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Interview mit Dr. Wolfgang Brezina

Lust aufs Risiko war gestern. Heute steht die Sicherheit hoch im Kurs. Gute Zeiten für Versicherungsunternehmen. Auch für die Allianz. Dennoch: Die großen Versicherungsgesellschaften müssen mit der Zeit gehen, um die Bedürfnisse des Kunden zu erkennen. Personalvorstand Dr. Wolfgang Brezina erklärt im Interview, auf welche Qualitäten er dabei bei Einsteigern setzt und wie sich die Branche generell wandelt. Die Fragen stelle André Boße.

Zur Person

Dr. Wolfgang Brezina, geboren 1961 in Steyr in Österreich, schloss sein Studium an der Uni München als Diplom- Kaufmann ab. Nach der Promotion stieg er 1991 in die Versicherungsbranche ein, zunächst für sechs Jahre bei der Vereinten Versicherung, ab 1998 bei der Vereinten Krankenversicherung als Abteilungsleiter Planung und Controlling. Im Jahr 2000 rückte er in den Vorstand des Münchener Versicherungsunternehmens auf, das 2003 von der Allianz übernommen wurde. Zur Allianz Deutschland wechselte Brezina 2006 zunächst als Vorsitzender der Regionalleitung des Dienstleistungsgebietes Südost. 2009 wurde er in den Vorstand der Allianz Deutschland AG berufen. Sein Ressort: Personal und Interne Dienste.

Herr Dr. Brezina, Begriffe wie Sicherheit und Risikovorsorge stehen heute hoch im Kurs. Profitiert Ihre Branche davon?
Durchaus. Wobei Versicherungen selbstverständlich auch in Zeiten bedeutsam sind, in denen andere Begriffe Konjunktur haben. Eine Volkswirtschaft ohne Versicherungen ist heute längst nicht mehr denkbar. Wir übernehmen zahlreiche Risiken und sichern damit die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften.

Sollten Versicherungen am Puls der Zeit sein?
Das wird immer wichtiger. Versicherungen halten im Idealfall mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt. Nehmen Sie die Megatrends dieser Zeit wie den demografischen Wandel. Wir als Branche stehen vor der Aufgabe, die richtigen Antworten auf Themen wie Pflege oder die betriebliche Altersvorsorge zu finden. Je eher wir das tun, desto besser ist es für unser Geschäft – aber auch für die Gesellschaft.

Das Image der Banken ist noch immer angekratzt. Warum hält sich die Versicherungsbranche in dieser Hinsicht schadlos?
Wir mussten und müssen für unsere Geschäfte schon immer ein hohes Maß an Solidität und Sicherheit an den Tag legen. Als Versicherer sind wir in erster Linie an sicheren, beständigen, langfristigen und nachhaltig wertschöpfenden Kapitalanlagen interessiert. Diese wählen wir nach den Grundsätzen der Sicherheit, Rentabilität und Streuung aus. Aufgrund dieser Maxime sind wir in der Lage, selbst bei hoher Volatilität an den Kapitalmärkten unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Kunden jederzeit nachzukommen. Das hebt uns im Vergleich zu anderen Branchen positiv ab – natürlich gerade in Krisenzeiten.

Wo liegt dann Ihr Alleinstellungsmerkmal als Arbeitgeber?
Der entscheidende Unterschied zu anderen Bereichen in der Finanzbranche ist, dass wir Risiken langfristig absichern. Das gilt insbesondere für die klassischen Lebensversicherungen mit garantierten Verzinsungen: Wir haben unseren Kunden über Jahrzehnte hinweg eine feste Rendite versprochen. Dementsprechend vorsichtig müssen wir mit den Mitteln der Kunden umgehen. Der schnelle Euro unter großem Risiko ist genau nicht das, was wir wollen. Klar, auch wir wollen gute Renditen erwirtschaften. Aber dieser Aspekt steht immer im direkten Spannungsfeld mit unserem hohen Anspruch an Verlässlichkeit. Um es auf den Punkt zu bringen: Auch in der Versicherungsbranche müssen Entscheidungen schnell getroffen werden, aber sie müssen unbedingt gut durchdacht sein, weil sie eine große Tragweite besitzen.

Wie laufen bei Ihnen solche Entscheidungsprozesse ab?
Das geschieht sehr arbeitsteilig. Für uns arbeiten hochqualifizierte Spezialisten aus allen möglichen Fachgebieten. Dazu zählen natürlich Versicherungsmathematiker, aber auch Fachleute fürs Marketing und die Marktforschung, IT und den Vertrieb. Was zunimmt, ist die Bedeutung von Projektstrukturen.

