StartKöpfeTop-Interview„Ich hatte Angst vor der Leere“

„Ich hatte Angst vor der Leere“

Acht Jahre lang saß Katja Kraus im Vorstand des Fußballbundesligisten Hamburger SV. Sie hatte Erfolg, ihre Aufgabe war faszinierend. Doch dann das Aus: 2011 wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Was nun? Im Gespräch erzählt die 42-Jährige von ihrem Weg nach oben, der Zeit des Scheiterns und ihrem neuen Leben als Buchautorin und selbstständige Unternehmensberaterin. André Boße traf sie zum Interview bei der lit.Cologne.

Zur Person

Katja Kraus, geboren am 23. November 1970 in Offenbach, studierte in Frankfurt Germanistik und Politik und spielte als Torfrau für den damaligen Frauen-Spitzenklub FSV Frankfurt, mit dem sie dreimal Deutscher Meister und viermal Pokalsieger wurde. Nach dem Uni-Abschluss stieß sie 1997 als Pressesprecherin von Eintracht Frankfurt in die Männerdomäne Profifußball vor. 2003 wurde sie beim Hamburger SV als erste Frau in den Vorstand eines Bundesligisten berufen, wo sie für die Bereiche Kommunikation und Marketing verantwortlich war. Im März 2011 beschloss der Aufsichtsrat des HSV, ihren Vertrag nicht zu verlängern. Kurz danach wurde dieser einvernehmlich aufgelöst. Nach kurzer Auszeit arbeitet die 42-Jährige heute als freie Unternehmensberaterin und Buchautorin in Hamburg.

Frau Kraus, Sie haben Germanistik und Politik studiert. Gleichzeitig waren Sie Torhüterin beim Bundesligaklub FSV Frankfurt. Wann fiel die Entscheidung, im Berufsleben beide Seiten zu vereinbaren?
Mir war klar: Wenn ich die Uni verlasse, bin ich lediglich eine unter Zehntausenden Absolventinnen. Nutze ich allerdings meine spezifische Kompetenz als Sportlerin, verfüge ich damit über eine sehr prägnante zusätzliche Qualifikation, eine Art Alleinstellungsmerkmal. Das habe ich auch bewusst eingebracht. Ich habe viele journalistische Praktika absolviert, probierte Marketingideen bei meinem Frauenfußballverein FSV Frankfurt aus – und nahm dann 1998 die große Herausforderung an, als Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt einzusteigen.

In dem Verein war damals eine Menge los. Das Magazin Spiegel titelte mit „Zwietracht“ Frankfurt, der Club galt als Skandalnudel. Das war sicherlich kein einfacher Einsteig, oder?
Der Einstieg war hart. Mich hat damals kein Vorgesetzter an die Hand genommen und gesagt: So funktioniert das bei uns, und das erwarten wir von Ihnen. Ich musste alles alleine herausfinden. Zudem gab es einige Kollegen, die meinen Job auch gerne gemacht hätten.

Ihre Reaktion?
Meine Aufgabe besonders gut zu machen. Immer besser zu werden. Keine weitere Angriffsfläche zu bieten. Das hat dazu geführt, dass ich sehr viel gearbeitet und anfangs einige tränenreiche Abende auf dem Sofa verbracht habe. Es war fordernd, als Einsteigerin dermaßen auf die Probe gestellt zu werden. Aber ich sah auch meine Chance: Das Fehlen gesetzter Strukturen gab mir die Möglichkeit, vieles zu gestalten.

Nach Ihrem Einstieg in Frankfurt ging es steil bergauf: 2003 wurden Sie erste Frau im Vorstand eines Bundesligisten. Sie haben den Job beim HSV acht Jahre lang gemacht, dann kam das Aus. Wie sind Sie damit klargekommen?
Egal, welche Gedanken man sich vorher macht: In der Situation des Scheiterns ist es auf jeden Fall schmerzhaft. Kein Mensch erfährt gerne Ablehnung. Es tut einfach weh, wenn jemand anderes die Entscheidung trifft, dass man eine Aufgabe, die einem am Herzen liegt, nicht mehr machen soll. Aber ich habe heute nicht das Gefühl, einen Makel mitgenommen zu haben. Meine berufliche Laufbahn und meine Erfolge in den acht Jahren werden durch das unfreiwillige Ende beim HSV nicht abgewertet. Ich glaube, dass in Brüchen erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten liegen und dass das Scheitern deshalb zu Unrecht ein solches Stigma hat. Entscheidend ist, was jemand aus Rückschlägen gelernt hat.

Eine alte Fußballweisheit: Man erkennt einen Menschen vor allem in der Niederlage.
Man lernt sicherlich sehr viel über sich und andere in Zeiten der Niederlage. Aber ich bin überzeugt: Der Charakter eines Menschen offenbart sich vor allem im Erfolg. Ist man gerade am Boden, besitzt man nur wenige Handlungsmöglichkeiten. Man ist in der Defensive. Benötigt andere Menschen. Reflektiert sein Verhalten. Analysiert die Fehler. In diesen Situationen reagieren alle Menschen ähnlich. Faszinierender finde ich, wie sich Menschen verhalten, wenn es gerade optimal läuft. Im Erfolg erkennt man Menschen. Dann kann man sich anschauen, wie sie mit anderen umgehen und ob sie sich als Person treu bleiben.

