Vor allem die großen Strategieberatungen setzen auf Nicht-BWLer. Sie bieten interessante Perspektiven und sorgen für einen unkomplizierten Einstieg, denn sie wissen: Vielfältig besetzte Consulting-Teams sind deutlich besser in der Lage, die spezifischen Bedürfnisse der Kunden zu bedienen. Von André Boße
2007 hatte Robert Schimke sein Mathe- Diplom in der Tasche. Nebenfach Physik. Schwerpunkt und Thema der Abschlussarbeit: Algebraische Topologie. Was damit anfangen? Eine Option wäre die Forschung gewesen. Dort zog es viele seiner Kommilitonen hin, doch ihn reizte eine Laufbahn an einer Hochschule oder einem freien Institut nicht so sehr. Gute Perspektiven hätte es für Mathematiker auch in der Finanzbranche gegeben – zumal 2007 die Krise noch nicht eingeschlagen hatte. Aber Robert Schimke wollte sich nicht schon zu Anfang seiner Karriere zu sehr auf eine Richtung festlegen. Außerdem wollte er nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit Menschen zu tun haben.
Wie das gehen kann, hatte er noch während des Studiums im Laufe eines Praktikums in einer Unternehmensberatung kennengelernt. Schon in dieser kurzen Zeit hatte er gespürt, dass es im Consulting genauso wie in den Naturwissenschaften darum geht, Probleme zu identifizieren, zu strukturieren und zu lösen. Ein guter Mathematiker kann das. Doch wie eine Karriere in dieser einst traditionellen BWLer-Domäne starten? Eine Möglichkeit wäre es gewesen, vor der ersten Bewerbung bei einer Unternehmensberatung ein MBA-Studium draufzusatteln. „Bei diesem Zusatzstudium hätte ich mich jahrelang in die Betriebswirtschaftslehre eingearbeitet – und dafür viel Geld bezahlt“, sagt Schimke. „Da dachte ich: Mache es doch lieber andersherum, investiere Zeit für BWL-Themen, verdiene dabei aber bereits Geld und sammle Praxiserfahrungen.“ Also bewarb er sich als Mathematiker in der Consultingbranche und stieg 2007 im Düsseldorfer Büro der weltweit tätigen Strategieberatung Booz & Company ein.
Vorteil Mathematik
Der Einstieg verlief unkompliziert. Robert Schimke lernte, dass nicht alle Teammitglieder bereits zu Beginn eines Mandats alle Details kennen müssen. Es geht insbesondere für Juniorberater darum, sich konzentriert einzuarbeiten. „Wenn es um betriebswirtschaftliche Ansätze und Methoden geht, haben typische BWLer natürlich einen Wissensvorsprung“, sagt er. Ein Nachteil könne dann jedoch sein, dass die klassisch geschulten Consultants immer wieder auf Standard-Lösungswege zurückgreifen, statt neue Perspektiven auszuprobieren. Hier konnte der Mathematiker unter den Beratern schnell punkten:
Sein erstes Projekt war eine Investitionsanalyse für Breitbandinternet in Russland, bei der modellhaft und mathematisch gearbeitet wurde. „Ich fühlte mich methodisch also gleich zu Hause und entwickelte nach ein, zwei Wochen einen Lösungsweg, der dann auch sehr gut ankam.“ Für Schimke ist dieses Beispiel typisch für die Arbeit eines Nachwuchsberaters – und zwar unabhängig davon, was er vor dem Einstieg studiert hat: „Es geht immer darum, sich mit einer vertrauten Methode in ein neues Thema einzuarbeiten. Nach und nach gewinnt man auf diese Weise Zugänge zu immer neuen Themen.“
Wer denkt, der Mathematiker habe in den ersten Monaten jede freie Minute am Feierabend mit BWL-Fachbüchern verbracht, täuscht sich. „Ich besitze kein einziges betriebswirtschaftliches Lehrbuch“, gesteht er. Viel wichtiger seien andere Informationsquellen: Fachgespräche mit den erfahrenen Kollegen beim Mittagessen zum Beispiel. Oder der Griff zu Smartphone, Tablet oder Laptop, um einen Fachbegriff schnell im Internet aufzurufen.
