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„Es gibt zu wenige Bauingenieure“

Ein Gespräch mit Dipl.-Ing. Klaus Pöllath, Vizepräsident Technik des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie

Für Bauingenieure gibt es nahezu unendlich viele Betätigungsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Verkehrsinfrastruktur, im Energiesektor, im Hochbau rund um das Gebäude. Wo sehen Sie heute die Schwerpunkte der Tätigkeit?
Das Aufgabenspektrum von Bauingenieuren hat sich durch die Energiewende noch deutlich erweitert. Die Einsparung von Energie und Ressourcen ist heute der wichtigste Faktor beim Realisieren von Bauwerken. Nahezu alle Baumaterialien lassen sich recyclen. Wir bauen Passiv- und Plus-Energiehäuser und sanieren Altbauten energetisch. Hier gibt es einen großen interessanten Markt für Bauingenieure. Unser bautechnisches Know-how ist aber auch bei der Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien, insbesondere im Offshore-Bereich und beim Speichern von Energie, gefragt.

Bauunternehmen übernehmen immer mehr Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks und bieten Dienstleistungen rund um das Bauwerk an, wie zum Beispiel Facility Management oder Industrieserviceleistungen. Diese Ingenieurleistung beginnt bereits in der Planungsphase, damit schon im Vorfeld Fehler vermieden werden können, die später zu Termin- und Kostenüberschreitungen führen würden.

Auch aus dem demografischen Wandel in der Gesellschaft ergibt sich für den Bauingenieur ein neues Geschäftsfeld. Hier ist vor allem der Stadtumbau zu nennen. Wir müssen die Verkehrsnetze intelligent weiterentwickeln und auf die Bedürfnisse einer älter werdenden Bevölkerung abstimmen. Und wir müssen die Versorgungsleitungen in Regionen mit rückläufiger Bevölkerung entsprechend anpassen. In all diesen Bereichen ist das Spezialwissen der Bauingenieure höchst gefragt.

Welches Know-how und welche Fähigkeiten müssen junge Bauingenieure vor diesem Hintergrund mitbringen?
Für einen Bauingenieur ist es nach wie vor sehr wichtig, ein profundes bautechnisches Wissen zu erwerben. Aber auch Grundkenntnisse beispielsweise im Bau- und Planungsrecht, in der Betriebswirtschaft oder der Bewirtschaftung von Immobilien sollte er sich aneignen. Je mehr sich das Betätigungsfeld der Bauingenieure erweitert, desto mehr werden auch Kommunikationsfähigkeiten, Team- und Führungsfähigkeit erwartet. Denn moderne Bauprojekte sind sehr komplex, viele Menschen mit vielen verschiedenen Fertigkeiten und Fachkenntnissen sind daran beteiligt. Sie müssen „unter einen Hut gebracht“ und der anspruchsvolle Bauprozess muss effizient gestaltet werden.

Knapp 500.000 Erstsemester gibt es aktuell in Deutschland. 106.000 Studenten davon haben sich für eine Ingenieurwissenschaft entschieden. Überall wird für ein MINT-Studium geworben. Profitiert denn die Bauwirtschaft auch vom steigenden Interesse an Naturwissenschaft und Technik?
Ja, auch bei den Bauingenieuren verzeichnen wir seit 2008 einen deutlichen Anstieg der Studienanfängerzahlen. Derzeit studieren 16.300 Erstsemester Bauingenieurwesen. Wir benötigen noch wesentlich mehr. Es gibt zu wenige Bauingenieure. Zusätzlich werden in den kommenden Jahren viele aus Altersgründen ausscheiden. Bauingenieure haben zurzeit glänzende Berufsaussichten. Dafür lohnt es sich schon, sich in Mathematik und Physik durchzubeißen. Die Energiewende bringt viele neue, spannende Aufgabenbereiche mit sich, die einen abwechslungsreichen Arbeitsplatz versprechen. Und man kann als Bauingenieur die Früchte seiner Arbeit sehen, gemäß dem Bauindustrie-Slogan: „Schaffen, was bleibt“.

Für Nachwuchskräfte, die jetzt ihre Karriere beginnen, spielt das Thema Work-Life- Balance eine wesentliche Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Wie reagieren die Unternehmen der Bauindustrie auf diese Entwicklung? Wie positionieren sie sich, um zum „Arbeitgeber der Wahl“ zu werden?
Die Work-Life-Balance stellt heute ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers dar und spielt deshalb für die Unternehmen eine große Rolle, wenn es darum geht, gute Fachkräfte zu binden. Damit die Arbeitnehmer Arbeit und Privatleben ins Gleichgewicht bringen können, bieten die Bauunternehmen zum Beispiel flexible Arbeitszeitkonzepte und Gleitzeitregelungen, sogar Sabbaticals an. Sie ermöglichen Familien Elternteilzeit oder kooperieren mit Kindergärten und -krippen in der Region. Es gibt ein Gesundheitsmanagement, zum Beispiel betrieblich geförderte Sportangebote, Kurse für Entspannungstechniken, Kooperationen mit Fitness-Studios und ausgewogene Ernährung in den Kantinen. Aber die Bauunternehmen könnten ihre Bemühungen durchaus noch verstärken. Es muss noch besser möglich werden, die Arbeit flexibel auf sich verändernde private Bedingungen anzupassen.

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