Wie hat sich das Thema Vertrieb in den vergangenen Jahren entwickelt?
Der Vertrieb ist heute mehr denn je auf das Know-how der Kollegen aus anderen Bereichen angewiesen – gerade mit Blick auf künftige Bedürfnisse unserer Kunden. Unsere Vertreter wissen, was der Kunde heute will und ob unsere Produkte passen oder nicht. Wie das in drei oder fünf Jahren sein wird, offenbart sich ihm im Gespräch mit den Kunden jedoch nicht. Doch genau dieser Blick auf morgen und übermorgen ist wichtig, da sich die Wünsche des Kunden deutlich schneller wandeln als früher. Daher fließt die Marktforschung heute mehr denn je in die Produktgestaltung mit ein.

Auf was für Kunden treffen heute die Einsteiger der Versicherungsbranche?
Wir reden vom hybriden Kunden. Den Kunden, der in allen Bereichen zum Premiumangebot greift, gibt es heute genauso wenig wie den, der es grundsätzlich möglichst günstig haben möchte. Das Verhalten ändert sich je nach Lebenssituation, je nach Bereich. Während der Kunde in einem Segment streng auf den Preis achtet, verlangt er in einem anderen nach Premiumqualität. Der Vertrieb muss darauf vorbereitet sein, dass der Kunde sein Verhalten von Entscheidung zu Entscheidung neu abwägt. Zudem haben wir festgestellt, dass es für die Kunden keine festen Wege zu ihrer Versicherung mehr gibt. Es kann sein, dass ein Kunde sich zunächst im Internet über die Angebote informiert und dann zu seiner Versicherung geht, um sich beraten zu lassen.

Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?
Zum Beispiel, indem jede Allianz-Agentur einen eigenen Internet-Auftritt erhält. Wir stellen den Rahmen zur Verfügung und geben Mindestanforderungen vor, aber der Vertreter kann dann das Internet und auch Social Media als Vertriebsplattform nutzen.

Sprich: Der Vertrieb erhält mehr Möglichkeiten. Wird er dadurch auch für Akademiker interessanter?
Ich denke schon. Sie finden hier eine Reihe von exzellenten Unternehmerpersönlichkeiten. Unsere großen Agenturen erreichen durchaus die Umsatzzahlen von beachtlichen mittelständischen Unternehmen. Für Absolventen ist das selbstverständlich interessant.

Sie selbst sind vor gut 20 Jahren in die Branche eingestiegen – und ihr bis heute treu geblieben.
Und zwar ganz einfach deshalb, weil sie mir persönlich immer neue und spannende Perspektiven gegeben hat. Ich habe das Versicherungsgeschäft in den vergangenen Jahren nie als langweilig empfunden. Im Gegenteil.

Lässt sich Ihre Einsteigergeneration von damals mit der von heute vergleichen?
Kaum, denn da hat sich einiges getan. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre dominierte noch eine Art von Yuppie- Kultur: Es schien wichtig, möglichst lange im Büro zu sein, Arbeitstage bis 22 Uhr waren keine Seltenheit. Viele hatten damals, so muss man es rückblickend sagen, keine vernünftige Balance zwischen Arbeit und Beruf. Wer heute einsteigt, legt darauf deutlich mehr Wert. Und wir als Arbeitgeber stehen vor der Aufgabe, diese vernünftige Haltung entsprechend zu unterstützen.

Zum Unternehmen

Die Allianz Deutschland ist in der Schaden- und Unfallversicherung, der Lebensversicherung, der Krankenversicherung sowie im Bankgeschäft tätig. Dabei bildet sie als Holding das Dach für die drei deutschen Versicherungsgesellschaften der Allianz – die Sach-, die Lebens- und die Private Krankenversicherung – sowie für die Oldenburgische Landesbank mit ihrer Zweigniederlassung Allianz Bank. Der Konzern hat in Deutschland rund 19 Millionen Kunden. Mit mehr als 9000 Vertretern und rund 30.000 Mitarbeitern erzielt das Unternehmen einen Umsatz von mehr als 28 Milliarden Euro – das ist rund ein Viertel des Gesamtumsatzes der Gruppe. Diese ist in etwa 70 Ländern vertreten und gehört damit zu den größten Finanzdienstleistern der Welt.

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