entdeckt?
In meiner Familie war Kunst schon immer ein Thema. Mein Großvater war Museumsdirektor, meine Eltern waren sehr an Kunst interessiert und auch aktiv. Entscheidend Klick gemacht hat es bei mir aber wohl beim Besuch der documenta 5 im Jahr 1972. Ich war knapp 15, bin mit der Familie von Hannover nach Kassel gefahren und wurde vom documenta-Ansatz komplett umgehauen. Hier war alles Kunst – nicht nur abstrakte Sachen. Das hat mich ungemein fasziniert. Ich habe dann Architektur studiert und als Stewardess gearbeitet, bevor ich letztlich das Studium in Kunstgeschichte absolviert habe.
Das Bauchgefühl ist ein wichtiger Kompass bei Karrierefragen.
Sie sagten vorhin schon: Wer Kunstgeschichte studiert und in der Kunstbranche arbeitet, darf nicht auf schnelles Geld hoffen. Hatten Sie Zweifel, als Sie sich für das Studium der Kunstgeschichte entschieden hatten?
Es gibt da eine schöne Geschichte, ich hatte kurz vor Beginn meines Studiums schon einmal das Institut in Frankfurt besucht und war ganz aufgeregt, dass es nun bald losgehen würde. Dann kam ein emeritierter Professor auf mich zu, eine echte Koryphäe, und fragte, was ich denn hier tue. Ich erzählte ihm begeistert, dass mein Studium anstehe und ich mich schon einmal ein wenig orientieren wolle. Da musterte mich der ältere Herr von oben bis unten und sagte: „Sie studieren hier ja sowieso nur, um sich einen reichen Mann zu angeln.“
Oh. Was dachten Sie da?
„Na, Sie werden ja sehen!“ (lacht) Wobei die Einstellung dieses Professors damals durchaus der Wirklichkeit entsprach. Es gab Anfang der 80er-Jahre durchaus viele Frauen, die Kunstgeschichte studierten – wir waren in der Zahl den Männern deutlich überlegen. Karriere gemacht haben dennoch vor allem die Männer, viele Frauen sind dagegen gar nicht erst in den Beruf gekommen. Mich hat dieser Satz dieses Herrn jedoch unglaublich angestachelt. Ich wollte den Beruf ergreifen und damit Geld verdienen – und zwar nicht an der Uni, sondern in der Kunstwelt. Das war nicht immer einfach – und das ist es auch heute noch nicht.
Worauf kommt es an?
Man muss schon hart arbeiten. Ich begegne jungen Frauen, die denken, der Weg in eine gute Karriere sei heute bequem und dazu zu einem guten Teil von Glück abhängig. Klar, Glück gehört dazu. Das meiste ist jedoch sehr viel harte Arbeit. Man muss sich mit dem Thema, das man für seinen Beruf gewählt hat, intensiv beschäftigen.
Wie beurteilen Sie denn den Status Quo von Frauen in Führungspositionen in der Kunstbranche?
Ich glaube, dass sich meine Branche gar nicht so sehr von anderen unterscheidet. Das heißt auch, dass sich wie in anderen Bereichen durchaus etwas getan hat. Marion Ackermann leitete bis 2016 die Kunstsammlung NRW und ist jetzt Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Christiane Lange ist Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, Christine Macel ist künstlerische Leiterin der Biennale, mit Monika Grütters haben wir eine Frau als Kulturstaatsministerin. Es gibt also schon einige Frauen in Leitungspositionen. Solche Mentorinnen sind wichtig, keine Frage. Aber eines müssen junge Frauen schon eigenverantwortlich tun: nämlich selbst denken und selbst machen.
Zum Unternehmen
documenta ist der Titel einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen für zeitge nössische Kunst. Sie findet in diesem Jahr zum 14. Mal statt. An ihrem Stammsitz in Kassel läuft sie vom 10. Juni bis 17. September, zudem ist Athen (8. April bis 16. Juli) ein gleichberechtigter zweiter Standort. Durchgeführt wird die Aus stellung von der documenta und Museum Fri dericianum gGmbH, deren Geschäftsführerin Annette Kulenkampff ist. Künstlerischer Leiter ist der polnische Kurator Adam Szymczyk, der sich mit seinem Konzept der documenta an zwei Orten auch gegen kritische Stimmen durchsetzen konnte.
www.documenta14.de