Haben Sie den Rausch des Erfolges gespürt?
Ja, die Faszination dieses Sports hat mich immer wieder ergriffen. HSV gegen Werder Bremen, die ganze Stadt Hamburg fiebert dem Spiel entgegen, 57.000 Menschen in der Arena, das Stadion pulsiert – und ich bin als Vereinsvorstand mit für dieses Ereignis verantwortlich. Das ist schon großartig. Diese Momente gab es. Aber sie waren viel seltener als diejenigen, in denen ich die Verantwortung spürte. Und damit auch den Druck.

Welche Art von Druck haben Sie erlebt, als Sie Ihren Posten beim HSV plötzlich los waren?
Es war schwierig, der Versuchung zu widerstehen, direkt in alte Muster zurückzukehren. Also einen Job in Festanstellung anzunehmen. Dieser Schritt hätte Sicherheit gebracht. Man neigt dazu in solchen Phasen ein Zeichen zu senden: „Seht her, ich kann es doch!“

Ein übliches Karriereverhalten. Warum wollten Sie das nicht?
Ich wollte an Lebensqualität gewinnen, mich entwickeln, etwas ganz Neues probieren. Ich hatte eine erhebliche Sehnsucht danach, mich auf etwas in der Tiefe einzulassen. Auf einen Gegenentwurf zur Überdrehtheit des Fußballgeschäfts. Ich wollte dieses Buch schreiben – auch wenn ich anfangs nicht wusste, ob ich das überhaupt kann. Entscheidend war aber, dass ich wusste, dass es für mich auch etwas anderes gibt, als Vorstand eines Profiklubs zu sein.

Ihre Fallhöhe war beachtlich: Gestern noch mitverantwortlich für ein Spektakel, das eine Millionenstadt in den Bann zieht. Heute freie Buchautorin.
(überlegt) Als sich das Ende andeutete, hatte ich durchaus Angst vor der Leere. Ich fragte mich: Kann ich überhaupt etwas anderes als Management? Und gibt es da draußen überhaupt einen anderen Managementjob, der mich in einer Weise ausfüllt wie der, den ich gerade verloren hatte?

Was hat Ihnen geholfen, die Fragen zu beantworten?
Ich habe versucht, diesen Wechsel als Chance zu sehen. Auch wenn es oft wackelig gewesen ist. Aber ich hatte mich schon vorher mit den Auswirkungen meines Vorstandsjobs auseinandergesetzt. Ich fühlte mich oft vom Tagesgeschäft überrollt, ohne Zeit und Raum, die Geschehnisse ausreichend zu reflektieren. Ich arbeite jedoch am liebsten strategisch, löse gerne komplexe Sachverhalte. Am Ende meiner Zeit als Vorstand blieb dafür kaum noch Zeit. Umso mehr habe ich es genossen, als diese Zeit dann plötzlich da war. Es ist nicht leicht, im Moment des Scheiterns nicht zu wissen, was danach kommt. Entscheidend ist jedoch, dass man sich die Zeit nimmt, um genau dies herauszufinden.

Warum haben Sie nicht viel früher und von sich aus gesagt: Es ist nun genug, ich möchte meinen Vorstandsvertrag nicht verlängern?
Es wäre rückblickend vielleicht klug gewesen, nach sechs Jahren aufzuhören. Wir hatten damals alle Bereiche außerhalb des Sports auf höchstem Niveau etabliert. Von da an wurde der Gestaltungsspielraum immer geringer. Aber: Es mag noch so klug sein – man macht es dann eben nicht.

Warum?
Weil es mir eine Herzensangelegenheit und lange Zeit die perfekte Aufgabe für mich war. Das gibt man nicht so leicht auf. Auch nicht den Status in der Stadt, die wirtschaftliche Sicherheit. Und natürlich fühlte ich auch Verantwortung für das Team, das wir aufgebaut haben. Dann ohne echte Not zu sagen: „Das war’s …“, das ist ein großer Schritt.

Wobei Sie heute nicht nur Buchautorin sind, sondern auch selbstständige Unternehmensberaterin.
Richtig, ganz ohne Management geht es nicht. Soll es auch nicht gehen, denn dafür mache ich das viel zu gerne.

Ihr Buch

Für ihr erstes Buch hat Katja Kraus Menschen besucht, die sich mit dem Erfolg genauso auskennen wie mit dem Scheitern. Sie wollte herausbekommen: Wie haben diese Menschen den Weg nach oben erlebt? Wie den Moment, als es plötzlich bergab ging? Und was blieb von den Menschen übrig, als die Funktion verlorenging? Die Begegnungen mit Managern wie Ron Sommer oder Hartmut Mehdorn, Politikern wie Roland Koch und Björn Engholm oder Sportlern wie Sven Hannawald und Thomas Hitzlsperger sind das Herzstück des Buches, in dem Katja Kraus aber immer wieder auch ihre eigene Geschichte erzählt.

Katja Kraus: Macht – Geschichten von Erfolg und Scheitern.
Fischer Verlag 2013. ISBN 978-3100385048. 18,99 Euro.

Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3104017525. 16,99 Euro

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