Fünf Jahre nach seinem Einstieg ist Robert Schimke heute selber Projektleiter. Seine Schwerpunkte: Supply Chain Management, ein zahlenaffines Thema, aber auch die strategischen Bereiche Compliance, Governance und Corporate Security. Zudem ist der 32-Jährige selber im Recruiting tätig: „Spreche ich mit einem Naturwissenschaftler, verlange ich nicht, dass er eine Bilanz auseinandernehmen kann, sondern prüfe, ob die Kandidaten in der Lage sind, ein Problem zu durchdringen.“
Strategieberater suchen Quereinsteiger
Die Personalverantwortlichen anderer großer Strategieberatungen bestätigen das Interesse der Consulting- Unternehmen an Einsteigern aus allen erdenklichen Bereichen. „Wir suchen Berater aus praktisch allen Fachrichtungen und mit völlig unterschiedlichen Berufs- und Lebenserfahrungen“, sagt Carsten Baumgärtner, für das Recruiting verantwortlicher Partner bei der Boston Consulting Group. Aktuell verfügen in seiner Firma 50 Prozent aller Berater über einen wirtschaftswissenschaftlichen Abschluss, die andere Hälfte setzt sich aus vielen anderen Fachbereichen zusammen. „Ingenieure, Natur- oder Musikwissenschaftler sind bei uns ebenso gefragt wie Juristen, Informatiker oder Mediziner.“
Dabei setzt die Strategieberatung auf die Kraft der Vielfalt in den divers zusammengesetzten Projektteams. „Nehmen wir ein interdisziplinäres Team, das das Markenportfolio eines Konsumgüterunternehmens unter die Lupe nehmen soll“, nennt Baumgärnter ein Beispiel. Hört sich zunächst einmal nach klassischer Betriebswirtschaftslehre an. „Aber ein Naturwissenschaftler hat mit seiner Denkschule eine ganz andere Sicht- und Herangehensweise als ein Geisteswissenschaftler oder Betriebswirt“, so der BCG-Partner. Der eine setzt den Fokus auf die Logistik oder die Supply Chain, ein Zweiter bringt Aspekte wie Markentreue oder Konsumtrends ins Spiel, ein Dritter denkt gewinn- und umsatzorientiert. „Genau diese Vielfältigkeit ist gefragt“, sagt Baumgärtner – und schätzt es als „geradezu kontraproduktiv“ ein, wenn sich Einsteiger aus anderen Bereichen auf eine einheitliche Sichtweise „einnorden“ würden. „Die eigene Art zu denken, kann und muss sich jeder bei uns bewahren.“
Auch Start-up-Erfahrung zählt
Genau diese eigene Denkart erwarten die großen Beratungsunternehmen vom Nachwuchs. Kathrin Kammer, Leiterin Recruiting beim Strategieberater Roland Berger, beobachtet, dass bei den Klienten der Consultants die Ansprüche steigen. „Die meisten Klienten haben heute bereits viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit uns Beratungsunternehmen. Sie hinterfragen genau, welche Berater das Projekt bearbeiten werden und welches Know-how diese für die spezifische Fragestellung mitbringen.“
Quoten und Exoten
Der Anteil von Mitarbeitern ohne BWLHintergrund bei den Top-Strategieberatungen in Deutschland liegt nach einer Berechnung von Spiegel Online bei rund 50 Prozent. Besonders stark vertreten sind Ingenieure und Naturwissenschaftler mit einem Anteil von 40 Prozent. Die sogenanten Exoten haben bei den großen strategischen Consultants einen Gesamtanteil von rund zehn Prozent, dazu zählen zum Beispiel Mediziner, Theologen, Soziologen oder auch Forstwissenschaftler. Bei mittelständisch geprägten Beratungen sind exotische Abschlüsse jedoch weiterhin die Ausnahme, heißt es bei der Personalberatung Topos.
