Seit vielen Jahren steht der Dozent vor seinen Studenten, um sie in die Welt der Finanzen zu entführen. Portfoliotheorie auf Powerpoint – das ging immer. Doch in letzter Zeit verlagert sich die Aufmerksamkeit der Seminarteilnehmer zunehmend auf die flackernden Bildschirme der Smartphones und Notebooks. Von Dirk Hoenerbach
Die einen mögen diese Entwicklung als Sittenverfall und mangelnden Respekt vor der Lehrkraft sehen, für die anderen ist mit dem Einzug moderner Medien in den Seminarraum eine neue Ära der Wissensvermittlung angebrochen. Wie das Internet und die hier entstandenen sozialen Medien die Wissensvermittlung verändern werden, ist noch nicht entschieden. Dass die Chancen und Risiken von Plattformen wie Xing, YouTube, Facebook und GooglePlus von angehenden und etablierten Finanzprofis in Zukunft kompetent bewertet werden müssen, steht außer Frage. Doch auf welchen Ebenen tangiert das Social Web den Mitarbeiter eines Finanzinstitutes?
Medienkompetenz als Schlüsseldisziplin
Ein Medium zu kennen, heißt nicht unbedingt, es auch zu verstehen. Wer sich in der virtuellen Welt auskennt und sich darin sicher bewegt, ohne sich in den vielen Möglichkeiten zu verlieren, besitzt heute einen großen Wettbewerbvorteil. Dazu gehört auch, die Kommunikationsregeln und Sprachcodes der Social-Media-Welt zu kennen. Hierbei gilt es, stets das eigene Mediennutzungsverhalten zu hinterfragen und sich bewusst darüber zu sein, dass man sich auf Social-Media-Plattformen, wenn auch nur virtuell, in der Öffentlichkeit bewegt. Alles, was ich schreibe und für alle sichtbar hochlade, kann Einfluss auf meine Karriere nehmen. Nicht selten informieren sich Personalchefs gerne auf Social-Media-Plattformen über ihre Bewerber. Und bringe ich durch mein Verhalten bei Facebook oder anderen Netzwerken den Arbeitgeber in Verruf, kann das sogar juristische Konsequenzen nach sich ziehen. Viele Finanzunternehmen haben diese Kompetenzlücke bereits erkannt und spezielle Social-Media-Verhaltenskodizes für ihre Mitarbeiter aufgestellt, um damit auch den Ruf des Unternehmens zu schützen. Nicht allein aus diesem Grund sollte in Studium und Lehre im Finanzwesen Medienkompetenz auf dem Lehrplan stehen.
Reputationsmanagement und Crowdsourcing
Der gute Ruf ist eines der wichtigsten Assets im Finanzsektor. Die Reputation der Marke und der Mitarbeiter eines Unternehmens steht jedoch durch die Möglichkeiten der sozialen Medien zur Disposition. Täglich handeln User durch ihre Kommentare, Blogbeiträge und Posts neu aus, wie ein Unternehmen in der Öffentlichkeit dasteht. Längst sind es nicht mehr die klassischen Medien wie die gedruckte Zeitung, Fernsehen oder Radio, die mit ihrer Berichterstattung das Bild eines Unternehmens zeichnen. Ein schlecht gelaufenes Beratungsgespräch findet kaum Einzug in die Nachrichtenagenda. Anders im Netz der neuen Möglichkeiten, wo jeder zum Sender werden kann und jeden Tag ein neuer Skandal einen alten ersetzt. Doch bietet diese Situation auch große Chancen für Unternehmen der Finanzbranche, näher an Kunden heranzutreten, sie an der Unternehmensentwicklung teilhaben zu lassen und sie damit stärker an sich zu binden. Diese neue Beziehung kann auch darin münden, dass der Kunde als Ideengeber fungiert und damit Produktentwicklung und Service mit vorantreibt. In der Fachsprache wird diese Vorgehensweise Crowdsourcing genannt. Nutzt man das kreative Potenzial der Internetgemeinde oder auch der eigenen Mitarbeiter durch intelligente Wege wie den Aufbau eines internen Wiki oder durch Ideenwettbewerbe, kann das die Reputation des Unternehmens stützen und zugleich die Kunden- und Mitarbeiterbindung verstärken. Hierfür bedarf es jedoch eines abteilungsübergreifenden, vernetzten Denkens, das schon in Ausbildung und Lehre gefördert werden muss.
Keine weitere Dotcom-Blase
Vielen Bankern und Anlegern ist das Platzen der ersten Internetblase Anfang der 2000er-Jahre noch schmerzlich in Erinnerung. Die Euphorie zog alle in ihren Bann. Keiner wollte das Nachsehen haben und dabei sein, wenn der Internetzug richtig anrollt. Leider folgten viele Banker blind dem Hype, meist aus Mangel an Kenntnissen über die Tragfähigkeit eines onlinebasierten Geschäftsmodells. Heute heißt der Hype Social Media – und wenn man genau hinschaut, kommt es auch hier wieder zu einer Übersättigung des Marktes. Doch wie bewertet man das Potenzial eines Start-up-Unternehmens im Onlinebereich, ohne ausreichende Kenntnis darüber, wie der Markt der Neuen Medien funktioniert? Auch an dieser Stelle sollten die Bildungsangebote um spezielle Kurse erweitert werden, die insbesondere den Social-Media-Markt ökonomisch stärker unter die Lupe nehmen.
Der Bankmanager der Zukunft wird demnach jemand sein, der neben klassischer Finanzlehre die Klaviatur moderner Medienplattformen nicht nur kennt, sondern die Tasten richtig zu bedienen weiß und dabei einen kühlen Kopf bewahrt. Und was sollte der Dozent mit seinen Seminarteilnehmern machen, die eher dem bunten Treiben auf ihren Bildschirmen folgen? Am besten gibt er ihnen eine praktische Aufgabe, die sie mittels Social Media lösen müssen. Warum nicht die Schwarm-Intelligenz der Masse nutzen und darüber diskutieren? So funktioniert heute der Markt der Meinungsbildung.
Literatur
Thomas M. Koulopoulos: Die Innovations-Zone: Wie sich Firmen neu erfinden
Midas Management Verlag 2010. ISBN 978-3907100349. 29,80 EuroBrett King: Bank 3.0
Marshall Cavendish C/O Times E 2012. ISBN 978-9814382120. 22,50 Euro. Kindle Edition: 6,49 Euro