Deshalb sind in den Teams stärker denn je Spezialisten gefragt, die weit mehr können, als betriebswirtschaftlich zu denken. Insbesondere bei Kunden aus der Hightech-Industrie oder in Funktionsbereichen wie Produktion und Logistik seien Berater mit einem tiefen Verständnis für technische Prozesse gefragt. Gleiches gelte für Projekte im Gesundheitsmanagement – ein Bereich, der für Consultants immer wichtiger wird. „Bei Beratungsmandaten in Kliniken ist es vorteilhaft, einen Mediziner im Team zu haben, der die Abläufe in Krankenhäusern aus eigener Erfahrung kennt“, so Kammer. Gute Chancen hätten zudem Kandidaten, die bereits bewiesen haben, dass sie unternehmerisch zu denken verstehen. „Entrepreneurship gehört zu unseren Kennwerten. Wir suchen daher auch nach Bewerbern, die bereits eigene Geschäftsideen entwickelt haben und unternehmerisch tätig waren.“
Keine BWL-Druckbetankung
Mit den Gründen, warum Strategieberatungen so großes Interesse an Einsteigern aus allen möglichen Bereichen haben, beschäftigt sich Thomas Holtmann. Er ist bei der international vernetzten Personalberatung Topos unter anderen für Kunden aus der Consultingbranche zuständig, gewinnt für sie Führungskräfte und Spezialisten. Aktuell, so sagt er, stehen die Beratungen vor einem Dilemma. „Auf der einen Seite ist bei den meisten die Auftragslage wieder ausgesprochen gut, auf der anderen Seite fehlen ihnen die qualifizierten Mitarbeiter.“ Nur an den klassischen Fakultäten zu rekrutieren, reiche nicht mehr aus, um die Nachfrage zu erfüllen – was auch damit zu tun habe, dass die Industrie, was die Job- Perspektiven betrifft, aufgeholt hat.
Doch der Mangel an guten Beratern sei nicht die einzige Motivation, auf Quereinsteiger zurückzugreifen. „Die immer wichtigeren Fähigkeiten in Kommunikation, Moderation oder Analyse finden sich eben auch bei exzellenten Absolventen jenseits der üblichen Consulting- Studiengänge“, so Holtmann, der nicht viel davon hält, als Bewerber mit Nicht-BWL-Hintergrund vor den ersten Gesprächen mit einem interessierten Arbeitgeber eine „Druckbetankung mit kurzfristigem Wissen“ vorzunehmen. „Spätestens, wenn im Gespräch etwas tiefer gebohrt wird, wird der Bewerber scheitern.“ Viel wichtiger sei es, mit seiner Persönlichkeit zu punkten und den zukünftigen Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass man willens und in der Lage ist, sich „on the job“ weiter zu qualifizieren. Denn das ist ein Geheimrezept für jede gute Beraterlaufbahn, unabhängig vom Studium: Jeder Tag als Berater ist ein Tag, an dem man etwas Neues dazulernt.
Quereinstieg: Die ersten Schritte
Die Personalberater von Topos empfehlen Nicht-BWL-Absolventen folgende Schritte zum Einstieg in die Beraterbranche:
- Im Vorfeld informieren, welche Beratungen sich besonders für Nicht-BWLer interessieren.
- Sich fragen: Wo liegen meine Vorteile gegenüber BWL-Absolventen? Beispiel Mediziner: Ich kenne die Abläufe in einem Krankenhaus, kenne die Fachterminologie etc.
- Sich von Anfang an als Teil eines Teams verstehen: Ich stehe für die fachlich-fundierte Seite, die BWLer für das betriebswirtschaftliche Know-how.
- Den Willen zeigen, sich nach dem Einstieg durch sinnvolle Weiterbildungen das BWL-Know-how anzueignen.
- Keine Angst vor Wissenslücken, denn: Niemand erwartet einen perfekten Studienabsolventen.